Urteil des SozG Düsseldorf vom 30.11.2010

SozG Düsseldorf (mutter, unterhalt, prüfung, härte, auskunft, auskunftserteilung, vater, eltern, beschränkung, höhe)

Sozialgericht Düsseldorf, S 42 SO 132/09
Datum:
30.11.2010
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
42. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 42 SO 132/09
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über eine Aufforderung zur Auskunftserteilung nach § 117 Abs. 1
Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).
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Die im Jahr 1960 geborene Klägerin ist die Tochter der am 00.00.1938 geborenen F G
und deren im Jahr 2000 verstorbenen Ex-Ehemannes I1 M. Die Klägerin hat einen drei
Jahre älteren Bruder, V M, und eine sieben Jahre jüngere Schwester, T1 T2. Die
Klägerin ist seit ihrem 5. Lebensjahr bis zu ihrer eigenen Eheschließung im Alter von 18
Jahren bei ihren mittlerweile verstorbenen Großeltern mütterlicherseits, X und L I2, in E
aufgewachsen.
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Mit Bescheid von 07.07.2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Mutter der
Klägerin von der Beklagten seit dem 18.05.2009 Sozialhilfe beziehe. Gleichzeitig wies
die Beklagte darauf hin, dass der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch der Mutter
der Klägerin kraft Gesetzes für die Zeit der Hilfegewährung bis zur Höhe der Leistungen
auf die Beklagte übergehe, soweit er nicht durch laufende Unterhaltszahlungen erfüllt
werde. Zudem solle geprüft werden, ob die Klägerin aufgrund ihrer Einkommens- und
Vermögensverhältnisse in der Lage sei, Unterhalt zu leisten. Die Klägerin werde
deshalb gebeten, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Schreibens den
beigefügten Vordruck ausgefüllt mit entsprechenden Nachweisen zurückzusenden oder
bei der Beklagten vorzusprechen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der
Unterhaltspflichtige zur Auskunft nach § 117 Abs. 1 SGB XII verpflichtet sei.
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Gegen die Aufforderung zur Auskunftserteilung erhob die Klägerin Widerspruch. Bis zu
ihrer Hochzeit seien ihre Großeltern ihre "Eltern" gewesen. Ihre Mutter sei ihrer
Unterhaltsverpflichtung in keiner Weise nachgekommen und habe sich nicht in
nennenswertem Umfang um sie gekümmert. Sie beziehe sich auf §§ 1601, 1611 Abs. 1
S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und sei daher nicht bereit, nun ihrerseits
Unterhaltszahlungen zu leisten. Außerdem habe das Sozialamt sie bereits im Jahr 2000
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im Hinblick auf ihren mittlerweile verstorbenen Vater zur Auskunftserteilung aufgefordert
habe. Dagegen habe sie jedoch erfolgreich Widerspruch erhoben; das
Widerspruchsschreiben vom 07.10.2000 fügte sie bei. Außerdem legte die Klägerin eine
Kopie des Schreibens ihrer Großmutter L I2 vom 29.12.1989 vor, mit der diese bestätigt,
dass die Klägerin seit dem 5. Lebensjahr bei ihnen aufgewachsen sei und
Unterhaltszahlungen von dem Vater der Klägerin nicht geleistet worden seien.
Außerdem legte die Klägerin die Kopie eines Kinderausweises mit dem Wohnort E bei
sowie Zeugniskopien mit der Unterschrift "X I2".
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2009 zurück.
Das Auskunftsverlangen setze nur voraus, dass ein Unterhaltsanspruch nach dem BGB
grundsätzlich in Betracht komme. Die Klägerin sei als Tochter gegenüber ihrer Mutter
gemäß §§ 1601 ff. BGB verpflichtet, Unterhalt zu gewähren. An das Auskunftsverlangen
nach § 117 Abs. 1 SGB XII könnten zwar keine strengeren Anforderungen gestellt
werden als an die Feststellung des gesetzlichen Übergangs des Unterhaltsanspruchs
selbst. Eine der Voraussetzungen nach § 94 Abs. 1 SGB XII, nach denen der
Anspruchsübergang ausgeschlossen sei, liege jedoch nicht vor. Soweit die Klägerin
eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gemäß § 1611 Abs. 1 BGB geltend mache,
erfolge eine gesonderte Prüfung, über deren Ergebnis die Beklagte die Klägerin zu
gegebener Zeit unaufgefordert informieren werde. Aber auch im Fall einer vollständigen
Verwirkung des Unterhaltsanspruchs sei eine Auskunft über die wirtschaftlichen
Verhältnisse erforderlich, da noch weitere Unterhaltspflichtige vorhanden seien. Denn
gemäß § 1611 Abs. 3 BGB könne der Bedürftige wegen einer nach diesen Vorschriften
eintretenden Beschränkung seines Anspruchs nicht andere Unterhaltspflichtige in
Anspruch nehmen. Um den Anteil an den Unterhaltsbeiträgen ermitteln zu können, der
auf die Klägerin ggf. entfallen würde, sei eine Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit
erforderlich.
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Mit Schreiben vom 12.11.2009 forderte die Beklagte die Klägerin auf, für die Beurteilung
der Frage, ob eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gemäß § 1611 BGB
eingetreten sei, weitere Angaben bzw. Nachweise vorzulegen. Mit Scheiben vom
03.12.2009 teilte die Klägerin darauf hin mit, dass ihre Mutter von ihrem Vater vor ca. 45
Jahren schuldig geschieden worden sei; eine Ausfertigung des Scheidungsurteils
könne sie nicht vorlegen. Ihrem Vater I1 M sei das Sorgerecht zugesprochen worden.
Ihre Geschwister T1 T2 und V M könnten bestätigen, dass sie nicht bei bzw. mit ihren
Geschwistern aufgewachsen sei. Nach telefonischer Rücksprache mit dem damaligen
Sachbearbeiter sei das Auskunftsverfahren im Hinblick auf die Sozialhilfegewährung an
ihren Vater ohne erkennbar abschließenden Bescheid eingestellt worden.
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Die Klägerin hat am 04.12.2009 Klage erhoben. Die Auskunftserteilung würde für sie
eine unbillige Härte bedeuten. Ihre Mutter sei ihr gegenüber der Rolle als Mutter nie
gerecht geworden sei. Ihre Mutter habe immer ihre eigenes Leben verfolgt, mütterliche
Zuneigung habe sie von ihr nicht erfahren.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 07.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
06.11.2009 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Ein Auskunftsanspruch scheide nur aus, wenn evident kein Unterhaltsanspruch
gegenüber dem Auskunftspflichtigen bestehe. Dies lasse sich jedoch nicht zweifelsfrei
und damit auch nicht evident feststellen. Nach den bisher vorgebrachten Tatsachen
bestünden Anhaltspunkte dafür, dass ein Beitrag zum Unterhalt der Höhe nach auf
einen Billigkeitsunterhalt zu beschränken sein könnte. Um diesen zu bemessen, sei
allerdings zunächst die Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse
erforderlich.
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Das Gericht hat am 04.05.2010 einen Erörterungstermin durchgeführt. Insoweit wird
Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie
waren Gegenstand der Entscheidung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Anfechtungsklage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 07.07.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.11.2009 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S.
1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dieser Bescheid ist rechtmäßig.
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Ermächtigungsgrundlage für das Auskunftsverlangen der Beklagten ist § 117 Abs. 1 S. 1
SGB XII. Danach haben u.a. die Unterhaltspflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über
ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die
Durchführung dieses Buches - also des SGB XII - es erfordert.
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1. Die Klägerin ist die Tochter der Sozialhilfebezieherin F G und damit nach § 1601
BGB als Verwandte gerader Linie grundsätzlich unterhaltsverpflichtet. Das
Auskunftsersuchen scheidet nur dann aus, wenn offensichtlich kein überleitbarer
Unterhaltsanspruch besteht (so genannte Negativevidenz). Eine nähere Prüfung der
Unterhaltsansprüche hat das erkennende Sozialgericht dabei nicht vorzunehmen. Nur
wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen
ersichtlich ist, dass der Unterhaltsanspruch nicht besteht, darf eine Auskunft vom
(vermeintlich) Unterhaltspflichtigen nicht verlangt werden (vgl. SG Münster Urt. v.
23.11.2009 - S 18 (16) SO 82/07; abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Es ist
nicht Aufgabe der Sozialgerichte, unterhaltsrechtlichen Fragen nachzugehen.
Negativevidenz kann nur dann vorliegen, wenn ein Anspruch von vornherein, ohne
nähere Prüfung - offensichtlich - ausgeschlossen ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt.
v. 14.04.2009 - L 20 SO 96/08). Die Kammer ist - trotz der von der Klägerin geschilderten
Situation in ihrer Kindheit insbesondere auch im Hinblick auf den Vortrag, ihre Mutter
habe ihr gegenüber keinen Unterhalt geleistet - davon überzeugt, dass eine
Unterhaltsanspruch jedenfalls nicht völlig auszuschließen ist. Zwar bestehen - wenn
man die Angaben der Klägerin als zutreffend unterstellt - Anhaltspunkte für eine
Beschränkung bzw. Ausschluss des Unterhaltsanspruch. Der Unterhaltsanspruch ist
jedoch nicht vornherein und offensichtlich ausgeschlossen. Denn auch wenn die Mutter
der Klägerin gegenüber der Klägerin nur zu Weihnachten und an Geburtstagen Kontakt
hatte und zudem keinen Unterhalt geleistet hat, liegen die Voraussetzungen für eine
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Beschränkung oder einen Wegfall der Verpflichtung nach § 1611 BGB nicht
offensichtlich vor. Nach Abs. 1 S. 1 der Norm braucht der Verpflichtete (hier die Klägerin)
nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe leisten, die der Billigkeit entspricht, u.a.
wenn der Unterhaltsberechtigte (hier die Mutter der Klägerin) seine eigenen
Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt
hat oder sich vorsätzlich einer groben Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder
einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. Nach Abs. 1
S. 2 fällt die Verpflichtung ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten
grob unbillig wäre. Dem ist zu entnehmen, dass schon für die Beschränkung der
Unterhaltsverpflichtung die fehlende Zahlung von Unterhalt als solches nicht ausreicht.
Vielmehr muss insoweit eine grobe Vernachlässigung, d.h. ein subjektiv vorwerfbares
Verhalten vorliegen. Aus welchen Gründen hier kein Unterhalt gezahlt wurde, ist nicht
bekannt. Außerdem ist ungeklärt, ob die Mutter der Klägerin, die bereits einen Sohn
hatte und zudem 7 Jahre noch der Geburt der Klägerin noch ein weiteres Kind
bekommen hat, überhaupt leistungsfähig nach § 1603 BGB war. Denn nach den
Angaben der Klägerin im Erörterungstermin haben ihre Großeltern ihre Mutter auch
noch finanziell mitunterstüzt. Des Weiteren stellt selbst die Ablehnung jeglichen
Kontakts mit dem Unterhaltsverpflichteten noch keine schwere Verfehlung dar (vgl.
Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 1611 Rn. 6). Hier fanden jedoch nach den Angaben der
Klägerin im Erörterungstermin wohl immerhin noch zu Weihnachten und an
Geburtstagen Kontakte statt. Aus dem Umstand, dass selbst eine gröbliche
Vernachlässigung des Unterhaltsanspruchs nur zu einer Beschränkung der eigenen
Unterhaltsverpflichtung führt, lässt sich entnehmen, dass dies jedenfalls nicht für die
Annahme einer groben Unbilligkeit ausreicht, die dann zum kompletten Wegfall der
eignen Unterhaltsverpflichtung führt. Der von der Klägerin geschilderte Lebensstil der
Mutter ist in den Augen der Klägerin verwerflich, ob damit eine grobe Verfehlung bzw.
eine grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme der Klägerin verbunden ist, ist nach
Ansicht der Kammer jedoch nicht ohne weitere Prüfung evident. Ob die
Voraussetzungen für einen Unterhaltsausschluss hier vorliegen, kann - auch wenn man
die Ausführungen der Klägerin, für die sie auch Beweis angeboten hat, als zutreffend
unterstellt - nicht abschließend geprüft und bejaht werden. Jedenfalls liegen die
Voraussetzungen für einen Unterhaltsausschluss nicht offensichtlich vor.
2. Die Auskunftserteilung ist auch insoweit zur Durchführung des SGB XII erforderlich.
Nach Ansicht des Gerichts sind aber auch die Voraussetzungen für das Vorliegen eines
Härtegrundes nach § 94 Abs. 3 SGB XII nicht gegeben. Liegen bei dem gesetzlichen
Anspruchsübergang des § 94 SGB XII Härtegründe nach § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII vor
und scheidet deshalb ein Anspruchsübergang aus, ist ein Auskunftsverlangen eines
Sozialhilfeträgers nicht erforderlich, weil ein Anspruchsübergang völlig unabhängig von
den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Pflichtigen ausscheidet (vgl.
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 117 Rn. 22). Ist der Übergang des
Unterhaltsanspruchs wegen einer (öffentlich-rechtlichen) unbilligen Härte
ausgeschlossen, besteht also keine Auskunftspflicht. Dabei ist diese Prüfung von
Härtegründen im Rahmen der Erforderlichkeit nicht mit der erwähnten Negativevidenz
des Unterhaltsanspruchs zu verwechseln (vgl. Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 117 Rn. 22).
Nach Ansicht des Gericht erfolgt die bei der Überprüfung der Erforderlichkeit des
Auskunftsverlangens relevant werdenden unbillige Härte zudem nur eingeschränkt,
nämlich nur dahingehend, ob eine unbillige Härte "offensichtlich" besteht: besteht eine
unbillige Härte offensichtlich, so ist das Auskunftsverlangen nicht erforderlich und damit
rechtswidrig. Ansonsten darf der Sozialhilfeträger Auskunft verlangen (vgl. zur
Offensichtlichkeit VG Hamburg Beschl. v. 07.02.1997 - 4 VG 4196/96, juris). Eine
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unbillige Härte wird regelmäßig nur dann vorliegen, wenn mit der Heranziehung des
Unterhaltspflichtigen soziale Belange vernachlässigt werden. Diese Einschränkung folgt
daraus, dass familiären Belangen bereits durch die zivilrechtlichen
Unterhaltsvorschriften Rechnung getragen wird. Eine derartiger "Randfall" einer
Vernachlässigung sozialer Belange, wie bez. die unverschuldete völlige Entfremdung
von Eltern und Kindern (vgl. Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 94 Rn. 29), liegt hier jedoch
ebenfalls nicht offensichtlich vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 1 VwGO.
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