Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 16.03.2009

SozG Frankfurt: hauptsache, einstweilige verfügung, wesentlicher nachteil, erlass, rechtskraft, budget, rechtsschutz, interessenabwägung, gerichtsakte, verwaltungsakt

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Gericht:
SG Frankfurt (Oder)
7. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 7 SO 75/09 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 202 SGG, § 75 Abs 5 SGG, §
86b Abs 2 SGG, § 323 ZPO, §
927 ZPO
Antrag auf Abänderung einer einstweiligen Anordnung -
einstweilige Anordnung - Abänderungsantrag - Erledigung des
Hauptsacheverfahrens - Geltungsdauer einer einstweiligen
Anordnung - gleichzeitige Zuständigkeit mehrerer
Sozialleistungsträger
Tenor
1. Der Antrag auf Änderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt
(Oder) vom 16.03.2009, Az. S 7 SO 4/09 ER, wird zurückgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander Kosten des Verfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Das im vorliegenden Verfahren antragstellende Land (Abänderungsantragsteller)
begehrt die Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom
16.03.2009, Az. S 7 SO 4/09 ER, mit dem es als dortiger Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, der dortigen Antragstellerin
(Abänderungsantragsgegnerin) vorläufig Leistungen nach dem Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Gestalt eines persönlichen Budgets zu bewilligen.
Am 30.09.2008 stellte die Abänderungsantragsgegnerin, vertreten durch ihre Schwester
J. S., beim Abänderungsantragsteller einen Antrag, ihr in Form eines
trägerübergreifenden persönlichen Budgets Leistungen der medizinischen Rehabilitation,
Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben, Leistungen der Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft, Leistungen zur Pflege sowie weitere und ergänzende Leistungen zu
gewähren. Seit 21.11.2008 wohnt die Abänderungsantragsgegnerin bei ihrer Schwester J.
S. in V., Landkreis Märkisch-Oderland.
Mit Bescheid vom 01.12.2008 (Blatt 194 Verwaltungsakte Band II) lehnte der
Abänderungsantragsteller die Gewährung von Eingliederungshilfe (persönliches Budget)
an die Abänderungsantragsgegnerin wegen örtlicher Unzuständigkeit ab. Auf den
dagegen von der Abänderungsantragsgegnerin mit Schreiben vom 08.12.2008 (Blatt
195a Verwaltungsakte Band II) eingelegten Widerspruch ist soweit ersichtlich kein
Widerspruchsbescheid ergangen.
Mit Schriftsatz vom 10.12.2008 stellte die Abänderungsantragsgegnerin gegen den
Abänderungsantragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, den
das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 17.12.2008, Az. S 88 SO 3331/08 ER an das
Sozialgericht Frankfurt (Oder) verwies, wo die Gerichtsakte am 19.01.2009 einging. Das
Sozialgericht Frankfurt (Oder) lud den Landkreis Märkisch-Oderland bei. Die
Abänderungsantragsgegnerin stellte auch beim Landkreis Märkisch-Oderland einen
Antrag auf ein persönliches Budget (mündlich am 20.01.2009 und schriftlich am
28.01.2009). Mit Beschluss vom 16.03.2009, Az. S 7 SO 4/09 ER verpflichtete das
Sozialgericht Frankfurt (Oder) den Abänderungsantragsteller im Wege der einstweiligen
Anordnung, der Abänderungsantragsgegnerin vorläufig Leistungen nach dem Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Gestalt eines persönlichen Budgets zu bewilligen.
Am 18.03.2009 reichte die Abänderungsantragsgegnerin den Antrag auf ein
persönliches Budget, der zwischenzeitlich vom Abänderungsantragsteller wieder an sie
zurückgesandt worden war, wieder beim Abänderungsantragsteller ein.
Mit Bescheid vom 07.05.2009 übernahm der Abänderungsantragsteller „antragsgemäß“
für die Abänderungsantragsgegnerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54
SGB XII i. V. m. § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ab dem 01.12.2008 bis
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SGB XII i. V. m. § 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ab dem 01.12.2008 bis
31.07.2009 in Form eines Trägerübergreifenden Persönlichen Budgets zur Organisation
der persönlichen Assistenz im eigenen Haushalt für 5,6 Stunden täglich. Das
Trägerübergreifende Persönliche Budget werde in monatlichen Teilraten in Höhe von
5.053,50 € ab 01.12.2008 und in Höhe von 5.098,80 € ab 01.01.2009 auf das Konto der
Betreuerin der Abänderungsantragsgegnerin überwiesen. In der Begründung ist
ausgeführt, dass nach Prüfung des Einzelfalls festgestellt worden sei, dass die bewilligte
Leistung zweckmäßig und ausreichend sei, um der besonderen Bedarfslage in
geeigneter Art und Weise zu begegnen. Die Leistung werde zeitlich befristet, weil im Juli
2009 ein entsprechender Bericht vorzulegen sei, ob die bisher vereinbarten Ziele
erreicht wurden. Die Feststellung des leistungsbegründenden Bedarfs sei auf Grund der
Stellungnahme des Sozialpsychiatrischen Dienstes Märkisch-Oderland vom 15.04.2009
und des Gutachtens des MDK Berlin-Brandenburg vom 29.04.2009 erfolgt. Der Bescheid
enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass gegen den Bescheid der Widerspruch zulässig
sei und dass der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides
schriftlich oder zur Niederschrift bei dem Bezirksamt Mitte, Sozialamt, 13341 Berlin, zu
erheben sei.
Die Abänderungsantragsgegnerin legte gegen den Bescheid vom 07.05.2009 keinen
Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 05.06.2009 (Blatt 104 Verwaltungsakte Band III) beantragte die
Abänderungsantragsgegnerin beim Landkreis Märkisch-Oderland die Bearbeitung des
Antrags auf ein persönliches Budget sowie auf Grundsicherung und die Ausstattung
behindertengerechten Wohnraums. Der Landkreis Märkisch-Oderland leitete den Antrag
mit Schreiben vom 08.06.2009 gemäß § 14 Abs. 1 SGB IX und § 43 SGB I an den
Abänderungsantragsteller weiter. Nachdem der Abänderungsantragsteller (Schreiben
vom 23.06.2009) und der Landkreis Märkisch-Oderland (Schreiben vom 01.07.2009) die
Unterlagen einmal hin- und her geschickt hatten, lehnte der Abänderungsantragsteller
mit Bescheid vom 07.07.2009 (Blatt 111 Verwaltungsakte Band III) den Antrag „vom
05.05.2009“ auf weitere Gewährung von laufenden Leistungen nach den Bestimmungen
des SGB XII für ein Trägerübergreifendes Persönliches Budget zur Organisation der
persönlichen Assistenz im eigenen Haushalt wegen örtlicher Unzuständigkeit ab.
Die Abänderungsantragsgegnerin legte hiergegen mit Schreiben vom 20.07.2009 (Blatt
113 Verwaltungsakte Band III) Widerspruch ein, der soweit ersichtlich noch nicht
beschieden ist.
Mit Schriftsatz vom 27.07.2009 hat der Abänderungsantragsteller das Sozialgericht
Frankfurt (Oder) um Mitteilung gebeten, wie lange er aus dem Beschluss vom
16.03.2009 vorläufig weiterleisten muss und „ggf. Abänderung und Konkretisierung des
Beschlusses“ beantragt. Auf das erläuternde Schreiben des Gerichts vom 20.08.2009
(Blatt 18 Gerichtsakte S 7 SO 75/09 ER) hat der Abänderungsantragsteller mit
Schriftsatz vom 03.09.2009 „(weiterhin)“ beantragt,
den Beschluss des SG vom 16.03.2009 – S 7 SO 4/09 ER – mit dem der
Antragsgegner (Abänderungsantragsteller) verpflichtet wurde, der
Antragstellerin (Abänderungsantragsgegnerin) vorläufig Leistungen nach
dem SGB XII in Gestalt eines persönlichen Budgets zu bewilligen,
dahingehend abzuändern, dass eine Verpflichtung zur Leistung nur bis
einschließlich 31.07.2009 angeordnet wird.
Die Abänderungsantragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 13.08.2009 hat die Abänderungsantragsgegnerin beim Sozialgericht
Frankfurt (Oder) einen Zwangsvollstreckungsantrag gestellt, über den das Gericht mit
Beschluss vom 07.11.2009, Az. S 7 SO 71/09, entschieden hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten
der Verfahren S 7 SO 4/09 ER, S 7 SO 71/09 und S 7 SO 75/09 ER sowie die
Verwaltungsakten des Abänderungsantragstellers Bezug genommen.
II.
1.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Abänderungsantrag) ist zulässig. Dass es
sich um einen Abänderungsantrag zu einer einstweiligen Anordnung und somit einen
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sich um einen Abänderungsantrag zu einer einstweiligen Anordnung und somit einen
Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz handelt, lässt der Schriftsatz des
Abänderungsantragstellers vom 27.07.2009 mit noch hinreichender Deutlichkeit
erkennen und wird durch die Schriftsätze des Abänderungsantragstellers vom
30.07.2009 (Blatt 280 Gerichtsakte S 7 SO 4/09 ER) und 03.09.2009 bestätigt.
Insbesondere ist der Abänderungsantrag statthaft.
Das Sozialgerichtsgesetz (SGG) sieht eine Abänderung einer einstweiligen Anordnung
zwar nicht ausdrücklich vor und verweist in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG auch nicht auf den
für die Abänderung von in den summarischen zivilgerichtlichen Verfahren (Arrest und
einstweilige Verfügung) ergangenen Entscheidungen geltenden § 927
Zivilprozessordnung (ZPO). Daraus, dass § 86b Abs. 2 SGG ebenso wie § 123
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), dem er nachgebildet ist, nicht auf § 927 ZPO
verweist, ist jedoch nicht darauf zu schließen, dass eine Abänderung von einstweiligen
Anordnungen, die von einem Sozialgericht oder Verwaltungsgericht getroffen wurden,
durch dieses Gericht unzulässig wäre. Wie §§ 323, 927 ZPO, 80 Abs. 7 VwGO und 86b
Abs. 1 Satz 4 SGG zeigen, ist es notwendig, dass jedenfalls bei einer wesentlichen
Änderung der Verhältnisse gerichtliche Entscheidungen, die eine in die Zukunft
reichende Regelung treffen, nachträglich geändert werden können. Streitig ist vielmehr
in der Rechtsprechung und juristischen Literatur, nach welcher Rechtsgrundlage sich die
Änderung von einstweiligen Anordnungen in Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit
und der Verwaltungsgerichtsbarkeit richtet sowie die damit verbundene Frage, unter
welchen Voraussetzungen eine Änderung von einstweiligen Anordnungen in
Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit zulässig
ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9.
Aufl. 2008, § 86 Rdnr. 45, 45a, und Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2007, §
123 Rdnr. 35, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Als Rechtsgrundlage für die nachträgliche Abänderung einer einstweiligen Anordnung in
Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit kommen § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG analog
(vgl. Nachweise bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz,
Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 86 Rdnr. 45; ähnlich Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, §
123 Rdnr. 35), § 927 ZPO analog (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 86 Rdnr. 45) und §§ 86b Abs. 2 SGG i.
V. m. 202 SGG, 323 ZPO analog in Betracht.
2.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Abänderungsantrag) ist unbegründet. Denn §
323 ZPO, der nach §§ 86b Abs. 2 SGG i. V. m. 202 SGG auf Abänderungen von
einstweiligen Anordnungen entsprechend anzuwenden ist (siehe nachfolgend a)), setzt
veränderte Umstände, nämlich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse voraus,
während die für den Beschluss vom 04.03.2009 und seinen in Rechtskraft erwachsenen
Tenor maßgebenden Umstände sich nicht geändert haben (siehe nachfolgend b)).
a)
einstweiligen Anordnungen entsprechend anzuwenden. Nach § 323 Abs. 1 ZPO ist, wenn
im Fall einer Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen eine
wesentliche Änderung derjenigen Verhältnisse eintritt, die für die Verurteilung zur
Entrichtung der Leistungen, für die Bestimmung der Höhe der Leistungen oder der
Dauer ihrer Entrichtung maßgebend waren, jeder Beteiligte berechtigt, im Wege der
Klage eine entsprechende Abänderung des Urteils zu verlangen. Nach § 86b Abs. 2 Satz
2 SGG kann das Gericht, soweit kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, auf Antrag eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteil nötig erscheint. Nach § 202 SGG sind, soweit das SGG keine
Bestimmungen über das Verfahren enthält, das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und
die ZPO entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede zwischen
zivilgerichtlichem Verfahren und sozialgerichtlichem Verfahren dies nicht ausschließen.
Bezüglich der Abänderung von einstweiligen Anordnungen sind keine im SGG
enthaltenen oder gegenüber § 323 ZPO spezielleren Bestimmungen unmittelbar oder
entsprechend anwendbar.
§ 86b Abs. 1 Satz 4 SGG bezieht sich nach seiner systematischen Stellung nur auf die
Änderung von Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGG. Dies ist auch
sachlich gerechtfertigt. Die von § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG (mit Ausnahme der
Voraussetzung, dass ein Antrag vorliegen muss) bestimmte freie Abänderbarkeit der
Entscheidung korrespondiert damit, dass Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 Sätze 1 bis
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Entscheidung korrespondiert damit, dass Entscheidungen nach § 86b Abs. 1 Sätze 1 bis
3 SGG nach einer Interessenabwägung getroffen werden. Insofern ist es nur folgerichtig,
dass auch eine Abänderung der Entscheidung letztendlich nur eine Interessenabwägung
voraussetzt. Hingegen korrespondiert mit der grundsätzlich an das Vorliegen von
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund gebundenen einstweiligen Anordnung, dass
auch die Abänderbarkeit nicht von einer bloßen Interessenabwägung abhängt, sondern
wie in § 323 ZPO und § 927 ZPO veränderte Umstände voraussetzt.
Gegen die analoge Anwendung von § 927 ZPO spricht, dass nach § 86b Abs. 2 Satz 4
SGG zwar unter anderem § 926 ZPO und §§ 928 bis 932 ZPO entsprechend gelten, aber
eine entsprechende Geltung von § 927 ZPO nicht bestimmt wurde.
Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Verfahrensarten schließen die
Anwendung von § 323 ZPO auf die Änderung sozialgerichtlicher einstweiliger
Anordnungen nicht aus. Dies zeigt sich schon daran, dass bei einem in einem
einstweiligen Anordnungsverfahren beim Sozialgericht geschlossenen gerichtlichen
Vergleich § 323 ZPO über §§ 202 SGG, 323 Abs. 4, 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Anwendung
findet. Die entsprechende Anwendung von § 323 ZPO auf sozialgerichtliche einstweilige
Anordnungen erscheint auch inhaltlich sachgerecht. Sie entspricht der gesetzlichen
Systematik und erklärt, warum in § 86b Abs. 2 SGG weder ein Verweis auf § 86b Abs. 1
Satz 4 SGG noch auf § 927 ZPO enthalten ist. Dass § 86b Abs. 2 SGG nicht auf den in
Bezug auf zivilgerichtliche einstweilige Verfügungen gegenüber § 323 ZPO spezielleren §
927 ZPO verweist, eröffnet die Möglichkeit, § 323 ZPO anzuwenden. § 323 ZPO enthält
einen allgemeinen, entsprechender Anwendung fähigen Rechtsgedanken (Vollkommer in
Zöller, ZPO, Kommentar, 27. Aufl. 2009, § 323 Rdnr. 3). Auf das Verfahren auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung finden grundsätzlich alle Vorschriften und allgemeinen
Rechtsgrundsätze Anwendung, die für selbständige Verfahren gelten (Kopp/Schenke
VwGO 15. Aufl. 2007 § 123 Rdnr. 1). Wie Urteile erwachsen auch Beschlüsse über
einstweilige Anordnungen in Rechtskraft (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 86b Rdnr. 44). Andererseits können
durch Beschluss ergangene sozialgerichtliche einstweilige Anordnungen nicht
„rechtskräftiger“ sein als sozialgerichtliche Urteile (auf die § 323 ZPO Anwendung
findet). Aus der Rechtskraft und daraus, dass bereits der Erlass der einstweiligen
Anordnung von bestimmten Voraussetzungen, nämlich grundsätzlich dem Bestehen von
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund (und nicht von einer bloßen
Interessenabwägung) abhängt, folgt, dass bei der einstweiligen Anordnung eine
Abänderung wie in § 323 ZPO geregelt bei einer wesentlichen Änderung der
maßgeblichen Verhältnisse (und nur dann) erfolgen kann und muss. Dass § 323 ZPO für
die Abänderung ein Tätigwerden eines Beteiligten voraussetzt, deckt sich damit, dass §
86b Abs. 2 SGG auch bereits für die ursprüngliche Entscheidung einen Antrag
voraussetzt. Aus der nur entsprechenden Anwendung von § 323 ZPO ergibt sich
allerdings, dass die Abänderung einer einstweiligen Anordnung, anders als die
Abänderung eines Urteils, nicht auf Klage durch Urteil, sondern nach § 86b Abs. 2 SGG
auf Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz durch Beschluss erfolgt.
b)
Bestimmung, wie lange die in ihm getroffene Regelung gilt. Die in einer einstweiligen
Anordnung getroffenen Regelungen verlieren, wenn die Geltungsdauer durch das Gericht
nicht ausdrücklich anders geregelt ist, jedenfalls mit dem Eintritt der Rechtskraft einer
Entscheidung in der Hauptsache bzw. mit einer anderweitigen Erledigung der
Hauptsache ihre Gültigkeit (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 123 Rdnr. 34 zu dem
§ 86b Abs. 2 SGG entsprechenden § 123 VwGO). Da im Beschluss vom 16.03.2009 keine
anderweitige Regelung erfolgt ist, gilt damit die einstweilige Anordnung bis zum Eintritt
der Rechtskraft (bzw. Bestandskraft) einer Entscheidung in der Hauptsache bzw. bis zu
einer anderweitigen Erledigung der Hauptsache.
Bezüglich des Zeitraums ab 01.08.2009, für den vom Abänderungsantragsteller eine
Änderung der einstweiligen Anordnung begehrt wird, ist eine anderweitige Erledigung der
Hauptsache eingetreten.
Wenn man in der Ablehnung einer Leistung einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung sieht
(so das Bundessozialgericht – BSG – im Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 14/06 R, Rdnr.
30, SozR 4-4200 § 20 Nr 1, www.sozialgerichtsbarkeit.de in einem obiter dictum, also
einem für die dort getroffene Entscheidung nicht entscheidungserheblichen Hinweis),
wurde die ursprünglich unbefristete Ablehnung (Bescheid vom 01.12.2008) mit Bescheid
vom 07.05.2009 durch eine befristete Bewilligung (01.12.2008 bis 31.07.2009) und eine
Nichtregelung für den anschließenden Zeitraum ersetzt. Der Bescheid vom 07.05.2009
war kein bloßer Ausführungsbescheid zum Beschluss vom 16.03.2009. Er traf eine
selbständige, erkennbar auf eigener Sachprüfung des Abänderungsantragstellers
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selbständige, erkennbar auf eigener Sachprüfung des Abänderungsantragstellers
beruhende, nicht als vorläufig bezeichnete Regelung, nahm nicht auf den Beschluss vom
16.03.2009 Bezug und enthielt zudem – was bei einem Ausführungsbescheid nicht zu
erwarten wäre – eine Rechtsbehelfsbelehrung. Der Beschluss vom 07.05.2009 ließ
zudem deutlich erkennen, dass eine Regelung für die Zeit ab 01.08.2009 noch nicht
beabsichtigt war, sondern eine Regelung künftig, nämlich nach Eingang des im Juli 2009
vorzulegenden Berichts, noch erfolgen werde. Die Ablehnung hätte sich damit, wenn sie
ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wäre, für die Zeit ab 01.08.2009 durch den
Bescheid vom 07.05.2009 erledigt, da nunmehr für die Zeit ab 01.08.2009 erkennbar
nicht mehr an der Ablehnung festgehalten werden sollte (sondern die Frage einer
Bewilligung oder Ablehnung einer zukünftigen Entscheidung vorbehalten bleiben sollte).
Nach der vom für Angelegenheiten der Sozialhilfe zuständigen 8. Senat des
Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 11.12.2007, Az. B 8/9b SO 12/06 R, Rdnr. 8,
www.sozialgerichtsbarkeit.de) vertretenen Ansicht, dass die Ablehnung einer Leistung
keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt, und dass, wenn ein Hilfesuchender
nach Ergehen eines Ablehnungsbescheides zwischenzeitlich einen neuen Antrag auf
Leistungen nach dem SGB XII gestellt hat, sich der angefochtene Bescheid für die von
einem auf diesen Antrag ergangenen neuen Bescheid erfasste Zeit und auch durch
einen neuen Ablehnungsbescheid erledigt, hätte sich die durch Bescheid vom
01.12.2008 erfolgte Ablehnung durch den Bescheid vom 07.07.2009 erledigt. Der
Bescheid vom 07.07.2009 erging auf den an den Landkreis Märkisch-Oderland
gerichteten Antrag der Abänderungsantragsgegnerin vom 05.06.2009, den der
Landkreis Märkisch-Oderland an den Abänderungsantragsteller weitergeleitet hat. Dass
das Schreiben vom 05.06.2009 einen Antrag darstellt, ist zu Recht unstreitig. Dass im
Bescheid des Abänderungsantragstellers vom 07.07.2009 stattdessen auf einen Antrag
vom „05.05.2009“ Bezug genommen wird, stellt einen offensichtlichen Tippfehler dar.
Nach beiden Auffassungen ist damit für den Zeitraum ab 01.08.2009 eine Erledigung der
Hauptsache eingetreten. Die einstweilige Anordnung gilt damit nicht mehr, ohne dass es
einer Änderung der einstweiligen Anordnung bedürfte.
Damit ist eine nach § 323 ZPO i. V. m. §§ 86b Abs. 2, 202 SGG für eine Abänderung des
Beschlusses vom 16.03.2009 erforderliche wesentliche Änderung derjenigen
Verhältnisse, die für die Verpflichtung zur Entrichtung der Leistungen und die
Bestimmung der Dauer ihrer Entrichtung maßgebend waren, nicht eingetreten, sondern
die Verpflichtung zur Entrichtung der Leistungen hat nach ihrer bereits im Beschluss
konkludent bestimmten Dauer (nämlich bis zum Eintritt der Rechtskraft bzw.
Bestandskraft einer Entscheidung in der Hauptsache bzw. bis zu einer anderweitigen
Erledigung der Hauptsache; siehe oben) geendet.
Eine klarstellende Abänderung des Beschlusses dahingehend, dass der
Abänderungsantragsteller durch den Beschluss nur zu Leistungen für den Zeitraum bis
31.07.2009 verpflichtet war, kommt daher anders, als es möglicherweise bei Anwendung
von § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG der Fall wäre, nicht in Betracht.
3.
Zur Information der Verfahrensbeteiligten wird darauf hingewiesen, dass zwar durch die
Bescheiderteilung durch den Abänderungsantragsteller jedenfalls für den hier streitigen
Zeitraum ab 01.08.2009 eine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist und damit die
Geltung der einstweiligen Anordnung vom 16.03.2009 geendet hat, aber inhaltlich keine
Änderung der Sachlage eingetreten ist. Würde die Abänderungsantragsgegnerin erneut
einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den
Abänderungsantragsteller stellen, müsste das Gericht jedenfalls für die Zukunft inhaltlich
wie im Beschluss vom 16.03.2009 entscheiden. Hauptsacheverfahren wäre im Falle der
Erhebung eines erneuten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das mit
Widerspruch vom 20.07.2009 gegen den Bescheid vom 07.07.2009 eingeleitete
Widerspruchsverfahren. Ob auch Leistungen für die Vergangenheit, also für den
Zeitraum vom 01.07.2009 bis zum Eingang eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung, (vorläufig) zuzusprechen wären, käme darauf an, ob diesbezüglich ein
Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) glaubhaft gemacht wird (vgl. Landessozialgericht
Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2006, Az.: L 5 B 1401/05 AS ER,
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Der Beschluss vom 16.03.2009 war rechtmäßig. Das Gericht durfte den
Abänderungsantragsteller insbesondere bezüglich des gesamten Zeitraums bis zur
Rechtskraft bzw. Bestandskraft einer Hauptsacheentscheidung oder einer anderweitigen
Erledigung in der Hauptsache zur vorläufigen Leistung verpflichten. Es war und ist
vorauszusehen, dass sich am Hilfebedarf der Abänderungsantragsgegnerin dem Grunde
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vorauszusehen, dass sich am Hilfebedarf der Abänderungsantragsgegnerin dem Grunde
nach nichts ändern wird. Konkrete Beträge hat das Gericht nicht festgesetzt, so dass der
Abänderungsantragsteller auf Veränderungen des Hilfebedarfs und neuere Erkenntnisse
bezüglich des Hilfebedarfs reagieren kann. Darüber hinaus gehende Einwände gegen die
Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 16.03.2009 wurden vom
Abänderungsantragsteller nicht geltend gemacht.
Ob im Falle eines bezifferten Antrags ein bezifferte Zahlungsverpflichtung
ausgesprochen würde, weil dies eine erleichterte Vollstreckbarkeit zur Folge hätte
(nämlich nach §§ 86b Abs. 2 Satz 4, 198, 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG i. V. m. §§ 928, 929 ZPO
i. V. m. dem Achten Titel der ZPO, insbesondere §§ 750, 753, 803 ff., 882a ZPO, statt
nach § 201 SGG i. V. m. § 200 SGG, vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 201 Rdnr. 2a) und in diesem Fall
wegen der durch die Bezifferung des Leistungsausspruchs fehlenden Möglichkeit des
Abänderungsantragstellers, auf betragsmäßige Veränderungen zu reagieren, ein
Leistungsausspruch für einen kürzeren Zeitraum erfolgen würde, wäre zu entscheiden,
wenn ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit einem bezifferten Antrag
gestellt würde.
Eine Veränderung der Verhältnisse gegenüber dem 16.03.2009 ist nicht eingetreten.
Insbesondere liegt in der Antragstellung der Abänderungsantragsgegnerin beim
Landkreis Märkisch-Oderland am 20.01.2009/28.01.2009 und 05.06.2009 keine
Veränderung der Verhältnisse. Die Antragstellung der Abänderungsantragsgegnerin
beim Landkreis Märkisch-Oderland am 20.01.2009/28.01.2009 ändert nichts daran, dass
der Abänderungsantragsteller aufgrund der Antragstellung der hiesigen Antragsgegnerin
vom 30.09.2008 erstangegangener Träger ist, der wegen Nichtweiterleitung des Antrags
nach § 14 SGB IX zuständig ist; zudem war die Antragstellung vom
20.01.2009/28.01.2009 im Beschluss vom 14.03.2009 bereits berücksichtigt. Die
Antragstellung der Abänderungsantragsgegnerin vom 05.06.2009 beim Landkreis
Märkisch-Oderland, mit der die Abänderungsantragsgegnerin auf den schon seit
längerem, nämlich seit 20.01.2009/28.01.2009 beim Landkreis Märkisch-Oderland
gestellten Antrag hingewiesen hat, führt schon deshalb nicht zu einem Wegfall der
Zuständigkeit des Abänderungsantragstellers, weil der Antrag innerhalb der
Zweiwochenfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX an den Abänderungsantragsteller
weitergeleitet wurde. Die Weiterleitung war schon deshalb nicht rechtsmissbräuchlich,
weil eine abschließende gerichtliche Entscheidung, welcher Träger zuständig ist, nicht
vorlag. Die Abweichung von einer in den Gründen der einstweiligen Anordnung
geäußerten Rechtsansicht des Gerichts, die für das Ergebnis der Entscheidung noch
nicht einmal erheblich war, ist ersichtlich nicht rechtsmissbräuchlich, so dass vorliegend
nicht zu entscheiden ist, ob auch eine rechtsmissbräuchliche Weiterleitung bindend
wäre. Zudem bezieht sich § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) auf einen
Erstantrag (vgl. zu § 14 SGB IX: Götze in Hauck/Noftz, SGB IX K § 14 Rdnr. 10 f.), der
bezüglich der konkret begehrten Leistung erstmals ein Verwaltungsverfahren einleitet,
und hat nicht den Zweck, bei jedem Fortzahlungsantrag die Zuständigkeitsfrage neu zu
eröffnen.
c)
und kann das Gericht bei einem auf Verpflichtung des Abänderungsantragstellers
gerichteten Antrag nicht statt des Abänderungsantragstellers einen anderen ebenfalls
Zuständigen (konkret: den im Verfahren S 7 SO 4/09 ER beigeladenen Landkreis)
verpflichten. Die Verurteilung eines Beigeladenen (und damit auch die Verpflichtung
eines Beigeladenen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes) nach § 75 Abs. 5 SGG
setzt voraus, dass eine Verurteilung des Beklagten (bzw. Verpflichtung des
Antragsgegners) nicht möglich ist. Das Gericht kann sich auch in den Fällen, in denen
sowohl Antragsgegner als auch Beigeladener zuständig sind, nicht über die von der
Antragstellerseite bei der Stellung der Antragstellung getroffene Auswahl, wer
Antragsgegner sein soll, hinwegsetzen. Dass der behinderte Mensch gegen den nach §
14 SGB IX zuständigen Träger vorgeht und dieser dann seinerseits einen etwaigen
Erstattungsanspruch gegen einen anderen Träger geltend macht, ist – ohne dass es
darauf noch ankäme – zudem der von § 14 SGB IX vorausgesetzte Regelfall. Dass der
behinderte Mensch nach zutreffender Auffassung statt gegen den nach § 14 SGB IX
zuständigen Träger auch gegen den materiell-rechtlich „eigentlich“ zuständigen Träger
vorgehen darf, führt nicht dazu, dass er dies er muss.
Der Abänderungsantragsteller ist dem Verhalten der Abänderungsantragsgegnerin und
des Landkreises Märkisch-Oderland auch nicht schutzlos ausgeliefert. Es kann den
Widerspruch vom 20.07.2009 bescheiden (vgl. auch § 88 Abs. 2 SGG sowie
Bundessozialgericht, Urteil vom 11.11.2003, B 2 U 36/02 R, www.sozialgerichtsbarkeit.de,
und Sozialgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 12.03.2007, Az.: S 7 SO 20/07, nicht
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und Sozialgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 12.03.2007, Az.: S 7 SO 20/07, nicht
veröffentlicht) und damit die Angelegenheit einer gerichtlichen Klärung zuführen. Der
Abänderungsantragsteller kann zudem einen Erstattungsanspruch gegen den Landkreis
Märkisch-Oderland geltend machen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26.06.2007, B 1 KR
24/06 R, www.sozialgerichtsbarkeit.de), gegebenenfalls auch gerichtlich im Wege der
Leistungsklage.
Die Kostenentscheidung ergeht analog § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des
Verfahrens.
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