Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 20.01.2006

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Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 20.01.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 33 AL 296/05
Hessisches Landessozialgericht L 7 AL 54/06
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte im Hinblick auf die zum 1. Januar 2005 in Kraft
getretenen neuen Vorschriften zur Berechnung des Arbeitslosengeldes die ihm bewilligte Leistung gekürzt hat.
Der 1947 geborene Kläger war vom 4. April 1961 bis zum 30. Juni 2004 als Chemiemeister bei der Firma A. Ch.
GmbH, F., beschäftigt. Am 24. Mai 2004 meldete er sich bei der Beklagten zum 1. Juli 2004 arbeitslos. Im Zeitraum
vom 1. Juli 2003 bis zum 30. Juni 2004 hatte er insgesamt 58.350,23 EUR verdient.
Die Beklagte bewilligte ihm antragsgemäß Arbeitslosengeld für 360 Tage ab dem 1.Juli 2004 aus einem
Bemessungsentgelt von wöchentlich 1.113,55 EUR bzw. gerundet 1.115,- EUR (vgl. die Aktenverfügung vom 12. Juli
2004; der Bescheid ist in den Akten nicht enthalten). Daraus errechnete sie ein täglicher Leistungssatz von 59,70
EUR. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Januar 2005, der als Änderungsbescheid bezeichnete war, teilte die
Beklagte dem Kläger mit, er erhalte ab 1. Januar 2005 Leistungen in Höhe von täglich 58,82 EUR. Die Beklagte ging
dabei von einem Bemessungsentgelt von täglich 159,08 EUR aus. Zur Begründung führte sie aus, das
Bemessungsentgelt sei ab dem 1. Januar 2005 von einem wöchentlichen auf einen täglichen Betrag umgestellt
worden. Hierzu sei nicht das bisherige (gerundete), sondern das ungerundete wöchentliche Bemessungsentgelt durch
sieben geteilt worden. Dadurch könnten sich geringfügige Abweichungen gegenüber einem Siebtel des bisherigen
gerundeten Wochenbetrages ergeben. Der Kläger wurde gebeten, ebenfalls die weiteren Änderungen der für die
Leistungsgewährung ab 1. Januar 2005 geltenden Vorschriften namentlich im Hinblick auf die Ermittlung des
Leistungsentgelts zu beachten. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 15 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 22. Januar 2005. Darin rügte er
insbesondere, dass sich angesichts eines von ihm im Zeitraum von Juli 2003 bis Juni 2004 verdienten Bruttogehalts
von insgesamt 58.350,28 EUR [richtig: 58.350,23 EUR] bei einer Division durch 360 ein tägliches Bemessungsentgelt
von 162,08 EUR ergebe. Im Übrigen wird auf Blatt 15f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Die Beklagte änderte im Widerspruchsbescheid vom 9. März 2005 die angefochtene Entscheidung insoweit ab, als die
Bewilligung des Arbeitslosengeldes erst ab 6. Januar 2005 in Höhe von täglich 0,88 EUR aufgehoben wurde. Im
Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück Zur Begründung führte sie aus, nach Überprüfung der Sach-
und Rechtslage könne die Aufhebung nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen, so dass dem Kläger Leistungen bis 5.
Januar 2005 in Höhe des Leistungssatzes von täglich 59,70 EUR, den er im Kalenderjahr 2004 erhalten habe,
zuständen. Ab Zugang des angefochtenen Bescheides führe die Rechtsänderung [ab 1. Januar 2005] jedoch
zwingend zur teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung. Mit Wirkung vom 1. Januar 2005 sei die
Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 geändert worden. Bemessungsentgelt sei nach § 131 Abs. 1 SGB III nicht
mehr das durchschnittlich auf die Woche, sondern das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige
Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Die Umstellung bedinge für Ansprüche, die
vor dem 1. Januar 2005 entstanden seien, keine Neuberechnung des Arbeitsentgelts, sondern das tägliche
Bemessungsentgelt werde durch Teilung des bisherigen wöchentlichen Bemessungsentgelts ermittelt. Hierbei werde
nicht das gerundete, sondern das ungerundete Bemessungsentgelt durch sieben geteilt. Das habe in Einzelfällen zur
Folge, dass ein geringerer Leistungssatz gegenüber dem bis 31. Dezember 2004 gezahlten Betrag sich ergeben
könne. Der Kläger habe am 1. Juli 2004 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben, nachdem er unter anderem
die Anwartschaftszeit nach § 123 SGB III erfüllt habe, und zwar auf der Grundlage eines wöchentlichen
Bemessungsentgelts von ungerundet 1.113,55 EUR. Die Prüfung dieses Bemessungsentgelts ergebe keine
Anhaltspunkte dafür, dass es unrichtig sein könne. Deshalb bleibe die Bemessung des Arbeitslosengeldes
unverändert. Im Falle des Klägers sei deshalb ein Entgelt in Höhe von täglich 159,08 EUR (1.113,55./.7 Tage)
Bemessungsgrundlage für den Anspruch auf Arbeitslosengeld im Kalenderjahr 2005. Grundlage für die tägliche
Berechnung und Leistung des Arbeitslosengeldes sei § 134 SGB III. Sei Arbeitslosengeld für einen vollen
Kalendermonat zu zahlen, sei dieser dabei mit 30 Tagen anzusetzen. Entsprechend der Eintragungen auf der
Steuerkarte (Steuerklasse und ggf. Kinderfreibeträge) bestehe ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem
allgemeinen Leistungssatz (Steuerklasse 3, ohne Kinder) in Höhe von täglich 58,82 EUR (§ 129 SGB III). Hierbei
handele es sich um 60% des Leistungsentgelts von 98,03 EUR, das sich aus dem um die pauschalierten Abzüge
verminderten Bemessungsentgelt von 159,08 EUR ergebe.
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes vorgelegen
hätten, eine wesentliche Änderung eintrete, sei der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die
Zukunft aufzuheben. Die Rechtsänderung zum 1. Januar 2005 führe zwingend zur teilweisen Aufhebung der
Entscheidung über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes. Die Aufhebung könne allerdings nicht rückwirkend,
sondern erst mit Zugang des Änderungsbescheides, der in Anwendung des § 37 Abs. 2 SGB X als am dritten Tag
nach der Aufgabe bei der Post als bekannt gegeben gelte, erfolgen. Der Bescheide datiere vom 2. Januar 2005,
aufgegeben bei der Post am 3. Januar 2005, so dass er dem Kläger als am 6. Januar 2005 bekannt gegeben gelte.
Mithin sei die Entscheidung über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes - abweichend von der angefochtenen
Entscheidung - erst ab 6. Januar 2005 aufzuheben. Ein Ermessensspielraum stehe der Agentur für Arbeit hierbei nicht
zu.
Der Kläger hat am 5. April 2005 Klage zum hiesigen Sozialgericht erhoben, mit der er seine Ansprüche weiter verfolgt.
Er macht geltend, die Kürzung des Arbeitslosengeldanspruches durch die Beklagte sei unberechtigt, da sie von einer
falschen Bemessungsgrundlage ausgegangen sei, nämlich einem Entgelt von täglich 159,08 EUR. Der Kläger selbst
hält ein Bemessungsentgelt von 162,09 EUR täglich für zutreffend. Dies errechnet er aus der Teilung des von ihm
verdienten Entgelts von 58.380,23 EUR [richtig: 58.350,23 EUR] durch 360 Tage.
Der Kläger stellt daher den Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. März 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der zum Kläger
geführten Leistungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und kann den Kläger daher in
seinen Rechten nicht verletzen. Die Absenkung des täglichen Leistungssatzes um 0,88 Euro (nur) für die Zukunft ist
nicht zu beanstanden.
Das Gericht nimmt zunächst gemäß § 132 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug auf die ausführliche und
zutreffende Begründung des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2005, der das Gericht folgt.
Ergänzend ist noch auf Folgendes hinzuweisen:
1. Der Kläger hat seine Klage im Rahmen der mündlichen Verhandlung zutreffend auf eine Anfechtungsklage
beschränkt. Soweit dem schriftsätzlich gestellten Antrag entnommen werden könnte, dass u.U. ein sogar über den
Leistungssatz im Jahre 2004 hinausgehender Anspruch hätte geltend gemacht werden sollen, wäre ein derartiger
Antrag im hiesigen Verfahren unzulässig. Die Beklagte hatte mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid einen
Leistungssatz von täglich 59,70 Euro bewilligt. Dieser Bescheid ist bestandskräftig. Eine Erhöhung des
Leistungssatzes wäre daher nur im Rahmen einer Überprüfung des Ausgangsbescheides nach § 44 SGB X möglich.
Dies hatte der Kläger aber nicht beantragt, die Beklagte über einen derartigen Anspruch nicht entschieden, sondern
mit dem angefochtenen Bescheid nur über Minderung des ursprünglichen Anspruches befunden. Bezüglich einer
Erhöhung des täglichen Leistungssatzes fehlt es daher an einer für ein zulässiges Klageverfahren notwendigen
vorgängigen Verwaltungsentscheidung. Alles, was der Kläger in diesem Verfahren (zulässig) hätte erreichen können,
wäre die die Aufhebung des belastenden Verwaltungsaktes vom 2. Januar 2005.
2. Die Beklagte hat im Rahmen des Widerspruchsbescheides klargestellt, dass es sich bei ihrer Entscheidung um die
(teilweise) Aufhebung der bewilligten Leistung handelt und – zutreffend § 48 Abs. 1 SGB X als Rechtsgrundlage dafür
angegeben. Ob dieser Charakter des angefochtenen Bescheides bereits im ursprünglichen, (bloß) als
"Änderungsbescheid" bezeichneten Verwaltungsakt vom 2. Januar 2005 ausreichend zum Ausdruck kommt, kann
daher offen bleiben. Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung ist die Fassung des Widerspruchsbescheides (§ 95
SGG): Dieser spricht die Teilaufhebung im Verfügungssatz explizit aus.
3. Der angegriffene Bescheid ist formell nicht zu beanstanden; insbesondere bedurfte es der nach § 24 Abs. 1 SGB X
bei belastenden Verwaltungsakten regelmäßig notwendigen Anhörung nicht. Von dieser kann nach § 24 Abs. 2 Nr. 4
SGB X nämlich abgesehen werden, wenn gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden soll. Die
Beklagte hat auf Grund der gesetzlichen Änderungen bei der Leistungsberechnung gegenüber allen Beziehern von
Arbeitslosengeld vergleichbare Verwaltungsakte erlassen müssen, so dass eine vorhergehende Anhörung nach
Auffassung der Kammer entbehrlich war.
4. Auf den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld findet ab 1. Januar 2005 das neue Recht, also die durch das
Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 2848 das so genannte
Hartz-III-Gesetz) zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung eingeführten neuen Berechnungsvorschriften,
Anwendung. Dabei kann offen bleiben, ob sich auch aus den allgemeinen Regeln über das intertemporale Recht, also
aus den Regeln über die Anwendung neuer Vorschriften auf bereits laufende Leistungen, ergeben würde – wofür nach
Auffassung der Kammer viel spricht. Im konkreten Fall folgt die Anwendung der neuen Vorschriften bereits daraus,
dass der Gesetzgeber für einzelne damit verbundene Fragen in § 434j Abs. 5 und 6 SGB III Übergangsvorschriften
vorgesehen hat, die im Ergebnis die Maßgeblichkeit alten Rechts zum Inhalt haben. Im Gegenschluss ergibt sich
daraus, dass im Übrigen neues Recht zu gelten hat.
Der Kläger hat auch aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen Anspruch auf Weiteranwendung des alten Rechts,
auch wenn mit der Anwendung der neuen Vorschriften Nachteile für ihn verbunden sind. Ein entsprechender Anspruch
ergibt sich vor allem nicht aus dem Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Grundgesetz – GG) und der damit verbundene
(besondere) Vertrauensschutz. Es besteht trotz des grundsätzlichen Eigentumsschutzes, der sich für den Anspruch
auf Arbeitslosengeld aus Art. 14 GG ergibt, kein Anspruch eines Arbeitslosengeldbeziehers darauf, sein Recht stets
unverändert in Anspruch nehmen zu können. Aus der dem Gesetzgeber vom Grundgesetz (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG)
eingeräumten Möglichkeit, den Inhalt und die Schranken des Eigentums zu bestimmen, ergibt sich, dass derjenige,
der als Pflichtversicherter der gesetzlichen Sozialversicherung beitritt, nicht von vornherein erwarten kann, dass die
gesetzlichen Vorschriften über die Leistungen unverändert fortbestehen bleiben (hierzu und zum folgenden BVerfG 1.
Senat, Beschluss vom 1. Juli 1981, Az: 1 BvR 874/77, BVerfGE 58, 81 ff.; und das BSG 1. Senat, Urteil vom 23. Juli
1986, Az: 1 RA 31/85, in: BSGE 60, 158/162). Dies gilt namentlich, wenn es sich – wie hier – um einen Fall der so
genannten unechten Rückwirkung handelt, also zwar eine schon bestehende Anwartschaft bzw. ein bereits
bestehender Anspruch verändert wird, die (nachteilige) Regelung aber nur für die Zukunft wirkt (vgl. zu diesem Aspekt
insb. Sozialgericht Berlin vom 9. Juni 2005, Az.: S 60 AL 653/05). Die gesetzliche Sozialversicherung ist eine
Solidargemeinschaft, deren Rechte und Verpflichtungen im Laufe der Zeit vielfältigen Veränderungen unterliegen
können. Wer einer solchen Gemeinschaft beitritt, erwirbt nicht nur die mit diesem System verbunden Chancen,
sondern trägt mit den anderen Versicherten auch ihre Risiken. Eine Unabänderlichkeit der bei Begründung des
Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsverhältnis bestehenden Bedingungen widerspräche daher dem
Sozialversicherungsverhältnis, das auf dem Gedanken der Solidarität und des Ausgleichs beruht. Daher kommt dem
Gesetzgeber für Eingriffe in bestehende Anwartschaften und Leistungsansprüche Gestaltungsfreiheit zu, solange für
den Eingriff legitimierende Gründe mit ausreichendem Gewicht vorliegen. Solche Gründe können namentlich auch bei
Regelungen gegeben sein, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung zu
gewährleisten, zu verbessern oder sie veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen (vgl. BVerfG 1. Senat,
Urteil vom 28. Februar 1980, Az: 1 BvL 17/77, in: BVerfGE 53, 257/293). Die hier maßgebliche Neuregelung dient der
Verwaltungsvereinfachung und damit der Verwaltungseffizienz. Sie soll die Funktionsfähigkeit der Sozialverwaltung
sichern oder jedenfalls erleichtern. Diese Funktionsfähigkeit der Sozialverwaltung stellt einen verfassungsrechtlich
billigenswerten Belang dar, den der Gesetzgeber legitimer Weise bei seinen Entscheidungen berücksichtigen kann.
Dieser Gesichtspunkt trägt Eingriffe in bereits laufende Leistungsansprüche nach Auffassung der Kammer jedenfalls
dann, wenn sie nur für die Zukunft wirken und die finanziellen Auswirkungen sich in engen Grenzen (hier: Minderung
des täglichen Leistungssatzes um weniger als 1/50) hält. Im konkreten Fall kommt hinzu, dass ein entsprechendes
Regelungsmodell auch in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht (§ 47 Abs. 1 S. 7 SGB V) (vgl. zu den obigen
Überlegungen insgesamt auch die Entscheidung des Sozialgerichts Dresden zum Az. S 21 AL 281/05 vom
23.08.2005). Im Ergebnis ist die Fortgeltung des früheren Rechts auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht
zwingend geboten.
5. Es kann offen bleiben, ob im Rahmen des hiesigen Verfahrens die ursprüngliche Berechnung des
Bemessungsentgeltes nochmals geprüft werden kann. Dafür könnte zum einen sprechen, dass bei der Beurteilung, ob
der ursprüngliche Bescheid rechtswidrig geworden ist, ob also eine wesentliche Änderung der rechtlichen oder
tatsächlichen Umstände eingetreten ist und der bewilligte Leistungssatz nunmehr zu hoch ist, alle
Berechnungsfaktoren für die Entscheidung maßgeblich sind. Auch könnte dafür sprechen, dass sich die Beklagte im
Widerspruchsbescheid ausdrücklich darauf berufen hat, es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das
ursprüngliche Bemessungsentgelt unrichtig sein könnte, und damit eine inhaltliche Prüfung vorgenommen hat.
Andererseits ist das Bemessungsentgelt nach der hier einschlägigen Übergangsvorschrift des § 434j Abs. 5 SGB III
ausdrücklich nur dann neu "festzusetzen", wenn dies auf Grund eines Sachverhaltes erforderlich ist, der nach dem
31. Dezember 2004 eingetreten ist. Dies könnte (ausnahmsweise) eine gesetzliche Festschreibung der – regelmäßig
nicht bindenden, da nur der Begründung zugehörigen – Berechnung des Bemessungsentgelts im Ausgangsbescheid
beinhalten. Das kann letztlich auf sich beruhen, da die ursprüngliche Berechnung Fehler nicht erkennen lässt: Zwar
hat die Beklagte der ursprünglichen Berechnung das gesamte in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2004 verdiente
Entgelt und damit einen Bemessungszeitraum zugrunde gelegt, der um Bruchteile über die nach § 130 Abs. 1 SGB III
(in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) maßgeblichen 52 Wochen hinausging. Beschränkte man den
maßgeblichen Zeitraum dagegen auf Entgeltabrechnungszeiträume, die vollständig im Bemessungszeitraum liegen
(und nicht nur in diesen hineinragen), so ergäbe sich ein leicht höheres Bemessungsentgelt, da der Kläger im Juli
2003 leicht unterdurchschnittlich verdient hat. Das Bundessozialgericht hat jedoch in seiner Entscheidung vom 25.
Januar 1996 (Az: 7 RAr 90/94, BSGE 77, 244) das vergleichbare Vorgehen der Beklagten zu der Vorschrift des § 112
Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz, in deren Rahmen sich entsprechende Probleme ergaben, gebilligt. Der Gesetzgeber
hat im Rahmen des SGB III wiederum eine vergleichbar formulierte Vorschrift aufgenommen, so dass davon
auszugehen ist, dass weiterhin auch die in den Bemessungszeitraum "hineinragenden" Zeiten bei der Berechnung zu
berücksichtigen sind (vgl. auch Coseriu/Jakob, in: Nomos-Kommentar zum SGB III, § 130, Rn. 30). Die ursprüngliche
Berechnung des Bemessungsentgelts mit 1.113,55 Euro wöchentlich weist daher keine Fehler auf.
6. Für die Berechnung der Leistung ab 1. Januar 2005 ist das bis dahin maßgebliche Bemessungsentgelt durch 7 zu
teilen und so von einem wöchentlichen Betrag auf einen täglichen Betrag umzustellen.
Wie das bisherige wöchentliche auf das künftige tägliche Bemessungsentgelt umzurechnen ist, ist nur vordergründig
eindeutig. Die von der Beklagten vorgenommene und von der Kammer ebenfalls als rechtmäßig erachtete Division
des bisherigen, für die Woche berechneten Bemessungsentgelts durch 7 ist nämlich nicht die einzig denkbare
Variante für die Ermittlung des Bemessungsentgelts. Nach § 134 SGB III in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung
wird das Arbeitslosengeld für Kalendertage berechnet und geleistet. Ist es für einen vollen Kalendermonat zu zahlen,
ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen, so dass der Anspruchsberechtigte bei einjährigem Bezug im Ergebnis
Arbeitslosengeld (nur) für 360 Tage erhält. Die Gesetzesbegründung zu § 134 SGB III (Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BRatDr 557/03 vom 15.08.2003) nennt lediglich verwaltungspraktische Gründe für die Umstellung:
Werde das Arbeitslosengeld in monatlich stets gleich bleibender Höhe gezahlt, erspare dies verwaltungsaufwendige
monatlich wiederkehrende Bearbeitungsvorgänge, z. B. bei der Berücksichtigung von Abzweigungen und Pfändungen.
Dass eine Leistungskürzung beabsichtigt gewesen wäre, lässt sich der Begründung nicht entnehmen. Wohl vor
diesem Hintergrund hat der Kläger im Rahmen der Klagebegründung aus dem wöchentlichen Bemessungsentgelt
zunächst den Jahresbetrag ermittelt und dann diesen durch 360 geteilt. Ein entsprechendes Ergebnis erzielte man
auch mit dem Internet-Berechnungsprogramm der Beklagten in einer frühen Fassung, wenn man aus dem
Jahreseinkommen des Klägers den Arbeitslosengeld-Anspruch errechnen ließ. Das Programm ist, soweit der Kammer
bekannt ist, allerdings mittlerweile dahingehend geändert worden, dass es bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts
nun nicht mehr mit 360, sondern mit 365 Tagen rechnet. Dem Internet-Rechner kommt aber ohnehin rechtliche
Bedeutung nicht zu, insbesondere ergibt sich daraus auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs keine Bindung der Beklagten, so dass dieser Frage nicht weiter nachzugehen ist.
Die Kammer hält dagegen die Vorgehensweise der Beklagten, also die Teilung des Wochenbetrags durch 7, für
zutreffend, so dass dem Kläger kein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld zusteht. Denn für die Umrechnung des
bisher maßgeblichen Wochenentgelts in Tage gibt es in § 339 SGB III einen gesetzlichen Maßstab: Danach wird für
die Berechnung von Leistungen ein Monat mit 30 Tagen und eine Woche mit 7 Tagen berechnet. Ist demnach – wie
hier – ein wöchentlicher Betrag auf einen täglichen umzurechnen, so ist der Wochenbetrag auf 7 Tage zu verteilen,
wie es hier die Beklagte auch getan hat. Da die Gesetzesänderung insgesamt der Verwaltungsvereinfachung dienen
sollte und alle der Umrechnung zugrunde zu legenden Bemessungsentgelte bei der Beklagten als für die Woche
berechnete Beträge vorliegen, entspricht die Berechnung, wie sie die Beklagte durchgeführt hat, dem
gesetzgeberischen Willen. Anderenfalls wären durchaus auch kompliziertere Neuberechnungen notwendig geworden,
die angesichts der Tatsache, dass der Leistungsanspruch aller aktuellen Leistungsempfänger am 31.12.2004
umzustellen war und des damit verbundenen verwaltungstechnischen Aufwandes vom Gesetzgeber sicher nicht
gewollt war (vgl. so auch SG Aachen, Az.: S 9 AL 52/05 und S 9 AL 44/05, jeweils vom 15 September 2005).
Besonderes Gewicht erhalten diese Überlegungen vor dem Hintergrund der Übergangsvorschrift in § 434j Abs. 5 SGB
III. Diesbezüglich machen nicht nur die gesetzgeberischen Motive für die Gesetzesänderung (vgl. BRatDrs 557/03,
Begründung zu Nr. 249 Abs. 5 - § 434j – Seite 318), sondern auch der Wortlaut der Vorschrift selbst deutlich, dass der
Umstellungsvorgang möglichst einfach gehalten werden sollte: Eine Neuberechnung – das Gesetz spricht sogar von
"Festsetzung" – des Bemessungsentgelts sollte gerade nicht erfolgen, vielmehr – erkennbar – das immer mit einem
wöchentlichen Betrag vorliegende Bemessungsentgelt (möglichst einfach) in einen Tagesbetrag umgerechnet werden.
Dem Kläger gehen hierdurch Leistungsansprüche verloren, denn sein Bemessungsentgelt wurde errechnet auf der
Basis eines Jahres mit 366 Tagen, wie dies jedenfalls 2004 zutreffend war. Für die Berechnungsgrundlage der
Leistungen wird demnach das Jahr durch 366 geteilt, für die Zahlung aber nur wieder mit 360 multipliziert, wodurch
eine Differenz zu Lasten des Klägers entsteht. Der Kläger erhält demnach nicht das volle Äquivalent seines durch
Beitragszahlungen erworbenen und deshalb eigentumsgeschützten (Art. 14 GG) Anspruchs. Die Kammer ist dennoch
nicht von der Verfassungswidrigkeit des Übergangsrechtes überzeugt. Ein Anspruch auf eine unveränderte weitere
Anwendung des alten Rechtes besteht, wie bereits ausgeführt, nicht, ein rückwirkender Eingriff liegt nicht vor. Die
Neuregelung ist sachlich gerechtfertigt durch das mit ihr verbundene Ziel der Vereinfachung der Berechnung des
Arbeitslosengeldes und den damit verbundenen deutlich verminderten Arbeits- und Kostenaufwand bei der Beklagten,
der letztlich den Versicherten wieder zugute kommt (vgl. nochmals SG Aachen, Az.: S 9 AL 52/05 und S 9 AL 44/05,
jeweils vom 15 September 2005). Hinzu kommt, dass sich die Verluste der Betroffenen im Allgemeinen, aber auch
des Klägers im Besonderen in vergleichsweise engen Grenzen halten. Diese sind durch die mit dem Gesetz
verfolgten, legitimen Ziele gedeckt.
7. Aus ähnlichen Gründen hält die Kammer auch die vom Sozialgericht Dresden (in der Entscheidung zum Verfahren
S 21 AL 281/05 vom 23.08.2005) vorgeschlagene Berechnungsweise, nämlich das Bemessungsentgelt taggenau zu
berechnen und dann durch die Zahl der Tage des Bemessungszeitraums, hier also 366, zu teilen, nicht für zutreffend.
Auch diese Vorgehensweise würde es notwendig machen, in jedem Einzelfall zu prüfen, in wie vielen Tagen das
Bemessungsentgelt erzielt worden ist – dies müssen keineswegs notwendig immer 366 sein. Diese Vorgehensweise
wäre mit einem ganz erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden und ist somit zumindest mit dem Zweck des § 434j
Abs. 5 SGB III nach Auffassung der Kammer nicht vereinbar.
8. Hinsichtlich der nach der Errechnung des Bemessungsentgelts vorzunehmenden Berechnungsschritte, die zur
Ermittlung des täglichen Leistungssatzes notwendig sind, hat der Kläger (Rechen )Fehler der Beklagten nicht
vorgetragen, noch sind solche für die Kammer ersichtlich. Weitere Ausführungen zur Berechnung des
Leistungsentgelts und des Leistungssatzes sind daher nicht angezeigt.
Auch die dabei zu berücksichtigenden, den Leistungssatz beeinflussenden Faktoren haben sich zum 1. Januar 2005
verändert. Schon in der Vergangenheit war jeweils zum Jahreswechsel eine Anpassung der Leistungssätze geboten
im Hinblick darauf, dass die bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes eingestellten Abzüge vom Bruttolohn, die bei
Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen (Sozialversicherungsbeiträge und Steuern einschließlich Solidaritätszuschlag)
Veränderungen unterliegen. Diese Anpassungen hat der Gesetzgeber ab dem 1. Januar 2005 pauschaliert (§ 133 SGB
III). Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen sind nicht vorgetragen und für die Kammer nicht
ersichtlich (s. in diesem Sinne auch nochmals Sozialgericht Aachen, Urteil vom 15. September 2005, Az.: S 9 AL
52/05, und ausführlich Sozialgericht Berlin vom 9. Juni 2005, Az.: S 60 AL 653/05).
9. Im Ergebnis ist durch die gesetzliche Neuregelung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten. Die
Beklagte hat die Aufhebung im Widerspruchsbescheid zutreffend auf die Zeit nach der Bekanntgabe des
Änderungsbescheides beschränkt. Eine Abänderung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung, eines
Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, ist auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft
zwingend und ohne Rücksicht auf bei dem Betroffenen vorhandene subjektive Voraussetzungen geboten. Die mit
einer Änderung ab bereits 1. Januar 2005 verbundene Rückwirkung wie sie noch im Ausgangsbescheid vorgesehen
war – hätte dagegen nur bei Vorliegen namentlich der subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X
(i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III) erfolgen können, der insoweit allein in Betracht kam. Dafür war und ist nichts erkennbar.
10. Im Ergebnis ist der Bescheid der Beklagten in der Gestalt, den er durch den Widerspruchsbescheid vom 9. März
2005 gefunden hat, nicht zu beanstanden. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.