Urteil des SozG Duisburg vom 12.10.2010

SozG Duisburg (rücknahme, höhe, arbeitslosenhilfe, verwaltungsakt, aufhebung, grobe fahrlässigkeit, rechtskräftiges urteil, bewilligung, betrag, begründung)

Sozialgericht Duisburg, S 33 AL 71/09
Datum:
12.10.2010
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
33. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 33 AL 71/09
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 27.10.2003 wird unter
Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 27.03.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.04.2009 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines bestandkräftig gewordenen Rücknahme- und
Erstattungsbescheides, mit dem zuviel gezahlte Arbeitslosenhilfe in Höhe von 5.231,60
EUR von ihr zurück gefordert wurde.
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Die Klägerin hatte bis zur Ausschöpfung des Anspruchs am 26.08.2002
Arbeitslosengeld in Höhe von 253,89 EUR wöchentlich (auf der Grundlage eines
Bemessungsentgeltes von 510,00 EUR) bezogen. Eine beabsichtigte Arbeitsaufnahme
bei der Firma R. ab dem 27.08.2002 kam wegen einer Erkrankung der Klägerin nicht
zustande. Die Beklagte bewilligte daher auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin
vom 19.09.2002 Arbeitslosenhilfe ab 26.09.2002 in Höhe von 294,35 EUR wöchentlich
(auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts in Höhe von 865,00 EUR). Zum
01.01.2003 änderte die Beklagte den Leistungsbetrag auf 291,90 EUR wöchentlich (auf
der Grundlage eines Bemessungsentgelts in Höhe von 865,00 EUR). Der
Bewilligungsabschnitt endete am 25.09.2003. Die entsprechenden Bewilligungs- und
Änderungsbescheide sind nicht in der Akte der Beklagten enthalten und können von ihr
aus systembedingten Gründen auch nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
Grundlage für die genannten Zahlen sind allein die in der Verwaltungsakte der
Beklagten befindlichen Zahlungsnachweise.
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Nach einer entsprechenden Anhörung der Klägerin nahm die Beklagte "die
Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 26.09.2002 bis
25.09.2003" mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 27.10.2003 teilweise zurück
und forderte von der Klägerin einen Betrag in Höhe von 5.231,60 EUR erstattet. Bis auf
weiteres werde zur Tilgung der Überzahlung ein Betrag von 20,00 EUR monatlich
gegen ihre laufenden Leistungen aufgerechnet. Zur Begründung wurde ausgeführt,
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durch einen Berechnungsfehler seien die der Leistung zugrunde liegenden
Berechnungsdaten nicht von DM-Beträgen in Euro-Beträge umgerechnet worden.
Hierdurch sei Arbeitslosenhilfe in fast doppelter Höhe bewilligt worden. Die Klägerin
habe die Überzahlung zwar nicht verursacht, sie habe jedoch aufgrund der Höhe der
bewilligten Leistung mit einfachsten und ganz nahe liegenden Überlegungen erkennen
können, dass ihr Arbeitslosenhilfe in dieser Höhe nicht zustünde, denn die ihr bewilligte
Arbeitslosenhilfe könne nicht höher sein, als das zuvor bezogene Arbeitslosengeld.
Sofern sie ihren Fehler nicht erkannt habe, weil sie das ihr ausgehändigte Merkblatt für
Arbeitslose bzw. das ergänzende Merkblatt für Arbeitslosenhilfe nicht gelesen habe, so
sei dies als grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X zu
werten.
Hiergegen erhob die Klägerin keinen Widerspruch. Der Bescheid wurde
bestandskräftig.
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Am 19.01.2009 stellte die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten bei
der Beklagten einen Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Rücknahme- und
Erstattungsbescheides vom 27.10.2003 gemäß § 44 SGB X. Aus dem Bescheid sei
nicht zu erkennen, weshalb in welcher Höhe Leistungen in zu großer Höhe bewilligt
worden seien. Auch unter Einbezug des Anhörungsschreibens könne der
Erstattungsbetrag in Höhe von 5.231,80 EUR nicht nachvollzogen werden. Der
Bescheid sei daher schon aus formalen Gründen rechtswidrig. Unabhängig davon sei
der Klägerin der Unterschied zwischen Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld nicht klar
gewesen. Insbesondere sei ihr nicht bekannt gewesen, dass Arbeitslosenhilfe geringer
ausfalle. Die Klägerin sei bei Bezug der Leistungen nicht davon ausgegangen, dass sie
zu viel Arbeitslosenhilfe erhalten habe, da sie zuvor Arbeitslosengeld in Höhe von 1.051
EUR monatlich und 1.251 EUR monatlich erhalten habe und sodann im Oktober
Arbeitslosenhilfe in Höhe von 827,39 EUR sowie im November in Höhe von 1.261,50
EUR.
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Mit Bescheid vom 27.03.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Überprüfung des
Rücknahme- und Erstattungsbescheides vom 27.10.2003 ab. Der Bescheid sei nicht zu
beanstanden. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X könne ein Verwaltungsakt (VA), auch
nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur dann mit Wirkung für die Vergangenheit
zurück genommen werden, wenn sich im Einzelfall ergäbe, dass bei Erlass des VA das
Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der
sich als unrichtig erweise. Im Fall der Klägerin sei weder das Recht unrichtig
angewandt, noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden, sodass es bei
der Entscheidung verbleiben müsse.
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Den hiergegen fristgerecht erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 23.04.2009 als unbegründet zurück. Eine Durchbrechung
der Bindungswirkung eines bestandskräftigen VA könne im Rahmen des § 44 SGB X
nur erfolgen, wenn in einem 1. Prüfungsschritt im Rahmen der Antragstellung neue
Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen wurden, die für die Unrichtigkeit der
ursprünglichen Entscheidung sprächen. Dies sei vorliegend bereits nicht der Fall. Der
Vortrag im Widerspruch stelle keine neuen Tatsachen dar. Die Beklagte habe sich
daher ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren VA berufen dürfen.
Es habe daher keine Veranlassung bestanden, den zweiten Prüfungsschritt (die
Feststellung, ob die neuen Tatsachen oder Erkenntnisse tatsächlich vorliegen und für
die frühere Entscheidung wesentlich waren) zu durchlaufen. Nur wenn die Prüfung im
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zweiten Abschnitt zu dem Ergebnis führe, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen
oder Erkenntnisse tatsächlich vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich waren, sei
ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung in eine neue Überprüfung des Streitstoffes in
vollem Umfange einzutreten. Die Klägerin habe bis zum 26.08.2002 Arbeitslosengeld in
Höhe von 253,35 EUR wöchentlich bezogen. Arbeitslosenhilfe ab dem 26.09.2002 sei
in Höhe von 294,35 EUR wöchentlich bewilligt worden. Allein hieraus sei für die
Klägerin erkennbar gewesen, dass es sich um eine fehlerhafte Höhe der
Arbeitslosenhilfe handeln muss. Der Unterschied der Arbeitslosenhilfe zum
Arbeitslosengeld sei der Klägerin auch bekannt gewesen. Sie habe in ihrem Antrag auf
Arbeitslosenhilfe mit ihrer Unterschrift bestätigt, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten
und davon Kenntnis genommen zu haben. In diesem Merkblatt werde der Unterschied
zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe erklärt. Zwar möge aus dem Bescheid
vom 27.10.2003 nicht klar ersichtlich sein, wie sich der zu Unrecht gewährte Betrag
errechnet. Jedoch führe dies nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit des Bescheides
und damit zur Aufhebung nach § 44 SGB X.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.05.2009 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage
vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben. Zur Begründung nimmt dieser im wesentlichen
Bezug auf seine Ausführungen im Antrags- und Widerspruchsverfahren. Ergänzend
führt er an, neuer Tatsachenvortrag sei sehr wohl vorgebracht worden; es sei
vorgetragen worden, dass die Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide
nicht erkannt habe. Die Klägerin habe keine Kenntnis vom Sozialleistungssystem. Ihr
sei nicht bekannt gewesen, ob die Leistungen steigen oder reduziert werden. Durch
gesetzliche Änderungen käme es häufig zu Änderungen der Leistungshöhe, sodass es
für die Klägerin, auch und gerade vor dem Hintergrund, dass sie im Vorfeld häufig
Leistungsbescheide mit unterschiedlichen Bewilligungshöhen erhalten habe, nicht
offensichtlich gewesen sei, dass zu viel Arbeitslosenhilfeleistungen bewilligt worden
seien. Wenn überhaupt, so habe die Klägerin nur leicht fahrlässig gehandelt.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Aufhebung des Bescheides vom 27.03.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.04.2009 den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
vom 27.10.2003 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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Sie verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und
ergänzt hierzu noch, es sei allgemein bekannt, dass Arbeitslosenhilfe gegenüber dem
Arbeitslosengeld in geringerer Höhe gezahlt worden sei. Die Beweislast für das
Vorliegen neuer entscheidungserheblicher Tatsachen trage die Klägerseite. Die bloße
Behauptung, die Klägerin habe nicht grob fahrlässig gehandelt, sei kein Beweis in
diesem Sinne. Bei sorgfältiger Durchsicht des Bewilligungsbescheides vom 05.11.2002
hätte der Klägerin auffallen müssen, dass das wöchentliche Bemessungsentgelt statt
440 EUR nunmehr 865 EUR ( = 96,6 % mehr statt 11% weniger) betrug und statt
1088,10 EUR monatlich Arbeitslosengeld jetzt 1261,50 EUR monatlich Arbeitslosenhilfe
– also mehr statt weniger gezahlt wurden. Die fehlerhafte Bewilligung sei damit so
offensichtlich gewesen, dass das Nichterkennen einem sich grob fahrlässigen
Verschließen der Erkenntnis gleichkomme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 27.10.2003 ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (hierzu unter 2.). Die Beklagte
kann sich nicht auf die Bindungswirkung dieses Bescheides berufen, weil in diesem das
Recht unrichtig angewandt worden ist (hierzu unter 1.).
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1.) Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass
eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch
nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückzunehmen. Absatz 1 des § 44 SGB X findet auch auf Verwaltungsakte über die
Rücvkforderung von Sozialleistungen Anwendung (vgl. BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 19
und Nr. 24; Schütze in von Wulffen SGB X, 7.Aufl. 2010, § 44 Rn. 14; Vogelsang in
Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juli 2010, § 44 Rn. 11) Ziel des § 44 SGB X ist es, die
Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes
und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 §
44 Nr 24; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juli
2009, § 44 SGB X RdNr 2; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juli 2010, K § 44
RdNr 1b). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen
einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob
der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist oder gar durch ein rechtskräftiges
Urteil bestätigt wurde (BSGE 51,139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr 15; BSG SozR 2200 §
1268 Nr 29, Steinwedel, aaO, § 44 RdNr 5; Vogelgesang, aaO, K § 44 RdNr 17). Soweit
sich die Beklage vermutlich in Anlehnung an die Entscheidungen des 9. und des 4.
Senats des BSG (BSG v. 03.02.1988 Az.: 9/9a RV 18/86 – BSGE 63,33 = SozR 1300 §
44 Nr 33 und BSG v. 03. 04 2004 - B 4 RA 22/00 R – BSGE 88,75 = SozR 3-2200 §
1265 Nr 20), auf ein abgestuftes Prüfungsverfahren (Vorlage neuer Tatsachen oder
Erkenntnisse - Prüfung derselben, insbesondere ob sie erheblich sind - Prüfung, ob
Rücknahme zu erfolgen hat - neue Entscheidung) beruft, folgt nichts Anderes. Denn
dabei darf nicht übersehen werden, dass § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X zwei Alternativen
anführt, weswegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen sein kann: Das Recht kann
unrichtig angewandt oder es kann von einem Sachverhalt ausgegangen worden sein,
der sich als unrichtig erweist. Nur für die zweite Alternative kann es auf die Benennung
neuer Tatsachen und Beweismittel und ein abgestuftes Verfahren, wie oben dargestellt,
ankommen. Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische
Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten der Klägerin zwar
Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts
wegen erfolgen muss (ebenso BSG SozR 3-2600 § 243 Nr 8 S 28 f; BSG SozR 3-4100
§ 119 Nr 23 S 119; BSG Urt. v. 05.09.2006 Az.: B 2 U 24/05 R; Steinwedel, aaO, § 44
RdNr 43). Das Gericht weicht daher von den Entscheidungen des 9. und des 4. Senats
nicht ab, wenn es, wie im vorliegenden Fall, in dem der Verwaltungsakt schon aus rein
rechtlichen Gründen keinen Bestand haben kann, diesen Verwaltungsakt aufhebt. Die
Frage, ob die Klägerin neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorgebracht hat, kann
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deshalb dahinstehen. Vorliegend hat sich die Klägerin nicht auf die Behauptung neuer
Tatsachen beschränkt. Sie hat eine umfassende Überprüfung beantragt und diese
rechtliche Überprüfung führt zu dem Ergebnis, dass eine falsche Rechtsanwendung
vorliegt.
2.) Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 27.10.2003 ist
rechtwidrig.
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Rechtsgrundlage für die Aufhebung war vorliegend § 45 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB
III, da die bewilligte Höhe der Arbeitslosenhilfe wegen fehlerhaftem Handeln der
Beklagten bezüglich der korrekten Feststellung des Bemessungsentgelts unstreitig von
Anfang an rechtwidrig, nämlich zu hoch war. Ob insoweit die besonderen
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X, also Kenntnis der
Klägerin bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtwidrigkeit vorlagen, kann hier
dahin stehen (würde aber im Falle der Entscheidungserheblichkeit seitens des Gerichts
erheblich bezweifelt, soweit die Beklagte im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung
Offensichtlichkeit des Fehlers und deshalb Kennenmüssen bei der Klägerin voraussetzt,
die eigenen geschulten und tagtäglich mit der Materie befassten Mitarbeiter der
Beklagten den Berechnungsfehler auch bei der Änderungsbewilligung nicht erkannt
haben). Der angegriffene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist nämlich bereits
deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil er den allgemeinen
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für Verwaltungsakte nicht genügt. Er ist in mehreren
Gesichtpunkten inhaltlich zu unbestimmt und verstößt damit gegen § 33 SGB X. Dabei
ist zwischen der im vorliegenden Fall auf § 45 Abs. 1 SGB X gestützten Entscheidung
über die Rücknahme vorausgegangener Leistungsbewilligungen einerseits (dazu unter
b) und der Erstattung der danach überzahlten Leistungen auf der Grundlage von § 50
SGB X i.V.m. § 335 SGB III (dazu unter a) zu differenzieren. a) Soweit die Beklagte der
Klägerin innerhalb der Begründung ihres Bescheides vom 27.10.2003 hinsichtlich einer
Überzahlung bewilligter Arbeitslosenhilfe in Höhe von 5.231,60 EUR mitgeteilt hat, dass
dieser Betrag von ihr zu zahlen sei, bestehen gegen die Bestimmtheit dieser Regelung
keine durchgreifenden Bedenken. Das Gericht folgt insoweit einer in der Literatur
vertretenen Meinung, dass es bei Erstattungsforderungen nicht zu den essentiellen
Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten gehört, den
zurückgeforderten Betrag aufzuschlüsseln, sich eine plausible Herleitung vielmehr
insoweit lediglich als wesentliches Kriterium für die Erfüllung des
Begründungserfordernisses gem. § 35 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X darstellt (dazu unter c)
(so Krasney in Kasseler Kommentar, § 33 SGB X Rdnr. 7 unter Hinweis auf BSG,
Beschluss v. 22.07.19999 – Az.: B 11 AL 91/99 B; LSG NSB, Urteil v. 16.12.2009, L 9
AS 477/08; aA im Ansatz wohl Stelkens - Bonk - Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008 § 37 Rdnr.
30 allgemein zu Geldleistungsbescheiden). Unschädlich ist insoweit auch, dass die
Beklagte ihre Erstattungsforderung in den Gründen des Bescheides vom 27.10.2003
und nicht in dessen vorangestelltem Verfügungssatz positioniert hat; denn bei der
Auslegung des Regelungsgehalts von Verwaltungsakten sind neben dem
Verfügungssatz - insbesondere etwa bei dessen vollständigem Fehlen - die Gründe
ohne weiteres mit heranzuziehen. b) Nicht den Anforderungen des § 33 SGB X an die
Bestimmtheit von Verwaltungsakten genügt indessen die auf § 45 Abs. 1 und Abs. 2 S. 3
Nr. 3 SGB X gestützte Entscheidung der Beklagten über die teilweise Rücknahme ihrer
früheren Leistungsbewilligung, weil der jeweils aufzuhebende Bewilligungsbescheid
und seine bereits erfolgten Änderungen nicht unverwechselbar bezeichnet sind (aa) und
eine Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrages nicht dem
Bestimmtheitsgebot entspricht (bb). Die nach § 41 SGB X von der Möglichkeit einer
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Heilung ausgenommene Rechtswidrigkeit (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X,7.Auf.
2010 § 33 Rdnr. 10 m.w.N.) führt damit nicht bloß zu ihrer Aufhebung durch das Gericht,
sondern entzieht auf diesem Wege zugleich der Erstattungsforderung die Grundlage, da
die aufgehobenen Bewilligungsbescheide nach der gerichtlichen Kassation der
Rücknahmeentscheidung weiterhin wirksam bleiben und damit die Voraussetzung der
Rechtsgrundlosigkeit der erbrachten Leistungen in den Tatbeständen von § 50 Abs. 1
und 2 SGB X i.V.m. § 335 SGB III nicht mehr erfüllt wird. Nach § 33 Abs. 1 SGB X muss
ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Hierbei handelt es sich um
eine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung (vgl. Lorenz, in: FS zum 25jährigen
Bestehen des BSG, 1979, S. 933) und um eine Ausprägung des aus Art. 20 Abs. 3 GG
folgenden Rechtsstaatsprinzips, das der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit dient.
Zur hinreichenden Bestimmtheit muss eine behördliche Entscheidung so eindeutig
formuliert sein, dass sich ohne Rückfrage ergibt, wer Adressat der Entscheidung ist,
welcher Sachverhalt geregelt wird und was dem Adressaten zugebilligt bzw. was ihm
auferlegt wird (Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, 2. Aufl. 2010, § 33 Rn. 2). Welche
weiteren Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes zu stellen sind,
richtet sich nach dem materiellen Recht, auf welchem sein Erlass beruht (Engelmann in
von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 33 Rdnr. 3 unter Hinweis auf BVerwG 123,261;
Krasney in Kasseler Kommentar, 62. Ergänzung 2009, § 33 SGB X Rdnr. 5). In diesem
Sinne muss ein Aufhebungsbescheid, um inhaltlich hinreichend bestimmt zu sein, klar
erkennen lassen, welcher Verwaltungsakt, insbesondere welcher Verfügungssatz ab
wann und in welchem Umfang, aufgehoben werden soll. Gegenstand (Objekt) einer
Rücknahmeentscheidung auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 und 2 SGB X ist ein
bestimmter Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die Rücknahme dient nach § 39 Abs. 2
SGB X der Durchbrechung seiner individuellen, mit der Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 SGB
X) eingetretenen Wirksamkeit, wobei diese nach ausdrücklicher Bestimmung des § 39
Abs. 2 SGB X ("soweit") durch Rücknahme, Widerruf oder Aufhebung entweder
vollständig oder auch nur teilweise beseitigt werden kann. § 45 Abs. 1 SGB X
differenziert dabei als mögliche Rechtsfolge der Rücknahme zudem zwischen einer
solchen für die Zukunft oder die Vergangenheit. Als gesetzlich vorgesehener
Regelungsgegenstand jeder Rücknahmeentscheidung muss hiernach der
Verwaltungsakt, auf den sich diese beziehen soll, eindeutig individualisiert werden;
sodann muss die Rücknahme erkennen lassen, von welcher der ihr nach §§ 39 Abs.
1,45 Abs. 1 SGB X zu Gebote stehenden Handlungsalternativen (Rücknahme ganz oder
teilweise, für die Zukunft oder die Vergangenheit) die Behörde im konkreten Einzelfall
Gebrauch macht und in welcher Weise sie bei einer den Verwaltungsakt nicht
vollständig und für seine gesamte Geltungsdauer erfassenden Aufhebung diese
beschränken will. Bei Rücknahmeentscheidungen, welche die Bewilligung von
Leistungen nach dem SGB III betreffen, ist - als deren Umkehrung - weiterhin auf den
notwendigen Regelungsgehalt von Bewilligungsentscheidungen nach dem SGB III
Rücksicht zu nehmen. Die Rücknahme darf nämlich nicht dazu führen, dass als
Ergebnis einer nur anteiligen Beseitigung eine Teilbewilligung verbleibt, deren eigene
Übereinstimmung mit den formalen Anforderungen des Leistungsrechts unter Verstoß
gegen § 33 SGB X auf Dauer unklar bleibt. Die Rücknahme von
Arbeitslosenhilfebewilligungen nach dem SGB III erfordert es danach zunächst, den
jeweils aufzuhebenden Bewilligungsbescheid und seine bereits erfolgten Änderungen
unverwechselbar zu bezeichnen, was in der Regel neben der Benennung seines
Datums auch die Kennzeichnung seines Regelungsgegenstandes nach dem
bewilligtem Betrag und dem Bewilligungszeitraum erfordert (dazu gleich unter aa) (BSG
Urt. v. 02.06.2004 B 7 AL 58/03 R m.w.N.). Zudem muss die Aufhebung erkennbar
machen, ob die Aufhebung alle von dem jeweiligen Bewilligungsbescheid und seinen
Änderungen geregelten Bezugsmonate betrifft oder sich auf einzelne Teilzeiträume
beschränkt, die dann zu benennen sind. Entsprechendes gilt hinsichtlich einer
betragsmäßig vollständigen oder lediglich anteiligen Rücknahme (dazu gleich unter bb).
aa) Die von der Beklagten im Verfügungssatz ihres Bescheides vom 27.10.2003
ausgesprochene Rücknahmeentscheidung entspricht diesen Anforderungen im
Ergebnis nicht. Sie begegnet bereits deshalb durchgreifenden Bedenken, weil sie den
oder die von der Rücknahme betroffenen Bewilligungsbescheid(e) nicht bezeichnet.
Lediglich aus der zeitlichen Begrenzung des Rücknahme- und Erstattungszeitraums in
seiner Gesamtheit könnte indirekt auf die Zahl und die Identität der von der Rücknahme
erfassten Verwaltungsakte geschlossen werden. Die erforderliche Klarheit der
Regelung ergäbe sich hierbei jedoch allenfalls aufgrund einer ergänzenden
Heranziehung der Leistungsakten oder eines ggf. auf Adressatenseite geführten
Vorgangs, während es das Bestimmtheitsgebot grundsätzlich erfordert, dass die von
einem Verwaltungsakt ausgehende Regelungswirkung diesem bei verständiger
Auslegung ohne weitere Hilfsmittel zu entnehmen ist. Gerade bei einem Rücknahme-
oder Aufhebungsbescheid, mit welchem frühere begünstigende Leistungsgewährungen
beseitigt werden, ist an diesem Erfordernis festzuhalten, weil nur durch seine Einhaltung
ein übereinstimmendes Verständnis der Regelung durch die erlassende Behörde und
den Adressaten sichergestellt und eine wirksame gerichtliche Kontrolle ermöglicht wird.
Wäre es nämlich zulässig, die von einer Rücknahmeentscheidung betroffenen
Bewilligungsbescheide durch die bloße Benennung eines Rücknahmezeitraums
wirksam und damit per se vollständig und richtig zu erfassen, dann wäre die erlassende
Behörde ihrerseits jeder Notwendigkeit enthoben, sich vor Erlass des
Rücknahmebescheides überhaupt Gewissheit über Zahl und Inhalt der von ihr
getroffenen Regelungen zu verschaffen, während es dem Adressaten und den ggf. von
ihm angerufenen Gerichten zufiele, sich Kenntnis über die Aufeinanderfolge der
ergangenen Bewilligungsbescheide zu verschaffen und auf dieser Grundlage zu
unterstellen, dass die Behörde das danach Zutreffende gewollt und geregelt habe. Dass
hiervon tatsächlich nicht ausgegangen werden kann, belegt nicht zuletzt der Umstand,
dass die Beklagte konkretisierend im Widerspruchsbescheid vom 23.04.2009, der hier
ergänzend zur Auslegung der Rücknahmeentscheidung herangezogen wird, lediglich
einen Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 26.09.2003 vom
05.11.2002 benennt, es aber ausweislich der in der Verwaltungsakte der Beklagten
befindlichen Zahlungsnachweise auch noch einen Änderungsbewilligungsbescheid
betreffend den Rückforderungszeitraum mit Datum vom 13.01.2003 gegeben haben
muss. Zur Bewirkung der teilweisen Rechtsgrundlosigkeit aller bis zum 25.09.2003
gewährten Zahlungen hätte es also zusätzlich einer (anteiligen) Aufhebung zumindest
auch des Änderungsbewilligungsbescheides vom 13.01.2003 bedurft. Die Klägerin hat
in diesem Zusammenhang vorgetragen, dass sie mehrere Bewilligungsbescheide mit
unterschiedlichen Leistungshöhen erhalten hat. Eine exakte Prüfung, ob und welche
Bescheide die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe in unzutreffender Höhe betreffen, bleibt
dem Gericht verwehrt, weil die Bewilligungsbescheide der Beklagten bis zum Jahr 2005
systembedingt nicht gespeichert wurden und keinen Eingang in die Verwaltungsakte
gefunden haben. bb) Die Rücknahmeentscheidung lässt schließlich unter Verstoß
gegen das durch Rückgriff auf §§ 39 Abs.1, 45 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X auszufüllende
Bestimmtheitsgebot vollständig offen, in welcher jeweiligen Höhe die Wirksamkeit der
Bewilligung(en) hat beseitigt werden sollen, die zum Zeitpunkt der Rücknahme für die
Leistungshöhe in dem streitbefangenen Zeitraum noch bestimmend gewesen sind.
Insofern ist bei betragsmäßig nicht vollständiger Beseitigung eine wochen- bzw.
tagesgenaue Rücknahme erforderlich (vgl. BSG Urt. v. 02.06.2004, Az.: B 7 AL 58/03 R,
BSGE 93,51 = SozR 4-4100 § 115 Nr. 1 und Urt. v. 15. August 2002, Az.: B 7 AL 66/01
R, SozR 3-1500, § 128 Nr. 15). Die Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe
eines Gesamtbetrags ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Wochen
genügt dem Bestimmtheitsgebot nicht. Soweit aus der Verwaltungsakte der Beklagten
ersichtlich, war dem Rücknahme- und Erstattungsbescheid auch kein erläuternder
Anhang beigefügt, aus dem sich die entsprechenden Teilbeträge aufgeschlüsselt und
entsprechend rechnerisch nachvollziehbar ergeben. Der Widerspruchsbescheid der
Beklagten vom 23.04.2009 enthält ebenfalls keine nähere Konkretisierung. c) Bei dieser
Sachlage kann dahinstehen, ob der Bescheid die in § 35 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X
geregelten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung erfüllt. Dagegen
spricht, dass für die Klägerin – wie unter bb) bereits ausgeführt auch unter
Heranziehung des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2009 nicht erkennbar ist, wie
die Beklagte den Erstattungsbetrag errechnet hat und von welchen tatsächlichen und
rechtlichen Gesichtspunkten sie hierbei ausgegangen ist. Die Rücknahmeentscheidung
der Beklagten und in der Folge ihre Erstattungsforderung sind deshalb rechtswidrig und
aufzuheben
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
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