Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 08.09.2005

SozG Frankfurt: anrechenbares einkommen, arbeitskraft, witwerrente, einkünfte, hinterbliebenenrente, arbeitsamt, verwertung, lebensstandard, arbeitsentgelt, beschränkung

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 08.09.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 1 U 3343/01
Der Bescheid vom 7. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2001 wird
aufgehoben
Die Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen
außergerichtlichen Kosten zu erstatten
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine von der Bundesagentur für Arbeit dem Kläger bewilligte
Überbrückungsgeldleistung auf die Witwerrente des Klägers nach dem Unfallversicherungsrecht anzurechnen ist.
Die bei der Beklagten versicherte Ehefrau des 1955 geborenen Klägers erlitt am 10. August 1994 einen tödlichen
Autounfall, den die Beklagte als Wegeunfall qualifizierte. Zuletzt bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom
7. Juli 2000 eine Rente in Höhe von 1.069,06 EUR monatlich. Aufgrund seines Antrages vom 15. März 2001 bewilligte
das Arbeitsamt Frankfurt am Main dem Kläger für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit am 19. März 2001 ein
Überbrückungsgeld für die Zeit vom 19. März bis 18. September 2001 in Höhe von monatlich 4.423,66 DM als
Zuschuss.
Nachdem die Beklagte von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangt hatte, teilte sie dem Kläger mit Bescheid vom 7.
Juni 2001 u.a. mit, bei dem Überbrückungsgeld des Arbeitsamtes handele es sich um anrechenbares
Erwerbsersatzeinkommen.
Hiergegen legte der Kläger am 11. Juni 2001 Widerspruch ein. Er bezog sich im Wesentlichen auf eine Mitteilung der
BfA vom 9. April 2001, wonach das vom Arbeitsamt gewährte Überbrückungsgeld auf seine Rente nicht anzurechnen
sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf
den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 9. Oktober 2001.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 7. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September
2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten
beigezogen. Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt
der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten sich
hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG). Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 7. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2001 erweist sich als
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
Nach § 590 Abs. 3 RVO, der nach §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII auch weiterhin anwendbar ist, ist Einkommen des
Berechtigten, das mit der Witwerrente zusammentrifft, auf diese anzurechnen. Der Tatbestand dieser
Ermächtigungsgrundlage ist hier schon deshalb nicht erfüllt, weil dem Kläger kein "Einkommen", das angerechnet
werden dürfte, zusteht. Das anzurechnende Einkommen ist §§ 18a bis 18 e SGB IV zu entnehmen. Danach sind bei
Renten wegen Todes als – anrechenbares – Einkommen des Berechtigten sein Erwerbseinkommen, sein
Erwerbsersatzeinkommen, sowie seine vergleichbare Einnahmen zu berücksichtigen (§ 18a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1
SGB IV). Das Überbrückungsgeld fällt unter keine dieser Einnahmearten.
Das dem Kläger unter dem 26. März 2001 bewilligte Überbrückungsgeld ist für diesen schon deshalb kein
Erwerbsersatzeinkommen im Sinne von § 18a Abs. 1 Nr. 2 SGB IV, weil diese Einkommensart in der abschließenden
(vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 1999, SozR 3-2400 § 15 Nr. 6) Aufzählung des § 18a Abs. 3 SGB IV nicht erwähnt
ist. Darüber hinaus handelt es sich bei der Leistung des Überbrückungsgeldes auch nicht um Einkünfte, die ein
ausfallendes Arbeitseinkommen ersetzen sollen, sondern um Leistungen, die den Lebensunterhalt des vorher
Arbeitslosen sichern. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei dem Anspruch des Klägers auf Zahlung
von Überbrückungsgeld auch nicht um Arbeitseinkommen des Klägers. Was der Art nach als Arbeitseinkommen
anzusehen ist und wie dessen Höhe im Einzelfall zu ermitteln ist, ergibt sich aus § 15 SGB IV. Danach ist
Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte
Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu
werten, wenn als solches nach dem Einkommenssteuerrecht zu werten ist (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV).
Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV als der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften ermittelte
Gewinn ist allerdings nur dann auf eine Hinterbliebenenrente anrechenbares Einkommen, wenn es aus eigener
selbständiger Tätigkeit des Einkommensempfängers selbst herrührt. Liegen derartige Einnahmen aus eigener
selbständiger Tätigkeit vor, sind dem Träger der Sozialversicherung eigene Wertungen über die Höhe des Gewinns
nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht erlaubt. Aus der steuerlichen Bewertung bestimmter Einnahmen als Gewinn
des Berechtigten kann nicht darauf geschlossen werden, dieser habe eine selbständige Tätigkeit im Sinne von § 15
Abs. 1 SGB IV als Erwerbsquelle ausgeübt: Ob eine solche Beschäftigung ausgeübt wird und hieraus Einnahmen –
mithin Arbeitseinkommen – erzielt werden, ist von den Trägern der Rentenversicherung ohne Rücksicht auf
steuerrechtliche Tatbestände zu ermitteln (vgl. BSG, a.a.O., S. 15, 16).
Bei § 18a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB IV geht es allein darum, dasjenige Einkommen zu erfassen, das der
Hinterbliebene aus dem Einsatz seiner Arbeitskraft erzielt (BVerfGE 97, 271, 293). Bezieht der Hinterbliebene aus
Verwertung und Einsatz seiner Arbeitskraft sei es als abhängig Beschäftigter, sei es als selbständiger Tätiger – ein
den (Anrechnungs-)Freibetrag übersteigendes Einkommen, sinkt oder fällt der am bisherigen Lebensstandard
ausgerichtete Bedarf an wirtschaftlicher Sicherung gerade durch eine Hinterbliebenenrente (BVerfGE, a.a.O.). Dies ist
aber vorliegend gerade nicht der Fall. Vielmehr hat der Kläger Anspruch auf eine Hinterbliebenenversorgung, die vor
dem Hintergrund seiner verstorbenen Ehefrau, also durch deren Leistung, erworben wurde. Die Beschränkung
anrechenbaren Einkommens auf solche Einnahmen, die der Hinterbliebene aus dem Einsatz seiner Arbeitskraft
erzielt, muss auch schon bei Auslegung von § 15 Abs. 1 SGB IV berücksichtigt werden; insbesondere kann auch das
Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung der "selbständigen Tätigkeit" und damit auf den Einsatz eigener Arbeitskraft
nicht allein deshalb verzichtet werden, weil der Betroffene bei Anwendung der Rechtsfolge aus steuerrechtlicher Sicht
Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt hat (BSG, a.a.O., S. 20). Daher handelt es sich bei den Ansprüchen des
Klägers auf Zahlung von Überbrückungsgeld auch nicht um Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen "vergleichbarer
Einnahmen" im Sinne von § 18a Abs. 2 Satz 1 SGB IV.
Das erkennende Gericht sieht sich mit dieser Rechtsauffassung im Einklang mit derjenigen der übrigen
Sozialversicherungsträger.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.