Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 26.06.2007

SozG Frankfurt: obduktion, wahrscheinlichkeit, sektion, witwe, anerkennung, diagnose, klinik, beweiserleichterung, minimal, karzinom

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 26.06.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 8 U 4640/03
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X gegenüber der
Beklagten hat.
Der bei der Klägerin und der Beklagten versicherte T. B. (im Folgenden: der Versicherte) war als Heizungsbauer
beschäftigt.
Der Versicherte hatte seit Januar 1999 starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in
andere Körperlokalisationen. Im Rahmen eines stationären Aufenthalts im St. V. K. L. vom 12.4.1999 bis 28.4.1999
wurde ein kleinzelliges Bronchialkarzinom mit Lebermetastasierung diagnostiziert. Diese Diagnose wurde im Verlauf
der Therapie aufrechterhalten (Befundberichte vom 3.5.1999 und 29.9.1999, gutachterliche Stellungnahme vom
22.12.1999; Histologiebefund Dr. G. 19.4.1999). Die Ermittlungen des TAD der Beklagten ergaben eine kumulative
Asbestfaserstaub-Dosis von 13,3 Faserjahren.
Der Beratungsarzt der Beklagten H. führte in seiner Stellungnahme vom 22.7.1999 aus, dass es am Vollbeweis des
Primärtumors als auch der Brückensymptome fehle. Eine Obduktion sei unverzichtbar. Der Landesgewerbearzt T.
schloss sich in seiner Stellungnahme vom 16.8.1999 dieser Auffassung an.
Mit Bescheid vom 1.9.1999 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Ziff.
4104 der Anlage 1 zur BK-Verordnung (BKV) ab. Es habe zwar bei der beruflichen Tätigkeit des Versicherten eine
Asbeststaubeinwirkung bestanden. Ein Primärtumor der Lunge habe jedoch nicht mit Vollbeweis gesichert werden
können.
Mit Schreiben vom 14.12.1999 meldete die Klägerin bei der Beklagten Ansprüche nach § 105 SGB X an.
In der Stellungnahme des Beratungsarztes H. vom 29.12.1999 hat dieser seine Auffassung wiederholt. Mit
Widerspruchsbescheid vom 13.1.2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Versicherten gegen den Bescheid vom
1.9.1999 als unzulässig zurück. Eine Rücknahme des Bescheides komme nicht in Betracht, da sich der Bescheid bei
der neuerlichen Prüfung nicht als unrichtig erwiesen habe.
In dem sozialmedizinischen Gutachten des Dr. L. vom 4.9.2000 führte dieser aus, dass ein primäres
Bronchialkarzinom mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vorliege und eine Sektion nach Ableben des Versicherten
vorgenommen werden sollte.
Am 16.10.2000 verstarb der Versicherte.
Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 4.12.2000 gegenüber dem MDK K. mit, dass der Vorgang nach dem Tod des
Versicherten und der Ablehnung einer Sektion seitens der Angehörigen abgeschlossen sei. Nachdem zwischen den
Beteiligten ein Austausch hinsichtlich der weiteren Behandlung dieses sowie anderer Fälle stattgefunden hat, teilte die
Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17.4.2002 mit, dass der Fall abgeschlossen sei.
In dem arbeitsmedizinischen Gutachten des Dr. L. vom 26.11.2003 führte dieser u. a. aus, der radiologische
Konsiliarkollege sei zu dem Urteil gekommen, dass alle Befunde zusammengenommen eindeutig in Richtung
Asbestose gingen.
Die am 19.12.2003 erhobene Klage begründet die Klägerin im Wesentlichen damit, dass die Beklagte nicht
ausreichend ermittelt habe. Insbesondere sei die Witwe des Versicherten nicht ausreichend hinsichtlich der
versicherungsrechtlichen Folgen einer verweigerten Obduktion hingewiesen worden. Es sei ein Unterschied, ob die
Ablehnung der Obduktion im Rahmen eines "Routinesektionsangebotes" erfolge oder ob die Angehörigen über die
tatsächliche Notwendigkeit insb. im Hinblick auf etwaige Hinterbliebenenleistungen informiert werden. Die Beklagte
könne nur dann aus ihrer Amtsermittlungspflicht entlassen werden, wenn die Angehörigen entsprechend informiert
worden seien. Beweiserleichterungen seien daher zu prüfen.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 32.650,70 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass ein Erstattungsanspruch der Klägerin nicht bestehe. Sie verweist auf die
Tatbestandswirkung des ablehnenden Bescheides gegenüber dem Versicherten. Im Übrigen sei die Entscheidung der
Witwe hinsichtlich der Obduktion zu respektieren.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage durch PD
Dr. S ... Dieser kommt in seinem Gutachten vom 1.3.2006 zu dem Ergebnis, dass ein kleinzelliges Bronchialkarzinom
vorliege. Dies ergebe sich aus der Histologie und der Lokalisation des Tumors im rechten Hilusbereich der Lunge.
Nach Konsiliarberatung mit Prof. Dr. W. bestünden jedoch Zweifel an der Diagnose einer typischen Asbestose. Auch
eine Pleuraasbestose sei nicht gesichert. Eine Minimalasbestose könne aufgrund des fehlenden Lungengewebes
nicht festgestellt werden. Als konkurrierenden Faktor hat er das Rauchverhalten des Versicherten aufgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Erstattungsanspruch gemäß § 105 Abs. 1 SGB X, da nicht hinreichend erwiesen ist, dass bei
dem Versicherten eine BK nach Ziff. 4104 der Anlage 1 zur BKV vorlag.
Für die Anerkennung einer BK ist Voraussetzung, dass die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie
bedingten schädigenden Einwirkungen im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der
Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu
bestimmen ist, die hinreichende Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (BGS SozR 3
2200 § 551 Nr. 16, HLSG, Urt. v. 3.11.2004, Az. L 3 U 1613/97).
Die Beweiserhebung hat ergeben, dass bei dem Versicherten ein Bronchialkarzinom vorlag. Zu diesem Ergebnis ist
das Gericht aufgrund des Gutachtens des PD Dr. S., dass im Ergebnis mit den Befundberichten der Medizinischen
Klinik des St. V. K. L. und dem Institut für Patholgie in L. (Dr. G.) übereinstimmt, gekommen.
Nicht erwiesen und nunmehr auch nicht mehr beweisbar ist hingegen, dass dieses Karzinom auf die Asbestbelastung
zurückzuführen ist. Die Asbestfaserstaub-Dosis liegt unter 25 Faserjahren, eine (Minimal-)Asbestose ist nicht
nachgewiesen und mangels verfügbaren Lungengewebes auch nicht mehr nachweisbar.
Vorliegend ist zugunsten der Klägerin auch keine Beweiserleichterung vorzunehmen. Den Tatsachengerichten bleibt
es zwar im Rahmen ihrer freien richterlichen Beweiswürdigung überlassen, je nach Besonderheit des maßgebenden
Einzelfalls schon einzelne Beweisanzeichen, im Extremfall sogar ein Indiz ausreichen zu lassen für die Feststellung
einer Tatsache oder der daraus abgeleiteten Bejahung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs
(BSG Urteil vom 27.5.1997 (SozR 3 1500 § 128 Nr. 11, s.a. Bay. LSG, Urteil vom 13.4.2005 – L 2 U 336/03; LSG
Schlesw.-Holstein, Urteil vom 25.3.1998 – L 8 U 93/97 ). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, da die Beweisnot
der Klägerin durch die Beklagte nicht schuldhaft verursacht worden ist.
Die Beklagte konnte aufgrund der Ablehnung einer Obduktion seitens der Angehörigen des Versicherten von weiteren
Ermittlungen absehen. Es stand nicht in ihrer Amtsermittlungspflicht, die Hinterbliebenen über die unfallrechtlichen
Folgen der Ablehnung einer Obduktion aufzuklären und zu einer Einwilligung zu bewegen. Dies gilt umso mehr im
Hinblick auf das bereits durchgeführte Verwaltungsverfahren und den bestandskräftigen Bescheid gegenüber dem
Versicherten bzw. seiner Hinterbliebenen.
Soweit die Klägerin Aufklärungsbedarf bei den Hinterbliebenen vermutet hat, hätte es in ihrem Ermessen gestanden,
diese gegebenenfalls selbst – z.B. über den Hausarzt des Versicherten – über die unfallversicherungsrechtlichen
Konsequenzen der Ablehnung der Obduktion in Kenntnis zu setzen.
Ob Gespräche zwischen den Beteiligten über weitere Ermittlungen stattgefunden haben und welchen Inhalt diese
gegebenenfalls hatten, ist unerheblich, da deren Inhalt nicht mehr verifizierbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung,
da das Verfahren nach dem 1.1.2002 anhängig gemacht worden ist, Art. 17 des 6. Gesetzes zur Änderung des SGG
v. 17.8.2001 (BGBl. I B l. 2144, 2158).