Urteil des SozG Düsseldorf vom 08.06.2006

SozG Düsseldorf: gerichtsakte, arbeitslosigkeit, vertrauensschutz, vollrente, anerkennung, altersrente, meinung, widerspruchsverfahren, vervielfältigung, ausbildung

Sozialgericht Düsseldorf, S 26 R 7/06
Datum:
08.06.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 26 R 7/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 8 R 197/06
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt zur Steigerung ihrer Altersrente eine weitergehende
Berücksichtigung von Versicherungszeiten, auch ihrer Kinderberücksichtigungszeiten
und darüber hinaus Altersrente ohne Abschläge.
2
Die Klägerin ist am 00.00.1943 im Kreis L in Schlesien geboren. Im März 1983
übersiedelte sie als Vertriebene ins Bundesgebiet und hat seitdem auch einen
deutschen Personalausweis.
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Am 29.04.2003 bat sie, als sie noch keine Rente bezog, im Rahmen einer Beratung um
eine Rentenauskunft.
4
Die Beklagte erteilte daraufhin einen Bescheid mit Versicherungsverlauf vom
15.05.2003, mit dem sie die bisherigen Versicherungszeiten feststellte, und dem auch
eine Rentenauskunft beigefügt war, die die Beklagte für unverbindlich erklärte (Bl. 50 ff.
der Gerichtsakte).
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Dagegen wandte sich die Klägerin am 13.06.2003 und bat um Überprüfung. Ihrer
Meinung nach dürften die Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten
(für ihre beiden am 00.00.1969 und 00.00.1974 geborenen Kinder) nicht mit einem
Minderungsfaktor von 0,6 berechnet werden.
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Die Beklagte erteilte daraufhin den angefochtenen Überprüfungsbescheid vom
02.07.2003, mit dem sie eine andere Speicherung bzw. Bewertung der
Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten ablehnte. Zur Begründung
heißt es dort, die maßgeblichen Kindererziehungszeiten bzw.
Kinderberücksichtigungszeiten könnten lediglich auf der Grundlage des § 28 b des
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Fremdrentengesetzes (FRG) anerkannt und gemäß § 22 Abs 1 und 4 FRG bewertet
werden. Nach der Vorschrift des § 22 Abs 4 FRG erhielten Berechtigte nach dem FRG
Leistungen nicht mehr nach den auf Durchschnittsverdiensten beruhenden
Tabellenwerten, sondern nur noch einen bestimmten Anteil hiervon. Damit werde die
Eingliederung in Gebiete des Bundesgebietes simuliert, um den unterschiedlichen
Lebensbedingungen im Bundesgebiet Rechnung zu tragen. Mit der rück wirkenden
Änderung dieser Vorschriften durch das Wachstums- und
Beschäftigungsförderungsgesetz werde dieses Prinzip fortgesetzt, der Umfang der
Absenkung aber verstärkt. Jetzt könnten den Berechtigten nach dem FRG nur noch 60
% angerechnet werden. Seit dem 01.07.1998 seien auch die Entgeltpunkte für
Kindererziehungszeiten von der Absenkung betroffen, weil deren Bewertung von
diesem Zeitpunkt an in § 22 Abs 1 FRG geregelt sei, auf den die Absenkungsvorschrift
des § 22 Abs 4 FRG Bezug nehme. Damit erfolge die Absenkung der Tabellenwerte auf
60 % für die in Polen zurückgelegten Zeiten zu Recht mit der Folge, dass die
Feststellung der Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten im
Bescheid vom 15.05.2003 nicht zu beanstanden sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 05.08.20203 Widerspruch ein und blieb
bei ihrer Auffassung. Sie sei Vertriebene, und nach einer Rentenbroschüre würden
Zeiten im Herkunftsgebiet Zeiten in der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Zur ergänzenden Begründung führte sie aus, mit dem überprüften
Kontenklärungsbescheid vom 15.05.2003 sei über die rechtliche Grundlage der
Vormerkung der genannten Zeiten nach dem FRG zu entscheiden gewesen. Diese sei
nicht zu beanstanden, da Entgeltpunkte nach dem FRG gem § 22 Abs 4 FRG nur im
Umfang von 60 % anzurechnen seien. Der Hinweis auf den Vertriebenenausweis führe
nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Die Vertriebeneneigenschaft seien bereits
berücksichtigt worden. Gerade diese ermögliche nach § 28 b FRG erst die Vormerkung
der Erziehungszeiten in der deutschen Rentenversicherung.
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Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 12.03.2004 Klage zum Sozialgericht
Düsseldorf erhoben. Zur Begründung dieser Klage nimmt sie sinngemäß Bezug auf ihr
bisheriges Vorbringen.
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Am 28.01.2004 beantragte die Klägerin eine Teilrente von 1/3 mit Wirkung ab dem
01.05.2004.
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Die Beklagte erteilte daraufhin den auch im Klageverfahren angefochtenen
Rentenbescheid vom 19.05.2004 (Bl.67 der Beiakte). Mit diesem Rentenbescheid
erkannte sie eine monatliche Rente von 257,64 Euro an, auf der Basis der bisher
gespeicherten Versicherungszeiten, incl. auch der Kindererziehungszeiten und
Kinderberücksichtigungszeiten (bis 04.04.1984, Bl. 72 R der Beiakte) und auch auf der
Basis von Ersatzzeiten vom 29.03.1983 bis 11.06.1984. Im Übrigen wandte die Beklagte
einen verringerten Zugangsfaktor von 0,922 und in der Folge Rentenabschläge an, weil
die Rente schon vorzeitig in Anspruch genommen werde (um 26 Monate).
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Gegen diesen Rentenbescheid legte die Klägerin am 17.06.2004 Widerspruch ein. Ihrer
Meinung nach seien die bisherigen Kindererziehungszeiten und
Kinderberücksichtigungszeiten und Ersatzzeiten und Anrechnungszeiten wegen
Arbeitslosigkeit noch nicht ausreichend anerkannt bzw. berücksichtigt. Außerdem
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mache sie Vertrauensschutz geltend, bei ihrer Rentenberechnung dürfe auch kein
geminderter Zugangsfaktor angewandt werden.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 26.08.2004 den Widerspruch gegen
den Rentenbescheid zurück. Zur Begründung führte sie aus, hinsichtlich der
Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten sei der Widerspruch schon
unzulässig, weil dies schon Gegenstand der Klage gegen den Bescheid vom
02.07.2003 und den Widerspruchsbescheid vom 09.02.2004 sei. Was Vertrauensschutz
und Nichtdurchführung von Rentenabschlägen angehe, sei der Widerspruch zwar
zulässig, aber unbegründet. Denn auf die Klägerin finde eine Vertrauensschutzregelung
keine Anwendung. Nach § 237 a Abs 3 Nr 3 SGB VI gelte eine
Vertrauensschutzregelung (also keine Rentenabschläge) nur für Frauen, die schon vor
dem 01.01.1942 geborenen seien und darüber hinaus 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für
eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt hätten. Die Klägerin sei
schon nach diesem Zeitpunkt geboren. Folgerichtig habe die Beklagte bei einem
Rentenbeginn am 01.05.2005 für die Ermittlung des Zugangsfaktors 26 Kalendermonate
nach § 237 a Abs 2 SGB VI iVm der Anlage 20 zum Sozialgesetzbuch (SGB) VI
zugrunde gelegt.
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Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 15.09.2004 eine weitere
Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
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Die Klagen der Klägerin wurden inzwischen mit Beschluss des Sozialgerichts vom
03.12.2004 (Bl. 63 der Gerichtsakte) nach § 113 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
miteinander zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, so dass
inzwischen nur noch ein einheitliches Klageverfahren vorliegt.
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Das Verfahren hat zeitweilig vom 12.11.2004 bis zum 03.01.2006 geruht, um
höchstrichterliche Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) und des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den hier streitigen Rechtsfragen abzuwarten.
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Die Klägerin hat nun mit ihren Schriftsätzen vom 04.01.und 07.02.2006 um ein Urteil
gebeten, um den Streit zu beenden. Das Gericht hat der Klägerin daraufhin mitgeteilt,
dass laut telefonischer Auskunft des BVerfG die dortigen grundsätzlichen Verfahren zur
Kürzung der Fremdrentenzeiten um den Faktor 0,6 z. Zt. beraten würden. Wann genau
die Entscheidungen ergingen, sei noch unklar, aber sicher bis Ende des Jahres 2006,
so das BVerfG. Das Gericht hat daraufhin bei der Klägerin angefragt, ob das Verfahren
bei dieser Sachlage wieder ruhen sollte, oder ob die Klägerin gleichwohl schon vor den
Urteilen des BVerfG eine Entscheidung in ihrer Sache wünsche. Die Klägerin ist
daraufhin mit Schriftsatz vom 24.04.2006 dabei geblieben, dass sie das Gericht um ein
Urteil bitte (Bl. 141, 142 der Gerichtsakte).
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Die Beklagte hat inzwischen einen Rentenbescheid vom 22.12.2005 (Bl. 125 ff der
Gerichtsakte) über Vollrente wegen Alters ab 01.03.2006 erteilt. Mit diesem
Rentenbescheid gewährt die Beklagte weiterhin Rente auch auf der Basis der bisher
anerkannten Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten und
Ersatzzeiten und berücksichtigt auch weiterhin einen verminderten Zugangsfaktor, nun
von 0,998 (anstelle von 0,922 - wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf
Anlage 6 Seite 1 zu diesem Bescheid Bl. 130 der Gerichtsakte). Die Beklagte hat erklärt,
diesen Bescheid nach § 96 Abs 1 SGG zum Gegenstand des Verfahrens zu machen,
jedenfalls soweit es um die bisherigen Begehren der Klägerin gehe.
19
Die Beklagte hat inzwischen auch einen weiteren Rentenbescheid vom 05.04.2006
erteilt, mit dem sie nach einer Anhörung die Altersteilrente für die Zeit vom 01.02.2005
bis 28.02.2006 aufhob und zurückfordert, wegen der Überschreitung der
Hinzuverdienstgrenzen in diesem Zeitraum. Gegen diesen Bescheid ist von der
Klägerin bei der Beklagten Widerspruch eingelegt worden, über den die Beklagte noch
nicht entschieden hat und den die Beklagte ruhend gestellt hat, bis das Sozialgericht
eine Entscheidung über die Versicherungszeiten bzw. die Elemente der Rentenhöhe
und den Zugangsfaktor getroffen hat (Bl. 156 bis 160, 163 R, 167 der Gerichtsakte).
20
Die Klägerin ist nun weiterhin mit der von der Beklagten errechneten Höhe ihrer
Altersteilrente und Altersvollrente unter Zugrundelegung eines geringeren als des
allgemeinen Zugangsfaktors (1,0) nicht einverstanden und bittet um ein Urteil.
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Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen
und vertieft dieses. Die Beklagte habe immer noch nicht alle Kindererziehungszeiten
und Kinderberücksichtigungszeiten und Ersatzzeiten und Anrechnungszeiten in
ausreichendem Umfang anerkannt und berücksichtigt. Die Kinderberücksichtigungszeit
vom 01.03.1983 bis 04.04.1984 würde fehlen (Bl. 83 Gerichtsakte) und im Übrigen seien
diese Zeiten zu Unrecht mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt worden, abweichend von einer
Rentenbroschüre. Die Beklagte müsse auch den allgemeinen Zugangsfaktor von 1,0
berücksichtigen, da sie ihrer Meinung nach Vertrauensschutz genieße. Sie habe schon
bis Mai 2004 543 Monate Beitragszeiten zurückgelegt, Bl. 118, 119 Gerichtsakte.
Außerdem fehle noch die Anerkennung von Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit
vom 2903.1983 bis 12.06.1984, wie mit Widerspruch vom 13.06.2004 geltend gemacht
(Bl. 82 ff der Beiakte). Außerdem habe sie im Zeitraum vom März 1983 bis Juni 1984
vom Arbeitsamt auch Unterhaltsgeld erhalten wegen Kombimaßnahmen für Aussiedler,
was bisher auch noch nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt worden sei.
22
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.05.2003, Aufhebung des
Bescheides vom 02.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
09.02.2004, Abänderung des Rentenbescheides vom 19.05.2004 und Aufhebung des
Widerspruchsbescheides vom 26.08.2004 und unter Abänderung des
Rentenbescheides vom 22.12.2205 zu verurteilen, 1.bei der Berechnung der
Altersteilrente und der Altersvollrente Kinderberücksichtigungszeiten auch für die Zeit
vom 01.03.1983 bis 04.04.1084 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und
des Schriftsatzes vom 28.05.2006 zu berücksichtigen, 2.bei der Berechnung der
Altersteilrente und der Altersvollrente weitere Ersatzzeiten und Anrechnungszeiten
wegen Arbeitslosigkeit und Ausbildung im Zeitraum vom 29.03.1983 bis 30.06.1984
nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und des Schriftsatzes vom 28.05.2006
anzuerkennen und zu berücksichtigen, 3.bei der Berechnung der Altersteilrente und der
Altersvollrente die Entgeltpunkt für die Kindererziehungszeiten und
Kinderberücksichtigungszeiten und sonstige Versicherungszeiten nach dem FRG nicht
nach § 22 FRG mit dem Faktor 0,6 oder einem anderen effektiv kürzenden Faktor zu
vervielfältigen, 4.bei der Berechnung der gesamten persönlichen Entgeltpunkt für die
Altersteilrente und die Altersvollrente den allgemeinen Rentenzugangsfaktor von 1,0
zugrunde zu legen, anstelle von Zugangsfaktoren von 0,922 oder 0,988.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
und hält diese weiterhin für zutreffend. An die gesetzlichen Bestimmungen sei sie
gebunden. Die Beklagte trägt ferner vor, auf eine Vorlage des BVerfG wegen der
fraglichen Verfassungswidrigkeit der Rentenabschläge nach § 237 a SGB VI komme es
hier nicht an wegen des Geburtsjahrgangs der Klägerin, außerdem würde die Klägerin
auch die Voraussetzung der 45 Versicherungsjahre für die Erfüllung des
Vertrauensschutzes unabhängig vom Geburtsjahr nicht erfüllen. Soweit sich die
Klägerin darauf berufe, nach Anlage 4 S 3 des Bescheides vom 19.05.2004 habe sie
schon 543 Monate zurückgelegt, missverstehe die Klägerin die Rentenberechnung; mit
diesen 543 Monaten sei nur die Berechnung des belegungsfähigen Gesamtzeitraumes
im Sinne von § 71 Abs 1 SGB VI im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung gemeint.
45 Versicherungsjahre bzw. 540 Monate Versicherungszeiten mit Pflichtbeiträgen für
eine Beschäftigung oder Tätigkeit lägen aber im Versicherungsverlauf der Klägerin nicht
vor. Im Übrigen habe die Beklagte auch für die Zeit bis zum 04.04.1984 in ihren
Rentenbescheiden eine Kinderberücksichtigungszeit berücksichtigt im Rahmen der
Gesamtleistungsbewertung. Für den Zeitraum vom 29.03.1983 bis 11.06.1984 seien
dabei sowohl die anerkannten Ersatzzeiten wie auch zusätzliche
Kinderberücksichtigungszeiten mit Entgeltpunkten bewertet worden. Eine zusätzliche
schulische Anrechnungszeit sei bisher weder beantragt gewesen noch durch
entsprechende Unterlagen belegt und auch nie Gegenstand der angefochtenen
Bescheide gewesen.
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Während das Klageverfahren noch ruhte, hat das BVerfG inzwischen mit Beschluss vom
21.10.2004 entschieden, dass diverse Verfahren betreffend die Zuerkennung von mehr
als einem Jahr Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder (statt 3 Jahren)
nicht zur Entscheidung angenommen werden (Bl. 99 ff. der Gerichtsakte). Das BVerfG
hat eine Verfassungswidrigkeit dieser Situation auch im Verfahren B 0 RA 00/00 R
grundsätzlich nicht gesehen, mit dem Urteil vom 18.10.2005. In dem Verfahren B 0 RA
00/00 R des BSG kam es einzelfallbedingt wegen des Sachverhalts nicht zu einer
verfassungsrechtlichen Prüfung der Rentenabschläge nach § 237 a SGB VI (Bl. 110 der
Gerichtsakte). Im Verfahren B 0 RA 00/00 R hat das BSG mit Entscheidung vom
23.08.2005 (Bl. 115 f der Gerichtsakte) dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die
Rentenabschläge bei der Rente nach § 237 a SGB VI verfassungwidrig sind, sofern die
Norm nur diejenigen vor dem 01.01.1942 geborenen versicherten Frauen begünstigt,
die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine Beschäftigung oder Tätigkeit haben, ohne auch
diejenigen vor dem 01.01.1942 geborenen Versicherten in die Begünstigung mit
einzubeziehen, die eine vergleichbare Vorleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung
erbracht haben (Bl. 115 Gerichtsakte).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den
Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren, Bezug genommen,
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zwar grundsätzlich zulässig. Denn die inzwischen zu einer gemeinsamen
Klage verbundenen Klagen der Klägerin wurden fristgerecht erhoben. Der
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Widerspruchsbescheid vom 09.02.2004 gilt nach § 37 Abs 2 SGB X fiktiv als frühestens
am 12.02.2004 zugegangen. Die Klagefrist lief damit bis zum Ablauf des 12.03.2004, an
diesem Tag ging auch die entsprechende Klage der Klägerin ein. Auch gegen den
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 26.08.2004 hat die Klägerin innerhalb von
einem Monat am 15.09.2004 fristgerecht Klage erhoben. Der in den Klageantrag mit
einbezogene Rentenbescheid über Vollrente vom 22.12.2005 ist auch nach § 96 SGG
zulässiger Verfahrensgegenstand des Klageverfahrens geworden, soweit es um
Versicherungszeiten und deren Umfang und um die Rentenabschläge geht, also die
Elemente der Rentenberechnung. Denn dies war auch schon Gegenstand der zuvor
angefochtenen Bescheide.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gem § 136
Abs 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in deren angefochtenen
Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab.
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Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus:
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Die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom
15.05.2003, vom 02.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
09.02.2004, vom 19.05.2004 und vom 26.08.2004 wie auch vom 22.12.2005 sind nicht
rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs 2 SGG, weil die
Beklagte mit diesen Bescheiden eine weitergehende Anerkennung bzw.
Berücksichtigung von Versicherungszeiten abgelehnt hat und die Altersteilrente und die
Altersvollrente dem Grunde nach in zulässiger Höhe festgestellt hat und weil die
Beklagte zu Recht auch Rentenabschläge durchgeführt hat unter Zugrundelegung eines
verringerten Zugangsfaktors.
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Zu den einzelnen Begehren der Klägerin:
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1. Weitergehende Kinderberücksichtigungszeiten sind für die Klägerin nicht zu
berücksichtigen. Denn für die Zeit vom 01.03.1983 bis 04.04.1984 hat die Beklagte
diese Zeiträume bereits als Kinderberücksichtigungszeiten anerkannt und bei der
Rentenberechnung auch berücksichtigt. Es wird insoweit Bezug genommen auf den
Rentenbescheid vom 19.05.2004, siehe dazu Anlage 2 Seite 2, Anlage 3 Seite 4 und
Anlage 4 Seite 1; dabei überschneiden sich diese Kinderberücksichtigungszeiten sogar
mit den der Klägerin günstigeren schon anerkannten Ersatzzeiten, siehe dazu Anlage 4
Seite 4 des Bescheides vom 19.05.2004. Im Rahmen der Gesamtleistungswertung nach
§ 71 SGB VI sind also diese Kinderberücksichtigungszeiten bereits in die
Rentenberechnung mit eingeflossen, eigenständige Entgeltpunkte werden für
Kinderberücksichtigungszeiten nach den gesetzlichen Vorschriften nicht vergeben. Die
vorgenannten Kinderberücksichtigungszeiten sind so auch entsprechend in den
Vollrentenbescheid vom 22.12.2005 mit eingeflossen bzw. in diesen Bescheid mit
übernommen worden, denn dafür wurden gleiche Entgeltpunkte ermittelt (und zwar 35,
2742 Entgeltpunkt; siehe dazu Anlage 6 Seite 1 zu den jeweiligen Bescheiden). Dazu
musste nicht notwendig zu dem Altersvollrentenbescheid ein neuer
Versicherungsverlauf erstellt werden. Die Klägerin ist also insoweit nicht beschwert im
Sinne von § 54 Abs 2 SGG.
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2. Weitergehende Ersatzzeiten oder Anrechnungszeiten kommen für die Klägerin auch
nicht in Betracht. Die Beklagte hat nämlich schon ab dem Zeitpunkt der Übersiedlung
der Klägerin ins Bundesgebiet (29.03.1983) bis zum 11.06.1984 im
Versicherungsverlauf Ersatzzeiten wegen Vertreibung/Flucht anerkannt und
berücksichtigt, Ersatzzeiten nach § 250 Abs 1 Nr. 6 SGB VI sind also gerade wegen der
Arbeitslosigkeit nach der Übersiedlung anerkannt worden. Es spielt dabei keine Rolle,
dass im Versicherungsverlauf die Ersatzzeit nur bis zum 11.06.1984 vorgemerkt wurde,
denn nur teilweise belegte Monate zählen insoweit als gesamte Monate, so § 122 Abs 1
SGB VI. Die Beklagte hat also die gesamte Zeit von der Auswanderung an bis zum Vor-
Monat der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet
(Juli 1984) ausreichend als Ersatzzeit berücksichtigt. Weitergehende
Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit oder wegen Ausbildung nach § 58 SGB VI
kommen hier auch nicht rentensteigernd zur Anwendung. Soweit sich die Klägerin mit
ihren Schriftsätzen vom 13.06.2004 und 23.11.2005 (Bl. 29, 121 Gerichtsakte) darauf
beruft, es seien auch Anrechnungszeiten insoweit vom 29.03.1983 bis 30.06.1984 noch
anzuerkennen und zu berücksichtigen, ist dies für die Höhe der Rente schon deshalb
irrelevant, weil die "schwächeren" beitragsgeminderten Anrechnungszeiten ohnehin
durch die dafür anerkannten "stärkeren" Ersatzzeiten (dafür 1,185 Entgeltpunkte –
Anlage 4 Seite 4 zum Rentenbescheid vom 19.05.2004) verdrängt werden, über § 71
Abs 1 iVm § 66 Abs 1 Nr 2 SGB VI, wonach bei der Klägerin die ihr günstigeren
"stärkeren" Ersatzzeiten berücksichtigt wurden im Rahmen der
Gesamtleistungsbewertung. Die Klägerin ist also auch insoweit nicht beschwert. Es
kann damit dahinstehen, ob die Anerkennung bzw. Berücksichtigung weiterer
Anrechnungszeiten überhaupt zulässiger Gegenstand des Klageverfahrens sein kann,
weil diese Zeiten bisher nicht Gegenstand der angefochtenen Bescheide waren.
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3. Die Klägerin hat auch keinen Erfolg mit ihrem Einwand, für ihre
Kinderberücksichtigungszeiten und Kindererziehungszeiten käme eine Vervielfältigung
der Entgeltpunkte mit dem Faktor 0,6 nicht in Betracht. Denn wie die Beklagte in den
Bescheiden vom 02.07.2003 und 09.02.2004 zutreffend ausgeführt hat, sind die
Entgeltpunkte für Zeiten der Kindererziehung nach § 28 b FRG gem § 22 Abs 4 FRG mit
dem Faktor 0,6 zu vervielfältigen. Dabei liegt eine unzulässige Rückwirkung auch nicht
vor, weil die Rente der Klägerin erstmals in 2004 begonnen hat, also erst nach den
entsprechenden Gesetzesänderungen u. a. durch das Wachstums- und
Beschäftigungsförderungsgesetz (aus den 90er Jahren). Dabei erstreckt sich diese
Vervielfältigung um den Faktor 0,6 auch auf alle Zeiten nach dem FRG, also auch auf
die sonstigen Versicherungszeiten der Klägerin, die sie in Polen zurückgelegt hat.
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Soweit sich die Klägerin noch im Widerspruchsverfahren auf eine Rentenbroschüre zur
Gebietsgleichstellung von Kindererziehungszeiten berufen hat, missversteht sie diese
Broschüre. Denn über § 28 b FRG erfolgt nur eine Gebietsgleichstellung der
Kindererziehungszeiten, um sie überhaupt in der deutschen Rentenversicherung
berücksichtigen zu können. Es spielt also zwar keine Rolle, ob die
Kindererziehungszeiten bzw. Kinderberücksichtigungszeiten im Bundesgebiet oder im
FRG-Gebiet zurückgelegt wurden, damit sie überhaupt angerechnet werden können;
gleichwohl haben aber die Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten
teil an der allgemeinen Kürzung der FRG-Versicherungs-Zeiten in Polen über § 22 Abs
4 FRG. Die Kammer hält diese Vorschrift auch nicht für verfassungswidrig und sieht sich
darin bestätigt durch das Urteil des Bayrischen Landessozialgerichts vom 23.11.2000 (L
20 RJ 672/99). Danach ist – und dies sieht die Kammer genau so – die effektive
Kürzung von Entgeltpunkten für Zeiten im FRG-Gebiet durch § 22 Abs 4 FRG mit der
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Verfassung zu vereinbaren und nicht zu beanstanden. Denn es ist zu berücksichtigen,
dass Zeiten im FRG-Gebiet unabhängig von einer Beitragsleistung zur deutschen
gesetzlichen Rentenversicherung überhaupt angerechnet werden. Im Hinblick auf den
Solidaritätsgedanken innerhalb der Versichertengemeinschaft verstößt diese Kürzung
auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder den Eigentumsschutz des
Grundgesetzes – GG -. Denn die angeordnete Kürzung erfoglte im Rahmen des WFG
und gerade dieses Gesetz hat in großem Umfang eigentumsrelevante Ansprüche und
Anwartschaften langjähriger Beitragszahler gegenüber der rentenrechtlichen
Solidargemeinschaft eingeschränkt (ua bei der Berücksichtigung von
Ausbildungszeiten). Das Gesamtkonzept dieses WFG zielte auf Einsparungen zur
Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung. Da
die Versicherten, die als Beitragszahler schon im Bundesgebiet Ansprüche und
Anwartschaften nach den Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes bzw. des
SGB VI erworben haben, ebenfalls einschneidende Kürzungen hinnehmen mussten,
war es aus der Sicht des Gesetzgebers gerechtfertigt, auch Ansprüche und
Anwartschaften einzuschränken, die sich nur aus dem FRG ergaben. Eine schonendere
Übergangsregelung war nicht geboten. Auch ein Verstoß gegen den
Gleichheitsgrundsatz des GG liegt nicht vor. Mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art 3 des
GG ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Es ist grundsätzlich Sache
des Gesetzgebers zu entscheiden, inwieweit Ansprüche – jedenfalls solche, die sich
erst für die Zukunft ergeben – eingeschränkt werden. So hat auch der 13. Senat des
BSG § 22 Abs 4 FRG schon früher als verfassungsmäßig angesehen, soweit eine erste
Kürzung mit dem Faktor 0,7 erfolgte (BSG Urteil vom 09.09.1998 – B 13 RJ 5/98 R -).
Einer anderen Auffassung des 4. Senates des BSG folgt das Sozialgericht Düsseldorf
nicht. Noch offene und noch nicht entschiedene Verfahren des BVerfG zur Kürzung für
FRG-Zeiten um den Faktor 0,6 bzw. 0,7 (1 BvL 9/00 und 12/00 und 1 BvR 2187/98)
abzuwarten war hier nicht mehr geboten und nicht mehr möglich, da die Klägerin auch
in Ansehung des Schreibens des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.04.2006 weiterhin
auf einer Entscheidung durch Urteil bestand.
4. Soweit die Klägerin im Übrigen begehrt, dass bei der Berechnung ihrer gesamten
persönlichen Entgeltpunkte für die Altersteilrente und die Altersvollrente der allgemeine
Rentenzugangsfaktor von 1,0 zugrunde zu legen sei, anstelle bei ihr zugrunde gelegten
Zugangsfaktoren von 0,922 oder 0,988, hat ihre Klage auch keinen Erfolg. Denn § 237 a
Absätze 2 und 3 SGB VI iVm der Anlage 20 zum SGB VI ordnen für den Personenkreis
der Klägerin – also nach 1941 geborene Frauen – doch Abschläge an und in der Folge
einen kleineren Zugangsfaktor als 1,0; die Klägerin unterliegt mithin keinem
"Vertrauensschutz", als erst am 00.00.1943 geborene. Selbst soweit das BSG mit
Beschluss vom 24.08.2005 im Verfahren B 0 RA 00/00 R Bedenken hat bezüglich
Versicherten (die vor 1942 geboren sind!), die schon 45 echte Beitragsjahre haben,
spielt dies hier auch keine Rolle, da die Klägerin bei dem maßgeblichen ersten
Rentenbeginn (01.05.2004) noch keine 45 Beitragsjahre hatte. Die Beklagte hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin mit der Bezugnahme auf Anlage 4
Seite 3 des Bescheides vom 19.05.2004 dies verwechselt mit dem belegungsfähigen
Gesamtzeitraum nach § 71 Abs 1 SGB VI. Insoweit wird Bezug genommen auf die
Schriftsätze der Beklagten vom 14.09.2005 und 26.10.2005. Der bei dem ersten
Rentenbeginn somit vergebene verringerte Zugangsfaktor (0,922 - § 77 Abs 1 SGB VI -)
gilt dann nun auch für die Folgerente, hier also die Vollrente, fort (§ 77 Abs 2 SGB VI),
bzw. ist er insofern noch etwas besser für die Klägerin geworden, weil die Klägerin bis
zur Altersrente weiter arbeitete (deshalb bei Erreichung der Vollrente Zugangsfaktor
0,988; siehe dazu Anlage 6 Seite 1 im Rentenbescheid vom 22.12.2005). Im Übrigen ist
41
die Klägerin ohnehin erst nach der Stichtagsregelung (31.12.1941) geboren.
Eine Entscheidung über die Aufhebung bzw. Rückforderung der Altersteilrente für die
Zeit vom 01.02.2005 bis 28.02.2006 (mit dem Bescheid vom 05.04.2006, Bl. 149 ff der
Gerichtsakte) war vom Sozialgericht nicht zu treffen, zumal sie auch von der Klägerin
nicht in diesem Klageverfahren beantragt wurde, weil insofern noch das derzeit ruhende
Widerspruchsverfahren der Beklagten offen ist und zudem der Bescheid vom
05.04.2006 nicht zulässiger Verfahrensgegenstand geworden ist (wie mit Schreiben
vom 04.05.2006 den Beteiligten vom Sozialgericht Düsseldorf mitgeteilt). Über den
Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 05.04.2006 sollte die Beklagte evtl.
- was aber im Ermessen der Beklagten steht – erst nach rechtskräftiger Erledigung des
Klageverfahrens entscheiden, da die Höhe des zulässigen Hinzuverdienstes auch
abhängt von der allgemeinen Höhe der Rente und der Entgeltpunkte und des der
Klägerin zustehenden Zugangsfaktors.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1, 4 SGG.
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