Urteil des SozG Freiburg vom 13.11.2013

diabetes mellitus, heizung, nebenkosten, auflage

SG Freiburg Entscheidung vom 13.11.2013, S 16 AS 2091/12
Sozialgerichtliches Verfahren - Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher
Bedeutung im Gerichtsbescheid - Arbeitslosengeld II - Unterkunftskosten -
Wohngeldtabelle - Sicherheitszuschlag
Leitsätze
1. Die von dem SG gesehene Notwendigkeit der Zulassung der Berufung steht einer
Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht zwingend entgegen (entgegen u.a.
Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.08.2009 - L 20
AS 18/09 - juris).
2. Soweit das BSG entschieden hat, dass eine grundsätzlich bedeutsame
Rechtssache im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG "besondere Schwierigkeiten
rechtlicher Art" aufweise und deshalb eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid
ausschließe, bezieht sich dies unmittelbar nur auf eine Zulassung der Sprungrevision
im Gerichtsbescheid (BSG, Urteil vom 16.03.2006 - B 4 RA 59/04 R - juris).
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 02.03.2012 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 verurteilt, dem Kläger für die
Zeit vom 01.03.2012 bis 31.08.2012 höhere Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der
Unterkunft und Heizung in Höhe von 442,80 Euro monatlich zu gewähren.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zur
Hälfte zu tragen.
4. Die Berufung wird für den Beklagten zugelassen.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1.3.2012 bis 31.8.2012.
2 Der 1961 geborene Kläger bezog nach der Trennung von seiner Frau ab 2008 mit
Unterbrechungen wegen zwischenzeitlichen Arbeitsaufnahmen Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II von dem Beklagten. Der
Kläger zog zum 01.02.2012 in eine Wohnung unter der Adresse H. Straße 10 in
Sch.. Für diese Wohnung ist nach dem Mietvertrag eine Grundmiete von 350 EUR
zu zahlen. Hinzu kommen Vorauszahlungen für Heizung und Warmwasser i.H.v.
49 Euro sowie Vorauszahlungen für die sonstigen Neben- und Betriebskosten
i.H.v. 61 Euro. In letztgenannten Kosten sind nach der Mietbescheinigung auch
Kosten für Kabelanschluss bzw. Satellitenanlage enthalten. Die Gesamtmiete
beträgt damit 460 EUR. Für die Zeit vom 01.02.2012 bis 31.12.2012 waren
Abfallgebühren in Höhe von insgesamt 63,25 EUR zu zahlen.
3 Der Kläger beantragte im Juli 2011 die Fortzahlung der Leistungen. Er wies darauf
hin, dass er eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Deutschen
Rentenversicherung beantragt habe. Er legte ferner den Ausweis über die
Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 90 sowie des
Merkzeichens G seit Mai 2011 vor.
4 Mit Bescheid vom 20.07.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom
01.09.2011 bis 29.02.2012 Leistungen in vorläufiger Höhe. Er berücksichtigte
dabei neben dem Regelbedarf Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 304 EUR
monatlich. Die Vorläufigkeit der Bewilligung erging im Hinblick auf den Antrag auf
Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Deutsche Rentenversicherung
Baden-Württemberg teilte mit Schreiben vom 08.08.2011 mit, dass eine volle
Erwerbsminderung seit dem 01.06.2011 bis voraussichtlich 31.05.2012 vorliege.
Der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsfeld unter drei Stunden täglich
arbeitsfähig. Die Rente sei jedoch abgelehnt worden, da die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
5 Nach erfolglosem Überprüfungsantrag und Widerspruch erhob der Kläger
hinsichtlich der Leistungen für die Zeit vom 1.9.2011 bis 29.2.2012 Klage zum
Sozialgericht Freiburg (Az. S 16 AS 6328/11) und machte darin die Übernahme der
tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung geltend. Er habe ferner einen
Anspruch auf ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in
angemessener Höhe. Er leide gemäß Attest von Dr. A.-C. vom 9.2.2011 (Bl. 19 der
dortigen Gerichtsakte) unter Diabetes mellitus Typ II. Nach dem Attest sei eine
spezielle und kostenintensivere Ernährung notwendig. Mit Änderungsbescheid
vom 15.02.2012 hat der Beklagte für den Monat Februar 2012 vorläufig Leistungen
unter Berücksichtigung des Regelbedarfes und von Kosten für Unterkunft und
Heizung i.H.v. 397,32 EUR bewilligt. Aufgrund des laufenden Klageverfahrens
ergehe der Bescheid vorläufig.
6 Mit Bescheid vom 02.03.2012 bewilligte der Beklagte auf den
Weiterbewilligungsantrag des Klägers hin Leistungen für die Zeit vom 01.03.2012
bis 31.08.2012 vorläufig in Höhe des Regelbedarfes sowie der Kosten für
Unterkunft und Heizung i.H.v. 397,32 EUR. Aufgrund des Rentenantrages sowie
des laufenden Klageverfahrens ergingen die Leistungen in vorläufiger Höhe.
7 Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, begründete diesen jedoch trotz
Aufforderung durch den Beklagten nicht näher.
8 Nach gutachterlicher Äußerung des Ärztlichen Dienstes vom 09.03.2012 bestand
nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen bis auf Weiteres
Leistungsunfähigkeit mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich.
9 Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2012 wies der Beklagte den Widerspruch
zurück. Eine Begründung liege bislang nicht vor. Die Widerspruchsstelle habe die
Entscheidung geprüft. Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung seien weder
genannt noch aus den Unterlagen ersichtlich. Der Bescheid entspreche den
gesetzlichen Bestimmungen.
10 Der Kläger hat am 25.04.2012 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben. Er erfülle
die Grundvoraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung
gemäß § 7 SGB II. Der Beklagte habe die seiner Bewilligungsentscheidung zu
Grunde liegende Referenzmiete von 250 EUR nicht hinreichend ermittelt. Daher
sei auf die Wohngeldtabelle abzustellen. Für Sch. sei die Mietenstufe 4
anzuwenden. Bei einem zu berücksichtigenden Haushaltsmitglied betrage der
angemessene Betrag 358 Euro. Mit einem Sicherheitszuschlag von 20 % ergebe
sich ein Anspruch auf eine Kaltmiete zuzüglich Betriebskosten in Höhe von
insgesamt 429,60 EUR. Der Beklagte hätte hier daher für den
streitgegenständlichen Zeitraum die vollständige Bruttokaltmiete i.H.v. 399 EUR
übernehmen müssen. Hinzu kämen noch die Heizkosten i.H.v. 61 Euro monatlich.
Er habe ferner einen Anspruch auf ein Mehrbedarf in angemessener Höhe, da er
an Diabetes mellitus Typ II leide und eine Spezialernährung notwendig sei. Dies
ergebe sich aus dem Attest von Dr. A.-C. vom 9.2.2011.
11 Der Kläger beantragt,
12 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 02.03.2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 zu verurteilen, an den Kläger
höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.03.2012 bis 31.08.2012
zu gewähren.
13 Der Beklagte beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Er weist darauf hin, dass der Widerspruch trotz Aufforderung nicht begründet
worden sei. Erst mit der Klage sei eine Begründung vorgelegt worden. Der Kläger
verwechsele in dieser Begründung die Heizkosten (49 Euro monatlich) mit den
kalten Nebenkosten (61 Euro monatlich). Nach der Mietbescheinigung seien in
den kalten Nebenkosten auch die Gebühren für Kabelfernsehen bzw.
Satellitenanlage enthalten, die jedoch nicht zu berücksichtigen seien. Da die
konkrete Angabe der Höhe dieser Kosten fehle, seien vorläufig 12,68 EUR
monatlich angesetzt worden und bei der Berechnung außer Betracht gelassen
worden. Der Beklagte sei jedoch bereit, nach Vorlage entsprechender Nachweise
durch den Kläger die tatsächlichen Kosten zu berücksichtigen oder, sofern der
Kläger den Vertrag nicht kündigen könne, die Kosten voller Höhe zu
berücksichtigen. Die Nettokaltmiete von tatsächlich 350 EUR sei in Höhe von 300
EUR anerkannt worden. Dabei sei der Vergleich vom 29.11.2011 in dem anderen
Klageverfahren mit dem Höchstwert für die Bruttokaltmiete in Sch. i.H.v. 358 EUR
zugrunde gelegt worden. Nach Abzug der kalten Nebenkosten i.H.v. 61 Euro
monatlich sei der sich ergebende Betrag von 297 EUR kulanterweise auf 300 EUR
aufgerundet worden. Für einen Zuschlag von 10 % oder gar 20 % sei kein Raum.
In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei lediglich zu den alten Sätzen
nach § 8 WoGG ein Zuschlag von 10 % erwogen worden. Die ab 2009 geltenden
Sätze nach § 12 WoGG seien bereits um 10 % erhöht worden, so dass kein
weiterer Zuschlag vorzunehmen sei. Auch sei kein Mehrbedarf wegen
kostenaufwändigerer Ernährung gegeben.
16 Der Kläger hat in dem Klageverfahren S 16 AS 6328/11 im Januar 2013 noch eine
Bescheinigung des Vermieters vom 26.01.2013 vorgelegt, wonach die
Kabelgebühr i.H.v. 80,90 für das Jahr 2012 als fester Bestandteil in der
monatlichen Miete enthalten sei. Die Kabelgebühr sei damit auch nicht
herausrechenbar bzw. kündbar.
17 Mit Bescheid vom 16.04.2013 hat der Beklagte auf Antrag vom 8.4.2013 hin die
Abfallgrundgebühren für die Jahre 2012 (ab 1.2.2012) und 2013 übernommen.
18 Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen beiden Bände
Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
19 Das Gericht entscheidet hier nach § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung und
ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, da der
Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist. Dem steht in diesem Verfahren nach
Auffassung der Kammer nicht entgegen, dass die Berufung wegen grundsätzlicher
Bedeutung zuzulassen ist (vgl. unten). Die Beteiligten wurden zuvor gehört. Sie
haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid
einverstanden erklärt und keine Gründe vorgetragen, die für die Durchführung
einer mündlichen Verhandlung sprechen würden.
20 Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4
SGG i.V.m. § 56 SGG) zulässig. Die Klage richtet sich gegen den Bescheid vom
02.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012, mit dem
der Beklagte über vorläufige Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum
01.03.2012 bis 31.08.2012 entschieden hat. Gegenstand der Klage sind dabei
allgemein höhere Leistungen. Gegen die Vorläufigkeit als solche hat sich der
Kläger nicht gewandt, zumal er ausweislich des anwaltlich gestellten
Klageantrages lediglich die Abänderung (und nicht die Aufhebung) des
Bescheides vom 2.3.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides begehrt.
Bei Auslegung des Klageantrages (§ 123 SGG) werden daher höhere vorläufige
Leistungen begehrt.
21 Die Klage ist jedoch nur zum Teil begründet.
22 Der Kläger erfüllt in dem hier streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen
nach § 7 SGB II. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
Insbesondere ist der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum als erwerbsfähig
anzusehen (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II). Nach § 8 SGB II ist erwerbsfähig,
wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei
Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die „absehbare Zeit“ im Sinne des § 8 Abs. 1
SGB II ist dabei ein Pendant zur „nicht absehbaren Zeit“ in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB
VI, die bei der Erwerbsminderungsrente sicherstellen soll, dass sie nicht schon bei
vorübergehender Erwerbsunfähigkeit gezahlt wird. Die nicht absehbare Zeit wird in
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit länger als sechs Monaten
bestimmt. Dies hat seinen Grund darin, dass befristete Renten wegen
Erwerbsminderung Hinblick auf die Möglichkeit einer Überbrückung durch
Entgeltfortzahlung bzw. Krankengeld nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats
nach Eintritt der Erwerbsminderung gezahlt werden (§ 101 Abs. 1 SGB VI) und die
Befristung nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGB VI die Regel darstellt (Armborst, in: LPK-
SGB II 5. Aufl. 2013, § 8 Rn. 17).
23 Der Kläger ist nach Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Baden-
Württemberg zwar seit dem 01.06.2011 voll erwerbsgemindert, da er keine drei
Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
erwerbstätig sein kann. Die Rentenversicherung stützt sich dabei auf das von ihr
eingeholte Gutachten von Dr. W. vom 01.07.2011, wonach seit dem Beginn der
Arbeitsunfähigkeit am 02.06.2010 bis 01.06.2012 ein zeitliches
Restleistungsvermögen von weniger als drei Stunden arbeitstäglich besteht. Der
Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit Lörrach hat sich dem in seiner
gutachterlichen Äußerung nach Aktenlage vom 09.03.2012 (Blatt 332 der
Verwaltungsakte) angeschlossen. Das Gericht ist an diese Feststellungen zwar
nicht gebunden (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2010 – B 8 SO 17/09 R – juris). § 8
SGB II erfordert bei der Entscheidung über die Leistungen aber eine Prognose
über die Wiedererlangung der gesundheitlichen Voraussetzungen (vgl. die
Fachlichen Hinweise der BA zu § 8 SGB II Rn. 8.2.; Armborst, a.a.O. Rn. 18). Ist
die Erwerbsfähigkeit dann anlässlich eines Weiterbewilligungsantrages erneut zu
prüfen, ist eine erneute Prognoseentscheidung erforderlich. Ergibt diese, dass die
Erwerbsunfähigkeit fortbesteht, jedoch voraussichtlich innerhalb der nächsten 6
Monate enden wird, ist die Voraussetzung für den Bezug von Alg II nunmehr ab
Beginn des neuen Bewilligungszeitraumes erfüllt (Fachliche Hinweise, a.a.O. Rn.
8.2a). Hier ist zu beachten, dass die Deutsche Rentenversicherung dem Beklagten
im August 2011 mitgeteilt hatte, dass aus ihrer Sicht ein weniger als dreistündiges
Leistungsvermögen bereits ab dem 01.06.2011 bis voraussichtlich 31.05.2012
bestand. Damit war bei Entscheidung über den Leistungsantrag ab dem 1.3.2012
davon auszugehen, dass eine verminderte Erwerbsfähigkeit jedenfalls bis zum
31.05.2012 bestehen würde. Hinweise, dass die Erwerbsfähigkeit auch über den
1.6.2012 hinaus gemindert wäre, sind nicht ersichtlich.
24 Der Kläger macht hier zum einen höhere Kosten der Unterkunft und Heizung
geltend (§ 22 SGB II). Zum anderen macht er Leistungen geltend, die dem
Regelbedarf und den Mehrbedarfen zuzuordnen sind (§ 20 f. SGB II), hier
insbesondere einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II.
25 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II wegen
kostenaufwändiger(er) Ernährung aus medizinischen Gründen. Der Kläger leidet
an Diabetes mellitus Typ II. Diese Erkrankung ergibt sich aus dem Attest von Dr.
A.-C. vom 9.2.2011. Ein Mehrbedarf besteht bei dieser Erkrankung im Hinblick auf
die Empfehlungen des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge in
der 3. Auflage vom 1.10.2008 nicht. Diese Empfehlungen können im Regelfall zur
Feststellung des angemessenen Mehrbedarfs im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II
herangezogen werden. Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsprechung des
Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Beschluss vom 25.11.2010 – L 1 AS
3893/10, L 1 AS 3339/10 NZB – juris) an. Denn die Überarbeitung der
Empfehlungen (zuletzt 2. Auflage 1997) geschah gerade im Hinblick darauf, dass
in der 2. Auflage noch ein Mehrbedarf bei Diabetes mellitus anerkannt worden war,
sich aber in der Zwischenzeit neuere medizinische und
ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich dieser Frage ergeben hatten.
Hinweise dafür, dass hier ein Ausnahmefall vorliegt, sind nicht ersichtlich. Dem in
dem Verfahren S 2 AS 1586/11 für den Leistungszeitraum ab dem 1.3.2011 bis
31.8.2011 geschlossenen Vergleich lässt sich im Übrigen entnehmen, dass der
dort ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf den Mehrbedarf nach der dort
durchgeführten Ermittlung des medizinischen Sachverhaltes auch nicht mehr
verfolgt wurde.
26 Weitere Gesichtspunkte für einen höheren Anspruch nach §§ 20, 21 SGB II sind
nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
27 Der Kläger hat daneben jedoch Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen
wegen Kosten der Unterkunft und Heizung.
28 Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in
Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
Die tatsächlichen Kosten belaufen sich hier auf 460 Euro, bestehend aus
Grundmiete i.H.v. 350 Euro, Vorauszahlungen auf kalte Nebenkosten i.H.v. 61
Euro monatlich sowie Vorauszahlungen für Heizkosten und Kosten der
Warmwasserbereitung i.H.v. 49 EUR monatlich. In der Klagebegründung sind die
Beträge für Nebenkosten sowie Heizkosten offensichtlich vertauscht worden.
29 Die Bruttokaltmiete i.H.v. 411 EUR hat der Beklagte dabei nicht in vollem Umfang
als angemessen angesehen und daher nur zu einem Teilbetrag von 361 Euro
berücksichtigt und hiervon noch eine Pauschale von 12,68 EUR für den
Kabelanschluss abgesetzt. Mit den Heizkosten i.H.v. 49 Euro monatlich ergibt sich
der Betrag von 397,32 Euro, der vorläufig übernommen wurde.
30 Die Bruttokaltmiete ist hier jedoch i.H.v. 393,80 EUR angemessen und daher bei
den Leistungen zu berücksichtigen.
31 Die Prüfung der Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für eine
Wohnung erfordert nach der Rechtsprechung des BSG neben der Feststellung der
angemessenen Wohnungsgröße zur Bestimmung der Aufwendungen für eine
Wohnung angemessenen Standards im maßgeblichen Vergleichsraum auch ein
von dem Grundsicherungsträger zu erarbeitendes schlüssiges Konzept (vgl. BSG,
Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 50/09 R – juris). Ein solches schlüssiges Konzept
liegt hier auch nach Auffassung des Beklagten für den hier streitbefangenen
Zeitraum nicht vor und kann auch nicht mehr erstellt werden. Damit lassen sich
auch nach Auffassung des Beklagten keine hinreichenden Feststellungen mehr
treffen, so dass grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen des Klägers zu
übernehmen sind (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – a.a.O.). Die Übernahme der
tatsächlichen Kosten kann jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG,
Urteil vom 17.12.2009 – a.a.O., auch zum Folgenden) nicht unbegrenzt erfolgen,
da es eine „Angemessenheitsgrenze“ nach „oben“ gibt. Durch sie soll verhindert
werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des
Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den
Steuerzahler zu finanzieren sind. Die Heranziehung der Tabellenwerte ersetzt
mithin die für den Vergleichsraum und den konkreten Zeitraum festzustellende
Referenzmiete nicht. Sie dient lediglich dazu, die zu übernehmenden tatsächlichen
Aufwendungen zu begrenzen. Die Grenze findet sich insoweit in den
Tabellenwerten zu § 8 WoGG bzw. nunmehr § 12 WoGG. Da insoweit eine
abstrakte, vom Einzelfall und den konkreten Umständen im Vergleichsraum
unabhängige Begrenzung vorgenommen wird, ist - anders als im vorliegenden Fall
geschehen - auf den jeweiligen Höchstbetrag der Tabelle, also die rechte Spalte,
zurückzugreifen. Ferner wird ein „Sicherheitszuschlag“ zum jeweiligen
Tabellenwert im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des
Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes als erforderlich angesehen. Denn
es kann beim Fehlen eines schlüssigen Konzepts nicht mit Sicherheit beurteilt
werden, wie hoch tatsächlich die angemessene Referenzmiete war (so das BSG,
Urteil vom 17.12.2009 – a.a.O.).
32 Nach der ab 1.1.2009 anzuwendenden Tabelle zu § 12 WoGG ergibt sich für Sch.
(Mietenstufe IV, Anlage zu § 1 Abs. 3 der Wohngeldverordnung in der Fassung
vom 15.12.2008) und einen Einpersonenhaushalt ein Betrag von 358 Euro. Dieser
bezeichnet die Bruttokaltmiete, also die Kaltmiete einschließlich sogenannter
kalten Nebenkosten, aber ohne Heizkosten (so unter Hinweis auf § 5 Abs. 1
WoGG in der bis 31.12.2008 geltenden Fassung bzw. jetzt § 9 Abs. 1 WoGG BSG,
Urteil vom 11.12.2012 – B 4 AS 44/12 R – juris).
33 Dabei ist auch für die ab dem 1.1.2009 geltenden Tabellenwerte nach § 12 WoGG
ein Sicherheitszuschlag von 10 % hinzuzurechnen. Das Gericht schließt sich
insoweit der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg an (Urteil vom
07.11.2012 – L 3 AS 5600/11 – juris; Revision anhängig bei dem BSG, Az. B 4 AS
87/12 R). Das LSG weist darauf hin, dass es sich bei diesem Zuschlag nicht um
den Ausgleich der Teuerungsrate zwischen den Tabellenwerten nach § 8 WoGG
a.F. und den mit Wirkung ab 01.01.2009 nunmehr in § 12 WoGG gefassten, dem
aktuellen Niveau angepassten Tabellenwerten handelt. Maßgeblich für die
Berücksichtigung eines Zuschlages von 10% auch bei den angepassten
Tabellenwerten ist vielmehr, dass es sich bei der Bestimmung des Zuschlags nicht
um eine einzelbezogene Anwendung auf einen konkreten, tatsächlichen
Sachverhalt handelt, sondern dieser unter Berücksichtigung genereller, abstrakter
Kriterien festzulegen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Sinn und Zweck
des Zuschlages, der nach der Rechtsprechung des BSG das elementare
Bedürfnis nach Wohnraum sichern soll, rechtfertigen es, auch bei den ab 1.1.2009
erhöhten Tabellenwerten einen Zuschlag von 10 % vorzunehmen. Ein höherer
Sicherheitszuschlag – wie er etwa von dem Kläger in Höhe von 20 % gefordert
wird – ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.03.2012 – B 4 AS
16/11 R – juris) jedoch nicht vorzunehmen.
34 Für den Abzug einer Pauschale von 12,68 Euro für den Kabelanschluss besteht
hier keine Grundlage. Der Kläger hat mit der in dem Parallelverfahren S 16 AS
6328/11 vorgelegten Bestätigung seines Vermieters vom 26.1.2013
nachgewiesen, dass der Betrag für die Kabelgebühr fester Bestandteil der Miete
ist. Tatsächliche Aufwendungen für die Kosten für einen Kabelanschluss und die
Anschlussnutzungsgebühren sind nach der Rechtsprechung des BSG
grundsätzlich nur dann von § 22 SGB II umfasst, wenn die Verpflichtung zur
Zahlung durch den Mietvertrag begründet worden ist und die Übernahme nicht
freiwillig zu der Miete erfolgt, sondern zusammen mit dem Mietvertrag (BSG, Urteil
vom 19.02.2009 – B 4 AS 48/08 R – juris). Dies ist hier nach der Bescheinigung
wie auch nach dem Mietvertrag der Fall. Ob das Fernsehen bereits anderweitig
technisch gewährleistet ist, ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Frage der
Angemessenheit der Aufwendungen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 – a.a.O.). Da die
Bruttokaltmiete bereits nur in Höhe des um 10 % erhöhten Tabellenwertes nach §
12 WoGG als angemessen zu übernehmen ist, ist ein weiterer Abzug von Kosten
für den Kabelanschluss nicht vorzunehmen. Die Kabelgebühr beträgt im Übrigen
nach der nun vorgelegten Bescheinigung vom 26.1.2013 (Bl. 43 der Gerichtsakte)
80,90 Euro für das Jahr 2012, wobei offen bleibt, ob sich dies auf 11 Monate oder
12 Monate beziehen soll. Der sich bei 11 Monaten ergebende Betrag von 7,35
Euro ist geringer als die Differenz zwischen der tatsächlichen Bruttokaltmiete (411
Euro) und der maximal angemessenen Bruttokaltmiete nach dem Tabellenwert
nach § 12 WoGG zuzüglich des Zuschlages (393,80 Euro).
35 Zuzüglich der Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 49 Euro, über deren
Angemessenheit hier kein Streit besteht, ergibt sich ein Anspruch auf Kosten der
Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 442,80 Euro.
36 Weitere Kosten der Unterkunft in Form der Abfallgebühren hat der Beklagte bereits
mit Bescheid vom 16.4.2013 übernommen, so dass insoweit kein Anspruch
besteht.
37 Nach alledem war der Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom
02.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2012 zu
verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01.03.2012 bis 31.08.2012 höhere
Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in
Höhe von 442,80 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen war die Klage jedoch
abzuweisen.
38 Bei der nach § 193 SGG zu treffenden Kostenentscheidung berücksichtigt das
Gericht, dass der Kläger zu einem Teilbetrag mit der Klage erfolgreich gewesen ist.
Das Obsiegen bewertet das Gericht nach seinem Ermessen dabei mit der Hälfte.
Neben der Kosten der Unterkunft und Heizung, die in Höhe von weiteren rund 63
Euro begehrt werden und in Höhe von rund 45 Euro beansprucht werden können,
war dabei auch der – nicht bezifferte – Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger
Ernährung bei Diabetes mellitus zu berücksichtigen. Das Gericht schätzt das
Klagebegehren insoweit auf rund 50 Euro und orientiert sich dabei an den bis 2008
geltenden Empfehlungen des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private
Fürsorge (vgl. etwa Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 05.02.2007 –
L 7 AS 241/06 ER – juris).
39 Die Berufung war hier für den Beklagten zuzulassen, da die
entscheidungserhebliche Frage, ob der in der Rechtsprechung des BSG
geforderte Sicherheitszuschlag auch bei den Tabellenwerten nach § 12 WoGG
anzuwenden ist, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Denn bei
dem BSG ist im Hinblick auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom
07.11.2012 (L 3 AS 5600/11), auf das sich die Kammer insoweit stützt, derzeit
noch ein Revisionsverfahren anhängig (B 4 AS 87/12 R). Das LSG hat in dem
zitierten Urteil die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (vgl.
auch Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.08.2013 – L 7 AS
934/12 NZB – juris m.w.N. zur instanzgerichtlichen Rechtsprechung zur
Anwendung des Zuschlages auf die Beträge nach § 12 WoGG). Hieran orientiert
sich die Kammer. Gründe für eine Zulassung der Berufung auch für den Kläger
waren hingegen nicht ersichtlich.
40 Die Zulassung der Berufung steht der von dem Gericht gewählte Verfahrensweise
nach § 105 SGG in diesem Fall daher nicht entgegen. Soweit das BSG
entschieden hat, dass eine grundsätzlich bedeutsame Rechtssache im Sinne des
§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG „besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art“ aufweise und
deshalb eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ausschließe, bezieht sich dies
unmittelbar nur auf eine Zulassung der Sprungrevision im Gerichtsbescheid (BSG,
Urteil vom 16.03.2006 – B 4 RA 59/04 R – juris). In diesem Falle würde es – anders
als bei einer Zulassung der Berufung im Gerichtsbescheid – an einer
Tatsacheninstanz mit ehrenamtlichen Richtern fehlen. Die in der Literatur daraufhin
vorgenommene generelle Gleichsetzung einer grundsätzlichen Bedeutung mit
„überdurchschnittlichen“ (bzw.: keinen besonderen) rechtlichen Schwierigkeiten,
die auch bei Zulassung der Berufung eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid
ausschließe (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage
2012, § 105 Rn. 6b; für einen Ausschluss nur „in der Regel“ hingegen Roller, in:
LPK-SGG 3. Auflage 2009 § 105 Rn. 2), überzeugt insoweit nicht, da in § 105 SGG
und § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG unterschiedliche Tatbestandsmerkmale formuliert sind
und es sich damit um nicht zwingend deckungsgleiche rechtliche Maßstäbe
handelt (kritisch auch das BSG, Urteil vom 21.08.2008 – B 13 RJ 44/05 R – juris,
m.w.N. zu bisherigen Entscheidungen des BSG auf Sprungrevisionen nach
Gerichtsbescheiden). Vielmehr kommt es weiterhin auf den Einzelfall an. Es kann
hier jedenfalls nicht davon gesprochen werden, dass das SG nun erstmals eine
Lösung einer bislang nicht geklärten Rechtsfrage im Sinne einer „Pionierarbeit“
aufzuzeigen hätte (so das BSG, Urteil vom 16.03.2006 – a.a.O.), wenn es sich der
Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg anschließt, das wiederum in dem
dortigen Verfahren die Revision zugelassen hatte.