Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 08.11.2006

SozG Frankfurt: freiwillige versicherung, mitgliedschaft, beitrittserklärung, versicherungspflicht, teilzeitbeschäftigung, krankenversicherung, schutzfrist, sozialversicherungsrecht, wiederaufnahme

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 08.11.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 18 KR 959/05
Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 283/06
Der Bescheid vom 02.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2005 wird aufgehoben und die
Beklagte wird verurteilt, die Klägerin im Zeitraum vom 01.12.2004 bis 24.08.2005 als versicherungspflichtiges Mitglied
beitragsfrei zu versichern.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die beitragsfreie Fortführung einer Pflichtmitgliedschaft während der Elternzeit nach § 192
Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die Klägerin war und ist bei der C. K. AG abhängig beschäftigt. 2003 gebar sie ein Kind. Seit 01.09.2003 war sie bei
der Beklagten wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze freiwillig krankenversichert. Ihr Ehemann ist nicht
gesetzlich krankenversichert. Ab dem 01.11.2003 nahm die Klägerin Elternzeit in Anspruch. Am selben Tag nahm sie
eine Teilzeitbeschäftigung bei ihrem Schwager auf, die sie am 30.11.2004 beendete. In dieser Beschäftigung war sie
versicherungspflichtig. Dies ist mit bestandskräftigem Bescheid vom 25.02.2005 (Bl. 6 Verwaltungsakte), abgeändert
durch den Bescheid vom 28.02.2005 (Bl. 7 Verwaltungsakte) festgestellt worden. Ab dem 01.12.2004 befand sich die
Klägerin ausschließlich in Elternzeit, bis sie am 25.08.2005 ihre Beschäftigung bei der C. K. AG wieder aufnahm. Seit
diesem Tag ist die Klägerin bei der Beklagten pflichtversichert (keine Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze).
In dem Bescheid vom 28.02.2005 bat die Beklagte die Klägerin zusätzlich um die Beantwortung einer
Einkommensanfrage für die Zeit nach dem 30.11.2004.
Im Schreiben vom 27.04.2005 (Bl. 12 Verwaltungsakte) zeigte sich die Klägerin verwundert über die
Einkommensanfrage, da sie keine freiwillige Versicherung beantragen wolle. Sie sei vielmehr der Rechtsauffassung,
dass die bestehende Pflichtversicherung fortgeführt werden müsse.
Mit Bescheid vom 02.05.2005 (Bl. 22 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte es ab, die Klägerin ab dem 01.12.2004 als
Pflichtmitglied zu führen. Vielmehr bestehe, so die Rechtsauffassung der Beklagten, ab diesem Zeitpunkt eine
freiwillige Mitgliedschaft. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Klägerin nicht im Rahmen eines
versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in die Elternzeit gewechselt sei. Ab Beginn der Elternzeit sei
die Klägerin grundsätzlich dem Personenkreis der "sonstig freiwillig Versicherten" zuzuordnen, da nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 26.05.2004, B 12 P 6/03 R) auch während des
Erziehungsgeldbezugs bzw. während der Elternzeit Beiträge von Mitgliedern zu zahlen seien, die davor wegen
Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei und freiwillig versichert gewesen seien. Die
Spitzenverbände der Krankenkassen verträten die Auffassung, dass diesem Personenkreis nur dann Beitragsfreiheit
eingeräumt werden könne, wenn der oder die freiwillig Versicherte bei Nutzung der Elternzeit über keine weiteren
beitragspflichtigen Einnahmen verfüge und ohne die freiwillige Versicherung dem Grunde nach Anspruch auf
Familienversicherung bestünde. Demnach könne freiwillig versicherten Mitgliedern, deren Ehegatte nicht der
gesetzlichen Krankenversicherung angehöre, keine Beitragsfreiheit während des Erziehungsgeldbezugs bzw. der
Elternzeit eingeräumt werden. Das Einkommen des nicht gesetzlich versicherten Ehegatten sei während dieser Zeit
bei dem freiwillig versicherten Mitglied zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 26.03.1998, B 12 KR 45/96 R). Der bisher
freiwillig versicherte Arbeitnehmer müsse sich während der Elternzeit wie alle anderen freiwillig Versicherten
behandeln lassen. Aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses werde die freiwillige Versicherung nicht beendet,
sondern lediglich verdrängt, da nach § 7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) ein Beschäftigungsverhältnis für
die Dauer des Erziehungsgeldbezugs bzw. der Elternzeit fortbestehe. Somit lebe die freiwillige Versicherung der
Klägerin zum 01.12.2004 wieder auf, mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt Beiträge von der Klägerin zu zahlen
seien.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 11.05.2005 (Bl. 23 Verwaltungsakte) Widerspruch ein, der mit
Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005 (Bl. 40 Verwaltungsakte) zurückgewiesen wurde.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Normzweck des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V darin bestehe, die
Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Personen noch für eine gewisse Zeit über das nach den allgemeinen Regeln an
sich eintretende Ende der Mitgliedschaft hinaus fortbestehen zu lassen. Die Mitgliedschaft bleibe dann erhalten, wenn
der Versicherte während eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses in die Schutzfrist gehe,
Mutterschaftsgeld erhalte und in der späteren zeitlichen Folge Erziehungsgeld gezahlt oder Elternzeit in Anspruch
genommen werde. Diese Aufzählung sei nicht einzeln zu bewerten. Vielmehr werde die Regelung des § 192 Abs. 1 Nr.
2 SGB V durch das erste Ereignis dieser Kette ausgelöst. Die Klägerin sei zum Eintritt des Ereignisses, das die
Wirkung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ausgelöst habe, bei der Beklagten freiwillig versichert gewesen. Die Wirkung
des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V komme deshalb nicht zum Tragen. Es sei deshalb ohne Bedeutung, dass die Klägerin
im Anschluss an ihre Schutzfrist während der Elternzeit in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis
gestanden habe.
Die Klägerin hat am 29.12.2005 (Bl. 1 Gerichtsakte) zum Sozialgericht Frankfurt/Main Klage erhoben.
Sie vertritt weiterhin die Rechtsauffassung, dass sie über den 30.11.2004 hinaus Pflichtmitglied bei der Beklagten ist.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 02.05.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2005
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin ab dem 01.12.2004 bis einschließlich 24.08.2005 als
Pflichtmitglied beitragsfrei zu versichern.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest.
Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte zu dem
Rechtsstreit beigezogen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht eingelegt
worden. Das Gericht hat vorliegend eine reine Anfechtungsklage oder eine kombinierte Anfechtungs- und
Feststellungsklage wegen der Weigerungshaltung der Beklagten hinsichtlich der Durchführung einer beitragsfreien
Pflichtmitgliedschaft nicht aus ausreichend angesehen, so dass es als statthafte Klageart eine kombinierte
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage angenommen hat.
Die Klage führt auch in der Sache zum Erfolg.
Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Pflichtversicherung, die bis zum 30.11.2004 aufgrund des
abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bestanden hatte, über den 30.11.2004 hinaus fortgeführt wird. Diese ist
beitragsfrei.
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen hierfür vor:
§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bestimmt, dass die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten bleibt, solange
Anspruch auf Krankengeld oder Mutterschaftsgeld besteht oder eine dieser Leistungen oder nach gesetzlichen
Vorschriften Erziehungsgeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen wird.
Die Vorschrift setzt – damit von einem "Erhaltenbleiben" gesprochen werden kann – voraus, dass die
Versicherungspflicht an sich enden würde. Aufgrund des bestandskräftigen Bescheids vom 25.02.2005, abgeändert
durch den bestandskräftigen Bescheid vom 28.02.2005, bestand in der Teilzeitbeschäftigung, die während der
Elternzeit wahrgenommen wurde (vgl. § 15 Abs. 4 Bundeserziehungsgeldgesetz) Versicherungspflicht. Diese
Pflichtversicherung wäre an sich zum 30.11.2004 beendet gewesen, da an diesem Tag das Beschäftigungsverhältnis
gegen Entgelt endete. § 190 Abs. 2 SGB V bestimmt, dass die Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter mit
Ablauf des Tages endet, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt endet.
Die an sich endende Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bleibt jedoch erhalten, solange Anspruch auf die in § 192
Abs. 1 Nr. 2 SGB V genannten Leistungen besteht oder diese bezogen werden oder Elternzeit in Anspruch genommen
wird. Vorliegend wurde von der Klägerin Elternzeit in Anspruch genommen.
Damit sind bereits nach dem Gesetzeswortlaut alle Voraussetzungen des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V erfüllt.
Aus dem Gesetzeszweck ergibt sich keine hiervon abweichende (einschränkende) Auslegung. Der Gesetzeszweck
liegt, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, darin, die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Personen noch für
eine gewisse Zeit über das nach allgemeinen Regeln an sich eintretende Ende der Mitgliedschaft hinaus fortbestehen
zu lassen. Die Regelung hat ihren Grund hinsichtlich der Inanspruchnahme von Elternzeit oder Erziehungsgeld darin,
dass die Weiterführung oder der Erwerb einer Mitgliedschaft, insbesondere durch Fortführung oder Aufnahme einer
abhängigen Beschäftigung, infolge von Kindererziehung auf Schwierigkeiten stößt (vgl. Peters in Kasseler
Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 1. Band, Loseblattsammlung Stand Mai 2006, § 192 Rz. 2). Dass diesem
Normzweck eine Fortführung der Pflichtmitgliedschaft im vorliegenden Fall zuwiderlaufen würde, ist nicht erkennbar.
Eine mangelnde Schutzbedürftigkeit der Klägerin kann nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass sie vor dem
Eintritt in das Teilzeitbeschäftigungsverhältnis freiwillig versichert gewesen war, denn zur Ermittlung der
Schutzbedürftigkeit muss auf die Zeit abgestellt werden, zu der die Vorschrift ihre Wirkung entfalten soll. Dies war der
Zeitraum vom 01.12.2004 bis zur Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung bei der C. K. AG, in der sich die Klägerin
ausschließlich der Kindererziehung gewidmet hatte. In dieser Zeit wäre die Begründung einer anderweitigen
Pflichtmitgliedschaft mangels Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB
V) schwerlich möglich gewesen. Dass die Klägerin im vorliegenden Fall wegen Erfüllens der Vorversicherungszeit des
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V der Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied hätte beitreten können, kann nicht dazu
führen, dass sie von der Regelung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ausgeschlossen wird. Wenn der Gesetzgeber dies
gewollt hätte, hätte er es im Gesetz zum Ausdruck bringen müssen, indem er etwa die Rechtsfolge für solche
Versicherte ausgeschlossen hätte, die ein Beitrittsrecht zur freiwilligen Versicherung haben. Aus einem
diesbezüglichen Schweigen des Gesetzgebers kann bei eindeutigem Gesetzeswortlaut keine für die Versicherte
belastende Regelung abgeleitet werden.
Insbesondere die Rechtsauffassung der Beklagten, man müsse bei § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auf "das erste Ereignis
der Kette" abstellen, findet im Gesetz keine Stütze. Die Beklagte hat bereits nicht dargelegt, welches "Ereignis"
vorliegend das erste in der Kette gewesen sein soll. Wahrscheinlich bezieht sie sich aber auf den Bezug von
Mutterschaftsgeld, der wohl während des Bestehens der freiwilligen Mitgliedschaft stattgefunden hatte. Das Gesetz
differenziert jedoch nicht zwischen den einzelnen Leistungen oder Tatbeständen, die zum Fortbestehen der
Pflichtmitgliedschaft führen. Vielmehr stellt es auf den Zeitpunkt ab, zu dem die Pflichtmitgliedschaft an sich enden
würde. Dies ist hier der 30.11.2004 (s. o.).
Die Berufung der Beklagten auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geht an der Sache vorbei:
Der Entscheidung des BSG vom 26.03.1998 (B 12 KR 45/96 R) lag ein Fall zugrunde, in dem die dortige Klägerin als
freiwillig Versicherte Mutterschaftsgeld bezog, dann Erziehungsurlaub nahm und Erziehungsgeld bezog. Eine
Pflichtmitgliedschaft wie bei der hiesigen Klägerin wurde nicht begründet.
Die Entscheidung des BSG vom 26.05.2004 (B 12 P 6/03 R) beschäftigt sich ebenfalls mit einem Fall, in dem die
Versicherte freiwilliges Mitglied der Krankenkasse war und es während des Bezugs von Mutterschaftsgeld, der
Inanspruchnahme von Elternzeit und des Bezugs von Erziehungsgeld auch blieb; eine Pflichtversicherung wie bei der
Klägerin wurde dort nicht begründet.
Aus diesen beiden Entscheidungen des BSG kann daher über die hier vorliegende Problematik nichts abgeleitet
werden.
Auch die Rechtsauffassung der Beklagten, die freiwillige Mitgliedschaft sei nur während der Zeit der
Pflichtmitgliedschaft aufgrund des Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses verdrängt gewesen und lebe nach Beendigung
desselben wieder auf, teilt das Gericht nicht. Die freiwillige Mitgliedschaft endet nach § 191 Satz 1 Nr. 2 SGB V mit
Beginn einer Pflichtmitgliedschaft, somit hier am 01.11.2003. Um eine freiwillige Mitgliedschaft nach ihrem Ende neu
zu begründen, bedarf es zunächst des Endes der Pflichtmitgliedschaft; desweiteren müssen eine Beitrittserklärung
des Versicherten und die übrigen Voraussetzungen des § 9 SGB V vorliegen. Hieran ändert auch die Vorschrift des §
7 SGB IV nichts, da dieser lediglich den Begriff "Beschäftigung" definiert.
Auch eine Berufung der Beklagten auf die Rechtsauffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen läuft ins Leere,
da diese Rechtsauffassung nach Überzeugung des Gerichts – wie oben ausgeführt –unrichtig ist und das Gericht an
diese auch nicht gebunden ist.
Die Beklagte ist daher verpflichtet, die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin vom 01.12.2004 bis 24.08.2005 fortzuführen,
wobei mangels beitragspflichtiger Einnahmen (vgl. hierzu die Erklärung der Klägerin in ihrer hilfsweisen
Beitrittserklärung zur freiwilligen Versicherung Bl. 24 Verwaltungsakte) Beitragsfreiheit besteht (vgl. §§ 223 Abs. 2,
224, 226 ff. SGB V).
Nach alledem war die angegriffene Entscheidung der Beklagten aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu
verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143,
144 SGG.