Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 29.07.2009

SozG Frankfurt: erlass, gerichtsakte, hauptsache, auflage, notlage, kündigung, gefährdung, zivilprozessordnung, wahrscheinlichkeit, glaubhaftmachung

Sozialgericht Frankfurt
Beschluss vom 29.07.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 20 SO 152/09 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die im März 1959 geborene Antragstellerin ist schwerbehindert und bezog Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB
XII von dem Antragsgegner. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie das Merkzeichen G festgestellt.
Sie ist bei der X. Krankenversicherung AG seit 1990 in den Tarifen EKN1500, EKHT und PVN privat kranken- und
pflegeversichert.
Mit Bescheid vom 7. November 2008 bewilligte der Antragsgegner Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 1.334,73
EUR ab dem 1. Dezember 2008 bis auf weiteres. Neben dem Regelsatz berücksichtigte er hierbei einen Mehrbedarf
wegen kostenaufwändiger Ernährung sowie die Kosten der Unterkunft in Höhe von 579,62 EUR und die Kosten für die
Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 516,34 EUR monatlich als Bedarf der Antragstellerin. Auf Blatt 647 ff.
der Verwaltungsakte des Antragsgegners wird Bezug genommen.
Mit Änderungsbescheid vom 19. Dezember 2008 bewilligte der Antragsgegner lediglich 818,39 EUR monatlich an Hilfe
zum Lebensunterhalt für die Zeit ab 1. Januar 2009. Ohne die umgehende Vorlage eines Angebotes über den für die
Antragsstellerin festgelegten Basistarif durch die X. Krankenversicherung AG könnten zunächst keine
entsprechenden Beiträge bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen zugrunde gelegt werden. Auf Blatt 724 ff.
der Verwaltungsakte des Antragsgegners wird Bezug genommen. Unter dem 14. Januar 2009 erhob der
Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Widerspruch hiergegen.
Unter dem 28. Januar 2009 teilte die X. Krankenversicherung AG der Antragstellerin mit, dass die Prämie zu dem
Basistarif 569,63 EUR monatlich zuzüglich Pflegepflichtversicherung betrage. Dies teilte sie dem Antragsgegner
umgehend mit.
Mit weiterem Änderungsbescheid vom 19. Februar 2009 bewilligte dieser für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31. März
2009 monatliche Leistungen in Höhe von 965,72 EUR sowie für die Zeit vom 1. April 2009 bis 30. September 2009
monatliche Leistungen in Höhe von 940,12 EUR. Hierbei berücksichtigte er einen Betrag in Höhe von 147,33 EUR
monatlich (129,54 EUR Krankenversicherungsbeitrag zuzüglich 17,79 EUR Pflegeversicherungsbeitrag) als Bedarf der
Antragstellerin für ihre private Kranken- und Pflegeversicherung. Auf Blatt 788 ff. der Verwaltungsakte des
Antragsgegners wird Bezug genommen. Auch hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte unter dem 16. März 2009
Widerspruch.
Unter dem 22. Mai 2009 hat der Prozessbevollmächtigte den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung bei dem hiesigen Gericht gestellt. Die Antragstellerin habe Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen
Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung bei der X. Krankenversicherung AG im Basistarif in voller Höhe von
310,52 EUR monatlich. Der insoweit bewilligte Betrag in Höhe von 147,33 EUR monatlich sei nicht deckend. Es
bestehe eine Finanzierungslücke. Die Regelung sei insoweit verfassungswidrig. Im Übrigen stehe die Antragstellerin
ohne Krankenversicherungsschutz da.
Mit Bescheid vom 28. Mai 2009 hat der Antragsteller den Widerspruch vom 16. März 2009 gegen den Bescheid vom
19. Februar 2009 zurückgewiesen. Bei den angerechneten 147,33 EUR handele es sich um die angemessenen
Aufwendungen zur Kranken- und Pflegeversicherung im Sinne von § 32 Abs. 5 SGB XII.
Gemäß dem Bewilligungsbescheid vom 15. Juni 2009 hat die Antragstellerin seit dem 1. Juni 2009 sodann Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II erhalten. Auf Blatt 44 ff. der Gerichtsakte und Blatt 874 ff.
der Verwaltungsakte des Antragsgegners wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der
Antragstellerin seit dem 1. April 2009 Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung bei der X.
Krankenversicherung AG im Basistarif in voller Höhe von zur Zeit 310,52 EUR monatlich zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Er bezieht sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Insbesondere ein
Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Das Versicherungsverhältnis bestehe nach wie vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere auch wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Inhaltes
der vorgebrachten Unterlagen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des
Antragsgegners Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in
Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden
Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragssteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen
Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege
des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt,
der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine
Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr.27, 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder
unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund
grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache
dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist
dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf
einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine
vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer
Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragssteller umfassend
in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte
schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 12. Mai 2005, AZ: 1 BvR 569/05).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m.
§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch
auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu
prüfen (BVerfG a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und
die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen
Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 86b
Rdnr.16c, d, 40).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sind ein Anordnungsanspruch und -grund vorliegend nicht glaubhaft
gemacht.
Betreffend die Zeit ab 1. Juni 2009 ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Personen, die nach dem
SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten gemäß § 21 SGB
XII keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 15. Juni 2009 erhält die
Antragstellerin ab dem 1. Juni 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Hilfe zum
Lebensunterhalt in Gestalt der Übernahme der tatsächlichen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung nach §
32 SGB XII ist damit ausgeschlossen. Das Verfahren betreffend mögliche Ansprüche nach dem SGB II ist für die Zeit
ab 1. Juni 2009 mit Beschluss vom 29. Juli 2009 abgetrennt und an die C. des hiesigen Gerichts verwiesen worden.
Für die verbleibende Zeit ist sodann ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Dies gilt zunächst für den
Zeitraum vor Beantragung des gerichtlichen Eilrechtsschutzes am 22. Mai 2009. Der Erlass einer einstweiligen
Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen,
die eine sofortige Entscheidung erfordert. Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen
wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen. Diese Ausnahmemöglichkeit gilt aber nicht, wenn Leistungen für die
Vergangenheit begehrt werden, weil eine Gefährdung der Existenz rückwirkend nicht möglich ist. Vergangene
Zeiträume sind vorbei und nicht mehr einstweilen regelungsfähig. Eine Regelung im Wege des Eilverfahrens kann an
Situationen in der Vergangenheit nichts mehr verändern. Eine Entscheidung über Leistungen für die Vergangenheit
würde den eigentlichen Anspruch im Wege des Eilverfahrens regeln, was aber grundsätzlich unzulässig ist. Die
Antragstellerin muss für die rückwirkend begehrten Leistungen das gesetzlich vorgesehene Verfahren einhalten. Die
tatsächlichen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung können vor diesem Hintergrund nicht für vergangene
Zeiträume (1. April 2009 bis 21. Mai 2009) zugesprochen werden.
Für die Zeit vom 22. Mai 2009 bis 31. Mai 2009 ist sodann ein Anordnungsgrund ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.
Ein Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, ist nicht gegeben. Mangels Kündigung durch die X.
Krankenversicherung AG bestand in diesem Zeitpunkt weiterhin Krankenversicherungsschutz für die Antragstellerin.
Auch wurde eine Kündigung des Versicherungsverhältnisses nicht angekündigt.
Der Antrag ist im Ergebnis somit insgesamt abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.