Urteil des SozG Duisburg vom 27.05.2010

SozG Duisburg (private krankenversicherung, kläger, tarif, krankenversicherung, mitgliedschaft, wechsel, selbstbehalt, besonderer umstand, teilnahme, kündigung)

Sozialgericht Duisburg, S 31 (11) KR 20/09
Datum:
27.05.2010
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
31. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 31 (11) KR 20/09
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 11 KR 333/10
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist, ob der Kläger seine Mitgliedschaft bei der Beklagten wirksam zum
30.11.2008 beendet hat.
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Der am 28.03.1963 geborene Kläger ist Geschäftsführer und Alleingesellschafter einer
GmbH. Er ist seit Beginn seines Berufslebens freiwilliges Mitglied bei der Beklagten.
Seine Ehefrau ist Landesbeamtin, seine beiden Kinder sind bei der Beklagten
familienmitversichert.
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In den Jahren 2006 und 2007 nahm der Kläger am "Programm TK 240" teil. Dieses
Programm sah zum einen einen Bonus für das teilnehmende Mitglied in Höhe von
240,00 EUR im Kalenderjahr und andererseits einen "Selbstbehalt" des Mitglieds in
Höhe von 300,00 EUR im Kalenderjahr vor. Die Teilnahmeerklärung wurde dem Kläger
jeweils um den Jahreswechsel herum übersandt.
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Anfang November 2007 erfolgte ein Telefonat zwischen der Beklagten und der Ehefrau
des Klägers. Der Inhalt dieses Gesprächs ist streitig geblieben. Auf dieses Telefonat hin
übersandte die Beklagte dem Kläger unter dem 08.11.2007 eine Teilnahmeerklärung
zum "TK-Tarif Selbstbehalt". Bei diesem Tarif handelt es sich um einen Wahltarif im
Sinne von § 53 SGB V. In dem Schreiben vom 08.11.2007 heißt es u.a.: "Bisher haben
Sie sich mit unserem TK-Programm 240 die Chance auf eine jährliche Prämie gesichert.
Mit unseren neuen Selbstbehalttarifen ... ". Der Teilnahmeerklärung, die in ihrer
graphischen Gestaltung von den vorherigen Teilnahmeerklärungen abweicht, waren
Teilnahmebedingungen mit einem Umfang von drei Seiten beigefügt. Am Ende der
ersten Seite dieser Teilnahmebedingungen heißt es unter der Überschrift "Beginn und
Ende der Teilnahme" u.a.: "An die Teilnahmeerklärung ist das Mitglied für 3 Jahre
gebunden. Die Mitgliedschaft bei der TK kann erst zum Ablauf der gesetzlichen
Mindestbindungsfrist von 3 Jahren gekündigt werden (§ 58 Abs. 8 Satz 2 SGB V)". Unter
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dem 12.12.2007 bestätigte die Beklagte dem Kläger die Teilnahme am Tarif TK-
Selbstbehalt.
Mit Schreiben vom 29.09.2008 erklärte der Kläger die Kündigung seiner Mitgliedschaft
bei der Beklagten zum 30.11.2008. Im Rahmen eines Telefongesprächs räumte er
ausweislich eines Vermerks der Beklagten vom 23.10.2008 dieser gegenüber ein, dass
er die Teilnahmebedingungen seinerzeit nicht richtig gelesen habe. Mit Bescheid vom
31.10.2008 lehnte die Beklagte eine Kündigung zum 30.11.2008 ab. Aufgrund der
Teilnahme an einem Wahltarif im Sinne von § 53 SGB V sei der Kläger gemäß § 53
Abs. 8 SGB V drei Jahre an die Beklagte gebunden. Hiergegen legte der Kläger am
10.11.2008 Widerspruch ein. Bei einem Wechsel von der gesetzlichen in die private
Krankenversicherung, wie er ihn erstrebe, könne die dreijährige Frist nicht gelten. Die
Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2009 zurück.
Aufgrund des eindeutigen Wortlaut von § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V sei eine Kündigung
vor Ablauf von drei Jahren nicht möglich.
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Hiergegen richtet sich die am 23.01.2009 erhobene Klage.
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Der Kläger hat am 26.01.2009 einen Eilantrag gestellt. Ein Wechsel in die private
Krankenversicherung sei für ihn erheblich günstiger. Er könne ca. 200,00 EUR
monatlich sparen. Mit Beschluss vom 06.02.2009 hat das erkennende Gericht den
Eilantrag abgelehnt (S 11 KR 21/09 ER). Einer vorzeitigen Kündigung stehe § 53 Abs. 8
SGB V entgegen. Es sei auch kein Härtefall gegeben. Der Kläger habe durch seine
Unterschrift unter die Teilnahmeerklärung bestätigt, dass er die Teilnahmebedingungen
erhalten habe. Hiergegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er selbst sei nie belehrt
worden. Beraten worden sei lediglich seine Ehefrau. Die freiwillige gesetzliche
Krankenversicherung sei für ihn unattraktiv geworden, da zwischenzeitlich der
Krankengeldanspruch abgeschafft worden sei. Das Landessozialgericht - LSG -
Nordrhein-Westfalen hat die Beschwerde mit Beschluss vom 23.04.2009
zurückgewiesen (L 5 B 15/09 KR ER). Eine einschränkende Auslegung von § 53 Abs. 8
Satz 2 SGB V ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Gesetzeszweck. Es
sei auch kein Härtefall gegeben. Dieser ergebe sich auch nicht aus dem
zwischenzeitlichen Wegfall des Krankengeldanspruchs für freiwillige Mitglieder, da der
entsprechende Abschluss von Wahltarifen möglich sei. Ein Aufklärungsmangel scheide
schon aufgrund der Unterschrift des Klägers unter die Teilnahmeerklärung und die damit
verbundene Erklärung, er habe die Teilnahmebedingungen erhalten, aus.
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Der Kläger trägt ergänzend vor, ihm sei seinerzeit nicht klar gewesen, dass es nicht nur
um ein Bonusprogramm, sondern um die Mitgliedschaft bei der Beklagten insgesamt
gegangen sei. Er sei nicht darüber belehrt worden, dass er nicht mehr jederzeit aus der
Versicherung aussteigen könne. Der Wechsel vom TK-Programm zum neuen TK-Tarif
sei eine ganz andere Situation. Hierauf hätte er ausdrücklich aufmerksam gemacht
werden müssen. Nach seiner Unterschrift unter die Teilnahmeerklärung habe er diese
zusammen mit den Teilnahmebedingungen zurückgesandt. Er habe die
Teilnahmebedingungen danach nicht noch einmal bekommen. Entscheidende
Motivation für den Wechsel in eine private Krankenversicherung sei der Wegfall des
Krankengeldanspruchs für freiwillige Mitglieder.
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Der Kläger beantragt schriftlich sinngemäß,
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den Bescheid vom 10.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
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13.01.2009 aufzuheben und festzustellen, dass seine Mitgliedschaft bei der Beklagten
zum 30.11.2008 geendet hat.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Sie
verweist insbesondere auf die Teilnahmebedingungen zum TK-Tarif Selbstbehalt.
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Das Gericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogene Leistungsakte Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Den
Beteiligten ist vorher Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
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Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässige Klage ist
unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Entscheidungen nicht im Sinne
von §§ 54 Abs. 2 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Der
Kläger hat die Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht wirksam zum 30.11.2008
gekündigt.
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Gemäß § 175 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 SGB V sind Versicherungspflichtige und
Versicherungsberechtigte an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate
gebunden, wenn sie das Wahlrecht ab dem 01.01.2002 ausüben. Eine Kündigung der
Mitgliedschaft ist zum Ablauf des übernächsten Kalendermonats möglich, gerechnet von
dem Monat, in dem das Mitglied die Kündigung erklärt. Gemäß § 53 Abs. 8 Satz 1 bis 3
SGB V beträgt die Mindestbindungsfrist für Wahltarife mit Ausnahme der Tarife nach
Abs. 3 drei Jahre. Abweichend von § 175 Abs. 4 SGB V kann die Mitgliedschaft
frühestens zum Ablauf der dreijährigen Mindestbindungsfrist gekündigt werden. Die
Satzung hat für Tarife ein Sonderkündigungsrecht in besonderen Härtefällen
vorzusehen.
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Nach diesen Grundsätzen konnte der Kläger die Mitgliedschaft bei der Beklagten mit
seiner Erklärung vom 29.09.2008 nicht zum 30.11.2008 kündigen. Denn mit Wahl des
Tarifs TK-Selbstbehalt, der einen Wahltarif, nicht aber einen Tarif im Sinne von § 53
Abs. 3 SGB V darstellt, war er gemäß § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V abweichend von § 175
Abs. 4 SGB V drei Jahre an die Mitgliedschaft bei der Beklagten gebunden.
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Grundsätzliche Bedenken gegen die dreijährige Bindungsfrist bei Teilnahme an einem
Wahltarif bestehen nicht. Die Vorschrift ist vielmehr dazu geeignet, einen
missbräuchlichen Wechsel beziehungsweise "Optimierungsstrategien" der Versicherten
zu verhindern, Verwaltungsaufwand zu reduzieren und Planungssicherheit zu schaffen
(vgl. hierzu BT-Drs. 16/3100, Seite 109; Höfler in: KassKomm, Stand: August 2008, § 53
SGB V Rdnr. 46; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.04.2009, L 5 B 15/09 KR
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ER).
Dem steht nicht entgegen, dass es vorliegend nicht um einen Wechsel von einer
gesetzlichen Kasse in eine andere, sondern um einen Wechsel von einer gesetzlichen
in eine private Kasse geht. Im Hinblick auf diesen Fall wird allerdings vereinzelt Kritik an
der dreijährigen Frist geübt. Der Zweck der Verhinderung eines missbräuchlichen
Wechsels zwischen Tarifen je nach Erwartung der Inanspruchnahme von Leistungen
passe nicht, wenn ein Versicherter das System der gesetzlichen Krankenversicherung
verlasse (vgl. Baier, in: Krauskopf, Stand: Juli 2009, § 175 SGB V Rdnr. 29). Die
dreijährige Bindung auch in einem solchen Fall sei vor allem nicht gerechtfertigt, wenn
sich aus anderen Vorgängen (z.B. dem Wechsel des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses)
zwangsläufig eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall außerhalb der
gesetzlichen Krankenversicherung (z.B. durch Beihilfeansprüche oder den Anspruch auf
freie Heilfürsorge) ergebe.
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Ein solcher anderer "Vorgang", wie der Wechsel des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses,
ist hier aber nicht gegeben. Im Übrigen wird auch von Baier (a.a.O.) - trotz inhaltlicher
Kritik - die Gültigkeit der dreijährigen Bindungsfrist nicht in Abrede gestellt. Hinzu
kommt, dass im Fall des Wechsels in eine private Krankenversicherung zwar nicht der
in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannte Zweck der dreijährigen Frist greifen
mag. Die in Rechtsprechung und Literatur darüber hinaus genannten Gründe für eine
dreijährige Frist wie die Reduzierung von Verwaltungsaufwand und insbesondere das
Erreichen von Planungssicherheit für die Kassen sind dagegen im vorliegenden Fall
sehr wohl erfüllt. Eine einschränkende Auslegung von § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V ist
schließlich insofern nicht erforderlich, als mit der in § 53 Abs. 8 Satz 3 SGB V
vorgesehenen Härtefallregelung besonderen Umständen, wie sie beispielsweise von
Baier (a.a.O.) geschildert werden, Rechnung getragen werden kann.
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Ein Härtefall liegt aber gerade nicht vor. "Das Adjektiv besondere in § 53 Abs. 8 Satz 3
SGB V deutet darauf hin, dass nur ganz außergewöhnliche Umstände als Härtefall
anzusehen sind und nicht jede unerwartete Veränderung in den rechtlichen oder
tatsächlichen Verhältnissen eine Sonderkündigung rechtfertigt, sondern nur eine solche,
die ein weiteres Festhalten am Tarif unzumutbar macht ... Dabei kann es sich um Fälle
handeln, in denen der Versicherte unvorhergesehenerweise nicht mehr in der Lage ist -
z.B. wegen Vermögensverfall oder Arbeitslosigkeit - die von ihm zu zahlenden
zusätzlichen Prämien aufzubringen ... " (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; vgl. auch
Schlegel, in: jurisPK-SGB V, 1. Auflage 2007, § 53 Rdnr. 154 - 156, wo genau der von
Baier beschriebene Fall erwähnt wird). Das ist hier aber nicht der Fall. Es ging dem
Kläger vielmehr um den günstigeren Tarif in der privaten Krankenversicherung sowie
die Sicherstellung eines Anspruchs auf Krankengeld. Insbesondere die Tatsache, dass
andere Versicherungen günstiger sein können, ist kein außergewöhnlicher Umstand
(vgl. auch Sozialgericht - SG - Duisburg, Urteil vom 23.04.2010, S 31 (11) KR 158/08).
Der Wegfall des Krankengeldanspruchs für freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen
Krankenversicherung ist ebensowenig ein solcher besonderer Umstand. Das folgt
schon daraus, dass eine entsprechende Absicherung über einen Wahltarif im Rahmen
der gesetzlichen Krankenversicherung möglich ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen,
a.a.O.).
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Der Kläger kann schließlich nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
so gestellt werden, als hätte er den Tarif TK-Selbstbehalt nicht gewählt. Denn ein
sozialrechtlicher Herstellungsanspruch setzt u.a. eine Pflichtverletzung des
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Versicherungsträgers insbesondere in Form eines Beratungs- bzw. Aufklärungsfehlers
voraus (vgl. nur Mrozynski, SGB I, 3. Auflage 2003, § 14 Rdnr. 20), der hier nicht
gegeben ist. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger mit seiner Unterschrift unter
die Teilnahmeerklärung zum TK-Tarif Selbstbehalt auch erklärt hat, dass ihm "die
Bedingungen für die Teilnahme am TK-Tarif Selbstbehalt" vorliegen und dass er "die
Teilnahmebedingungen als verbindlich" anerkenne. In den überschaubar gestalteten
Teilnahmebedingungen wird bereits auf der ersten Seite unter der fett gedruckten
Überschrift "Beginn und Ende der Teilnahme" auf die dreijährige Bindungsfrist bei der
Beklagten hingewiesen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger zuvor
an jährlichen "Programmen" teilgenommen hat, für die die dreijährige Frist nicht galt.
Denn bereits dem Schreiben der Beklagten vom 08.11.2007 war zu entnehmen, dass es
sich bei dem nunmehr angebotenen Tarif um etwas anderes handelte als bei den
vorherigen Programmen. In dem Schreiben wird ausdrücklich zwischen den bisherigen
"Programmen" und "unseren neuen Selbstbehalttarifen" unterschieden. Auch die
Teilnahmeerklärung selbst ist graphisch anders gestaltet als die bisherigen. Wenn der
Kläger - wie er selber vorträgt - das unstreitig über diesen Tarif geführte
Telefongespräch Anfang November 2007 seiner Frau überließ, die
Teilnahmebedingungen nicht durchlas und diese nicht behielt, sondern vielmehr an die
Beklagte zurückschickte, so kommt hierin eine Nachlässigkeit zum Ausdruck, die einen
Aufklärungsmangel ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 183, 193 SGG.
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