Urteil des SozG Düsseldorf vom 23.02.2011

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Sozialgericht Düsseldorf
Urteil vom 23.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Düsseldorf S 14 KA 261/09
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 05.08.2009 und vom 10.09.2009 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 verurteilt, dem Kläger die gestrichenen Sachkosten für die Quartale I/09
und II/09 in Höhe von 196,98 Euro zu erstatten. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen von Sachkosten für die Quartale I/09 und II/09.
Der Kläger ist Mund-, Kiefer- u. Gesichtschirurg und zur vertragsärztlichen Versorgung in L zugelassen.
Er führte in den streitigen Quartalen ambulante Operationsleistungen durch, bei denen sterile Abdecktücher als
Einmalartikel zum Einsatz kamen. Die Sachkosten in Höhe von 2,01 Euro machte er mit dem jeweiligen
Behandlungsfall geltend.
Für das Quartal I/09 berichtigte die Beklagte diese Sachkosten mit Bescheid vom 05.08.2009 in 36 Behandlungsfällen
insgesamt 49mal und für das Quartal II/09 mit Bescheid vom 10.09.2009 in 29 Behandlungsfällen insgesamt ebenfalls
49mal. Zur Begründung führte sie aus, dass diese Kosten gemäß den Allgemeinen Bestimmungen Abschnitt 7.1 EBM
2009 zu den allgemeinen Praxiskosten gehören bzw. in den berechnungsfähigen EBM-Nrn. enthalten und somit nicht
gesondert abrechnungsfähig seien.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinen Widersprüchen, mit denen er geltend machte, dass die Streichung der
Sachkosten unzutreffend sei. Die Beschränkung der gesonderten Abrechnung von Einmalabdecksets auf knochen-
und gelenkchirurgische Eingriffe habe keine Rechtsgrundlage.
Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2009 aus den Gründen der angefochtenen
Entscheidungen zurück.
Der Kläger hat am 31.12.2009 Klage erhoben. Zu deren Begründung verweist er im Wesentlichen auf eine
Entscheidung des LSG NRW vom 16.01.2008 - L 11 KA 44/06 -, wonach die Kosten für Einmalabdecksets, welche
bei Operationen anstelle von resterilisierbaren Abdecktüchern eingesetzt würden, gesondert zu vergüten seien, weil
diese nur einmalig bei der Operation eines bestimmten Patienten eingesetzt würden. Der normierte Ausschluss einer
Kostenerstattung für die im EBM aufgezählten Einmalartikel sei abschließend und erfasse die Abdecktücher nicht.
Die Entscheidung beschränke sich nicht lediglich auf knochen- und gelenkchirurgische Eingriffe, sondern gelte auch
für die von ihm vorgenommenen Eingriffe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 05.08.2009 und 10.09.2009 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16.12.2009 zu verurteilen, die Sachkosten in Höhe von 196,98 Euro für die Quartale
I/09 und II/09 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Hinsichtlich des von dem Kläger zitierten Urteils
des LSG NRW sei darauf hinzuweisen, dass Streitgegenstand dieses Verfahrens die Verwendung von Einmal-
Abdecktüchern im Zusammenhang mit knochen- und gelenkchirurgischen Eingriffen gewesen sei. Vorliegend handele
es sich jedoch um den Einsatz von Einmal-Abdecktüchern bei anderen operativen Eingriffen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
beschwert, denn diese Bescheide sind rechtswidrig. Die Beklagte ist verpflichtet, die in Ansatz gebrachten
Sachkosten in Höhe von 196,98 Euro zu erstatten.
Die Beklagte ist grundsätzlich berechtigt, die Abrechnungen der Vertragsärzte sachlich und rechnerisch zu
berichtigen. Diese Aufgabe ergibt sich für die Beklagte aus § 106a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V, der durch Art. 1
Nr. 83 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190,
2217) mit Wirkung zum 01.01.2004 (Art. 37 Abs. 1 GMG) eingefügt worden ist. Danach ist die Beklagte gesetzlich
berechtigt und verpflichtet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte
festzustellen. Festzustellen ist hierbei, ob die Abrechnungen mit den Abrechnungsvorgaben des Regelwerks, d.h. mit
dem Einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM), den Honorarverteilungsverträgen sowie weiteren
Abrechnungsbestimmungen übereinstimmen oder ob zu Unrecht Honorare angefordert wurden (vgl. BT-Drucksache
15/1525 S. 117 zu § 106a SGB V). Bei Fehlern in der Abrechnung des Vertragsarztes berichtigt die Beklagte dessen
Honoraranforderung. Dies kann auch im Wege nachgehender Richtigstellung erfolgen. Die Ausschlussfrist für die
nachgehende Richtigstellung beträgt insoweit vier Jahre seit Erteilung des jeweiligen Quartalsabrechnungsbescheides
(vgl. BSG Urteile vom 06.09.2006 - B 6 KA 40/05 R - und vom 28.03.2007 - B 6 KA 22/06 R -). Daneben ergibt sich
das Berichtigungsrecht der Beklagten nach wie vor aus den Regelungen der Bundesmantelverträge (§ 45 Abs. 1
Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und § 34 Abs. 4 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä)).
Die Voraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Berichtigung sind vorliegend indes nicht gegeben. Der Kläger hat
die Sachkosten für die Einmal-Abdecktücher zu Recht auf den Behandlungsscheinen der Patienten abgerechnet.
Denn diese sind weder in den berechnungsfähigen Leistungen bereits enthalten noch unterfallen sie den Allgemeinen
Bestimmungen Abschnitt 7.1 des EBM.
Nach Prüfung der in der Verwaltungsakte befindlichen und von der Beklagten im Klageverfahren ergänzend
übersandten Behandlungsscheine sind die streitigen Abdecktücher bei Operationsleistungen nach den Ziffern 15323,
31103, 31103, 31.232, 31233, 31322, 31323 und 31324 EBM zum Einsatz gekommen. Für sämtliche genannten
Leistungsziffern gilt, dass Regelungen zu Sachkosten, die bei der Operation zum Einsatz kommen, in der
Leistungslegende nicht enthalten sind. Diese enthalten jeweils keinen Zusatz wie etwa "einschließlich Kosten".
Maßgeblich ist der Wortlaut der Leistungslegende. Eine ausdehnende Auslegung der Leistungsbeschreibungen und –
bewertungen im EBM ist unzulässig. Den Gerichten ist bei der Auslegung von Vorschriften über die Vergütung
vertragsärztlicher Leistungen Zurückhaltung auferlegt. Sie haben sich an den Wortlaut des Bewertungsmaßstabes zu
halten. Eine systematische Interpretation dürfen sie nur im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang
stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührennummern vornehmen (vgl. LSG NRW Urteil vom 09.08.2006 – L 10
KA 33/05 –). Insofern ist zu beachten, dass weder die Präambel zu Kapitel 15 (Gebührenordnungspositionen der
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie) noch die Präambel zu Kapitel 31.2 des EBM (ambulante und belegärztliche
Operationen) einen Rückschluss auf die Abrechnung von Sachkosten zulassen. Die Präambel nach Ziffer 15.1 EBM
enthält hierzu überhaupt keine Regelung. In Kap. 32.2.1 Nr. 5 der Präambel wird lediglich festgelegt, dass mit den
Leistungsziffern sämtliche ärztlichen Leistungen, Verbände sowie Dokumentationen abgegolten sind. Wäre es das
Bestreben der Vertragspartner gewesen, sämtliche Sachkosten einzubeziehen, wäre an dieser Stelle eine eindeutige
Formulierung erforderlich gewesen. Eine solche fehlt jedoch sowohl in den jeweiligen Leistungslegenden als auch in
den entsprechenden Präambeln der einzelnen Leistungskapitel des EBM.
Gleiches gilt für die Allgemeinen Bestimmungen des EBM in Abschnitt 7. Nach Abschnitt 7.1, erster Spiegelstrich,
sind in den berechnungsfähigen Leistungen – soweit nichts anderes bestimmt ist – die allgemeinen Praxiskosten
enthalten. Ferner sind nach Abschnitt 7.1, zweiter Spiegelstrich, darin Kosten enthalten, die durch die Anwendung von
ärztlichen Instrumenten und Apparaturen entstanden sind. Nach Abschnitt 7.1, dritter Spiegelstrich, gilt dies auch für
Kosten für Einmalspritzen, Einmalkanülen, Einmaltrachealtuben, Einmalabsaugkatheter, Einmalhandschuhe,
Einmalrasierer, Einmalharnblasenkatheter, Einmalskalpelle, Einmalproktoskope, Einmaldarmrohre, Einmalspekula und
Einmalküretten.
Einmal-Abdecktücher unterfallen jedoch nicht Abschnitt 7.1. Sie gehören nicht zu den allgemeinen Praxiskosten nach
Abschnitt 7.1, erster Spiegelstrich. Das sind alle Aufwendungen, die für die Bereithaltung und Ausführung der
ärztlichen Tätigkeit erforderlich sind, ohne dass sich diese Aufwendungen konkret einer einzelnen Leistung zuordnen
lassen (vgl. LSG NRW Urteil vom 16.01.2008 - L 11 KA 44/06 - ). Diese Definition trifft danach nur für resterilisierbare
Abdecktücher zu, die vom Arzt im Rahmen des Praxisbetriebs wiederholt bei ambulanten Operationen eingesetzt
werden. Die vom Kläger verwendeten Einmal-Abdecktücher sind hingegen nur einmalig bei einer Operation verwendbar
und einem konkreten Patienten zuzuordnen. Einmal-Abdecktücher lassen sich ebenfalls nicht unter Abschnitt 7.1,
dritter Spiegelstrich, subsumieren. Zwar sind hier verschiedene Einmalprodukte genannt, die an die Stelle wieder
verwendbarer Instrumente und Materialien getreten sind und deren Kosten nicht gesondert berechnungsfähig sein
sollen. Eine generelle Aussage dahingehend, dass sämtliche Einmal-Materialien, die anstelle von wieder
verwendbaren Materialien verwendet werden, von der Erstattungsfähigkeit ausgenommen sein sollen, lässt sich der
Regelung indessen nicht entnehmen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass für Einmalartikel in den Allgemeinen
Bestimmungen des EBM differenzierte Regelungen getroffen worden sind. In Abschnitt 7.1, dritter Spiegelstrich,
werden bestimmte Einmalartikel als in den berechnungsfähigen Leistungen enthaltene Kosten genannt, während
gleichzeitig in Abschnitt 7.3, zweiter Spiegelstrich, andere Einmalartikel als gesondert berechnungsfähig aufgeführt
werden. Nachdem wesentliche Grundlage für die Anwendung der Regelungen des EBM deren Wortlaut ist, müssen die
getroffenen Regelungen als abschließend betrachtet werden. Insofern haben es die Vertragspartner des EBM in der
Hand, ggf. allgemeiner formulierte, aber dennoch eindeutigere Regelungen dahingehend zu schaffen, dass zu den
Praxiskosten alle Einmalartikel zählen, die ohne medizinischen Grund anstelle von zur Praxisausstattung zählenden
Produkten verwandt werden (vgl. LSG NRW a.a.O.). Solange sie dies nicht tun, unterfallen die Kosten für die von dem
Kläger verwendeten Einmal-Abdecktücher nach dem Wortlaut des EBM nicht Abschnitt 7.1, dritter Spiegelstrich, der
Allgemeinen Bestimmungen.
Dessen ungeachtet lassen sich die Einmal-Abdecktücher jedoch ohne weiteres unter Abschnitt 7.3, erster
Spiegelstrich, des EBM subsumieren. Danach sind in den berechnungsfähigen Leistungen - soweit nichts anderes
bestimmt ist - Kosten für Arzneimittel, Verbandmittel, Materialien, Instrumente, Gegenstände und Stoffe, die nach der
Anwendung verbraucht sind oder die der Kranke zur weiteren Verwendung behält, nicht enthalten. Einmal-
Abdecktücher sind nur einmalig bei der Operation eines bestimmten Patienten verwendbar. Es handelt sich also um
Materialien, die nach der Anwendung verbraucht sind und demgemäß gesondert berechnungsfähig sind. Denn
anderweitige Regelungen, die das ausschließen würden, sind nicht vorhanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG kam nach Auffassung der Kammer nicht in
Betracht, da die Angelegenheit im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil des LSG NRW vom 16.01.2008 – L 11 KA
44/06 –, zu welchem die Revison zurückgenommen worden ist, keine grundsätzliche Bedeutung mehr besitzt. Das
vorbenannte Urteil hatte ebenfalls die Verwendung von Einmal-Abdecktüchern anstelle von resterilisierbaren
Abdecktüchern zum Gegenstand, so dass ein vergleichbarer Sachverhalt gegeben war. Auf die zugrunde liegende
Operationsleistung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, denn auf diese hat das LSG NRW in seiner o.g.
Entscheidung gerade nicht abgestellt.