Urteil des SozG Duisburg vom 23.08.2010

SozG Duisburg (befristete rente, kläger, rente, versteifende operation, sgg, erwerbsfähigkeit, vorschrift, zeitrente, untersuchung, auslegung)

Sozialgericht Duisburg, S 10 R 285/08
Datum:
23.08.2010
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 10 R 285/08
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte hat 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu
erstatten.
Gründe:
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I.
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Gegenstand des zugrunde liegenden Klageverfahrens war die Gewährung einer Rente
wegen Erwerbsminderung.
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Der am 12.03.1957 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum
Elektroinstallateur und übte zuletzt eine Tätigkeit bei den Technischen Werken in
Emmerich in der Wartung und Reparatur der elektrischen Anlagen aus. Seit dem
20.04.2008 war er arbeitsunfähig erkrankt. Er beantragte am 28.04.2008 bei der
Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte
veranlasste eine Begutachtung durch den Chirurgen Dr. T., die aufgrund einer
Untersuchung vom 04.06.2008 durchgeführt wurde. Dr. T. diagnostizierte ein
chronisches Schmerzsyndrom bei Zustand nach 1998 durchgeführter
Bandscheibenoperation im Segment L4 / L5 und kam zu dem Ergebnis, der Kläger
könne einer Tätigkeit im Beruf des Elektroinstallateurs nur noch 3 Stunden bis unter 6
Stunden und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichten Arbeiten
überwiegend im Sitzen 6 Stunden täglich nachgehen. Die Beklagte lehnte unter
Zugrundelegung dieser sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung die Gewährung einer
Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 26.06.2008 ab und führte zur
Begründung aus, es liege weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung vor,
weil der Kläger gesundheitlich noch in der Lage sei, eine zumutbare
Verweisungstätigkeit als Kabelformer in der Automobilindustrie im zeitlichen Umfang
von mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten.
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Der Kläger erhob am 09.07.2008 Widerspruch und trug zur Begründung vor, er könne
nur noch unter drei Stunden täglich eine Arbeitsleistung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt erbringen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom
30.09.2008 zurück.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 15.10.2008 Klage und beantragte, die
Beklagte zu verurteilen, ihm ab Antragstellung nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung,
hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Nach Einholung eines
psychiatrischen Gutachtens des Dr. G. aufgrund einer Untersuchung vom 26.08.2009
und eines orthopädisch-schmerzmedizinischen Gutachtens des Dr. A. nach einer
Untersuchung vom 10.12.2009 erkannte die Beklagte mit Vergleichsangebot vom
28.05.2010 eine am 28.04.2008 eingetretene volle Erwerbsminderung auf Zeit und
einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.11.2008 bis
zum 31.10.2011 an. Gleichzeitig erklärte sie sich bereit, zwei Drittel der
außergerichtlichen Kosten des Klägers zu übernehmen. Anschließend einigten sich die
Beteiligten, dass eine gerichtliche Kostenentscheidung getroffen werden solle.
Daraufhin nahm der Kläger das Vergleichsangebot an und die Klage zurück und
beantragte,
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der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers in vollem Umfang
aufzuerlegen.
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II.
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Für die Kostenerstattungspflicht der Beteiligten war nach § 193 Abs. 1 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zu entscheiden, da das Verfahren durch
eine Klagerücknahme gem. § 102 Satz 2 SGG beendet wurde.
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Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht nach § 193 Abs. 1 SGG ergeht unter
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen
(Meyer-Ladewig § 193 SGG Rn. 13 m.w.N.). Es sind insbesondere die
Erfolgsaussichten der Klage in dem Sinne zu berücksichtigen, dass es in der Regel
billig ist, dass der Beteiligte die Kosten trägt, der voraussichtlich unterlegen gewesen
wäre (Meyer-Ladewig § 193 SGG Rn. 12 a und 13). Bei teilweisem Erfolg wird in der
Regel eine Quotelung der Kosten entsprechend dem Verhältnis des Obsiegens und
Unterliegens angemessen sein (vgl. Meyer-Ladewig § 193 Rn. 12 a). In die
Entscheidung können auch andere Gesichtspunkte, wie die Veranlassung des
Rechtsstreites, die Verursachung unnötiger Kosten und die Anpassungsbereitschaft an
eine geänderte Sachlage eingehen.
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Unter Heranziehung dieser Grundsätze erscheint es gerechtfertigt, der Beklagten zwei
Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen. Dies ergibt sich daraus,
dass der Kläger nach der Beweissituation zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses
lediglich teilweise erfolgreich gewesen wäre.
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Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme stand dem Kläger lediglich ein
Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, weil der
Sachverständige Dr. A. Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt hat, die zu einer
Besserung des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit des Klägers im
Erwerbsleben führen können. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. A.
kann von Seiten des orthopädischen Fachgebietes durch eine versteifende Operation
und eine Bandscheiben-Endoprothese oder durch minimalinvasive
Behandlungsverfahren eine Beschwerdelinderung herbeigeführt werden. Der
Sachverständige weist zudem darauf hin, dass auch durch den Spontanverlauf eine
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Besserung eintreten könne und dass die Schmerzmedikation geändert werden sollte.
Damit liegt keine Unwahrscheinlichkeit im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI vor,
dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann, so dass die
Erwerbsminderungsrente zu befristen war.
Der Kläger wäre insoweit mit seinem Klagebegehren unterlegen gewesen, als seine
Klage auf die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer gerichtet war. Dies
ergibt sich aus dem in der Klageschrift formulierten Klageantrag. Der Kläger beantragte,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise
wegen teilweiser Erwerbsminderung und weiter hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu
gewähren. Somit ergibt sich aus dem Wortlaut des Antrages keine zeitliche Begrenzung
des geltend gemachten Rentenanspruches.
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Der Antrag kann auch nicht entgegen dem Wortlaut durch Auslegung dahingehend
verstanden werden, dass eine Zeitrente begehrt wurde. Im Rahmen der Auslegung von
Prozesshandlungen ist § 133 BGB entsprechend heranzuziehen (BSG SozR 3-4100 §
104 Nr. 11 m.w.N.). Danach ist nicht an dem Wortlaut der Erklärung zu haften, sondern
der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, der sich nicht nur aus dem
Wortlaut der Erklärung, sondern auch aus den sonstigen Umständen ergeben kann
(BSG SozR 2200 § 205 Nr. 65).
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Dabei war vorliegend zu berücksichtigen, dass der Kläger die Gewährung einer
Erwerbsminderungsrente "ab Antragstellung" beantragte. Lediglich bei einer Rente
wegen Erwerbsminderung auf Dauer ist unter den in § 99 SGB VI genannten
Voraussetzungen eine Rentengewährung ab Rentenantragstellung möglich. Befristete
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden dagegen nach § 101 Abs. 1 SGB
VI nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der
Erwerbsfähigkeit geleistet. Insoweit spricht die Beantragung einer
Erwerbsminderungsrente ab Antragstellung für ein auf eine Dauerrente gerichtetes
Klagebegehren.
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Dagegen ergibt sich aus dem Umstand, dass darüber hinaus beantragt wurde, dass die
Erwerbsminderungsrente "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen" gewährt
wird, nichts Gegenteiliges. Dadurch wird deutlich, dass es sich um eine
Verpflichtungsklage und nicht um eine auf einen Zahlbetrag gerichtete Leistungsklage
handelte, weil die Berechnung einer Erwerbsminderungsrente im Voraus durch den
Kläger kaum möglich ist. Dagegen ergibt sich aus der Bezugnahme auf die gesetzlichen
Bestimmungen kein Anhaltspunkt dafür, ob eine Zeitrente oder eine Dauerrente begehrt
wird. Damit wird zum Einen die Vorschrift des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in Bezug
genommen, wonach eine befristete Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in der
Regel auf Zeit geleistet wird. Die Bezugnahme erstreckt sich aber auch auf andere
einschlägige Bestimmungen, insbesondere auch auf die Regelung des § 102 Abs. 2
Satz 4 SGB VI, wo abweichend vom Regelfall die Gewährung einer unbefristeten Rente
wegen Erwerbsminderung vorgesehen ist, wenn unwahrscheinlich ist, dass die
Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Weder aus dem Klageantrag
noch aus der Klagebegründung ergeben sich Hinweise darauf, dass nur die Regelung
des § 102 Abs. 2 Satz 1, aber nicht die Regelung des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI in
Bezug genommen worden ist und nur eine Zeitrente beantragt werden sollte (ebenso
LSG NRW v. 25.08.2005, Az.: L 3 B 12/05 R). Allein aus dem Umstand, dass eine
Vorschrift der Regelfall und eine andere Vorschrift die Ausnahme regelt, lässt nicht die
Auslegung zu, dass lediglich eine Rente nach Maßgabe des den Regelfall vorsehenden
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§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI beantragt werden sollte (ebenso LSG Baden-Württemberg
v. 24.10.2005, Az.: L 11 R 4138/05 AK-B).
Da der Kläger insoweit obsiegt hat, dass die Voraussetzungen für eine
Erwerbsminderungsrente dem Grunde nach sowohl in medizinischer als auch in
versicherungsrechtlicher Hinsicht nachgewiesen worden sind und ein Unterliegen
lediglich hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Erwerbsminderungsrente vorliegt, hält es
das Gericht für angemessen, der Beklagten zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten
des Klägers aufzuerlegen.
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