Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 13.06.2008

SozG Frankfurt: verweigerung von leistungen, junger erwachsener, erlass, rechtsschutz, zusicherung, notlage, anschluss, wohnung, hauptsache, lebensgemeinschaft

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Gericht:
SG Frankfurt 33.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 33 AS 743/08 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2
vom 23.12.2007, § 7 Abs 3a
Nr 1 SGB 2 vom 23.12.2007, §
9 Abs 2 SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Bedarfsgemeinschaft
- Einstehensgemeinschaft - Kurzzeitigkeit des
Zusammenlebens junger Erwachsener
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB 2), konkret um die Frage, ob die
Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin ohne Berücksichtigung des Einkommens und
Vermögens von Hr. P. zu beurteilen ist.
Die 1989 geborene Antragstellerin, die bis dahin bei ihrer Mutter lebte, schloss am
25.01.2008 gemeinsam mit dem am 06.12.1980 geborenen Hr. P. einen
Mietvertrag über die derzeit von beiden bewohnte Wohnung für die Zeit ab
01.04.2008, wobei Hr. P. dort nach Angaben der Antragstellerin bereits seit
mehreren Jahren – bisher zusammen mit seinem Bruder – wohnte.
Hr. P. ist bei der Firma … GmbH beschäftigt und erzielt dort, soweit ersichtlich, ein
Monatsgehalt von brutto 1.760 Euro zuzüglich (zum Teil anteilig monatsweise
gezahlten) Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Am 07.02.2008 meldete sich die Antragstellerin unter ihrer gegenwärtigen
Anschrift an und stellte gleichzeitig einen Antrag auf die hier streitigen Leistungen
bei dem Antragsgegner, wobei sie Hr. P. als Lebensgefährte aufführte und angab,
von ihrer Mutter „rausgeschmissen“ worden zu sein.
Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 07.05.2008 ab. Dabei
ging sie von einer Einstandsgemeinschaft der Antragstellerin mit Hr. P. aus. Der
berücksichtigungsfähige Bedarf beider sei durch übersteigendes Einkommen (von
Hr. P.) gedeckt. Bei dieser Berechnung habe nur der anteilige Mietanteil des Hr. P.
berücksichtigt werden können, da die unter 25-jährige Antragstellerin ohne
vorherige Zusicherung hinsichtlich der Übernahme von Unterkunftskosten
umgezogen sei und Gründe, die die Notwendigkeit eines Umzugs rechtfertigen
könnten, nicht vorlägen.
Der durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 16.05.2008
eingelegte Widerspruch gegen diesen Bescheid ist, soweit ersichtlich, noch nicht
beschieden.
Gleichfalls am 16.05.2008 hat die Antragstellerin überdies um einstweiligen
Rechtsschutz nachgesucht.
Zur Begründung hat sie insbesondere geltend gemacht, eine
Bedarfsgemeinschaft mit Hr. P. bestehe nicht; bei diesem habe sie nur in der Not,
nachdem ihre Mutter sie auf Grund einer seelischen Erkrankung aus der Wohnung
hinausgeworfen habe, Zuflucht gefunden.
Im Übrigen sei auch die Berechnung des Antragsgegners zu beanstanden.
Die Antragstellerin hat dazu eine eigene und eine eidesstattliche Versicherung
ihrer Mutter vorgelegt.
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Sie hat schriftsätzlich durch ihren Bevollmächtigten sinngemäß beantragt,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr
Leistungen der Grundsicherung ohne Ansehung des Einkommens und Vermögens
von Hr. P.,
hilfsweise unter Berücksichtigung der Kosten einer freiwilligen Krankenversicherung
sowie von Werbungskosten des Hr. P. in Höhe von 227,22 Euro (statt 100 Euro) zu
bewilligen.
Der Antragsgegner hat sinngemäß beantragt,
den Antrag abzulehnen,
hilfsweise die einstweilige Anordnung der Höhe nach auf einen Betrag von 124,-
Euro monatlich zu beschränken.
Er hält an der Auffassung fest, auf Grund der Gesamtumstände des Umzugs und
der bereits zuvor bestehenden Beziehung zwischen der Antragstellerin und Hr. P.
müsse hier vom Vorliegen einer Einstandsgemeinschaft ausgegangen werden.
Jedenfalls stehe der Antragstellerin aber nur eine Regelleistung von 278 Euro zu,
auf die das Kindergeld, das die Antragstellerin erhalte, anzurechnen sei. Kosten
der Unterkunft könnten nicht berücksichtigt werden, da die diesbezüglich
notwendige Zusicherung nicht erteilt worden sei und im Übrigen die
Voraussetzungen für deren Erteilung auch nicht vorgelegen hätten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichts- sowie der zur Antragstellerin geführten Leistungsakten des
Antragsgegners Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist zulässig und mit dem gestellten Antrag überwiegend begründet. Die
Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung liegen
(nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vor.
1. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft und
auch im Übrigen zulässig.
Die Antragstellerin hat hier den Erlass einer einstweiligen Anordnung dem Grunde
nach ohne Berücksichtigung von Einkommen (und Vermögen) von Hr. P.
beantragt, also ein Berechnungselement streitig gestellt.
Die Kammer hält einen entsprechenden Antrag wegen der Zulässigkeit eines
Grundurteils sogar im Höhenstreit für zulässig (vgl ua die Entscheidungen des
Bundessozialgerichts vom 20.10.2005, Aktenzeichen: B 7a AL 50/05 R – hier wird
eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Frage einer Minderung nach §§
37b, 140 SGB 3 für möglich erachtet –, vom 07.11.2006, Aktenzeichen: B 7b AS
10/06 R, vom 12.12.2006, Aktenzeichen: B 13 RJ 25/05 R, und 08.02.2007,
Aktenzeichen: B 9b SO 6/05 R).
Der Prüfungsumfang beschränkt sich hier daher auf die Fragen, ob ein Anspruch
überhaupt in einer im Einzelnen nicht festzustellenden Höhe besteht und ob der
Antragsgegner die Leistung – wie gefordert – ohne Berücksichtigung der Mittel von
Hr. P. zu berechnen hat.
Sonstige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit bestehen nicht.
2. Der Antrag ist (in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang) auch begründet.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor; der
Antragsgegner ist gehalten, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zu gewähren
und dabei das Einkommen und Vermögen von Hr. P. unberücksichtigt zu lassen.
a) Das Gericht kann auf Antrag nach § 86b Abs 2 SGG eine einstweilige Anordnung
in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch
eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts
des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es
kann eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes
in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur
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in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Satz 2).
Neben dem Anordnungsgrund, also einem Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der
Anordnung begründet, setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz den
Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte
Leistung, voraus (vgl std Rspr. des Hess. Landessozialgerichts, zB: Beschl v
09.06.2006, Az: L 9 SO 13/06 ER; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm
z SGG, 8. Auflage, Rn 26c zu § 86b).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden aufgrund ihres funktionalen
Zusammenhangs ein bewegliches System gegenseitiger Wechselbeziehung (vgl st
Rspr des Hess Landessozialgerichts, zB Beschl v 29.06.2005, Az: L 7 AS 1/05 ER):
Ist etwa die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet,
ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den
Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht
vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet,
so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund, ohne dass auf
diesen gänzlich verzichtet werden könnte. Bei offenem Ausgang des
Hauptsacheverfahrens, namentlich wenn eine vollständige Aufklärung der Sach-
und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer
Folgenabwägung zu entscheiden. Sind dabei grundrechtliche Belange des
Antragstellers berührt, haben sich die Gerichte schützend und fördernd vor die
Grundrechte des Einzelnen zu stellen (Bundesverfassungsgericht – BVerfG -,
Beschluss v 12.05.2005, Az: 1 BvR 569/05 und im Anschluss daran die st. Rspr.
des Hess. Landessozialgerichts, zB Beschl v 18.09.2006, Az: L 7 SO 49/06 ER, und
der Kammer).
Alle Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind – unter Beachtung
der Grundsätze der objektiven Beweislast – glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2
Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung – ZPO –); die richterliche
Überzeugungsgewissheit in Bezug auf die tatsächlichen Voraussetzungen des
Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes erfordert insoweit eine
lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl Keller, aaO, Rn 16b).
Sind Grundrechte tangiert und soll die Versagung von einstweiligem Rechtsschutz
auf die fehlenden Erfolgsaussichten gestützt werden, ist die Sach- und Rechtslage
allerdings nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl nochmals
BVerfG, Beschl v. 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05 und im Anschluss daran die st
Rspr des Hess LSG, zB Beschl v 09.06.2006, Az: L 9 SO 13/06 ER).
b) Die Erfolgsaussichten der Antragstellerin in einem entsprechenden
Hauptsacheverfahren hinsichtlich eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II dem
Grunde nach und ohne Berücksichtigung des Einkommens (und Vermögens) von
Hr. P. überwiegen nach Einschätzung der Kammer deutlich.
aa) Abgesehen von der Frage, ob die Antragstellerin als hilfebedürftig angesehen
werden kann, ist eine Anspruchsberechtigung der Antragstellerin zwischen den
Beteiligten unstreitig; auch die Kammer hat hinsichtlich des Vorliegens der
sonstigen Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB 2 keine Bedenken.
bb) Bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung ist aber auch
davon auszugehen, dass die Antragstellerin hilfebedürftig im Sinne von §§ 7 Abs 1
S 1 Nr 3 iVm 9ff SGB 2 ist.
Namentlich bestehen jedenfalls derzeit ganz erhebliche Bedenken, ob von dem
Vorliegen einer Einstandsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 3 Bst c SGB 2) zwischen der
Antragstellerin und Hr. P. ausgegangen werden kann.
Die Kammer ist nach wie vor und auch in Anbetracht des mit Wirkung vom
01.08.2006 eingefügten § 7 Abs 3a SGB 2 der Ansicht, dass eine
Einstandsgemeinschaft – selbst wenn es sich bei den Beteiligten nicht nur um eine
Wohngemeinschaft handelt – regelmäßig nicht sofort entsteht, wenn zwei
Personen zusammenziehen. Eine Einstandsgemeinschaft setzt prinzipiell
(weiterhin) die Tragfähigkeit einer gemeinsamen Existenz voraus, die allein die
Grundlage für die Annahme bilden kann, die Partner wollten und würden
wechselseitige füreinander einstehen, ohne rechtliche hierzu verpflichtet zu sein.
Der Umstand, dass der Gesetzgeber im Vermutungstatbestand des § 7 Abs 3a Nr
3 SGB 2 die hierfür früher vom Bundessozialgericht regelmäßig für angemessen
gehaltene Frist von drei Jahren auf ein Jahr reduziert hat, führt nicht dazu, dass
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gehaltene Frist von drei Jahren auf ein Jahr reduziert hat, führt nicht dazu, dass
diese Überlegungen prinzipiell obsolet geworden wären und man nun auch vor
Ablauf der Jahresfrist von einer Einstandsgemeinschaft ausgehen könnte, wenn
Hinweise auf eine freundschaftliche Verbundenheit oder eine Liebesbeziehung
bestehen.
Grundsätzlich ist vielmehr weiterhin davon auszugehen, dass eine
Einstandsgemeinschaft allein bei einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft
entsteht, die daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und
sich insbesondere im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft
durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen des Paares
für einander begründen, also über eine reine Haushalts- und
Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht (vgl zB BVerfG v 17.11.1992, Az: 1 BvL 8/87
und im Anschluss daran Hess LSG v 29.06.2005, Az: L 7 AS 1/05 ER). Kriterien für
die danach vorausgesetzte Ernsthaftigkeit einer Beziehung sind insbesondere
deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität sowie eine bestehende Haushalts- und
Wirtschaftsgemeinschaft, daneben aber auch weitere Umstände, etwa die
gemeinsame Versorgung Angehöriger. Dagegen setzt die Annahme einer
eheähnlichen Gemeinschaft nicht die Feststellung voraus, dass zwischen den
Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen (vgl BSG v 17.10.2002, Az: B 7 AL
96/00 R).
Die Kammer hat von der Einführung des § 7 Abs 3a SGB 2 in Übereinstimmung
mit der Rechtsprechung des BSG angenommen, dass regelmäßig von einer
Einstandsgemeinschaft erst nach dem Ablauf von drei Jahren gemeinsamen
Wohnens und Wirtschaftens ausgegangen werden kann. Da dem Zeitmoment bei
der Verfestigung des Zusammenlebens nach Auffassung der Kammer weiter ganz
erhebliche Bedeutung zukommt – namentlich wenn die Partner noch
vergleichsweise jung sind –, kann nur in ganz seltenen Ausnahmefällen schon vor
Ablauf der Jahresfrist aus § 7 Abs 3a Nr 3 SGB 2 von der Existenz einer
Bedarfsgemeinschaft ausgegangen werden (sofern nicht ein anderer der
Vermutungstatbestände erfüllt ist).
Die Tatsache, dass die Antragstellerin Hr. P. als Lebensgefährte im Antrag
aufgeführt hat, ist zwar sicher nicht unbedeutend. Angesichts der sehr kurzen
Dauer des Zusammenlebens ist sie aber nach Auffassung der Kammer bei weitem
nicht ausreichend, um von einer Einstandsgemeinschaft vor Ablauf der Jahresfrist
auszugehen.
Von größerer Bedeutung ist die Tatsache, dass die Antragstellerin derzeit, soweit
irgend ersichtlich, von Hr. P. versorgt wird, dieser also trotz eigener nicht
übermäßig hoher Mittel gerade bereit ist, die Antragstellerin mit zu unterhalten.
Zur Begründung einer Einstandsgemeinschaft gehört jedoch nach Auffassung der
Kammer typischerweise, dass die Partner das gemeinsame Leben ausprobieren;
dementsprechend hat auch der Gesetzgeber in der Vermutungsregelung des § 7
Abs 3a Nr 3 SGB 2 das einjährige Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft gerade
voraussetzt und dennoch erst für die Zeit nach Ablauf dieses einen Jahres
(regelmäßig) die Vermutung einer Einstandsgemeinschaft vorgesehen.
Bis zum Ablauf eines Jahres kann daher nach Auffassung der Kammer nicht vom
Bestehen einer Einstandsgemeinschaft ausgegangen werden.
Auch vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass die Antragstellerin in
relevantem Umfang befugt wäre, über Einkommen und Vermögen von Hr. P. zu
verfügen und also die Voraussetzungen des Vermutungstatbestandes aus § 7 Abs
3a Nr 4 SGB 2 vorlägen. Soweit der Antragsgegner dies daraus entnehmen
möchte, dass Hr. P. die Antragstellerin ernährt, versorgt und die gemeinsamen
Mietkosten übernommen habe, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Es ist
nicht ersichtlich und vom Antragsgegner nicht konkret vorgetragen, dass der
Antragstellerin dazu (oder sonst) eine rechtliche Verfügungsmacht über
Einkommen und Vermögen von Hr. P. eingeräumt worden wäre, die über die beim
gemeinsamen Haushalten bestehenden Notwendigkeiten hinausginge. Das
gemeinsame Haushalten allein kann aber die Vermutung des § 7 Abs 3a Nr 4 SGB
2 schon deswegen nicht begründen, da die Wirtschaftsgemeinschaft als
Voraussetzung für die Annahme einer Einstandsgemeinschaft schon durch die
Grundnorm in § 7 Abs 3 Nr 3 Bst c) SGB 2 gefordert wird. Würde man dem
gemeinsamen Wirtschaften also vermutungsbegründende Wirkung zusprechen,
käme § 7 Abs 3a Nr 4 SGB 2 keinerlei eigenständiger Gehalt mehr zu.
Dass Hr. P. der Antragstellerin Geld gibt bzw. auch für dessen Bedarfe ausgibt,
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Dass Hr. P. der Antragstellerin Geld gibt bzw. auch für dessen Bedarfe ausgibt,
kann im Übrigen der (rechtlichen) Verfügungsmöglichkeit über dessen Einkommen
und Vermögen, wie sie etwa durch die Einräumung von Vollmachten oÄ begründet
wird, nicht gleichgestellt werden.
Jedenfalls derzeit ist bei summarischer Prüfung also davon auszugehen, dass eine
Bedarfsgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Hr. P. nicht vorliegt. Dessen
Einkommen und Vermögen ist daher bei der Ermittlung der Hilfebedürftigkeit nach
§ 9 Abs 1 und 3 SGB 2 nicht zu berücksichtigen.
cc) Nachdem hier Leistungen nur dem Grunde nach ohne Berücksichtigung von
Einkommen und Vermögen des Hr. P. beantragt sind, ist auf die Frage der Höhe
des Anspruchs nur insoweit einzugehen, wie dies zur Beurteilung, ob ein Anspruch
überhaupt besteht, notwendig ist.
Daher kann offen bleiben, ob die Antragstellerin verlangen kann, dass der
Antragsgegner die Kosten der Unterkunft bzw. ihren Anteil daran (soweit er
angemessen ist) übernimmt. Insoweit weist die Kammer nur, um weiteren
gerichtlichen Auseinandersetzungen nach Möglichkeit vorzubeugen, darauf hin,
dass insoweit ganz erhebliche Zweifel bestehen dürften. Selbst wenn man den
„Rausschmiss“ der Antragstellerin durch ihre Mutter Anfang Februar 2008 für
glaubhaft gemacht halten sollte (bzw. dieser sich in einem Klageverfahren
feststellen lassen sollte), so ist doch angesichts des Abschlusses des
Mietvertrages bereits im Januar 2008 nicht ersichtlich, dass hier auf die Einholung
einer Zusicherung gemäß § 22 Abs 2a SGB 2 vor Abschluss des Mietvertrages
hätte verzichtet werden können. Darüber hinaus dürfte es jedenfalls für ein
einstweiliges Rechtsschutzverfahren an einem Anordnungsgrund fehlen, nachdem
keinerlei Hinweise ersichtlich sind, dass Mietrückstände bestehen und das
Mietverhältnis gefährdet wäre.
Aus dem genannten Grund spricht auch viel dafür, dass der Antragsgegner bei der
Berechnung des Bedarfs der Antragstellerin unter Berücksichtigung von § 20 Abs
2a SGB 2 nur von der Regelleistung in Höhe von 80 vom Hundert der Regelleistung
nach § 20 Abs 2 S 1 SGB 2, also von 277,60 Euro, auszugehen hat.
Offen bleiben kann wegen der Beschränkung des Antrags weiter, ob der
Antragsgegner von diesem Betrag noch 124,- Euro (154,- Euro abzüglich der
Pauschale nach § 3 Abs 1 Nr 1 Arbeitslosengeld II-VO) im Hinblick auf den
(möglichen) Erhalt von Kindergeld abziehen darf. Dafür spricht immerhin, dass die
Antragstellerin – allerdings im Widerspruch zu ihrer im hiesigen Verfahren
vorgelegten eidesstattlichen Versicherung – nach einem Vermerk des
Antragsgegners vom 23.04.2008 diesem gegenüber angegeben habe, sie erhalte
das Kindergeld von ihrer Mutter.
Im Hinblick auf die freiwillige Krankenversicherung (und Pflegeversicherung) wird
ein weiterer Betrag bei der Berechnung voraussichtlich nicht zu berücksichtigen
sein, da wegen der auf der Grundlage der hiesigen Entscheidungen zu
erbringenden Leistungen Krankenversicherungspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 2a SGB VI)
eintritt.
Weiteres Einkommen und Vermögen (der Antragstellerin) ist konkret nicht
ersichtlich. Namentlich ist auch nicht erkennbar, dass die Mutter der
Antragstellerin zu Unterhaltszahlungen bereit (und in der Lage) wäre; ggf mag der
Antragsgegner hier den nach § 33 SGB 2 auf ihn übergehenden Anspruch geltend
machen.
Insgesamt spricht bei summarischer Prüfung sehr viel dafür, dass der
Antragstellerin ein Anspruch von zumindest (277,60 Euro – 124 Euro = 153,60
Euro, gemäß § 41 Abs 2 SGB 2 gerundet auf) 154 Euro monatlich zusteht.
c) Nach Auffassung der Kammer führt die hinsichtlich des Anordnungsgrundes
vorzunehmende Interessenabwägung dazu, die einstweilige Anordnung mit dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu erlassen.
Hohe Anforderungen an den Anordnungsgrund sind insofern vor dem Hintergrund
der ganz überwiegenden Erfolgsaussichten in einem entsprechenden
Hauptsacheverfahren nicht zu stellen. Da existenzsichernde Leistungen in
relevantem Umfang streitig sind, kommt den Interessen der Antragstellerin daher
ausreichendes Gewicht zu, um den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu
rechtfertigen.
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In zeitlicher Hinsicht war die einstweilige Anordnung auf die Zeit ab Antragseingang
bis 06.08.2008 zu beschränken.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach § 41 Abs 1 S 3 SGB 2 die
Leistungsbewilligung regelmäßig für sechs Monate erfolgen soll. Es ist
sachgerecht, sich auch im einstweiligen Anordnungsverfahren an diesem zeitlichen
Rahmen zu orientieren, so dass angesichts der Antragstellung am 07.02.2008
dem Antragsgegner für die Zeit nach dem 06.08.2008 eine erneute Prüfung ohne
Bindung an die hiesige gerichtliche Entscheidung zu ermöglichen ist.
Der Beginn der einstweiligen Anordnung war auf den 16.05.2008, also auf den Tag
des Eingangs des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht,
festzusetzen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung für Zeiten vor
Antragseingang kam nach Auffassung der Kammer dagegen nicht in Betracht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig sein; dh es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine
sofortige Entscheidung erfordert (Beschluss des Hess LSG v 22.09.2005, Az.: L 9
AS 47/05 ER; Armborst/Conradis in: LPK-SGB XII, 7. Aufl. 2005, Anhang Verfahren
Rdnr 119).
Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen
wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, § 86b Rdnr 28). Wird Hilfe für einen vergangenen Zeitraum
begehrt, ist die Eilbedürftigkeit daher regelmäßig zu verneinen. Gesichtspunkte,
die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen, namentlich eine
gegenwärtig fortdauernde Notlage auf Grund der Verweigerung von Leistungen in
der Vergangenheit belegen könnten, hat die Antragstellerin weder vorgetragen
noch ergeben sie sich aus den vorliegenden Unterlagen.
Der ohne zeitliche Begrenzung gestellte Antrag war daher in zeitlicher Hinsicht im
Übrigen abzulehnen.
3. Im Ergebnis ist angesichts der Erfolgsaussichten und der Verteilung der
sonstigen Interessen der Beteiligten die beantragte einstweilige Anordnung (nur) in
dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu erlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf dem im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes entsprechend anwendbaren § 193 SGG. Dabei erschien es der
Kammer angesichts des vollständigen Obsiegens der Antragstellerin hinsichtlich
des gestellten, auf Leistungen dem Grunde nach ohne die Anrechnung von
Einkommen und Vermögen von Hr. P. gerichteten Antrags sachgerecht, den
Antragsgegner zur vollständigen Übernahme der zur Rechtsverfolgung
notwendigen Kosten zu verpflichten, nachdem die Abweisung im Übrigen (in
zeitlicher Hinsicht) eher klarstellende Bedeutung hat.
III. Der Antragstellerin war schließlich Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die
notwendigen Voraussetzungen nach § 73a SGG iVm §§ 114ff ZPO liegen und lagen
seit Antragstellung vor.
Der Antragsteller kann nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
die Kosten der Prozessführung auch nicht ratenweise aufbringen kann. Das
Begehren bietet und bot im Übrigen hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint
auch nicht mutwillig. Da wegen der Unteilbarkeit der im sozialgerichtlichen
Verfahren anfallenden Rahmengebühr eine nur teilweise Bewilligung von
Prozesskostenhilfe regelmäßig nicht in Betracht kommt, Prozesskostenhilfe daher
für das Verfahren insgesamt zu bewilligen ist, kann offen bleiben, ob auch
hinsichtlich des auf § 22 Abs 3 SGB 2 bezogenen Antrags von immerhin
hinreichenden Erfolgsaussichten ausgegangen werden kann.
Eine anwaltliche Vertretung ist erforderlich (§ 73a SGG, 121 Abs 2 ZPO).
Die Kammer geht davon aus, dass dieser Beschluss nur durch die Staatskasse
hinsichtlich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in den Grenzen des § 127 Abs 3
ZPO anfechtbar, im Übrigen der Beschluss auf der Grundlage von §§ 172 Abs 3 Nr
1 iVm 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG unanfechtbar ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der
Beschwerdewert von 750 Euro erreicht werden könnte.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.