Urteil des SozG Düsseldorf vom 01.04.2010

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Sozialgericht Düsseldorf, S 8 KR 288/09
Datum:
01.04.2010
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 KR 288/09
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 19.11.2008 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 14.10.2009 wird aufgehoben. Der Beklagen
werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Die
Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Frage der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung
aufgrund von Versorgungsbezügen neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II.
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Die 1964 geborene Klägerin lebt in einem Heim. Im Zeitraum von Juli bis Dezember
2008 bezog sie Arbeitslosengeld II und Versorgungsbezüge (Waisenrente) von der
Gemeinsamen Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte in Höhe von monatlich
393,69 Euro. Sie war pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Seit Januar 2009
bezieht sie Leistungen der Grundsicherung und ist freiwillig krankenversichert.
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Die Beklagte verfügte mit Bescheid vom 19.11.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009, dass der Versorgungsbezug der Klägerin zur
Beitragsberechnung heranzuziehen sei mit einem monatlichen Beitrag in Höhe von
59,25 Euro.
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Die Klägerin hat gegen diese Bescheide Klage erhoben, mit der sie geltend macht, dass
es nicht rechtmäßig sein könne, dass die Versorgungsbezüge einerseits im Rahmen der
Leistungen nach den SGB II angerechnet würden und andererseits hierauf zusätzliche
Beiträge von der Beklagten erhoben würden.
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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
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den Bescheid der Beklagten vom 19.11.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Neben dem Zahlbetrag des
Arbeitslosengeldes II unterlägen auch Versorgungsbezüge der Beitragspflicht zur
Krankenversicherung, § 232 a Abs. 3 i.V.m. §§ 226, 229 SGB V. Mit den
Spitzenverbänden der Krankenkassen (jetzt Spitzenverband Bund) vertritt die Beklagte
die Auffassung, dass die Anrechnungsregelung des § 232 a Abs. 1, Satz 1, Nr. 2, Satz 1,
2. Halbsatz SGB V beim Zusammentreffen mit einer Rente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung, mit Versorgungsbezügen i.S.v. § 229 SGB V und mit
Arbeitseinkommen aus einer nicht hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit keine
Anwendung finde. Soweit Beiträge aus Renten, aus Versorgungsbezügen oder aus
Arbeitseinkommen zu erheben sind, sei der Leistungsträger nach dem SGB II hieran
nicht beteiligt.
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Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze
der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig.
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Die zusätzliche Verbeitragung der Versorgungsbezüge (Waisenrente) durch die
Beklagte verstößt gegen § 232 a Abs. 1, Satz 1, Nr. 2 des Fünften Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB V). Bei krankenversicherungspflichtigen Beziehern von
Arbeitslosengeld II gilt der 30. Teil ... des 0,3450fachen der monatlichen Bezugsgröße
als kalendertägliche beitragspflichtige Einnahme, § 232 a Abs. 1, Satz 1, Nr. 2, 1.
Halbsatz SGB V.
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Der 2. Halbsatz dieser Vorschrift bestimmt bereits seinem Wortlaut gemäß ausdrücklich,
dass auch bei Hinzurechnung weiterer beitragspflichtiger Einnahmen dieser Teil der
Bezugsgröße für die Beitragsbemessung gilt. Ausdrücklich hat der Gesetzgeber damit
geregelt, dass auch bei der Zusammenrechnung von Leistungen nach dem SGB II und
weiteren beitragspflichtigen Einnahmen lediglich der für Alg-II-Bezieher gesetzlich
festgesetzte Pauschalbeitrag gemäß Satz 1 gilt. Entgegen dem Standpunkt der
Beklagten und gegebenenfalls des Spitzenverbandes Bund bleibt auch unter
Berücksichtigung des § 226 i.V.m. § 232 a Abs. 4 SGB V kein Raum für eine
anderweitige Auslegung in Bezug auf Versorgungsbezüge und die anderen von der
Beklagten aufgeführten Einkommensarten. Denn § 232 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V hat
die Regelung für "beitragspflichtige Einnahmen" ohne Differenzierung als konkrete und
ausdrückliche Regelung getroffen, während Abs. 4 dieser Vorschrift i.V.m § 226 SGB V
eine nicht näher bestimmte entsprechende Anwendung regelt und lediglich bestimmt
und definiert, was eine beitragspflichtige Einnahme ist. Für eine solche
beitragspflichtige Einnahme gilt dann § 232 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Jedenfalls
wäre § 232 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 2. Halbsatz SGB V lex speciales zu § 232 a Abs. 4
i.V.m. § 226 SGB V.
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Bestätigt wird diese Regelung durch die Begründung des Gesetzgebers, der ebenfalls
ausdrücklich ausgeführt hat: "Es wird sichergestellt, dass die Krankenversicherung auch
bei Hinzurechnung anderer Einnahmen insgesamt einen Beitrag in Höhe des
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Pauschalbeitrags erhält." (BT-Drucks. 15/1516, S. 72).
Unter Berücksichtigung des von der Klägerin geltend gemachten Umstandes, dass der
Versorgungsbezug bei den Leistungen nach dem SGB II angerechnet wird, erscheint
diese Auslegung - ungeachtet der nach Auffassung des Gerichts kaum vorhandenen
Auslegungsmöglichkeiten - auch als einzig sinnvolle.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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Auch unter Berücksichtigung der nach Auffassung des Gerichts eindeutigen
gesetzlichen Regelung hat die Kammer unter Berücksichtigung der von der Beklagten
als grundsätzlich angegebenen und vom Spitzenverband Bund empfohlenen
Umsetzung des § 232 a SGB V die Sprungrevision wegen der grundsätzlichen
Bedeutung zugelassen.
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