Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 11.04.2008

SozG Frankfurt: berufliche eingliederung, wohnung, berufliche ausbildung, berufliche tätigkeit, besondere härte, darlehen, hauptsache, härtefall, zuschuss, unterkunftskosten

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Gericht:
SG Frankfurt 48.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 48 AS 198/08 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 5 S 1 SGB 2, § 7 Abs 5
S 2 SGB 2, § 22 Abs 7 SGB 2
vom 20.07.2006, § 60 SGB 3,
§§ 60ff SGB 3
(Arbeitslosengeld II - Leistungsausschluss für
Auszubildende - kein Unterkunftskostenzuschuss bei
Nichtbezug von Berufsausbildungsbeihilfe - besonderer
Härtefall nach § 7 Abs 5 S 2 SGB 2)
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, ihm einen Zuschuss oder ein Darlehen zu seinen
ungedeckten Unterkunftskosten zu gewähren.
Der 1987 geborene Antragsteller bezog als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit
seiner Mutter, Frau H. A. , Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nachdem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) bis einschließlich 31.
August 2007 vom M.-K.-K. (Regionalzentrum für Arbeit, im folgenden MKK). Dabei
wohnte er zusammen mit seiner Mutter in einem 1-Zimmer-Apartment in S-B. Im
Rahmen einer Vereinbarung zu einer berufspraktischen Arbeitsgelegenheit gemäß
§ 16 Abs. 3 SGB II in der Zeit vom 18. Dezember 2006 bis 17. Juni 2007 förderte
der MKK ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten Schulbescheinigung der
Bundesfachschule Kälte-Klima-Technik vom 8. März 2007 dessen Teilnahme an der
"Berufsfindung zum Kälteanlagenbauer" in der Zeit vom 5. März 2007 bis 31.
August 2007.
Unter dem 20. Juli 2007 schloss der Antragsteller mit der Firma M+W Z., D., einen
Ausbildungsvertrag im Ausbildungsberuf "Kälteanlagenbauer". Danach findet die
betriebliche Ausbildung in der Zeit vom 1. September 2007 bis 28. Februar 2011
statt.
Mit Schreiben vom 23. August 2007 teilte der MKK dem Antragsteller mit, dass der
Anmietung der Wohnung in N.I., …Straße mit einer Größe von 25 m² zugestimmt
werde.
Nach Rücksprache mit dem künftig zuständigen Leistungsträger würden die
Unterkunftskosten als angemessen anerkannt. Dem Umzug werde von Seiten des
Regionalzentrums für Arbeit H. zugestimmt, nachdem der Antragsteller in D. eine
Ausbildungsstelle bei der Firma MW Z. aufnehmen werde.
Aus einem der Behördenakte beigefügten Vormietvertrag vom 11. September
2007 ergibt sich, dass der Mietzins für die genannte Wohnung einschließlich
sämtlicher Nebenkosten 400 € betrage und zur Begründung des Mietverhältnisses
eine Kaution in Höhe von 870 € zu zahlen sei. Im Rahmen der Amtshilfe teilte der
MKK dem Antragsgegner mit Schreiben vom 12. September 2007 hierzu
ergänzend mit, dem Antragsteller sei in einer Fallentscheidung vom 24. November
2006 zugesagt worden, als unter 25-jähriger Klient eine angemessene Wohnung
anzumieten. Diese Entscheidung sei getroffen worden, da die Wohnung der Mutter
für eine Person angemessen, aber das Zusammenleben mit dem Antragsteller
durch die Wohnungsgröße nur schwer möglich sei. Der Antragsteller stehe seit 31.
August 2007 beim MKK nicht mehr im SGB II-Leistungsbezug. Dennoch seien ihm
zur Aufnahme seiner Ausbildung in D. Fahrkosten für Monat September (2007)
gewährt worden.
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Mit Schreiben vom 24. August 2007 beantragte der Antragsteller beim
Antragsgegner die Übernahme der Kaution für seine zukünftige Wohnung in N-I.
sowie die Zahlung der "ersten" Miete. Er habe am 3. September 2007 eine Lehre
begonnen und habe aus verkehrstechnischen Gründen von S. wegziehen müssen.
Der MKK habe "bereits alles bewilligt".
Nach dem sodann vom Antragsteller vorgelegten Mietvertrag vom 24. September
2007 beträgt die Gesamtmiete seiner Wohnung in N-I. einschließlich Nebenkosten
400 € und beginnt das Mietverhältnis am 15. Oktober 2007.
Weiter ergibt sich aus der Behördenakte, dass die Agentur für Arbeit H. den Antrag
des Antragstellers auf Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) durch
Bescheid vom 24. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.
September 2007 mit der Begründung abgelehnt hat, ihm stünden die für seinen
Lebensunterhalt und für seine Berufsausbildung erforderlichen Mittel anderweitig
zur Verfügung. Insoweit ergibt sich aus der Behördenakte, dass die
Ausbildungsvergütung für das erste Ausbildungsjahr 653 € (= 515,87 netto)
beträgt und der Antragsteller über das Kindergeld in Höhe von 154 € monatlich
verfügen kann.
Mit Schreiben vom 14. September 2007 teilte der Antragsteller dem
Antragsgegner ergänzend mit, die Unterhaltszahlungen seines Vaters seien
wieder ungeklärt, er müsse wieder Klage erheben, eine Grundsicherung erhalte er
seit 01. September 2007 nicht mehr. Er benötige dringend eine Wohnung, um
seinem Ausbildungsplatz aufrecht erhalten zu können, den er seit drei Jahren
vergeblich gesucht habe.
Durch Bescheid vom 2. Oktober 2007 bewilligte der Antragsgegner dem
Antragsteller für dessen Wohnung eine Mietkaution in Höhe von 870 € in Form
eines zinslosen Darlehens und zahlte dieses ausweislich der Behördenakte an den
Vermieter des Antragstellers aus. Die Gewährung von SGB II-Leistungen versagte
der Antragsgegner durch Bescheid vom 6. September 2007. Über den
Widerspruch vom 13. September 2007 hat er bislang nicht entschieden.
Am 14. Februar 2008 hat der Antragsteller beim hiesigen Sozialgericht den Erlass
einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er sei bedürftig, habe keinen Anspruch
auf Wohngeld, da er dem Grunde nach Anspruch auf BAB habe. Schließlich sei
letztgenannte Leistung gleichfalls abgelehnt worden. Er habe im Alter von 20
Jahren erstmals die Chance auf eine berufliche Ausbildung. Eine Erstausbildung
diene einem jungen Menschen in ganz besonderer Weise der Existenzsicherung.
Sofern die Ausbildung scheitere, nur weil der Antragsgegner die Kosten für die
angemessene Unterkunft nicht finanziere, so würde damit sein gesamtes
Erwerbsleben schwer beeinträchtigt werden. Hinzukomme, dass er von einer
seelischen Behinderung bedroht sei wie sich aus der ärztlichen Bescheinigung vom
24. Januar 2008 ergebe.
Bei seiner Mutter habe er nicht länger wohnhaft bleiben können. Dies sei
unzumutbar gewesen, da der tägliche Pendelweg von und zur Ausbildungsstelle je
zwei Stunden (=4 Stunden insgesamt) betragen habe. Seine jetzige Wohnung sei
in der Nähe seiner Ausbildungsstelle.
Deshalb habe der MKK dem Umzug auch zugestimmt. Aufgrund seiner
Notsituation im Hinblick auf seine Ausbildungsstelle habe er die Wohnung
überhaupt angemietet.
Die Ausbildungsstelle habe er aufgrund eigener Initiative bekommen. Sie
entspreche seiner Neigung und habe eine günstige Perspektive für die spätere
berufliche Tätigkeit. Die Unterhaltsklage gegen seinen Vater habe er vor dem
Amtsgericht B.H. zurücknehmen müssen, da Letzterer nachgewiesen habe, dass
er als selbstständiger Bauunternehmer im Jahr 2007 lediglich einen Gewinn in
Höhe von 3783,50 € gehabt habe.
Der Antragsteller legt Schulbescheinigung der Bundesfachschule Kälte-Klima-
Technik vom 8. März 2007 sowie Unterlagen über die Vereinbarung zu einer
berufspraktischen Arbeitsgelegenheit mit dem MKK und Kontoauszug über die
Zahlung der Miete und Umlagen (400 €) einschließlich "Waschen" (20 € mtl. für
Waschmaschinen- und Trocknerbenutzung, Anm.d.Ger.).
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm bis
zu einer Entscheidung in der Hauptsache einen Zuschuss zu seinen ungedeckten
Unterkunftskosten oder ihm ergänzende Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes als Darlehen zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er weist zum einen daraufhin, dass ein Zuschuss zu den ungedeckten
Unterkunftskosten den Bezug von BAB voraussetze, was beim Antragsteller nicht
gegeben sei. Auch könne der Antragsteller kein Darlehen beanspruchen, denn der
insoweit erforderliche besondere Härtefall sei nicht gegeben. Ein solcher liege vor,
wenn etwa der wesentliche Teil einer Ausbildung bereits absolviert sei, die konkrete
Ausbildung belegbar ausnahmsweise die einzige realistische Chance sei, Zugang
zum Erwerbsleben zu erhalten oder die vorher gesichert gewesene finanzielle
Grundlage unverschuldet entfallen sei und die begründete Aussicht bestehe, dass
nach der Ausbildung eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden könne. Die Situation
des Antragstellers sei keiner jener Fallgruppen zuzuordnen. Auch würden konkrete
Darlegungen über den (beruflichen) Werdegang und den Gesundheitszustand des
Antragstellers fehlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte
des Antragsgegners, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet.
Zwar kann der Antragsteller einen Zuschuss zu seinen ungedeckten
angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung nicht beanspruchen. Er hat
aber in Höhe des im Tenor ausgesprochenen Betrages einen Anspruch gegen den
Antragsgegner auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes als zinsloses Darlehen glaubhaft gemacht.
Nach § 86 b Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf
Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen,
wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte. Nach S. 2 der genannten Vorschrift sind
einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen
Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung,
zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet
werden soll voraus, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der
die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsgrund und
Anordnungsanspruch stehen insoweit in Wechselbeziehung zueinander als die
Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Hauptsache (dem
Anordnungsanspruch) mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des
drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) sinken und umgekehrt.
Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist
der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den
Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht
vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet,
so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist
daher dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dann stattzugeben.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs.
2 der Zivilprozessordnung - in Verbindung mit § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG). Dabei sind,
soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die
Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch,
sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1
BvR 569/05). Nach dieser Rechtsprechung müssen sich die Gerichte im übrigen
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BvR 569/05). Nach dieser Rechtsprechung müssen sich die Gerichte im übrigen
stets schützend und fördernd vor die Grundrechte des einzelnen stellen.
Zwar darf grundsätzlich durch einen Beschluss im Eilverfahren die Entscheidung in
der Hauptsache nicht vorweggenommen werden, es entspricht allerdings der
herrschenden Meinung, dass es im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes
ausnahmsweise erforderlich sein kann, die Entscheidung in der Hauptsache
vorzugreifen, wenn ansonsten Rechtsschutz nicht erreichbar und die Verweisung
auf eine Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller unzumutbar wäre.
Zwar liegen die Voraussetzungen für einen Zuschuss zu den ungedeckten
angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nicht vor, weil § 22 Abs. 7 S. 1
SGB II insoweit klar voraussetzt, dass der Anspruchsberechtigte etwa Leistungen
nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) oder nach dem Dritten
Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB III) - also etwa BAB - tatsächlich bezieht. Nach
der genannten Vorschrift reicht folglich nicht aus, dass der Antragsteller dem
Grunde nach zu dem zu fördernden Personenkreis gehört (vgl. hierzu z.B.
Mergler/Zink Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe Loseblatt § 22 Rdnr
51,52). Denn die Agentur für Arbeit H. hat die Gewährung der für den Antragsteller
in Betracht kommenden SGB III-Leistung, nämlich BAB, abgelehnt. Aber auch nach
der Einfügung der Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II zum 1. Januar 2007 verbleibt es
für Auszubildende, die – so wie der Antragsteller - wegen der Nichterfüllung
sonstiger Voraussetzungen keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, bei
der bisherigen Rechtslage, nach der in besonderen Härtefällen eine
Darlehensgewährung nach § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II möglich ist (vgl. Mergler/Zink
a.a.O. Rdnr 54).
Die Vorschrift ist als Ausnahme von der grundsätzlich gegebenen Rechtslage zu
verstehen, wonach das SGB II nach dem in § 7 Abs. 5 S. 1 zum Ausdruck
kommenden Willen des Gesetzgebers keine Ausbildungsförderung auf einer
zweiten Ebene sicherstellen soll. Die Leistungsgewährung an Auszubildende ist
deshalb ausdrücklich ausgeschlossen. Nach S. 2 der genannten Vorschrift können
lediglich in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes als Darlehen gewährt werden. Dabei stellt die Ausformulierung
als "besondere Härtefälle" klar, dass nur bei außergewöhnlichen,
schwerwiegenden, atypischen und nicht selbst verschuldeten Umständen, die
einen zügigen Ausbildungsverlauf verhindert oder eine sonstige Notlage
hervorgerufen haben, die Voraussetzungen für eine solche Darlehensgewährung
angenommen werden können (Mergler/Zink a.a.O. § 7 Rdnr. 62). Ein besonderer
Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II liegt vor, wenn die Folgen des
Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, welches regelmäßig mit der
Versagung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes verbunden ist und
auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck - die Leistung der Grundsicherung für
Arbeitssuchende von finanziellen Lasten der Ausbildungsförderung freizuhalten -
als übermäßig hart erscheinen (vgl. Eicher/Spellbrink SGB II, Grundsicherung für
Arbeitssuchende, Komm. 2005, § 7 Rdnr. 47;Mergler/Zink a.a.O. § 7 Rdnr. 62).
Hierzu hat die Rechtsprechung im Sinne einer typisierenden Betrachtungsweise
bestimmte Fallgruppen entwickelt, bei deren Vorliegen bisher ein Härtefall
angenommen worden ist.
Ein solcher ist etwa gegeben, wenn die finanzielle Grundlage für die Ausbildung, die
zuvor gesichert war, entfallen ist, sofern dies der Hilfesuchende nicht zu vertreten
hat, die Ausbildung schon fortgeschritten ist und die begründete Aussicht besteht,
dass der Auszubildende nach Beendigung der Ausbildung eine Erwerbstätigkeit
ausüben kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. April 2005,
Az.: L 8 AS 36/05 ER; Hess LSG, Beschluss vom 11. August 2005, Az.: L 9 AS 14/05
ER).
Den entschiedenen Ausnahmefällen ist die "typische Konsequenz" gemein, dass
im Falle der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für Zeiten einer Ausbildung,
jene Ausbildung nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann und daher
abgebrochen werden müsste.
So hat - worauf der Antragsteller zutreffend hingewiesen hat - das LSG Berlin-
Brandenburg eine besondere Härte in einem Fall angenommen, indem der
Auszubildende trotz familiärer und persönlicher Schwierigkeiten seinen
Ausbildungsplatz nicht verloren hatte und aber bei Nichtgewährung der Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu befürchten stand, dass
der Hilfesuchende durch Abbruch nicht nur seinen konkreten Ausbildungsplatz
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der Hilfesuchende durch Abbruch nicht nur seinen konkreten Ausbildungsplatz
verloren haben würde, sondern dann dauerhaft ohne Berufsausbildung geblieben
wäre (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Januar 2007, Az.: L 28 B
43/07 AS ER).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung stellt sich die Situation des
Antragstellers für das Gericht nicht nur aufgrund prognostischer Überlegungen als
besonderer Härtefall dar, obwohl auch in seinem Fall feststeht, dass ohne eine
ergänzende Leistung sein Lebensunterhalt als Auszubildender nicht gesichert ist.
Denn das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum besteht in seinem Fall
neben dem Regelsatz in Höhe von 347 € aus seinen gesamten Wohnkosten in
Höhe von 420 €, die der Antragsgegner im Übrigen als angemessen bewertet hat,
mithin in Höhe von 767 €. Zur Verfügung stehen dem Antragsteller im ersten
Ausbildungsjahr jedoch monatlich lediglich 669,87 € (Ausbildungsvergütung netto:
515,87 € + 154 € Kindergeld). Es besteht folglich die Gefahr, dass der
Antragsteller die gerade erst begonnene Ausbildung abbrechen muss, weil für die
Ausbildungszeit nicht einmal sein Existenzminimum gedeckt ist.
Das Gericht sieht indes weitere Aspekte, die den vorliegenden Sachverhalt als
besonderer Härtefall erscheinen lassen. Zum einen ist dabei von Bedeutung, dass
der Antragsteller sowohl wegen der beengten Wohnsituation mit seiner Mutter in S.
in einem 1-Zimmer- Apartment als auch aufgrund der Pendelzeiten von täglich
vier Stunden zur und von der Ausbildungsstätte gezwungen war, umzuziehen, um
den Erfolg seiner Ausbildung nicht zu gefährden.
Zum anderen ist der Antragsteller aber gerade für diese nun stattfindende
berufliche Eingliederung besonders gefördert worden. Nachdem er nämlich zuvor
längere Zeit ohne Ausbildung geblieben war, hatte der MKK mit der Vereinbarung
zu einer berufspraktischen Arbeitsgelegenheit seit 18. Dezember 2006 ein
Konzept eingesetzt, welches gerade das Ziel verfolgte, den Antragsteller beruflich
einzugliedern. In diesem Rahmen konnte der Antragsteller eine Maßnahme zur
Berufsfindung besuchen, die letztlich offenbar wesentlich dazu beigetragen hat,
dass sodann ein Ausbildungsverhältnis zu Stande kam.
Insoweit erscheint es nicht zuletzt aus der Sicht der Arbeit der mit der beruflichen
Eingliederung befassten Stellen und Träger als ungerechtfertigt hart und geradezu
zweckwidrig, einem jungen Menschen zunächst im Rahmen von
Förderprogrammen den Weg hin zu beruflicher Eingliederung zu ebnen, um ihm
genau in dem Moment weitere und existenzerhaltende Hilfen zu verweigern als
durch den Antritt seiner Ausbildungsstelle erstmals konkrete Aussichten auf eine
dauerhafte berufliche Eingliederung bestanden. Nicht nur, dass die bisherigen
Anstrengungen bei der Förderung der Eingliederung des Antragstellers vergebens
unternommen worden wären, sofern sich die Gefahr des Abbruchs der Ausbildung
wegen der fehlenden Existenzgrundlage realisieren würde, sondern es ist auch zu
befürchten, dass der weitere Berufsweg des Antragstellers gravierend gestört und
seine Motivation, eine Erstausbildung zu beginnen und auch abzuschließen
beeinträchtigt würden. Es entstünde folglich erneuter Förderbedarf in der Zukunft,
der deshalb durch die Gewährung darlehensweiser Leistungen im Sinne des § 7
Abs. 5 S. 2 SGB II zu vermeiden ist.
Zwar ist § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II als "Kann-Leistung" formuliert. Das dadurch
eingeräumte Ermessen lässt allerdings keinen Spielraum zu. Denn es sind keine
Fälle denkbar, bei denen trotz der Anerkennung einer besonderen Härte weitere
Gründe doch noch die Ablehnung der Leistungsgewährung rechtfertigen könnten (
vgl. Mergler/Zink a.a.O. § 7 Rdnr. 65).
Das gilt auch im Falle des Antragstellers. Dieser hat folglich Anspruch auf
Gewährung von monatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als
zinsloses Darlehen in Höhe der Differenz zwischen seinem Bedarf in Höhe von 767
€ und dem ihm zur Verfügung stehenden Netto-Einkommen in Höhe von 669,87 €
(vgl. oben), somit in Höhe von 97,13 €.
Ein Anordnungsgrund ist im vorliegenden Fall ebenso gegeben wie die
Verpflichtung des Antragsgegners als Vorwegnahme einer eventuellen
Hauptsacheentscheidung zulässig. Denn ohne die monatlich darlehensweise zu
gewährenden SGB II-Leistungen liegt das Einkommen des Antragstellers mit knapp
100 € unter dem Existenzminimum, so dass die konkrete Gefahr besteht, dass er
die gerade erst begonnene Ausbildung abbrechen muss und sich dadurch auch
seine zukünftigen Eingliederungschancen verschlechtern.
43 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass
der Antragsteller mit seinem Antrag aus der Antragsschrift erfolgreich war, auch
wenn das Gericht ebenfalls die Voraussetzungen für einen Anspruch auf
Gewährung eines Zuschusses zu seinen ungedeckten angemessenen
Unterkunftskosten zu prüfen hatte.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.