Urteil des SozG Düsseldorf vom 06.12.2010

SozG Düsseldorf (aufschiebende wirkung, verwaltungsakt, ärztliche untersuchung, wirkung, untersuchung, antrag, erwerbsfähigkeit, eingliederung, arbeit, hauptsache)

Sozialgericht Düsseldorf, S 7 AS 4509/10 ER
Datum:
06.12.2010
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 7 AS 4509/10 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen
die durch Verwaltungsakt festgesetzte Eingliederungsvereinbarung vom
05.11.2010 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die
außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
1
I.
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Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Antragstellers auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 15.11.2010 gegen eine unter dem
05.11.2010 nach § 15 Abs. 1 S. 6 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II)
durch Verwaltungsakt festgesetzte Eingliederungsvereinbarung.
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In der streitbefangenen Eingliederungsvereinbarung wurde neben der Verpflichtung zur
Bemühung um die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
geregelt, dass der Antragsteller einen noch zu benennenden Termin beim
Gesundheitsamt des Rhein-Kreises O wahrnehme, damit seine Leistungsfähigkeit
festgestellt werde.
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Der Antragsteller ist der Ansicht, dass damit seine grundsätzliche Erwerbsfähigkeit
geprüft werden solle, und hält das Verwaltungshandeln für rechtswidrig.
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Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die durch Verwaltungsakt
festgesetzte Eingliederungsvereinbarung vom 05.11.2010 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Ihrer Ansicht nach habe das Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 4 AS 13/09
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R entscheiden, dass ihr angegriffenes Verwaltungshandeln der gerichtlichen Kotrolle
nicht zugänglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
verwiesen.
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II.
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Der Antrag hat Erfolg. Nach § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und
Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung
ganz oder teilweise anordnen.
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Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es das
Vollzugsinteresse der Behörde und das Aussetzungsinteresse des Antragstellers
zueinander abwägend ins Verhältnis setzt. Zur Gewichtung dieser Abwägung kann das
Gericht das Ergebnis einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des in der
Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs heranziehen.
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Zeigt sich, dass der angegriffene Verwaltungsakt offenbar rechtwidrig ist, kann kein
Vollzugsinteresse bestehen. Zeigt sich umgekehrt, dass der angegriffene
Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, kann in der Regel kein
Aussetzungsinteresse angenommen werden. Im Übrigen entscheidet eine
Interessenabwägung im Lichte einer doppelten Folgenabwägung.
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Der Antrag ist zulässig, da nach § 39 Nr. 1 SGB II Widerspruch und Anfechtungsklage
gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt oder Leistungen zur Eingliederung in
Arbeit oder Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei der Eingliederung in
Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung haben und vorliegend ein die Pflichten des
Antragstellers bei der Eingliederung in Arbeit regelnder Bescheid mit zulässigem
Widerspruch angegriffen worden ist.
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Der Antrag ist begründet, da der in der Hauptsache mit Widerspruch angegriffene
Bescheid vom 05.11.2010 offenbar rechtswidrig ist.
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Der Gesetzgeber hat der Antragsgegnerin nicht zugestanden, eine amtsärztliche
Untersuchung zum Regelungsgegenstand einer durch Verwaltungsakt festgesetzten
Eingliederungsvereinbarung zu machen. Der Gesetzgeber hat im Lichte des sensiblen
Schutzes von Gesundheitsdaten als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine
ausgewogene Regelung getroffen, nach der der Leistungsbegehrende nicht gegen
seinen Willen so gestellt werden kann, als habe er einer amtsärzltichen Untersuchung
zugestimmt.
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Dies folgt schon aus der Systematik des Gesetzes. In § 31 Abs. 2 SGB II ist geregelt:
"Kommt der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die
Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden oder
bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht
nach und weist er keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nach, wird das
Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 10
vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgeblichen
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Regelleistung abgesenkt."
Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass das Fernblieben von einer angeordneten
Untersuchung als Zuwiderhandlung gegenüber einer entsprechenden
Eingliederungsvereinbarung angesehen werden könne, hätte er § 31 Abs. 2 SGB II nicht
erlassen. Denn dann wäre eine Sanktion bereits nach § 31 Abs. 1 SGB II möglich
gewesen. Dort beträgt der Sanktionsumfang im Übrigen im ersten Schritt 30 vom
Hundert, was abschließend dafür spricht, dass der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 2 SGB II
eine zur Eingliederungsvereinbarung bewusst abgegrenzte Regelung getroffen hat.
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Sofern Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen bestehen, kann das
Fernbleiben von einer angeordneten Untersuchung eine Versagensentscheidung nach
§§ 60, 62, 66 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) rechtfertigen.
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Dies schließt eine Auslegung des § 15 SGB II dahingehend aus, dass eine ärztliche
Untersuchung als Eingliederungsbemühung im Sinne der Norm anzusehen sei. § 15
SGB II bezieht sich auf Eingliederungsbemühungen im engeren Sinne. Die vorgelagerte
Frage der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit ist mit den aufgezeigten Instrumenten
gesondert zu verfolgen. Wegen der notwendigen Formenklarheit hoheitlicher
Handlungen ist eine Vermischung unzulässig.
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An dieser Beurteilung vermag auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts unter
dem benannten Aktenzeichen nichts zu ändern. Dort ist lediglich erkannt worden, dass
die Optionen der Verwaltung, eine Eingliederungsvereinbarung auszuhandeln oder
sogleich durch Verwaltungsakt festzuzsetzen, gleichwertig nebeneinanderstehen; die
getroffene Auswahlentscheidung über das "Wie" des Handelns soll dann der
gerichtlichen Kontrolle entzogen sein. Die jeweils getroffene inhaltliche Regelung bleibt
dagegen der gerichtlichen Kontrolle voll zugänglich.
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Da die Antragsgegnerin das Leistungsvermögen des Antragstellers nicht ausreichend
beurteilen kann und dem Einwand des Antragstellers, es gehe letztlich um die
grundsätzliche Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit, nicht widersprochen hat, sind auch
die Regelungen über die Bemühungen um Aufnahme eines
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses rechtswidrig. Die
Erwerbsfähigkeit ist Tatbestandsmerkmal des § 15 SGB II. Zweifel an dessen Vorliegen
gehen zu Lasten der Behörde. Solange diese nicht über §§ 60 ff. SBG I ausgeräumt
sind, muss von der Anwendung der Norm Abstand genommen werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193
SGG.
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