Urteil des SozG Duisburg vom 29.08.2006

SozG Duisburg: anspruch auf bewilligung, kostenbeitrag, datum, erfüllung, realisierung, rentenanspruch, gerichtsakte, behinderung, rechtskraft, sozialhilfe

Sozialgericht Duisburg, S 27 SO 219/05
Datum:
29.08.2006
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
27. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 27 SO 219/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 20 SO 72/06
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 25.05.2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2005 verurteilt, dem
Kläger ab dem 01.11.2004 einen zusätzlichen Barbetrag nach §§ 21 Abs
3 Satz 4 BSHG nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu
bewilligen. Die Berufung wird zugelassen. Der Beklagte trägt die
notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Frage, ob dem Kläger für die Zeit ab dem 01.10.2004
ein Zusatzbarbetrag nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG, ggf iVm § 133 a SGB XII zusteht.
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Der am 11.03.1956 geborene Kläger leidet an einer vorwiegend psychischen
Behinderung. Er lebt in einer Einrichtung der Lebenshilfe gGmbH und erhält seit Jahren
Leistungen von dem Beklagten, zuletzt Eingliederungshilfe.
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Auf Aufforderung des Beklagten stellte der Kläger im November 2004 einen Antrag auf
Rente wegen Erwerbsminderung. Die LVA Rheinprovinz bewilligte mit Bescheid vom
06.05.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem Antragsmonat. Die
laufenden Rentenzahlungen iHv 385,15 EUR begannen am 01.06.2005. Der
Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 01.11.2004 bis zum 31.05.2004 wurde
einbehalten.
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Mit Bescheid vom 25.05.2005 setzte der Beklagte einen Kostenbeitrag nach den
Vorschriften des SGB XII ab dem 01.11.2004 in Höhe der vollen Rente fest. Der
Nachzahlungsbetrag wurde nach § 104 SGB X vom Rentenversicherungsträger
angefordert. Hinsichtlich des hier streitigen Zusatzbarbetrages führte der Beklagte aus,
nach § 133 a SGB XII erhalte derjenige den Zusatzbarbetrag, der im Dezember 2004
einen Anspruch hierauf hatte. Da die Rentenzahlung erst im Jahr 2005 bei dem
Beklagten eingegangen sei und das Einkommen noch nicht im Dezember 2004
vorgelegen habe, bestünde für diesen Monat und den Folgemonaten kein Anspruch auf
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den Zusatzbarbetrag. Auf den Bescheid im Übrigen wird Bezug genommen.
Mit seinem Widerspruch vertrat der Kläger die Ansicht, er habe den Rentenantrag
rechtzeitig gestellt und die Voraussetzungen für die Bewilligung des Zusatzbarbetrages
hätten ab Rentenbewilligung im November 2004 vorgelegen.
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Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2005 als
unbegründet zurück. Für die Bewilligung eines Zusatzbarbetrages ab dem 01.10.2004
gebe es keine Anspruchsgrundlage. Nach den Vorschriften des SGB XII sei der
Zusatzbarbetrag entfallen. Die Übergangsvorschrift des § 133 a SGB XII greife nicht, da
der Kläger im Dezember 2004 keinen Anspruch auf den Zusatzbarbetrag gehabt habe;
der Anspruch nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG sei erst dann entstanden, wenn ein
Kostenbeitrag tatsächlich im Dezember 2004 entrichtet worden wäre. Da der
Kostenbeitrag erst nach Rentenbewilligung im Jahr 2005 eingegangen sei, sei auch
kein Zusatzbarbetrag zu bewilligen gewesen. Auf den Widerspruchsbescheid wird
Bezug genommen.
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Mit der hiergegen gerichteten Klage vertritt der Kläger die Ansicht, da er sich
rückwirkend zum 01.11.2004 an den Kosten beteilige, habe er auch rückwirkend ab
diesem Datum einen Anspruch auf den Zusatzbarbetrag. Insoweit müsse der Beklagte,
wenn er den Kläger rückwirkend zu den Kosten heranziehe, ihm auch rückwirkend
entsprechende Begünstigungen zukommen lassen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 25.05.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 07.09.2005 zu verurteilen, dem Kläger den
Zusatzbarbetrag gemäß § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG ab dem 01.11.2004 zu bewilligen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt seines Widerspruchsbescheides.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den der beigezogenen Vorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 25.05.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 07.09.2005 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger
iSd § 54 Abs 2 SGG in seinen Rechten.
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Entgegen der Ansicht des Beklagten hat der Kläger ab dem 01.11.2004 bis zum
31.12.2004 einen Anspruch auf Bewilligung des Zusatzbarbetrags nach § 21 Abs 3 Satz
4 BSHG und für die Zeit ab dem 01.01.2005 iVm § 133 a SGB XII.
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Die Voraussetzungen nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG lagen für die Monate November
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und Dezember 2004 vor. Das BSHG ist für diese Zeiträume nach Auffassung des
Gerichts weiter anzuwenden. Insoweit ist es nach Auffassung des Gerichts unerheblich,
dass die Vorschriften des BSHG ab dem 01.01.2005 nicht mehr in Kraft sind.
Unerheblich ist ebenfalls, dass die hier angefochtene Entscheidung erst im Jahr 2005
und damit im zeitlichen Geltungsbereich des SGB XII ergangen ist. Der Beklagte kann
für zurückliegende Bewilligungszeiträume nur nach den Vorschriften des BSHG über
einen Kostenbeitrag des Klägers entscheiden, da die Vorschriften des SGB XII für diese
Zeit noch nicht galten. Wenn aber der Kläger - wie geschehen - ab dem 01.11.2004 zu
den Kosten herangezogen wird, dann müssen ihm auch alle Vergünstigungen, die mit
dem Kostenbeitrag nach den Vorschriften des BSHG - hier der Zusatzbarbetrag nach §
21 Abs 3 Satz 4 BSHG - gewährt werden.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung des Zusatzbarbetrages nach dieser Vorschrift
lagen vor. Nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG erhält ein Hilfeempfänger, der einen Teil der
Kosten des Aufenthalts in der Einrichtung selbst trägt, einen zusätzlichen Barbetrag iHv
5 vom Hundert seines Einkommens, höchsten jedoch iHv 15 vom Hundert des
Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes. Ausweislich des Bescheides des Beklagten
vom 25.05.2005 ist der Kläger nicht erst ab Bewilligung der laufenden Rentenzahlung
zu einem Kostenbeitrag herangezogen worden - was unter Umständen möglich
gewesen wäre, wenn der Beklagte konsequent auf den Zufluss der Leistung abgestellt
hätte - , sondern ab dem 01.11.2004.
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Wenn der Beklagte jedoch den Kläger bereits ab dem 01.11.2004 zu einem
Kostenbeitrag heranzieht, der tatsächlich von ihm zu dieser Zeit nicht erbracht werden
konnte und nicht erbracht wurde, dann muss er auf diesen "fiktiven" Kostenbeitrag auch
den Zusatzbarbetrag gewähren.
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Die von dem Beklagten angeführte Zuflusstheorie vermag angesichts des geltend
gemachten Kostenbeitrags bereits ab dem 01.11.2004 - auch ohne Zufluss - nicht zu
überzeugen.
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Im Übrigen hat der Beklagte gegen den Rentenversicherungsträger einen
Erstattungsanspruch. Der Erstattungsanspruch bewirkt nach § 107 SGB X, dass der
Anspruch des Berechtigten (Kläger) gegen den zur Leistung verpflichteten
Leistungsträger (LVA) als erfüllt gilt. Schon das Bestehen eines Erstattungsanspruchs,
nicht erst dessen Realisierung, führt zur fiktiven Erfüllung des Anspruchs des
Berechtigten gegenüber dem verpflichteten Leistungsträger. Der Kläger wird demnach
so behandelt, als hätte er die Rentenleistung bereits erhalten (erzielt). Auch wenn eine
Überweisung nicht stattgefunden hat, ist die "bescheidmäßig" zuerkannte Leistung als
erzielt zu behandeln (BSG, Urteil vom 28.01.1992, 11 RAr 55/91 in SozR 3-4100 § 115
Nr 3). In diesem Sinne ist die rückwirkend zuerkannte Rente wegen voller
Erwerbsminderung erzielt. Dies bewirkt auch, dass die Leistungsbewilligung des
Beklagten, soweit die Rente zeitgleich zuerkannt und anzurechnen war, insoweit
rechtswidrig wurde, da der Kläger in diesem Maße nicht mehr hilfebedürftig bzw zu
einem Kostenbeitrag heranzuziehen war.
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Die Erfüllungsfiktion wirkt nach Auffassung der Kammer auf den Zeitpunkt zurück, zu
dem der Rentenanspruch zuerkannt war. Da in Fällen einer Erfüllungsfiktion zu keinem
Zeitpunkt ein tatsächlicher Zufluss erfolgt, ist nach Auffassung des Gerichts auch nicht
auf die Zuflusstheorie abzustellen.
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Der Kläger hatte damit ab dem 01.11.2004 einen Anspruch auf den Zusatzbarbetrag
nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG.
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Für die Zeit ab dem 01.01.2005 kann sich der Kläger anspruchsbegründend auf die
Übergangsvorschrift des § 133 a SGB XII stützen. Nach dieser Vorschrift wird für
Personen, die am 31. Dezember 2004 einen Anspruch auf einen zusätzlichen Barbetrag
nach § 21 Abs. 3 Satz 4 des Bundessozialhilfegesetzes haben, diese Leistung in der für
den vollen Kalendermonat Dezember 2004 festgestellten Höhe weiter erbracht. Wie
oben ausgeführt, hat der Kläger am 31. Dezember 2004 einen Anspruch auf einen
zusätzlichen Barbetrag nach § 21 Abs. 3 Satz 4 des BSHG. Dass der Anspruch am
31.12.2004 bereits zuerkannt war, setzt der Wortlaut der Vorschrift nicht voraus. Zwar
lässt sich aus den Motiven des Gesetzgebers (zB Bundestagsdrucksache 15/3977, dort
auf Seiten 7/8) entnehmen, dass mit dem erst nachträglich ins Gesetz aufgenommenen
§ 133 a SGB XII eine Besitzstandsregelung für diejenigen aufgenommen werden sollte,
die sich auf die bestehende Regelung eingestellt haben. Insoweit wäre der Kläger nicht
schutzbedürftig, da er noch keine Möglichkeit hatte, sich auf die Bewilligung des
Zusatzbarbetrages einzustellen. Dies ist jedoch unerheblich. Die letztlich in § 133 a
SGB XII getroffene Regelung stellt ersichtlich nicht auf diejenigen ab, denen im
Dezember 2004 bereits der Zusatzbarbetrag bewilligt war, sondern auf diejenigen, die
einen Anspruch hierauf hatten. Da der Gesetzgeber in vielen Normen nach Anspruch,
Bewilligung und Zahlung differenziert, wird er einen Grund gehabt haben, seinen
ursprünglich - womöglich - mit der Regelung bezweckten Willen nicht unmittelbar
umgesetzt zu haben. Vielleicht sollten auch nur diejenigen geschützt werden, bei denen
sich die Bewilligung aus von ihnen nicht zu vertretenen Gründen verzögert hat.
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Da letztlich die Grenze der Auslegung der Wortlaut ist und dieser eindeutig von einem
Anspruch und nicht von einem bereits zuerkannten Anspruch oder einer Bewilligung
spricht, war der Klage stattzugeben.
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Das Gericht hat die Berufung zugelassen, da nach Mitteilung der Vertreterin des
Beklagten im Termin eine Vielzahl von Fällen der vorliegenden Fallgestaltung anhängig
ist und der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im Übrigen dürfte es auch um
einen Anspruch auf Leistungen für mehr als ein Jahr gehen, so dass die Berufung
zulässig wäre.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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