Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 22.12.2005

SozG Frankfurt: behandlung, universität, chemotherapie, körperliche unversehrtheit, gynäkologie, onkologie, rezidiv, mammakarzinom, label, krankenversicherung

Sozialgericht Frankfurt
Beschluss vom 22.12.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 21 KR 837/05 ER
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsstellerin vorläufig für die
Dauer von 12 Monaten das Arzneimittel Herceptin im Rahmen der ärztlichen Verordnung als Sachleistung zur
Verfügung zu stellen.
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragsstellerin deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die 1947 geborene Antragstellerin ist bei der Beklagten aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung
krankenversichert. Bei ihr war im September 2001 ein Mammakarzinom der rechten Brust diagnostiziert worden,
wobei der Primärtumor eine Größe von mehr als 2 cm aufwies. Die Antragstellerin wurde mittels 6 Zyklen einer taxan-
basierten Kombinationschemotherapie präoperativ behandelt. Im Anschluss daran erfolgte eine brusterhaltende
Tumorentfernungsoperation mit Wegnahme der Lymphknoten aus der Achselhöhle. Postoperativ erhielt sie eine
Bestrahlung der operierten Brustseite. Es schloss sich dann eine Hormontherapie mit dem Antiöstrogen Tamoxifen
an. Im Rahmen von Nachsorgeuntersuchungen im Klinikum für Gynäkologie und Geburtshilfe der G.-Universität F.
ergaben sich Befunde, welche auf ein Lokalrezidiv des Mammakarzinoms im Bereich der rechten Brust hindeuteten.
Eine am 26.08.2005 durchgeführte Stanzbiopsie bestätigte den Verdacht. Hierauf unterzog sich die Antragsstellerin
einer Ablatio der rechten Brust, die gleichfalls im Klinikum der G.-Universität am 08.09.2005 durchgeführt wurde. Die
pathologische Untersuchung des entfernten Brustgewebes im S. Institut für Pathologie ergab einen invasiv-duktalen
Tumortyp (Untersuchungsbericht vom 09.09.2005). Die sodann gleichfalls im S. Institut für Pathologie anhand des
Gewebes vorgenommene immunhistochemische Rezeptorenbestimmung führte zu der Beurteilung, dass eine
überwiegend mäßiggradige Positivität von ca. 70 % der Tumorzellen für den Östrogenrezeptor, keine Expression des
Progesteronrezeptors, aber eine starke Überexpression des HER-2-Rezeptors (Humaner Epithelialer [Wachstums]
Rezeptor 2) entsprechend einem Score 3+ (positiv) bestand (pathologischer Bericht vom 30.08.2005).
Mit den vorliegenden Befunden und dem postoperativen histologischen Ergebnissen wurde der Fall der
Antragsstellerin in der interdisziplinären Tumorkonferenz der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Klinikums
der G.-Universität vorgestellt. Dort wurde folgende Therapieempfehlung ausgesprochen:
1. Arimidex einmal täglich
2. zusätzlich Herceptin Monotherapie aufgrund des erhöhten Risikos bei der Klägerin (Arztbrief und Bericht vom
20.09.2005).
Bei dem Medikament Herceptin handelt es sich um den monoklonalen Antikörper Trastuzumab, dessen
Wirkungsweise darauf beruht, bei einer Überexpression des HER-2-Rezeptors diesen Rezeptor "zu blocken" und damit
ein Tumorwachstum zu behindern. Herceptin ist seit Oktober 2000 als Medikament für die Behandlung von Frauen mit
metastasiertem Mammakarzinom, deren Tumoren HER-2 überexprimieren in folgenden Fallkonstellationen
zugelassen:
a) als Monotherapie zur Behandlung von Patientinnen, die mindestens 2 Chemotherapieregime gegen ihre
metastasierende Erkrankung erhalten haben und für die ein Anthrazyklin ungeeignet ist,
b) in Kombination mit Paclitaxel zur Behandlung von Patientinnen, die noch keine Chemotherapie erhalten haben und
für die ein Anthrazyklin ungeeignet ist,
c) in Kombination mit Docetaxel zur Behandlung von Patientinnen, die noch keine Chemotherapie gegen ihre
metastasierende Erkrankung erhalten haben (vgl. Angaben in Rote Liste). Hersteller von Herceptin® ist das
Pharmaunternehmen Hoffmann-La Roche AG.
Für den adjuvanten Einsatz von Herceptin im Rahmen der Therapie von Patientinnen mit einem primären HER-2/neu-
positiven Mammakarzinom zwecks Senkung des Rezidiv-Risikos liegt bislang keine arzneimittelrechtliche Zulassung
vor. Ob ein solcher Einsatz erfolgversprechend und angesichts der Nebenwirkungen von Herceptin sinnvoll ist, ist
derzeit Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung, ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen, dass
Patientinnen mit einer HER-2-neu Überexpression ein besonders aggressives Brustkrebsleiden mit schnellem
Tumorwachstum aufweisen. Hier soll der Antikörper Trastuzumab den HER-2-Rezeptor blockieren und das
Tumorwachstum bremsen. Derzeit laufen weltweit 4 große, randomisierte Phase III – Studien zu Herceptin® in der
Adjuvanz, nämlich in Amerika die NSABP-B31-Studie und die NCCTG N9831-Studie, ferner die in den USA und in
Europa gemeinsam aufgelegte Studie BCIRG006–Studie sowie die von der Breast International Group (BIG) geleitete
und von der Firma Hoffmann-La Roche AG geförderte HERA-Studie (Herceptin Adjuvant Trial). Alle Studien haben ihre
Patientinnenrekrutierung abgeschlossen und befinden sich in der Nachbeobachtungsphase (Follow Up). Eine erste
Zwischenauswertung dieser Studien ist auf dem Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) Ende
Mai 2005 vorgestellt worden. Die dabei gegebene erste Zwischenanalyse gepoolter Daten der NSABP-B31 – und der
NCCTG-N9831-Studie lautet, dass gegenüber einer alleinigen adjuvanten Chemotherapie die zusätzliche Gabe von
Herceptin und Fortsetzung dieser Behandlung mit Herceptin über ein Jahr hinweg das krankheitsfreie Überleben
signifikant verbessere und auch das Gesamtüberleben deutlich hiervon profitierte. Zu der BCIRG006-Studie – es
handelt sich um eine Arzneimittelzulassungsstudie – veröffentlichte der Hersteller Hoffmann-La Roche am 14.09.2005
eine Pressemitteilung des Inhalts, dass Zwischenauswertungen eine Risikoreduktion des Rezidives im Trastuzumab-
Behandlungsarm von 39 % im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie ohne adjuvante Antikörpergabe ergeben hätten.
Zu der HERA-Studie war auf dem diesjährigen Kongress des ASCO-Meetings die Zwischenauswertung gezogen
worden, nach einem mittleren Beobachtungszeitrum von einem Jahr habe sich eine signifikante Verbesserung des
krankheitsfreien Überlebens nach einjähriger Trastuzumabtherapie im Vergleich zum Kontrollarm ohne
Trastuzumabgabe ergeben, weshalb der Kontrollarm geschlossen und den betroffenen Patienten ebenfalls die Gabe
von Trastuzumab angeboten worden sei. Der Anstieg des geschätzten krankheitsfreien Überlebens unter
Trastuzumabgabe hochgerechnet auf 2 Jahre betrage etwa 8,4 Prozentpunkte. Das Gesamtüberleben der
Patientinnen mit einjähriger Trastuzumabtherapie habe sich allerdings von demjenigen ohne diese Antikörpergabe
nicht unterschieden. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie hat zwischenzeitlich in einer
Stellungnahme vom 21.06.2005 (abrufbar unter www.dgho.de) den Einsatz von Herceptin bei Patientinnen mit HER-2-
Überexpression auch in der adjuvanten Situation empfohlen. Auch die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische
Onkologie (AGO) der Deutschen Krebsgesellschaft hat eine Behandlungsempfehlung vom 19.07.2005 zur adjuvanten
Gabe von Trastuzumab in das Internet eingestellt (abrufbar unter www.ago-online.de) Die NCCN, ein
Zusammenschluss 19 führender Krebsversorgungszentren in den USA, hat ebenfalls über Internet eine Empfehlung
zur adjuvaten Chemotherapie beim Mammakarzinom publiziert, die in Umsetzung der Zwischenauswertungen aus den
beiden US-Amerikanischen Untersuchen eine Empfehlung für die Gabe von Trastuzumab einschließt. Das
amerikanische National Cancer Institut weist in seinen im Internet gegebenen Therapieempfehlungen zum Breast
Cancer (abrufbar unter www.cancer.gov) auf die publizierten Zwischenauswertungen der beiden amerikanischen
Studien und der HERA-Studie hin. Die Pharmafirma Hoffmann–La Roche AG teilt als Hersteller von Herceptin® mit,
dass sie voraussichtlich Anfang 2006 auf Grundlage der Daten der Zwischenauswertung der HERA-Studie einen
Zulassungserweiterungsantrag für das Trastuzumabpräparat bei der europäischen Arzeneimittelbehörde (EMEA)
einreichen werde. Auch die Firma Genetech plant eigenen Angaben zufolge, in den USA einen Antrag auf die
Zulassung von Trastuzumab zur adjuvanten Behandlung beim Mammakarzinom bei der amerikanischen
Arzneimittelbehörde zu stellen.
Für die Antragstellerin beantragte die Stationsärztin Dr. L. der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der G.-
Universität mit Arztbrief vom 20.09.2005 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Herceptinmonotherapie
der Antragsstellerin unter Hinweise auf die Behandlungsempfehlung der interdisziplinären Tumorkonferenz und auf ein
erhöhtes Risiko für den Eintritt eines weiteren Rezidives bei der Antragsstellerin. Die voraussichtlich entstehenden
Kosten für diese Behandlung wurden mit zunächst 3.500,- Euro und für weitere ein Jahr andauernde Infusionen im
Abstand von 3 Wochen pro Einzelgabe mit 2.633,- Euro beziffert. Die Antragsgegnerin ließ vom medizinischen Dienst
der Krankenversicherung (MDK) ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage erstellen. In diesem führte die
Ärztin Dr. E. unter dem Datum vom 23.09.2005 aus, abgeschlossene und vollständig publizierte Phase III-Studien
über die Wirksamkeit von Herceptin in der adjuvanten Behandlung des Mammakarzinoms lägen bisher nicht vor. Die
bisher vorgelegten Kongressbeiträge und - Vorträge - ließen viele Fragen bei der Auswertung der Studien
unbeantwortet. Zum jetzigen Zeitpunkt sei eine eindeutige Überlegenheit einer adjuvanten Behandlung mit Herceptin
im Vergleich zu den etablierten Standardschematas, insbesondere in Bezug auf das Gesamtüberleben, nicht belegt.
Auch seien die Nebenwirkungen (z. B. die kardiale Toxizität) noch nicht klar beurteilbar. Auch unter Auswertung der
Stellungnahme des Kompetenz Centrums Onkologie des MDK Nordrhein lasse sich eine sozialmedizinische
Empfehlung für die beantragte Indikation zum jetzigen Zeitpunkt nicht geben. Für die Fallkonstellation, wie sie bei der
Antragstellerin vorliege, gäbe es zu dem keine Studie zum Einsatz von Herceptin. Die weitere Behandlung der
Antragsstellerin könne mittels der etablierten adjuvanten Polychemotherapien nach dem CMF- oder einem
anthrazyklinhaltigen Protokoll erfolgen.
Hierauf teilte die Antragsgegnerin der Antragsstellerin am 27.09.2005 mit, dass dem Antrag auf Übernahme der
Kosten für eine Behandlung mittels einer Herceptinmonotherapie nicht entsprochen werde. Die Antragsstellerin erhob
Widerspruch und reichte folgende weitere Unterlagen zur Begründung ein: Arztbrief und Stellungnahme der
interdisziplinären Brustklinik der G.-Universität vom 27.09.2005, unterzeichnet von der Ärztin Dr. S., den Arztbrief des
S. Institutes für Pathologie vom 30.08.2005 über das Ergebnis der immunhistochemischen Rezeptorenbestimmung
sowie einen weiteren Arztbrief mit Stellungnahme aus der Brustklinik des Klinikums der G.-Universität vom
31.10.2005, unterzeichnet von dem Oberarzt Dr. M. unter Hinweis auf und Vorlage der Stellungnahme der DGHO vom
21.06.2005 sowie eines Artikels aus der Zeitschrift Medizinaspekte über die Beteiligung der Frauenklinik am
Universitätsklinikum E. an weltweiten Herceptin-Studien, in dem es u. a. heißt, der künstliche Eiweiß-Wirkstoff
Herceptin könne ungefähr jeder vierten Patientin helfen, deren Tumor eine Überexpression des HER-2-Rezeptors
ausweise. In der Stellungnahme der Brustklinik vom 31.10.2005 wird ausgeführt, bei der Antragsstellerin handle es
sich um eine Situation, die den Konstellationen der Studien zur Anwendung von Herceptin in der adjuvanten Situation
vergleichbar sei. Das bei der Antragsstellerin aufgetretene Lokalrezidiv mit einem deutlich erhöhten Risiko für eine
weitere Progression der Erkrankung sei deshalb ebenfalls unbedingt mit Herceptin zu behandeln. Die Antragsgegnerin
legte diese Unterlagen erneut dem MDK vor, für den Dr. R. in ihrem weiteren sozialmedizinischen Gutachten nach
Aktenlage vom 31.10.2005 unter Beifügung der aktualisierten Version der 47-seitigen Stellungnahme des Kompetenz
Centrums Onkologie des MDK, Stand 28.10.2005, folgendes ausführte: Die Ergebnisse der vorliegenden aktuellen
Phase III-Studien zur klinischen Wirksamkeit von Herceptin bezögen sich ausschließlich auf das primäre
Mammakarzinom. Bei der Antragsstellerin liege hingegen eine andere klinische Situation vor, nämlich ein
Mammakarzinomrezidiv mit HER-2-neu-positiven Rezeptor, welches mittlerweile kurativ entfernt worden sei. Wegen
dieser unterschiedlichen Erkrankungssituation greife auch keine der mittlerweile in der Stellungnahme des Kompetenz
Centrums Onkologie der MDK-Gemeinschaft benannten Fallgruppen, bei denen in Auswertung der vorliegenden
vorläufigen Studienergebnisse einer adjuvante Gabe von Herceptin empfohlen werde. Die eigene aktuelle
Literaturrecherche bezüglich der Wirksamkeit von Herceptin in der bei der Antragsstellerin vorliegenden klinischen
Situation sei erfolglos geblieben. Somit könne auch nach erneuter Überprüfung des Sachverhaltes die beantragte
Herceptintherapie aus sozialmedizinischer Sicht nicht empfohlen werden.
Die Antragsgegnerin hat der Antragsstellerin mitgeteilt, dass der Vorgang zur abschließenden Entscheidung dem
Widerspruchsausschuss vorgelegt werde. Eine Widerspruchsentscheidung ist bislang nicht ergangen.
Die Antragsstellerin hat am 24.11.2005 beim Sozialgericht Frankfurt am Main den Erlass einer einstweiligen
Anordnung beantragt und folgende weitere medizinische Unterlagen vorgelegt:
• Entlassungsbericht der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der G.-Universität vom 20.09.2005,
• Bericht des S. Instituts für Pathologie vom 09.09.2005,
• Arztbrief des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der G.-Universität vom 29.08.2005.
Die Antragsstellerin trägt vor, sie benötige das Medikament Herceptin sehr dringend, da bei ihr vor zwei Wochen im
Rahmen einer Ultraschalluntersuchung ein neuer Knoten an der von dem Karzinom betroffenen Brustseite festgestellt
worden sei. Auch sei ihr ärztlicherseits empfohlen worden, Herceptin möglichst direkt im zeitlichen Anschluss an die
letzte Brustoperation einzunehmen. Auch bestehe bei ihr eindeutig ein erhöhtes Risiko, ein weiteres Rezidiv der
Grunderkrankung zu erleiden. Diese Risikolage könne nach den vorliegenden Studienergebnissen mit Herceptin
positiv beeinflusst werden. Bei der rechtlichen Würdigung sei zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht
in seinem jüngsten Beschluss vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) unter Rückgriff auf die Grundrechte aus Artikel 2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und Artikel 2 Abs. 2 GG vorgegeben habe, dass bei
lebensbedrohlichen Erkrankungen eine besondere Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe, die
auch Behandlungen einschließe, deren Wirksamkeit nicht eindeutig erwiesen sei.
Die Antragsstellerin beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr das
Arzneimittel Herceptin im Rahmen der ärztlichen Verordnung zur Verfügung zu stellen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung scheitere bereits am Nichtvorliegen eines
Anordnungsanspruches. In der Hauptsache bestehe für die Antragsstellerin keine überwiegende Aussicht auf Erfolg.
Bei der beantragten adjuvanten Trastuzumabtherapie handle es sich bezogen auf die bei der Antragsstellerin
vorliegende Erkrankung des rezidivierenden Mammakarzinoms um eine experimentelle Therapie, die grundsätzlich
nicht verordnungsfähig sei. Auch die vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R –
aufgestellten Grundsätze für die Ausdehnung des Anwendungsbereiches eines zugelassenen Arzneimittels auf
weitere Indikationen (sogenannter Off-Label-Use) lägen nicht vor. Nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten
gutachterlichen Stellungnahmen der Frau Dr. R. vom MDK sei eine Wirksamkeit von Herceptin für die bei der
Antragstellerin bestehende Erkrankungssituation nicht nachgewiesen. Aufgrund der gegeben Datenlage bestehe
keinesfalls die begründete Aussicht, dass mit dem streitgegenständlichen Präparat ein Behandlungserfolg erzielt
werden könne. Weiter sei zu berücksichtigen, dass derzeit ungewiss sei, in welchem Maße die beanspruchte Therapie
insbesondere im Hinblick auf Kardio- und Spättoxizität zu Folgeschäden führe, für die dann eine Gefährdungshaftung
des Herstellers nach dem Arzneimittelgesetz nicht bestehe. Dementsprechend sei die Antragsstellerin auf die in dem
Gutachten des MDK vom 23.09.2005 angeführten etablierten adjuvanten Polychemotherapien zu verweisen. In
Betracht zu ziehen sei auch, dass die Antragsstellerin, die derzeit Krankengeld beziehe, die von ihr gewünschte
Behandlung mit Herceptin® zumindest eine zeitlang aus eigenen Mitteln finanzieren könne oder eine Leistungspflicht
des Sozialhilfeträgers in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der in Kopie
vorliegenden Verwaltungsverfahrensakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet. Die Antragsstellerin hat einen Anspruch auf vorläufige Gewährung der
umstrittenen Behandlung mit Herceptin.
Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des
bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes (Anordnungsanspruch) des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund; Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung
eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier in Betracht kommende Regelungsanordnung
(Satz 2) ist zu bejahen, weil sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht
worden sind (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der Notwendigkeit eines baldigen Beginnes der streitgegenständlichen Therapie,
die der Antragsstellerin ihren unwidersprochen gebliebenen Angaben zufolge ärztlicherseits im baldigen Anschluss an
die durchgeführte Mammaablatio angeraten worden ist. Dass bei der Klägerin, die bereits von einem Rezidiv der im
September 2001 erst diagnostizierten, Mammakarzinomerkrankung betroffen ist, ein deutlich gesteigertes Risiko für
ein Fortschreiten der Erkrankung besteht, ergibt sich für das Gericht aus den vorgelegten Arztbriefen und
Stellungnahmen vom 31.10.2005 sowie 20.09.2005 der behandelnden Ärzte aus der Klinik für Gynäkologie und
Geburtshilfe des Klinikums der G.-Universität. Des Weiteren zeigen die Zwischenergebnisse der zur adjuvanten
Therapie des Mammakarzinoms mit Trastuzumab erstellten Studien, dass sowohl nach der Anlage der Studien als
auch nach den vorläufigen Ergebnissen das zugrunde gelegte Behandlungskonzept nur bei einem baldigen Beginn der
Herceptin- Therapie Erfolg verspricht. Dementsprechend kann es der Antragsstellerin nicht zugemutet werden, den
Ausgang des Hauptsacheverfahrens oder gar das Vorliegen gesicherter Erkenntnisse zum adjuvanten
Anwendungsbereich von Herceptin nach vollständiger Auswertung der Studien abzuwarten. Entgegen der
Antragsgegnerin kann die Antragsstellerin auch nicht darauf verwiesen werden, die streitgegenständliche Behandlung
mit Herceptin zumindest für eine gewisse Zeit aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Dem steht bereits ihr niedriger
Krankengeldbezug von derzeit täglich 15,87 Euro entgegen. Auch bei einem Einsatz des Einkommens des Ehegatten
von täglich 47,59 Euro an Arbeitslosengeld vermag sie bei weitem nicht die Kosten zu decken, welche durch eine
Beschaffung von Herceptin anfallen. Schon die in dem Gutachten des Kompetenz Centrums Onkologie im Rahmen
von gesundheitsökonomischen Überlegungen benannten Beschaffungskosten für eine einjährige Therapie von
schätzungsweise ca. 27.800 Euro bei einer Patientin mit einem Gewicht vom weniger als 50 Kilogramm und von ca.
41.300 Euro für eine Patientin mit einem höheren Gewicht bis 75 Kilogramm machen deutlich, dass die
Antragsstellerin eine Eigenfinanzierung ohne Gefährdung ihres eigenen Lebensunterhaltens nicht aufzubringen
vermag.
Auch ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht worden. Ein solcher besteht in der Regel dann, wenn eine
summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens ergibt, dass ein Anspruch
eines Antragsstellers auf die beantragte Therapie besteht. Jedoch kann nicht in allen Fällen eine derartig positive
Prognose der Erfolgsaussichten verlangt werden. Das in Artikel 19 Abs. 4 GG gewährte Grundrecht auf lückenlosen
gerichtlichen Rechtsschutz gegen geltend gemachte rechtswidrige Eingriffe der öffentlichen Gewalt in Rechte des
Bürgers gebietet es nach ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Vornamesachen jedenfalls
dann vorläufigen Rechtschutz zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage
wäre. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen liegen, die mit der Versagung des vorläufigen Rechtschutzes
verbunden sind, um so weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend
gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden (vgl. die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes vom
22.11.2002, NJW 2003, S.1236 f. und vom 19.03.2004, NJW 2004, S. 310).
Die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsachebegehrens der Antragsstellerin ergibt, dass diese
zumindest offen, eher positiv sind. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetz –
Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ist eine Krankenkasse zur Versorgung des bei ihr versicherten Mitglieds
mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Behandlungs- und
Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V ergebenden
Einschränkungen. Er umfasst hiernach nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren
Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Der
Gesichtpunkt der Gewährleistung optimaler Arzneimittelsicherheit gebietet es aber, dass Qualität, Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit, also die Einhaltung der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards in einem dafür vorgesehenen
Verfahren nachgewiesen worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 18.05.2004 - B 1 KR 21/02 R -, SGb 2004, S. 415). Das
hier in Rede stehende Medikament Herceptin ist in der Bundesrepublik Deutschland arzneimittelrechtlich nur zur
Behandlung eines metastasierenden Mammakarzinoms zugelassen, nicht jedoch für eine adjuvante Therapie bei
Brustkrebspatientinnen. Eine solche Zulassung besteht auch ansonsten nicht in Europa. Zwar umfasst ein Anspruch
auf Krankenbehandlung grundsätzlich nicht die Verordnung von nicht zugelassenen Arzneimitteln. Dies gilt jedoch
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes nicht uneingeschränkt. Das Bundessozialgericht hat in seinem
Urteil vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 ff.) Kriterien für eine in der vertragsärztlichen Versorgung
mögliche zulassungsüberschreitende Anwendung eines Medikaments (Off-Label-Use) entwickelt. Danach kommt ein
zulassungsüberschreitender Einsatz von Arzneimitteln dann in Betracht, wenn eine schwerwiegende Erkrankung
vorliegt, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit
dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg – kurativ oder palliativ - erzielt werden kann.
Bei der Brustkrebserkrankung der Antragstellerin handelt es sich offensichtlich um eine schwerwiegende Erkrankung.
Die besondere Aggressivität des im September 2001 erstdiagnostizierten Primärtumors mit einem damaligen Ausmaß
von mehr als 2 cm zeigt sich insbesondere in dem Umstand, dass trotz präoperativer 6 Zyklen umfassenden
Chemotherapie mit einem taxanhaltigen Protokoll, nachfolgender brusterhaltender Tumorentfernungsoperation mit
Ausräumung der Lymphknoten aus den Achselhöhlen, nachfolgender Bestrahlung und nachfolgender Hormontherapie
mit Tamoxifen im August 2005 ein Rezidiv des Mammakarzinoms an der vorbehandelnden rechten Brust aufgetreten
ist. Dieses erneute Tumorwachstum ist von den behandelnden Ärzten der Brustklinik der G.-Universität F.
nachvollziehbar als eine deutlich gesteigerte Risikosituation eingestuft worden, womit zum Ausdruck gebracht wird,
dass auch die Situation nach Entfernung der erneut tumorbefallenen rechtsseitigen Brust im Hinblick auf ein zu
befürchtendes weiter fortschreitendes Tumorwachstum ungünstig ist. Aus den ausführlichen Stellungnahmen der
behandelnden Ärzte ergibt sich weiter, dass andere Therapiemöglichkeiten zur Verringerung des Rezidivrisikos als die
empfohlene Herceptin-Monotherapie nicht bestehen. Eine weitere Verabreichung des bis zum Tumorrezedivs
eingenommenen antiöstrogen wirkenden Medikaments Tamoxifen ist nicht aussichtsreich und dementsprechend auch
von der interdisziplinären Tumorkonferenz der Brustklinik der G.-Universität nicht empfohlen worden. Nach den
Wechseljahren gilt Tamoxifen als endokrine Therapie der ersten Wahl. Schreitet die Erkrankung indessen unter
Tamoxifen erneut fort, ist eine weitere endokrine Behandlung mit einem anderen zytostatischen Antiöstrogen
angezeigt. In Betracht kommt ein Arotamasehemmer, der in nicht–ovariellen Geweben die Umwandlung von
Androgenen in Östrogene vermindert, dem Hauptsyntheseweg von Östrogenen nach den Wechseljahren. Auf diesen
Wirkungsmechanismus zielt die von der Interdisziplinären Tumorkonferenz empfohlene Einnahme von Arimidex,
einem Arotamasehemmer ab. Dessen Anwendung verspricht jedoch nur sehr eingeschränkten Erfolg, da ausweislich
des Ergebnisses der immunhistochemischen Rezeptorenbestimmung nur ca. 70% der Tumorzellen positiv für den
Östrogenrezeptor sind, weshalb in dem pathologischen Bericht auch von einer mäßiggradigen Positivität gesprochen
wird. Auch die im Falles eines Fortschreitens des Karzinoms unter Arotamasehemmer generell in Betracht kommende
hochdosierte Gabe von Gestagenen verspricht im Falle der Klägerin keine Erfolgsaussicht. Die pathologische Analyse
weist insoweit keine Expression der Tumorzellen für den Progesteronrezeptor aus. Die in dem MDK-Gutachten der
Frau Dr. E. vom 23.09.2005 als adjuvante Behandlungsform benannte Polychemotherapie nach dem CMF-Protokoll
oder einem anthrazyklinhaltigen Chemotherapieschema ist nicht Bestandteil der Behandlungsempfehlung der
Brustklinik der G.-Universität für die Klägerin. Dies ist nachvollziehbar, da ein Rückgriff auf diese Chemotherapien für
ältere Frauen als frühe Behandlung in Hinblick auf ein zu erwartendes, aber noch nicht eingetretenes Rezidiv,
Nachteile bringt. Im Falle eines dann doch auftretenden Tumorrezidivs kann auf diese Zytostatikabehandlugen nicht
mehr mit Aussicht auf Erfolg zurückgegriffen werden. Im Falle der Klägerin kommt hinzu, dass die im Jahre 2001
durchgeführte Chemotherapie mit 6 mal TAC-präoperativ Taxan enthielt, das als Reserveterapheutika bei
fortgeschrittenem und vorbehandeltem Ovarial- und Brustkrebs in Kombination mit anderen Zytostatika dient. Es
handelt sich um eine sehr toxische Substanz. Ein erneuter Rückgriff auf ein taxanhaltiges Chemotherapieprotokoll
erscheint in einem Stadium, in dem ein erneutes Tumorrezidiv zu befürchten, aber noch nicht eingetreten ist, nicht
sinnvoll, wovon offensichtlich auch die interdisziplinäre Tumorkonferenz in ihrer Behandlungsempfehlung
ausgegangen ist.
Angesichts des bereits eingetretenen Rezidivs und der gesteigerten Gefahr für ein weiteres Tumorwachstum auch
nach vollständiger Ablatio der rechten Mamma, kann die Antragsstellerin nicht darauf verwiesen werden, sie möge bis
zum befürchtetem erneuten Rezidiveintritt zuwarten. Vielmehr hat sie unter dem Gesichtspunkt, dass zu einer
Krankenbehandlung auch ein Behandlungsregime zählt, das einem Tumorfortschreiten vorbeugen soll, Anspruch auf
eine sogenannte adjuvante Behandlungsweise, bei der die begründete Aussicht besteht, einen erneuten Tumorbefall
zu verhindern oder zumindest zeitlich hinaus zu schieben. Dass bei einer Behandlung mit Herceptin eine Aussicht auf
einen so verstandenen Behandlungserfolg besteht, jedenfalls ein solcher nicht mit hinreichender Gewissheit
ausgeschlossen werden kann, ergibt sich für das Gericht aus der Behandlungsempfehlung der interdiziplinären
Tumorkonferenz der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, wie sie in dem Arztbrief vom 20.09.2005 niedergelegt
worden ist.
Die gegebene Therapieempfehlung geht ersichtlich von der Prämisse aus, dass der Einsatz von Herceptin bei
Patientinnen mit einer HER-2-neu Überexpression auch außerhalb des bislang arzneimittelrechtlich anerkannten
Einsatzbereiches eines metastasierendem Mammakarzinoms bei kurativ behandelten Patientinnen mit einem
besonderen Risikoprofil für ein erneutes oder weiteres Tumorwachstum geeignet ist, ein Fortschreiten der
Grunderkrankung zumindest zeitlich hinauszuzögern oder diesem nachhaltig entgegenzuwirken. Diese Einschätzung
stützt sich auf die derzeit vorliegenden Interimsanalysen der beiden amerikanischen Phase III-Studien, der weiteren in
den USA und Europa durchgeführten Studie der Breast Cancer Inernational Reserch Group sowie der so genannten
HERA-Studie. Dementsprechend haben die Ärzte der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Klinikums der G.-
Universität in ihren für die Antragsstellerin gemachten Eingaben auf die Stellungnahme der DGHO zur adjuvanten
Anwendung von Herceptin beim Mammakarzinom und auf den vorgelegten Artikel aus Medizin Aspekte zu den
weltweiten Herceptin-Studien verwiesen. Das erkennende Gericht geht ebenso wie das Hessische Landessozialgericht
in seinem Beschluss vom 27.10.2005 (L 8 KR 190/05 ER), das Sozialgericht Heilbronn in dessen Beschluss vom
14.09.2005 (S 9 KR 2432/05 ER) sowie das Sozialgericht Bayreuth in dessen Beschluss vom 26.09.2005 (S 9 KR
284/05 ER) davon aus, dass die bisher vorliegenden Zwischenergebnisse über den Einsatz von Herceptin im Rahmen
einer adjuvanten Behandlung die Einschätzung rechtfertigen, Herceptin sei geeignet, sowohl die Rezidivrate als auch
das Mortalitätsrisiko deutlich zu senken. Dementsprechend haben auch die ärztlichen Fachgesellschaften, nämlich
die DGHO, die AGO und NCCN sich für die adjuvante Therapie mit Herceptin im Falle von Brustkrebspatientinnen mit
einer Überexpression des HER-2-Rezeptors auf der Zellmembran von Tumorzellen ausgesprochen. Auch das
Kompetenz Centrum Onkologie des MDK hat den bisher bekannt gemachten vorläufigen Studienergebnissen insoweit
Rechnung getragen, als es Konstellationen benannt hat, für die die adjuvante Gabe von Herceptin empfohlen wird.
Inwieweit diese Empfehlung dem bisherigen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisstand hinreichend Rechnung tragen,
kann im einstweiligen Rechtschutzverfahren keiner Erklärung zugeführt werden.
Das Gericht verkennt nicht, dass bei der Klägerin insoweit ein Sonderfall besteht, als bei ihr, anders als in den
vorliegenden neuen Herceptin-Studien, nicht die Erstbehandlung eines neu diagnostizierten Mammakarzinoms mittels
Chemotherapie und adjuvanter Gabe von Herceptin in Rede steht. Die Antragsstellerin hat nämlich bereits eine
umfassende Behandlung ihres im September 2001 erstdiagnostiziertem rechtzeitigen Mammakarzinoms erfahren.
Diese Behandlungen konnten das Auftreten eines Rezidivs im Sommer 2005 nicht verhindern. Das Rezidiv ist zwar
mittels Ablatio der erneut befallenen Brustdrüse behandelt worden. Auch wenn es sich bei dem Rezidiv um ein
sogenanntes Lokalrezidiv, also ohne Mitbeteiligung anderer Organe und ohne Metastasierung, handelt, besteht bei der
Antragsstellerin eine massive und lebensbedrohende Gefahr für ein Fortschreiten des Tumorprozesses. Dies hat
insbesondere nochmals der Oberarzt Dr. M. der Brustklinik der G.-Universität in seinem Arztbrief vom 31.10.2005
zum Ausdruck gebracht. Er hat für das Gericht nachvollziehbar ausgeführt, angesichts des aufgetretenen
Lokalrezidivs bestehe ein deutlich erhöhtes Risiko für eine weitere Progression der Erkrankung. Deshalb sehe er die
Notwendigkeit für eine unbedingte Behandlung der Klägerin mit Herceptin. Aus den weiteren Stellungnahmen und
Berichten aus der Brustklinik geht weiter hervor, dass Rezidive von behandelnden Mammakarzinomen in der Form
von Lokalrezidiven eher seltene Krankheitsverläufe sind, was jedoch nicht besagt, dass ihr Gefährdungspotenzial
niedriger liegt. Wegen dieser relativ seltenen Erkrankungskonstellation ist, wie die Ärztin Frau Dr. S. in ihren Arztbrief
vom 27.09.2005 mitgeteilt hat, auch für die Zukunft nicht damit zu rechnen, dass es auf solche Patientinnen mit
Überexpression des Tumors auf den HER-2-Neurezeptor ausgerichtete Studien zur Erfolgsaussicht einer Behandlung
mittels adjuvanter postoperativer Herceptingabe geben werde. Damit liegt eine Situation vor, bei der auch in Zukunft
mit dem Vorliegen vom Studien oder veröffentlichten Forschungsergebnissen zum adjuvanten Einsatz von Herceptin
bei der Krankheitssituation, in der sich die Klägerin derzeit befindet, nicht zu rechnen ist. Nach den vom
Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 19.03.2002 für den zulässigen Off-Label-Use aufgestellten Kriterien wäre
damit die verlangte hohe Evidenzstufe nicht erreichbar. Ein solches Ergebnis ist jedoch nach dem jüngsten
Beschluss des 1 Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 von Verfassungswegen nicht
hinzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass es einer besonderen
Rechtfertigung vor Artikel 2 Abs. 1 GG i.V. m. dem Sozialstaatsprinzip bedürfe, wenn einem Versicherten Leistungen
für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung
durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten würden.
Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechtes der gesetzlichen Krankenversicherung
und seiner fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung im Einzelfall seien darüber hinaus auch die Grundrechte auf
Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Gestaltung des Leistungsrechtes der
gesetzlichen Krankenversicherung habe sich an der objektiv- rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich
schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Dies gelte insbesondere in
Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Denn das Leben
stelle einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung dar. Behördliche und gerichtliche Verfahren müssen
dieser Bedeutung und der im Grundrecht auf Leben enthaltenden grundlegenden objektiven Wertentscheidung gerecht
werden und sie bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechtes
berücksichtigen. Aus diesen Gesichtspunkten hat das Bundesverfassungsgericht hergeleitet, dass eine
Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für Behandlungsmethoden – im entschiedenen Fall ging es um die
Anwendung der Bioresonanztherapie bei Duchenne´scher Muskeldystrophie -, die nicht dem allgemein anerkannten
medizinischen Standard entsprechen und die sich als Behandlungsmethode auch nicht in der medizinischen Praxis
durchgesetzt hätten, nicht mit der Begründung verneint werden könne, deren Wirksamkeit sei nicht hinreichend
nachgewiesen. In solchen Fällen müsse auch auf einem niedrigeren Evidenzniveau der Nachweis der Wirksamkeit der
strittigen Behandlungsform geführt werden können. Dabei müsse allerdings die vom Versicherten gewählte andere
Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf
eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Bedeutsam sei insoweit insbesondere auch
die fachliche Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten.
Hinweise auf die Eignung der im Streit befindlichen Behandlung könnten sich auch aus der wissenschaftlichen
Diskussion ergeben.
Auch wenn die dem Senatsbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.12.2005 zugrunde liegende
Fallkonstellation nicht deckungsgleich ist mit der hier zur Entscheidung anstehenden, sind dieser ganz aktuellen
Verfassungsgerichtsentscheidung doch aus den zitierten Grundrechten hergeleitete Vorgaben für die Auslegung und
Anwendung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V zu entnehmen, die eine Ausweitung der bislang vom
Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien für einen zulässigen Off-Label-Use nahelegen. Auch für den Nachweis
einer Wirksamkeit von Arzneimitteln, die außerhalb der Indikationslage, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz
zugelassen worden sind, eingesetzt werden sollen, muss eine niedrigere Evidenzstufe ausreichen als die vom
Bundessozialgericht verlangte. Es kann nicht mehr allein abgestellt werden auf das Vorhandensein von auf den
jeweiligen Anwendungsbereich bezogener Studien oder veröffentlichter Forschungsergebnissen, aufgrund deren in den
einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen des streitigen Arzneimitteleinsatzes
besteht. Vielmehr kann auch ein Wirksamkeitsnachweis durch ärztliche Erfahrung grundsätzlich ausreichen, sofern
gewährleistet ist, dass das positive Votum für einen Off-Label-Use auf besonders ausgewiesener ärztlicher
Fachkunde beruht.
Auf ein solches Votum kann sich die Antragsstellerin für die von ihr zur Senkung des Rezidivrisikos begehrte
Behandlung mit dem Arzneimittel Herceptin berufen. Die entsprechende Therapieempfehlung stammt von der
interdisziplinären Tumorkonferenz der Brustklinik und Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Klinikums der G.-
Universität F ... Ein diagnostischer und therapeutischer Schwerpunkt dieser Einrichtung bezieht sich auf Brustkrebs
und in diesem Sektor insbesondere auf die Entwicklung innovativer Therapiekonzepte. Der Leiter dieser Fachklinik ist
Prof. Dr. M. K ... Er gehört zu den ständigen Teilnehmern des Konsensus- Panels der Konferenzen in S. G. (vgl. z. B.
seinen Bericht über die Ergebnisse der Konferenz in S. G. von 2003, Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 101, Heft 4
2004, Seite A 190).
Nach alledem war dem Antrag stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.