Urteil des SozG Duisburg vom 07.10.2010

SozG Duisburg (asthma bronchiale, psychiatrische behandlung, ergebnis, fibromyalgie, behinderung, erhöhung, asthma, störung, essen, bildung)

Sozialgericht Duisburg, S 40 (13) SB 432/07
Datum:
07.10.2010
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
40. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 40 (13) SB 432/07
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 13 SB 316/10
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Weitere außergerichtliche Kosten sind nicht
zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Änderungsverfahrens die Feststellung eines
höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie die Feststellung der gesundheitlichen
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G" (erhebliche
Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "B" (Berechtigung für
eine ständige Begleitung) und "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung).
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Das Versorgungsamt Essen hatte bei der 1957 geborenen Klägerin mit Bescheid vom
18.04.2006 den GdB mit 30 festgestellt. Dem lagen folgende Behinderungen zugrunde:
1. Bewegungseinschränkung der Finger, Weichteilschmerzsyndrom (Einzel-GdB 20), 2.
seelisches Leiden (Einzel-GdB 20), 3. Wirbelsäulenfunktionsstörungen bei Verschleiß
(Einzel GdB 10).
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Am 13.07.2007 beantragte die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB sowie die
Zuerkennung der Nachteilsausgleiche "G", "B" und "aG". Nach der Antragstellung zog
das Versorgungsamt Essen ein im August 2007 durch den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherungen erstattetes Pflegegutachten bei. Der behandelnde
Rheumatologe Dr. W. berichtete zudem über ein Fibromyalgiesyndrom mit
Ganzkörperschmerz. Der Sozialmediziner Dr. Blettenberg kam in seiner gutachterlichen
Stellungnahme unter Auswertung der medizinischen Berichte zu dem Ergebnis, die im
Jahr 2006 getroffenen Feststellungen seien weiter zutreffend. Der GdB sei weiterhin mit
30 zu bewerten.
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Das Versorgungsamt Essen lehnte den Antrag daraufhin durch Bescheid vom
09.10.2007 ab. Den Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung diese vortrug , ihr
Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlechtert, wies die Bezirksregierung
Münster durch Widerspruchsbescheid vom 13.11.2007 zurück.
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Mit ihrer am 29.11.2007 beim Sozialgericht Duisburg erhobenen Klage verfolgt die
Klägerin ihr Begehren weiter und macht geltend, ihr Zustand habe sich inzwischen ganz
erheblich verschlechtert. Wegen der Beeinträchtigungen im Bereich der Finger könne
sie nichts mehr halten und greifen. Sie sei zudem auch in der Fortbewegung ganz
erheblich eingeschränkt, sie könne nur noch mittels eines Rollators kurze Strecken
gehen. Sie habe Schmerzen wegen der Fibromyalgie, aber auch Bauchbeschwerden
nach 15 abdominellen Eingriffen. Zwischenzeitlich sei bei ihr die Pflegestufe I anerkannt
worden.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des Bescheides vom 09.10.2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 13.11.2007 über das Teilanerkenntnis hinaus bei der
Klägerin einen Grad der Behinderung von mindestens 50 und das Vorliegen der
medizinischen Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "B" und "aG" festzustellen.
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Die Beklagten beantragt,
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die darüber hinausgehende Klage abzuweisen.
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Sie hat bei der Klägerin einen Gesamt - GdB von 40 anerkannt, hält ihre
Entscheidungen im übrigen für zutreffend.
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Das Teilanerkenntnis des Beklagten über einen Gesamt - GdB von 40 hat die Klägerin
angenommen.
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Das Gericht hat zunächst Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte
eingeholt. Der Rheumatologe Dr. W. führte in seinem Bericht von September 2008 aus,
bei der Klägerin bestehe eine Fibromyalgie. Seit der letzten Entscheidung im April 2006
sei eine wesentliche Änderung nicht eingetreten. Der Allgemeinmediziner Dr. B.
berichtete über rezidivierende Bauchbeschwerden im Sinne krampfartiger Beschwerden
nach 15 abdominalen Eingriffen. Beschwerden beständen zudem wegen der
Fibromyalgie und der arthrotischen Veränderungen im Bereich der Hände. Bewegung
sei nur noch mittels eines Rollators möglich. Er hielt einen GdB von 60 für angemessen.
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Das Gericht hatte zunächst den Orthpäden Dr. D. und den Psychiater Dr. W. mit einer
Begutachtung der Klägerin beauftragt. Ein Begutachtungsversuch bei Dr. W. scheiterte,
im Ergebnis ließ sich die Klägerin von dem Sachverständigen nicht begutachten.
Aufgrund des Umzuges der Klägerin in den Zuständigkeitsbereich des jetzigen
Beklagten erfolgte letztendlich eine Begutachtung durch den Neurologen und
Psychiater Dr. Z. und den Orthopäden Dr. K ...
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Die Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin an chronischen
Schmerzen in mehreren Körperregionen ohne organisches Korrelat ( sog.
Fibromyalgiesyndrom) mit leichten bis mittelgradigen Funktionseinschränkungen (
Einzel - GdB 20) und einer Somatisierungsstörung mit begleitender Depression (Einzel -
GdB 30 - 40) sowie einsetzenden umformenden Veränderungen einzelner
Fingergelenke ohne wesentliche Funktionsminderung (GdB 0 )leidet. Ein
Bluthochdruckleiden ohne nachgewiesene Organschädigung sei ebenso wie ein
Asthma bronchiale mit 10 zu bewerten. Auch die Folgen gynäkologischer Operationen
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sei mit einem Einzel - GdB von 10 angemessen berücksichtigt. Insgesamt resultiere ein
GdB von 40 aus den festgestellten Beeinträchtigungen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid vom 09.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
13.11.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die
Beklagten die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB als 40 sowie die Zuerkennung
der Merkzeichen "G", "B" und "aG" abgelehnt hat. Dass bei der Klägerin mindestens ein
Gesamt - GdB in Höhe von 40 vorliegt, ist zwischen den Beteiligten inzwischen
unstreitig.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. In den
Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 18.04.2006 vorgelegen haben, ist,
wie der Vergleich des gegenwärtigen mit dem seinerzeit verbindlich festgestellten
Behinderungszustand ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 8. Mai 1981 - 9 Rvs 4/80, in: juris),
zwar eine, die Erhöhung des GdB um mindestens 10 rechtfertigende Veränderung
eingetreten (§ 48 Abs. 1 S 1 SGB X). Bei der Klägerin sind zusätzliche
Funktionsbeeinträchtigungen/ Behinderungen zu berücksichtigen gewesen, die zu einer
Erhöhung des Gesamt - GdB um 10 auf 40 geführt haben. Gründe für eine weitere
Erhöhung des Gesamt - GdB auf mindestens 50 liegen aber nicht vor.
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Nach § 69 Abs 2 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben
der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten die im Rahmen
des § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) festgelegten Maßstäbe
entsprechend (§ 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, wird der GdB nach den Auswirkungen der
Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen
Beziehung festgestellt (§ 69 Abs 3 Satz 1 SGB IX). Den Entscheidungen gemäß § 69
SBG IX waren im Einzelnen bis zum 31.12.2008 die " Anhaltspunkte" für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht" - AHP - und sind ab dem
01.01.2009 die Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VMG - (abgedruckt als Anlage
zu § 2 der Versorgungsmedizin Verordnung vom 10.12.2008, BGBl. I Nr. 57 vom
15.12.2008) zugrunde zu legen. Nach den VGM (vgl. hierzu im Einzelnen Teil A Nr. 3, S.
10) ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsbeeinträchtigung
auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle
weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das
Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren
Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte
hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Zusätzliche
leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, führen in der
Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der
Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere
derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten
Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt,
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auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Danach sind bei der Klägerin keine Funktionsbeeinträchtigungen auszumachen, die
einen höheren Gesamt-GdB als 40 rechtfertigen. Als führende Beeinträchtigung liegt auf
psychiatrischem Fachgebiet eine Somatisierungsstörung mit begleitender Depression
vor mit einem GdB von 30 - 40. Daneben bestehen auf orthopädischem Fachgebiet
chronische Schmerzen, eine sog. Fibromyalgie mit einem Einzelwert von 20. Die
zusätzlich vorliegenden 2 10er- Werte für das Asthma bronchiale und die Folgen
gynäkologische Operationen haben keinen Einfluss auf die Höhe des Gesamt - GdB.
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Die Kammer stützt sich dabei auf das Ergebnis der Beweisaufnahme durch Einholung
eines Sachverständigengutachten des Dr. K. auf orthpädischem Fachgebiet sowie eines
Zusatzgutachtens des Dr. Z. auf neurologisch - psychiatrischem Fachgebiet. Dr. K. ist
unter Berücksichtigung der Aktenlage und der von ihm erhobenen Befunde unter
Einbeziehung des Zusatzgutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin
ein Gesamt-GdB von 40 festzustellen war. Eine höhere Bewertung ist aus folgenden
Gesichtspunkten nicht möglich.
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1. Psychische Störungen
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Nach Ziffer 3.7 der VersMedV sind stärker behinderende Störungen mit wesentlicher
Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive
aber auch somatoforme Störungen) mit einem Einzel - GdB von 30 - 40 zu bemessen.
Eine solche stärker behindernde Störung liegt bei der Klägerin sicher vor. Keine
Hinweise liegen dagegen vor für eine schwere Störung ( z.B. schwere Zwangskrankheit)
mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Eine
psychiatrische Behandlung findet bisher nicht statt, auch die behandelnden Ärzte haben
eine solche nicht veranlasst. Auch dies spricht nicht dafür, dass die Störung nicht
ausgeprägter ist als vom Sachverständigen festgestellt.
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2. Fibromyalgiesyndrom
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Gemäß Ziffer 18.4 der VersMedV sind die Fibromyalgie und ähnliche Somatisierungs -
Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu
beurteilen. Bei der Klägerin äußert sich die Fibromyalgie als chronifizierte Schmerzen in
mehreren Bereichen ohne wesentliche funktionelle objektivierbare
Funktionsbeeinträchtigungen in einzelnen Bereichen. Weder im Wirbelsäulenbereich
noch an den Extremitäten waren degenerative Veränderungen oder
Bewegungseinschränkung im nennenswerten Umfang feststellbar. Wegen der
Schmerzen in jeglichen Körperregionen erscheint ein Einzel - GdB von 20 allerdings
sachgerecht, wobei allerdings zu beachten ist, dass es dabei auch deutliche
Überschneidungen zu den unter 1. genannten Bereichen gibt, der Wert daher bezüglich
der Gesamt- GdB - Bildung sich nicht wesentlich erhöhend auswirken kann.
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3. Sonstige Erkrankungen
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Ein Einzel - GdB von jeweils 10 ist noch für das von der Klägerin berichtete Asthma
bronchiale anzuerkennen. Eine regelmäßige Behandlung oder nennenswerte
Beeinträchtigungen wurden allerdings von den behandelnden Ärzten diesbezüglich
nicht beschrieben, so dass sich eine höhere Bewertung nicht rechtfertigen lässt.
Hinsichtlich der Folgen der abdominalen Operationen werden krampfartige
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Beschwerden ohne konkretisierbare Funktionsbeeinträchtigungen beschrieben, so dass
ebenfalls ein höherer GdB als 10 sich daraus nicht ableiten lässt. Wegen der noch
bestehenden freien Gelenksbeweglichkeit lässt sich ein Wert für die umformenden
Veränderungen im Bereich einzelner Fingergelenke nicht bilden.
Nach Teil A Ziff. 3 der "Anlage" ist bei der Bildung des Gesamt-GdB vom höchsten
Einzelwert auszugehen und im Hinblick auf die weiteren Behinderungen zu prüfen, ob
und inwieweit das Ausmaß der Behinderungen größer wird. Dabei ist insbesondere zu
beachten, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen von einander
unabhängig sind oder inwieweit sie sich überschneiden oder verstärken. Leichte
Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen in aller Regel nicht
zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar
auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander
bestehen.
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Von den genannten Einzelwerten ausgehend ergibt sich ab Stellung des sogenannten
Verschlimmerungsantrags im Juli 2007 aus den genannten Gründen kein höherer
Gesamt-GdB als 40. Sind die weiteren Behinderungen mit einem GdB von nur 10 schon
grundsätzlich nicht geeignet, sich im Rahmen der Gesamt-GdB-Bildung weiter erhöhend
auszuwirken, ist es bei einem Leidenskomplexen mit einem schwachen Einzel - GdB
von 40 und einem Einzel - GdB von 20, die sich zudem noch deutlich überschneiden
nicht angemessen, den Gesamt-GdB mit mehr als 40 einzustufen.
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Der Kammer ist bewusst, dass das Ergebnis weit von dem subjektiven Erleben der
Klägerin abweicht. Im Schwerbehindertenrecht sind aber nur die tatsächlich
objektivierbaren Funktionsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Nach den
Ergebnissen der Beweisaufnahme haben sich weitere Funktionsbeeinträchtigungen
nicht objektivieren lassen.
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Mit einem Gesamt GdB von 40 hat die Klägerin schon deshalb keinen Anspruch auf
Zuerkennung der Merkzeichens "G", "B" und "aG", weil die hierfür maßgeblichen
Vorschriften zumindest die Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 50) voraussetzen, so
dass sich an dieser Stelle weitere Ausführungen zu den (speziellen)
Tatbestandsmerkmalen erübrigen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beklagte hat sich im Rahmen des
Teilanerkenntnisses bereits erklärt, 1/4 der Kosten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht
zu erstatten.
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