Urteil des SozG Freiburg vom 16.11.2015

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SG Freiburg Urteil vom 16.11.2015, S 5 KR 2089/15
Auslegung von § 13 Abs. 3 a SGB V - Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a
Satz 6 SGB V - Wortlaut des Gesetzes als Auslegungsgrenze.
Tenor
Der Bescheid vom 8.1.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
9.4.2015 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der bei
Frau Dr. D. durchgeführten ambulanten Hyperthermien zwischen dem 23.1.2014
und dem 11.2.2015 in Höhe von insgesamt 778,50 EUR der Klägerin zu erstatten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
1 Bei der 1963 geborenen Klägerin wurde 2013 ein metastasierendes
Mammakarzinoms links mit mehreren histologisch unterschiedlichen
Tumornachweisen festgestellt, welches die Klägerin komplementär-onkologisch
bei der Internistin Dr. D. behandeln ließ. Sie entschied sich gegen Operation,
Bestrahlung und Chemotherapie und stellte am 28.11.2013 Antrag auf
Kostenübernahme für eine von Frau Dr. D. zusätzlich zu ihren sonstigen
Behandlungsmethoden empfohlene ambulante Ganzkörperhyperthermie. Im Attest
der Frau hieß es hierzu, eine zusätzliche moderate systemische
Ganzkörperhyperthermie sei bei der Klägerin höchst sinnvoll und dies könne
ambulant unter kontinuierlicher Überwachung aller lebenswichtigen Parameter
durchgeführt werden. Über die heilende Wirkung der Hyperthermie gebe es
unzählige wissenschaftliche Untersuchungen. Frau Dr. D. betreibe die einzige
Praxis in Südbaden, die diese Behandlung ohne Chemotherapie ambulant
anbiete.
2 Die Beklagte hörte den MDK (MDK-Stellungnahme vom 11.12.2013), der eine
ungewöhnliche Befundkonstellation und eine lebensbedrohliche Erkrankung bei
der Klägerin bejahte. Auch sei die Hyperthermie, die der gemeinsame
Bundesausschuss (GBA) 2005 in der Liste der nicht zugelassenen
Behandlungsmethoden aufgenommen habe, doch weiterhin Gegenstand der
medizinischen Wissenschaft und laufender kontrollierter klinischer Studien, etwa
auch an der Universitätsklinik Tübingen. Dort erfolge im Rahmen der
Qualitätssicherung unter kontrollierten Bedingungen unter anderem eine
Temperaturmessung im Tumorgebiet während der Hyperthermiebehandlung. Für
eine Wirksamkeit der bei der Klägerin vorgesehen Behandlung (ambulante
Hyperthermie) aber gebe es keine Hinweise in der medizinischen Wissenschaft.
3 Erst mit Bescheid vom 8.1.2014, zur Post am 9.1. (zuvor telefonisch bereits am
7.1.2014 bekannt gegeben), lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die
beantragte ambulante Hyperthermie ab, und zwar unter Hinweis auf den
Ausschluss der Methode durch den GBA.
4 Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin dar, dass zwischen Dezember 2013
und August 2014 insgesamt 5 Mal jeweils mehrtägige stationäre
Ganzkörperhyperthermien durchgeführt worden seien, die auch von der Beklagten
bezahlt worden seien. Ambulante Hyperthermiebehandlungen hätten am
23.1.2014, 12.3.2014, 22.5.2014, 9.10.2014, 3.12.2014 und - nach einer
Brustoperation vom 15.1.2014 - nochmals am 11.2.2015 stattgefunden; diese
hätten insgesamt 778,50 EUR gekostet. Die entsprechenden Honorarrechnungen
legte die Klägerin vor.
5 Mit Widerspruchsbescheid vom 9.4.2015 hielt die Beklagte an ihrer ablehnenden
Haltung fest.
6 Die Klägerin hat deshalb am 6.5.2015 Klage erhoben. In der mündlichen
Verhandlung hat sie vorgetragen, die stationären Hyperthermien seien von der
Kasse nur im Abstand von 8 Wochen bewilligt worden. Ihre Ärztin habe jedoch
eine Hyperthermiebehandlung jedenfalls im Abstand von 4 Wochen für unbedingt
notwendig erklärt, weshalb zwischen den von der Kasse übernommenen
stationären Hyperthermien die ambulante Hyperthermiebehandlungen bei Frau Dr.
D. durchgeführt worden seien. Momentan fänden stationäre
Hyperthermiebehandlungen nur noch alle 3 Monate statt; ihr Zustand habe sich
stabilisiert.
7 Die Klage beantragt:
8
Der Bescheid vom 8.1.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
9.4.2015 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der bei Frau
Dr. D. durchgeführten ambulanten Hyperthermien zwischen dem 23.1.2014 und
dem 11.2.2015 in Höhe von insgesamt 778,50 EUR der Klägerin zu erstatten
9 Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Die Beklagte hat sich auf die Frage des Gerichts, ob die Klägerin nicht einen
Anspruch auf Kostenerstattung für die selbstbeschafften ambulanten
Hyperthermiebehandlungen im Hinblick auf § 13 Abs. 3 a SGB V habe, mit
ausführlichem Schriftsatz vom 03.06.2015 verneinend geäußert.
12 Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die weiteren Schriftsätze der Beteiligten und
die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist zulässig und begründet.
14 Die angefochtene ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 8.1.2014 ist
schon deshalb rechtswidrig, weil sie der zuvor eingetretenen Genehmigungsfiktion
des § 13 Abs. 3 a S. 6 SGB V widerspricht und allein deshalb aufzuheben ist. Die
eingetretene Genehmigungsfiktion hätte die Beklagte nur dadurch beseitigen
können, dass sie einen Rücknahmebescheid gem. § 45 SGB X erlassen hätte,
was jedoch vorliegend nicht geschehen ist. Allein der Erlass eines ablehnenden
Bescheides unter dem 8.1.2014 stellt in keiner Weise eine im Sinne des § 45 SGB
X denkbare Rücknahmeentscheidung dar, denn weder war der Beklagten
bewusst, dass hier bereits eine Genehmigung infolge des § 13 Abs. 3 a S. 6 zu
fingieren war, noch hat sie in irgendeiner Weise ein nach § 45 SGB X zwingend
notwendiges Rücknahmeermessen ausgeübt.
15 Auf Grund der hier eingetretenen Fiktion der Genehmigung des Antrags der
Klägerin auf ambulante Hyperthermiebehandlungen, war deshalb dem mit der
Klage verfolgten Kostenerstattungsantrag stattzugeben.
16
Ansprüche gesetzlich versicherter Patienten auf Kostenerstattung für
selbstbeschaffte Leistungen sind in der Vorschrift des § 13 SGB V geregelt:
17 Seit jeher konnten Versicherte, sofern die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt hatte, die dadurch für eine selbstbeschaffte Leistung entstandenen
Kosten von der Krankenkasse erstattet verlangen, soweit die Leistung notwendig
war (Absatz 3 der Vorschrift).
18 Inzwischen hat der Gesetzgeber durch Gesetz vom 20.2.2013 (BGBl. I S. 277)
einen neuen Absatz 3a in die Vorschrift eingefügt. Nach Absatz 3a Satz 1 hat die
Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf
von 3 Wochen nach Antragseingang, bzw. in Fällen, in denen eine gutachtliche
Stellungnahme etwa des MDK eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach
Antragseingang zu entscheiden. Diese 5-Wochen-Frist war im vorliegenden Fall
am 02.01.2014 abgelaufen. Die beklagte Krankenkasse hat jedoch innerhalb
dieser Frist nicht über den Antrag auf Übernahme der ambulanten Hyperthermie
entschieden, offenbar wegen der zwischen Eingang des MDK-Gutachtens
(16.12.2013) bzw. einer zusätzlichen Nachfrage bei der Universitätsklinik Tübingen
vom 23.12.2013 und der Entscheidung der Kasse liegenden Weihnachts- und
Neujahrstage. Die Beklagte hatte jedoch in diesem Zusammenhang die Klägerin
nicht etwa zwischenzeitlich darüber unterrichtet, dass sie die Fristen nach Satz 1
der Vorschrift nicht werde einhalten können, wie dies Satz 5 des Absatzes 3a
vorsieht. Damit erfolgte keine Mitteilung eines unter Umständen hinreichenden
Grundes für eine Fristverzögerung, so dass die beantragte Leistung nach Ablauf
der Frist als genehmigt galt (Satz 6).
19 Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche
Leistung selbst, so ist die Krankenkasse nach Abs. 3a Satz 7 zur Erstattung der
hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Im Fall der Klägerin bedeutet dies,
dass die Beklagte zur Erstattung der durch die beantragte ambulante Hyperthermie
entstandenen Kosten verpflichtet ist.
20 Soweit die Beklagte die neue gesetzliche Regelung enger auslegen will, vermag
ihr die Kammer nicht zu folgen.
21 Die Auslegung durch die Beklagte läuft darauf hinaus, dass der Gesetzgeber in
Satz 6 der neuen Vorschrift nichts anderen geregelt hätte, als dass die Leistungen
nach Ablauf der Frist als abgelehnt gälten. Nach einer derartigen Ablehnung, so
regelt dies schon § 13 Abs. 3 SGB V seit jeher, kann sich der Versicherte die
Leistung selbst beschaffen und die Kosten für die Selbstbeschaffung sodann von
der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten,
sofern
die
Leistungsablehnung zu Unrecht erfolgt war. Der Versicherte trägt hierbei das
Risiko, dass sich seine Einschätzung, die Ablehnung durch die Krankenkasse sei
zu Unrecht erfolgt, als richtig erweist, und er dann einen
Kostenerstattungsanspruch gegen die Kasse hat.
22 Demgegenüber ist der Wortlaut des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V jedoch ein
anderer. Der Gesetzgeber hat hier nicht geregelt, dass die Leistungen nach Ablauf
der 5-Wochen-Frist als abgelehnt gelten würden, sondern er hat ausdrücklich
geregelt, dass die Leistungen nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten. Der klare
Wortlaut dieser Vorschrift verbietet es, die Begrifflichkeit „als genehmigt gelten“ so
auszulegen, als bedeute sie nichts weiter als „abgelehnt gelten“. Können die
Gerichte sich jedoch bei ihrer Auslegung der neuen Vorschrift sich nicht über den
klaren Wortlaut des Satzes 6, dass nämlich die Leistung nach Ablauf der Frist als
genehmigt gelte, hinwegsetzen, so ist im Lichte dieser Vorschrift auch § 13 Abs. 3
a Satz 7 auszulegen, wo davon die Rede ist, dass die Krankenkasse zur
Erstattung der Kosten verpflichtet sei, wenn sich der Leistungsberechtigte nach
Ablauf der Frist (also nach Eintritt der Genehmigungsfiktion) eine erforderliche
Leistung selbst beschaffe. Der Begriff der erforderlichen Leistung kann im Hinblick
auf die vorher schon eingetretene Genehmigungsfiktion nicht so verstanden
werden, als dass hier die Gerichte nochmals in vollem Umfang zu prüfen hätten, ob
die genehmigte Leistung eine im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung
erforderliche Leistung war. Wäre das „erforderlich“ in diesem Sinne zu verstehen,
würde damit die Fiktion einer Genehmigung der Leistung wieder ad absurdum
geführt. Der Begriff der erforderlichen Leistung im Sinne des Satzes 7 kann hier nur
so verstanden werden, dass der Leistungsberechtigte sich die genehmigte
Leistung nicht verschaffen darf, wenn sie inzwischen, etwa wegen Heilung der
Erkrankung, wegen inzwischen erfolgter Amputation einer zuvor verletzen
Gliedmaße oder ähnlicher Umstände überhaupt nicht mehr erforderlich ist.
Außerdem ist der Begriff der erforderlichen Leistung aus systematischen Gründen
selbstverständlich dahingehend zu verstehen, dass es sich um generell im Sinne
der gesetzlichen Krankenversicherung überhaupt denkbare medizinisch
erforderliche Leistungen handeln muss. Dies bedeutet, dass beispielsweise ein
Antrag des Versicherten, die Krankenkasse möge ihn mit einem
gesundheitsgemäßen Haus, einem gesundheitsgemäßen Auto oder ähnlichen
Gegenständen versorgen, auch nach Ablauf der 3- bzw. 5-Wochenfrist nicht als
genehmigt gilt, weil es sich insofern schon im allgemeinen Rahmen des SGB V um
systemfremde Leistungen handelt (gleichartige Auslegung: LSG für das Saarland,
Urteil vom 17.6.2015, L 2 KR 180/14; Revision beim Bundessozialgericht anhängig
unter B 1 KR 25/15 R).
23 Nach alledem war wie erkannt zu entscheiden.
24 Die Kostenentscheidung war nach § 193 SGG zu treffen.