Urteil des SozG Freiburg vom 11.09.2015

aufschiebende wirkung, leistungsfähigkeit, eingliederung, wichtiger grund

SG Freiburg Beschluß vom 11.9.2015, S 19 AS 4555/15 ER
Grundsicherung für Arbeitsuchende - unzulässiger Regelungsinhalt eines
Eingliederungsverwaltungsakts
Leitsätze
1) Die Frage, ob bzw. in welchem Umfang ein Leistungsempfänger nach dem SGB II
erwerbsfähig ist, ist eine Vorfrage, die vor Abschluss einer
Eingliederungsvereinbarung zu klären ist.
2) Ein eine Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt, der der "Klärung
der Leistungsfähigkeit" eines Leistungsempfängers dienen soll, ist grundsätzlich
rechtswidrig.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.08.2015 gegen den
Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers dem Grunde nach.
Gründe
I.
1 Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den
Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 03.08.2015, durch den eine
Minderung des Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum 01.09.2015 bis 30.11.2015
um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs, somit um monatlich 119,70 EUR,
angeordnet wurde.
2 Der Antragsteller steht bereits seit vielen Jahren im laufenden Bezug von
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bei dem
Antragsgegner. Ausweislich der in der beigezogenen Verwaltungsakte
befindlichen medizinischen Unterlagen leidet der Antragsteller unter anderem an
einer chronischen Hepatitis-C Virusinfektion sowie an einer Leberzirrhose.
Nachdem der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner Zweifel an seiner
Leistungsfähigkeit geäußert hatte, erließ der Antragsgegner gegenüber dem
Antragsteller einen eine Eingliederungsvereinbarung (im Folgenden: EGV)
ersetzenden Verwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II, da eine EGV mit dem
Antragsteller nicht zustande gekommen sei. Als Ziel dieser EGV wurde die
„Klärung der Leistungsfähigkeit“ benannt. Durch die EGV verpflichtete sich der
Antragsgegner zur Unterstützung des Antragstellers durch Teilnahme am Projekt
50plus, durch Beratung und Unterstützung sowie durch Herstellens des Kontaktes
zum Ärztlichen Dienst, um die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu klären und
seine Integrationsbemühungen in Beschäftigung zu unterstützen. Dem
Antragsteller wurde im Gegenzug aufgegeben, bis zum 18.05.2015 eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (im Folgenden: AU-Bescheinigung)
einzureichen und ebenfalls bis zum 18.05.2015 den ausgefüllten
Gesundheitsfragebogen an den Antragsgegner zurückzusenden. Des Weiteren
enthielt die EGV eine Rechtsbehelfs- sowie eine Rechtsfolgenbelehrung.
3 Der gegen die EGV vom 30.04.2015 mit anwaltlichem Schreiben vom 18.05.2015
eingelegte Widerspruch des Antragstellers wurde durch Widerspruchsbescheid
vom 23.07.2015 zurückgewiesen. Hiergegen ist unter dem Aktenzeichen S 19 AS
3730/15 eine Klage vor dem Sozialgericht Freiburg anhängig.
4 Nachdem der Antragsteller im Folgenden weder eine AU-Bescheinigung noch
einen ausgefüllten Gesundheitsfragebogen beim Antragsgegner vorlegt hatte,
wurde er mit Schreiben vom 08.06.2015 zum möglichen Eintritt einer Sanktion
angehört. Mit Schreiben vom 01.07.2015 machte der Antragsteller von seinem
Äußerungsrecht Gebrauch und gab an, die Verpflichtung zur Vorlage des
Gesundheitsfragebogens, der Schweigepflichtentbindungen sowie eventueller
Atteste der behandelnden Ärzte im Rahmen einer EGV stelle einen Verstoß gegen
den Datenschutz dar. Dem Antragsgegner sei seit bestimmt mehr als fünf Jahren
bekannt, dass er gesundheitlich große Probleme habe. Weshalb daher nun die
Vorlage einer Krankmeldung verlangt werde, sei schwer zu verstehen.
5 Mit Bescheid vom 03.08.2015 senkte der Antragsgegner daraufhin das
Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.09.2015 bis 30.11.2015 um monatlich 30 %
des maßgebenden Regelbedarfs ab und hob die vorangegangenen
Bewilligungsbescheide vom 12.02.2015 und 23.07.2015 insoweit auf. Daraus
ergab sich eine Minderung in Höhe von 119,70 EUR monatlich. Zur Begründung
gab er an, der Antragsteller sei den in der EGV vom 30.04.2015 vereinbarten
Pflichten trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachgekommen,
indem er weder ein ärztliches Attest noch den ausgefüllten
Gesundheitsfragebogen eingereicht habe. Die im Schreiben vom 01.07.2015
genannten datenschutzrechtlichen Gründe könnten nicht anerkannt werden. Mit
anwaltlichem Schreiben vom 30.08.2015 erhob der Antragsteller gegen diesen
Bescheid vom 03.08.2015 Widerspruch und führte zur Begründung aus, ihm
obliege auf Basis der EGV vom 30.04.2015 keine Verpflichtung zur Einreichung
eines ärztlichen Attestes und des ausgefüllten Gesundheitsfragebogens. Mangels
Pflichtverstoßes sei die Verhängung einer Sanktion nicht begründbar. Eine
Entscheidung des Antragsgegners über diesen Widerspruch ist bislang – soweit
ersichtlich – nicht ergangen.
6 Überdies hat sich der Antragsteller am 03.09.2015 im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes an das Sozialgericht Freiburg gewandt. Er ist der Auffassung, die
Frage der Leistungsfähigkeit bzw. Erwerbsfähigkeit könne nicht zum
Regelungsgegenstand einer EGV gemacht werden. Das Gesetz sehe zur Klärung
der Frage der Erwerbsfähigkeit ein eigenes Regelwerk vor. Dieses würde ins Leere
laufen, wenn die Regelungen der §§ 14 ff. SGB II dahingehend Anwendung finden
könnten, dass auch für die Prüfung der Frage, ob überhaupt Erwerbsfähigkeit des
Hilfebedürftigen vorliege, der Abschluss einer EGV möglich wäre. Zur weiteren
Begründung verweist der Antragsteller auf seine Klagebegründung in dem
Verfahren mit dem Aktenzeichen S 19 AS 3730/15. Darin führt der Antragsteller
unter anderem aus, die Frage der Leistungsfähigkeit sei eine Vorfrage für den
Abschluss einer EGV. Die EGV selbst setze Leistungsfähigkeit voraus.
7 Der Antragsteller beantragt,
8
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.08.2015 gegen den
Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 anzuordnen.
9 Der Antragsgegner beantragt,
10 den Antrag abzulehnen.
11 Er weist zunächst darauf hin, dass die anhängige Klage gegen die EGV vom
30.04.2015 keine aufschiebende Wirkung entfalte, so dass der Antragsteller
weiterhin zur Erfüllung der dort festgelegten Bemühungen verpflichtet sei. Die in
der EGV vom 30.04.2015 festgelegten Verpflichtungen seien rechtmäßig. Es sei
keine Rechtsprechung ersichtlich, die den Inhalt der EGV einschränke. Zudem
gebe es vielfältige Schritte, um erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu integrieren.
Es könne nicht Sinn einer EGV sein, lediglich die letzten Schritte einer Integration
zu regeln. Vorliegend solle als erster Schritt einer möglichen Integration des
Antragstellers in Arbeit dessen Leistungsfähigkeit geprüft werden. Ohne diese
Prüfung seien weiterführende Maßnahmen zur Eingliederung des Antragstellers in
Arbeit nicht möglich. Zur weiteren Begründung verweist der Antragsgegner auf
seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 23.07.2015 hinsichtlich der
EGV vom 30.04.2015. Darin führt der Antragsgegner aus, dass die EGV vom
30.04.2015 die gesetzlichen Vorgaben der §§ 15 f. SGB II beachte.
12 Auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie den geführten Schriftwechsel wird
hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und den Verfahrensgang
ergänzend Bezug genommen.
II.
13 Der Antrag des Antragstellers ist nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) statthaft. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den
Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach §
39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen
Verwaltungsakt, der die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung.
Der streitgegenständliche Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 ordnet die
Absenkung bereits bewilligter Leistungen für die Dauer von drei Monaten an. Der
dagegen eingelegte Rechtsbehelf hat daher keine aufschiebende Wirkung. Der
Antrag ist auch im Übrigen zulässig und begründet.
14 Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebende Wirkung hat das
Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des
angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse) mit
dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorzunehmen. Die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das
Vollzugsinteresse überwiegt. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, ist
die aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil dann ein öffentliches Interesse an
der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist der Widerspruch aussichtslos, wird die
aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Bei der vorzunehmenden
Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in der
vorliegenden Fallgestaltung ein Regel-/Ausnahmeverhältnis angeordnet hat. In der
Regel überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, da der Gesetzgeber
die aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen ausgeschlossen hat (vgl. BSG
Beschl. v. 29.08.2011 – Az. B 6 KA 18/11 R, Rdn. 12 nach Juris). Je größer jedoch
die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die
Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt sind
die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die
Verwaltungsmaßnahme wirkt oder rückgängig gemacht werden kann.
Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die
Eilentscheidung nicht erginge, die Klage bzw. der Widerspruch aber später Erfolg
hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung
erlassen würde, die Klage bzw. der Widerspruch aber erfolglos bliebe (vgl. Keller
in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rdn. 12f.).
15 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überwiegt das Aussetzungsinteresse
des Antragstellers, da sich der Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 nach einer im
Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als
rechtswidrig erweist. Im Einzelnen:
16 Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II verletzten erwerbsfähige Leistungsberechtigte
ihrer Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder
deren Kenntnis sich weigern, in der EGV oder in dem diese ersetzenden
Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II festgelegten Pflichten zu erfüllen,
insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Nach
§ 31a Abs. 1 SGB II ist das Vorliegen einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II
Voraussetzung für eine Minderung des Arbeitslosengeld II.
17 Der Antragsteller selbst bestreitet nicht, dass er die in der EGV vom 30.04.2015
festgelegten Pflichten nicht erfüllt hat, indem er weder eine AU-Bescheinigung
noch einen ausgefüllten Gesundheitsfragebogen beim Antragsgegner vorgelegt
hat. Eine Sanktionierung auf Grund dieser Nichterfüllung der im eine EGV
ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.04.2015 festgelegten Pflichten
konnte gleichwohl nicht erfolgen, weil sich dieser Eingliederungsverwaltungsakt
nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist. Die Rechtmäßigkeit eines
zugrundeliegenden Eingliederungsverwaltungsaktes ist zur Überzeugung der
Kammer aber Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Sanktion auf Grund
einer Pflichtverletzung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Dies gilt jedenfalls
solange der Eingliederungsverwaltungsakts nicht seinerseits bestandskräftig
geworden ist, da in diesem Falle die Bindungswirkung des § 77 SGG noch nicht
eingetreten ist (vgl. auch Berlit in: LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 31, Rdn. 19 m.w.N.).
Dies ist vorliegend der Fall, weil der am 30.04.2015 ergangene
Eingliederungsverwaltungsakt durch Widerspruch und Klage angegriffen wurde
und das entsprechende Klageverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Die bloße
Wirksamkeit bzw. Vollziehbarkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes steht der
inzidenten Prüfung seiner Rechtmäßigkeit im Rahmen der
Rechtmäßigkeitsprüfung einer Sanktion dagegen nicht entgegen (so aber wohl SG
Berlin, Urt. v. 09.07.2014 – Az. S 205 AS 30970/13, Rdn. 26 ff. nach Juris).
Anderenfalls wäre jeder von einer auf einer EGV beruhenden Sanktion Betroffene
gehalten, einstweiligen Rechtsschutz nicht nur gegen den Sanktionsbescheid
selbst, sondern auch gegen den Eingliederungsverwaltungsakt in Anspruch zu
nehmen, um auf diesem Wege die Vollziehbarkeit des
Eingliederungsverwaltungsaktes zu verhindern. Dies erscheint nicht
prozessökonomisch. Überdies kann sich derjenigen, der eine rechtswidrige EGV
nicht befolgt, auch auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II
berufen, der ebenfalls einer Sanktionierung im Wege steht. Spätestens bei der
Prüfung, ob ein solcher wichtiger Grund vorliegt, ist demnach eine inzidente
Prüfung eines – nicht bestandskräftigen – Eingliederungsverwaltungsaktes
unerlässlich (ebenso: Hessisches LSG, Urt. v. 13.052015 – Az. L 6 AS 132/14,
Rdn. 47 nach Juris; Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, §
31, Rdn. 33).
18 Nach summarischer Prüfung erweisen sich die in der EGV vom 30.04.2015
festgelegten Pflichten des Antragstellers in Form der Vorlage einer AU-
Bescheinigung sowie eines ausgefüllten Gesundheitsfragebogens als rechtwidrig.
19 Die EGV ist in § 15 SGB II gesetzlich geregelt. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB II soll
die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder
erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung
erforderlichen Leistungen vereinbaren. In der EGV soll insbesondere vereinbart
werden, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält,
welche Bemühungen er in welcher Häufigkeit mindestens unternehmen muss und
in welcher Form er seine Bemühungen nachzuweisen hat, vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 Nr.
1, 2 SGB II. Der mit der EGV verfolgte Zweck ist also immer derselbe, nämlich
letztendlich die Vermittlung in Arbeit bzw. die Beendigung oder Verringerung der
Hilfebedürftigkeit auf der Grundlage effektiver Vermittlungsbemühungen (Sonnhoff
in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 15, Rdn. 62). Dies wird im
Übrigen auch durch die systematische Stellung des § 15 SGB II innerhalb des
grundsicherungsrechtlichen Leistungssystems bestätigt. So findet sich § 15 SGB II
im Kapitel 3, Abschnitt 1 „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ (BSG, Urt. v.
02.04.2014 – Az. B 4 AS 26/13 R, Rdn. 37 nach Juris).
20 Die durch EGV festgelegten Eigenbemühungen des Leistungsempfängers
müssen demnach der „Eingliederung in Arbeit“ dienen. Maßgeblich für die konkret
festzusetzenden Eigenbemühungen sind stets die persönlichen Verhältnisse des
Leistungsempfängers, also das individuelle Leistungsvermögen, der berufliche
Ausbildungsstand und allgemeine Berufserfahrung, die intellektuellen Fähigkeiten
und Kenntnisse sowie die persönlichen familiären Verhältnisse jeweils in Relation
zu den Verhältnissen des Arbeitsmarktes (Sonnhoff a.a.O., § 15, Rdn. 88 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze handelt es sich bei der Verpflichtung
des Antragstellers zur Vorlage einer AU-Bescheinigung sowie eines ausgefüllten
Gesundheitsfragebogens nach summarischer Prüfung nicht um einen zulässigen
Regelungsinhalt einer EGV. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, inwiefern diese
auferlegten Eigenbemühungen des Antragstellers einer Eingliederung in Arbeit
dienen können. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass die Erwerbsfähigkeit als
solche bereits nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB II Voraussetzung einer
EGV ist, so dass die Vorfrage, ob überhaupt Erwerbsfähigkeit vorliegt sowie hierauf
bezogene Obliegenheiten des Leistungsempfängers von vorneherein nicht
Gegenstand einer EGV sein können (ebenso: Berlit a.a.O., § 15, Rdn. 22; LSG
Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 05.07.2007 – Az. L 3 ER 175/07 AS, Rdn. 19 nach
Juris; Hessisches LSG, Beschl. v. 17.10.2008 – Az. L 7 AS 251/08 B ER, Rdn. 58
nach Juris). Doch selbst wenn die seitens des Antragsgegners durch
Verwaltungsakt festgelegte Obliegenheit des Antragstellers zur Vorlage einer AU-
Bescheinigung sowie eines ausgefüllten Gesundheitsfragebogens nicht der
Klärung der Frage dienen sollte ob, sondern in welchem Umfang der Antragsteller
(noch) erwerbsfähig ist, kann dies nach summarischer Prüfung nicht zur
Rechtmäßigkeit dieser Regelung führen. Zunächst erscheint es fraglich, ob die
festgesetzten Eigenbemühungen des Antragstellers tatsächlich lediglich der
Klärung dessen Restleistungsvermögens dienen sollen. So ist das Ziel der EGV
mit „Klärung der Leistungsfähigkeit“ umschrieben. Hintergrund der Regelungen war
offensichtlich eine Aussage des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner,
wonach er sich selbst für nicht mehr leistungsfähig halte. Unter diesen Umständen
liegt zumindest die Vermutung nahe, dass der Antragsgegner die Frage klären
wollte, ob der Antragstellers derzeit erwerbsfähig ist. Gerade dies ist aus den
bereits genannten Gründen mittels EGV jedoch nicht möglich.
21 Sofern der Antragsgegner jedoch lediglich den Umfang des
Restleistungsvermögens des Antragstellers klären wollte, kann auch dies keine
Maßnahme zur Eingliederung des Antragstellers in Arbeit sein. Weder durch
Vorlage einer AU-Bescheinigung noch durch Vorlage eines ausgefüllten
Gesundheitsfragebogens können sich die Chancen des Antragstellers auf
Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bzw. auf Beendigung oder Verringerung
seiner Hilfebedürftigkeit erhöhen. Dem Antragsgegner ist zwar zu Gute zu halten,
dass erst nach genauer Kenntnis der gesundheitlichen Beschwerden des
Antragstellers und seines dadurch bedingten qualitativen und quantitativen
Restleistungsvermögens das Unterbreiten von leidensgerechten und damit von
zumutbaren bzw. geeigneten Vermittlungsvorschlägen möglich erscheint. Dies
kann allerdings allenfalls eine mittelbare Verbesserung der
Wiedereingliederungschancen des Antragstellers in Arbeit begründen und stellt
daher nach summarischer Prüfung keine im Rahmen einer EGV zulässige
Regelung dar. Im Gegensatz dazu begründen nämlich die im Rahmen einer EGV
zulässig festzusetzenden Eigenbemühungen, wie etwa die Aufgabe von
Stellengesuchen in Zeitungen, die regelmäßige Auswertung von Stellenanzeigen,
(initiative) Bewerbungen oder auch die Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen,
eine unmittelbare Verbesserung der Wiedereingliederungschancen des
Leistungsempfängers.
22 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass jede EGV – wie bereits ausgeführt –
individuell angepasste Eigenbemühungen des Leistungsempfängers festlegen
soll, wobei auch und gerade das individuelle (Rest-)Leistungsvermögen zu
berücksichtigen ist. Aus diesem Grunde ist die Kenntnis des (Rest-
)Leistungsvermögens durch den Leistungsträger Grundvoraussetzung für den
Abschluss einer zulässigen bzw. rechtmäßigen EGV. Ebenso wie die Frage, ob ein
Leistungsempfänger überhaupt erwerbsfähig ist, ist mithin auch die Frage, in
welchem Umfang ein Leistungsempfänger erwerbsfähig ist, eine Vorfrage, die
zwingend vor Abschluss einer EGV zu klären ist.
23 Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass es auch kein Bedürfnis
dafür gibt, Zweifel am Vorliegen bzw. am Umfang der Leistungsfähigkeit eines
Leistungsempfängers mittels entsprechenden Verpflichtungen im Rahmen einer
EGV zu klären. Sollte der Antragsgegner keine Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des
Antragstellers haben, steht es ihm frei, den Antragsteller auch und gerade mittels
einer EGV zu Eigenbemühungen zu verpflichten, die unmittelbar der Eingliederung
in Arbeit dienen. Sollte sich der Antragsteller diesen Eigenbemühungen aus
gesundheitlichen Gründen nicht gewachsen fühlen, wäre er verpflichtet, durch
Vorlage geeigneter Unterlagen, insbesondere durch AU-Bescheinigungen,
nachzuweisen, (derzeit) keine Eigenbemühungen leisten zu können. Anderenfalls
– also bei fehlendem Nachweis eines wichtigen Grundes – dürfte dagegen ein
sanktionsfähiges Verhalten des Antragstellers naheliegen. Sollte der
Antragsgegners dagegen Zweifel haben, ob bzw. in welchem Umfang der
Antragsteller erwerbsfähig ist, besteht die Möglichkeit, den Antragsteller nach § 62
Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zur Teilnahme an einer ärztlichen und/oder
psychologischen Untersuchung zu verpflichten, oder aber nach § 60 SGB I zur
Angabe wesentlicher Tatsachen aufzufordern. Sollte sich der Antragsteller dem
verwehren, bestünde nach § 66 SGB I die Möglichkeit, die Leistungen nach dem
SGB II bis zur Nachholung der Mitwirkung durch den Antragsteller ganz oder
teilweise zu versagen.
24 Nach alledem dienen die in der EGV festgesetzten Eigenbemühungen des
Antragstellers weder dem gesetzlich normierten Zweck einer EGV, noch sind diese
Eigenbemühungen zur Klärung des (Rest-)Leistungsvermögens des Antragstellers
erforderlich. Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 30.04.2015 und damit auch
der darauf beruhende Sanktionsbescheid vom 03.08.2015 erweisen sich daher
nach summarischer Prüfung als rechtswidrig. Dem Antrag war somit stattzugeben.
25 Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193
SGG.
26 Da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR (Minderungsbetrag
insgesamt lediglich 359,10 EUR) nicht übersteigt, ist dieser Beschluss gemäß §§
172 Abs. 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG unanfechtbar.