Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 10.11.2005

SozG Frankfurt: berufliche tätigkeit, befristung, familie, bestätigung, entsendung, integration, anerkennung, urkunde, beweiserleichterung, arbeitsentgelt

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 10.11.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 13 RA 2014/03
Der Bescheid der Beklagten vom 25.10.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2003 wird
aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Zeit vom 01.12.1962 bis 30.11.1963 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom
25.11.1962 bis 31.07.1966 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung einer Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit bei der
Rentenberechnung.
Die 1937 geborene Klägerin hat zuletzt in Deutschland bis 30.06.1962 Pflichtbeiträge aufgrund einer Beschäftigung
zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet und verzog anschließend mit ihrem Ehemann, dem Zeugen Dr. H.,
nach P ... Der 1930 geborene Zeuge war ausweislich eines Zeugnisses vom 30.06.1969 bis zum Umzug bei I.
Deutschland – Hauptverwaltung – in S. beschäftigt und wurde von dort zur Europäischen Hauptverwaltung von I. nach
P. versetzt. Dort wurden für ihn Pflichtbeiträge zur französischen gesetzlichen Rentenversicherung ab 01.01.1962 bis
31.12.1966 entrichtet. 1962 wurde der Sohn der Eheleute, K. M., in Paris geboren. Am 05.08.1966 kehrte die Familie
nach Deutschland zurück, wo der Zeuge eine berufliche Tätigkeit bei dem I. Rechenzentrum in D. aufnahm. Er wurde
ab 01.01.1968 wegen Überschreitens der Verdienstgrenze von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen
Rentenversicherung befreit.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 25.10.2002 im Rahmen einer Neufeststellung Altersrente ab
01.07.2002 unter Berücksichtigung einer Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vom 01.08.1966 bis
24.11.1972. Der Widerspruch der Klägerin auf Anerkennung der Kindererziehung im Ausland wurde mit
Widerspruchsbescheid vom 02.05.2003 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer
Kindererziehungszeit/Berücksichtigungszeit könnten auch bei Auslandsaufenthalt durch den Ehemann im Rahmen
einer Integration in die deutsche Arbeits- bzw. Erwerbszeit erfüllt werden. Dann müsse jedoch zumindest ein so
genanntes Rumpfarbeitsverhältnis in Deutschland fortbestehen und die Beschäftigung im Ausland im Voraus zeitlich
befristet sein. Das Zeugnis vom 30.06.1969 gebe keine Auskunft darüber, ob diese Tätigkeit befristet gewesen sei.
Zum anderen habe die Klägerin selbst eine solche Befristung verneint.
Am 03.06.2003 reicht die Klägerin die Klage ein.
Auf das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten wird Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.10.2002 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.05.2003 zu verurteilen, die Zeit vom 01.12.1962 bis 30.11.1963 als
Kindererziehungszeit und die Zeit vom 25.11.1962 bis zum 31.07.1966 als Berücksichtigungszeit für Kindererziehung
anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat dem Gericht eine Bestätigung des Unternehmens I. Deutschland GmbH vom 03.09.2003 vorgelegt,
sowie eine Erklärung des K. C. M.-R. vom 17.04.2005. Das Gericht hat den Zeugen Dr. H. vernommen.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid vom 25.10.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2003 ist nicht rechtmäßig und
daher aufzuheben.
Die Beklagte ist verpflichtet, die Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für das Kind
K. M. in vollem gesetzlichem Umfang bei der Rentenberechnung der Klägerin zu berücksichtigen.
Gemäß §§ 56 Absätze 1 bis 3 und 5, 249 Abs. 1 SGB VI sind Kindererziehungszeiten einem Elternteil anzurechnen,
wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen
ist.
Die Voraussetzungen nach den zitierten Nrn. 1 und 3 sind unstreitig erfüllt. Auch die Voraussetzungen der Nr. 2 sind
durchgehend gegeben.
Die Erziehung des Kindes in den streitigen Zeiträumen steht trotz gewöhnlichen Aufenthalts der Familie in Frankreich
der Erziehung im Inland gleich. Hierzu hat das BSG in der Entscheidung vom 10.11.1998 – B 4 RA 39/98 R -
ausgeführt, dass eine Kindererziehung auch anerkannt werden kann, wenn der Erziehende sich während der
Kindererziehung in einer hinreichend engen Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben befunden hat und
damit in das inländische Rechts-, Wirtschafts- und Sozialsystem integriert blieb. Dies gilt auch für einen erziehenden,
selbst nicht erwerbstätigen Elternteil, der seinem vorübergehend im Ausland beschäftigtem Ehegatten folgt, um als
Familie zusammenzuleben. Der Auslandsaufenthalt des erziehenden Elternteils muss allerdings mit der typisierenden
und pauschalierenden Grundwertung des Gesetzes in Einklang bleiben, dass während der Zeit des
Auslandsaufenthaltes deutsche Rentenanwartschaften gerade wegen der Kindererziehung entgangen sind, nicht aber
wegen einer Integration in eine ausländische Arbeitswelt oder weil sich der Erziehende dauerhaft bzw. auf
nichtabsehbare Zeit von der inländischen Arbeits- und Erwerbswelt und damit auch von der deutschen
Rentenversicherung gelöst hat. Abzustellen ist auf die in der Person der Klägerin bestehenden Umstände und
ergänzend auf die Verhältnisse in der Person ihres Ehemannes. Zur Annahme einer noch vorhandenen
Inlandsintegration genügt es, dass zwischen dem Ehemann und dem Unternehmen I. Deutschland noch ein
Rumpfarbeitsverhältnis in dem Sinne fortbestand, dass zwar das inländische Arbeitsverhältnis für die Dauer der
Auslandsbeschäftigung teilweise zum Ruhen gebracht worden war, aber aus ihm auch während der
Auslandsbeschäftigung noch wechselseitige Rechte und Pflichten erwuchsen, die Auslandsbeschäftigung von
vorneherein zeitlich durch Vertrag oder ihrer Eigenart nach rechtlich begrenzt war und wenn rechtlich von vorneherein
sichergestellt war, dass das inländische Beschäftigungsverhältnis nach Beendigung der Auslandsbeschäftigung auch
mit den Hauptpflichten in vollem Umfange wieder aufleben würde.
Auf dieser Grundlage ist die Kammer zu der Überzeugung gekommen, dass es überwiegend wahrscheinlich und damit
glaubhaft gemacht ist (§ 249 Abs. 6 SGB VI), dass noch ein ausreichender Inlandsbezug der erziehenden Klägerin
und ihres Ehegatten im streitbefangenen Zeitraum vorgelegen hat.
Ausweislich des Zeugnisses der I. Deutschland vom 30.06.1969 wurde der Zeuge von 1962 bis 1966 nach P.
versetzt. Laut Bestätigung des Unternehmens vom 03.09.2003 war die Entsendung bis 30.06.1966 zeitlich befristet.
Zwar liegt keine Urkunde vor, die zeitnah zum streitigen Zeitraum diese Befristung dokumentiert und die Klägerin
selbst hat sich auch bei einer ersten Nachfrage der Beklagten am 12.01.2003 unklar über eine Befristung geäußert.
Es muss der Klägerin im Rahmen der Beweiserleichterung jedoch zugestanden werden, dass nach so langem
Zeitablauf von mehr als 30 Jahren Unterlagen in der Regel vernichtet sind und bei ihr auch eine gewisse Unsicherheit
über die Modalitäten der arbeitsvertraglichen Absprachen in Deutschland bestanden. Die besondere Problematik des
Nachweises eines befristeten Arbeitsverhältnisses ist zudem erst mit der zitierten Rechtsprechung des BSG so
entstanden. Generell kann nicht angenommen werden, dass schon damals Arbeitszeugnisse Fragen der
Befristung/Entsendung in diesem Sinne eindeutig dokumentierten. Das vorgelegte Arbeitszeugnis sowie die
Bestätigung des früheren Arbeitgebers ergeben jedoch hinreichend sicher, dass die berufliche Tätigkeit des Zeugen
von vorneherein zeitlich und nach der Eigenart auf 4 Jahre begrenzt war. Dies entsprach den Interessen des
Arbeitgebers und denen des Zeugen, der mit der Auslandstätigkeit die Grundlage für einen Karrieresprung in
Deutschland schaffen wollte. Tatsächlich ist der Zeuge auch nach 4 Jahren nach Deutschland zurückgekehrt. Des
Weiteren blieben wechselseitig Rechte und Pflichten des inländischen Arbeitsverhältnisses auch während der
Tätigkeit in P. erhalten. So wurde nach Angaben des Zeugen und des Arbeitgebers während des Auslandseinsatzes
das Arbeitsentgelt von Deutschland aus gezahlt und - nach Angaben des Zeugen unter Vorlage einschlägiger
Unterlagen - dieser sogar steuerlich so gestellt, als habe er im Inland gearbeitet. Von Deutschland aus wurden zwei
Gehaltserhöhungen während der Tätigkeit in P. und Zuschüsse zu einer privaten Krankenversicherung bewilligt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.