Urteil des SozG Düsseldorf vom 07.03.2007

SozG Düsseldorf: angina pectoris, rente, berufsunfähigkeit, spanien, bäcker, gutachter, behörde, form, untersuchungsgrundsatz, abklärung

Sozialgericht Düsseldorf, S 26 R 289/06
Datum:
07.03.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 26 R 289/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 13 R 54/07
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Der Bescheid vom 08.04.2002 und der Widerspruchsbescheid vom
15.08.2006 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu
tragen.
Tatbestand:
1
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit geltend.
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Der Kläger beantragte nach Aktenlage bereits am 02.03.2001 Rente aus der
gesetzlichen deutschen Rentenversicherung.
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Zur Verwaltungsakte der Beklagten gelangte eine ärztliche Stellungnahme im Formular
E 213, die nicht übersetzt wurde (Bl. 1 ff des medizinischen Teils der Rentenakte). Mit
Bescheid vom 08.04.2002 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen voller
oder wegen teilweiser Erwerbsminderung ab, weil der Kläger auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt noch Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich verrichten
könnte. Dagegen legte der Kläger selbst Widerspruch ein, der auch übersetzt wurde. Zur
Rentenakte gelangte noch eine Stellungnahme im Formular E 211 E, von der eine
Übersetzung in der Verwaltungsakte nicht offenkundig erkennbar ist (Bl. 35 ff der
Rentenakte). Zur Verwaltungsakte der Beklagten gelangte auch ein Urteil eines
spanischen Sozialgerichtes, das übersetzt wurde, wonach der Kläger zuletzt unter der
Berufskategorie Bäcker versichert gewesen sei (Bl. 42 ff der Rentenakte). Es gelangten
dann noch weitere spanische Unterlagen zur Verwaltungsakte der Beklagten, unter
anderem eine Stellungnahme im Formular E 213 vom Oktober 2003. Der
Bevollmächtigte des Klägers erklärte ferner gegenüber der Beklagten mit Schriftsatz
vom 02.09.2004, er habe im Auftrag des Versicherten am 19.07.2004 auch von seiner
Kanzlei aus die Gewährung einer Rente beantragt. Zur Verwaltungsakte der Beklagten
gelangte eine weitere Stellungnahme im Formular E 213 vom 30.09.2004, die
auszugsweise übersetzt wurde (Bl. 25 ff des medizinischen Teils der Rentenakte). Im
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auszugsweise übersetzt wurde (Bl. 25 ff des medizinischen Teils der Rentenakte). Im
März 2005 gelangte zur Verwaltungsakte der Beklagten dann noch eine weitere
ärztliche Stellungnahme vom 15.02.2005 im Formular E 213; weitere spanische
ärztliche Unterlagen eines S kamen im Dezember 2005 zur Verwaltungsakte der
Beklagten, die auszugsweise übersetzt wurden, und über diverse Diagnosen
orthopädischer Art berichten. Am 04. März 2006 gelangte ein weiteres Formular E 213
mit einer ärztlichen Stellungnahme zur Akte der Beklagten, mit auszugsweisen
Übersetzungen, wonach noch angepasste Arbeit wie Überwachung und Kontrolle
ausgeführt werden könnte. Dabei hatte die Beklagte zuvor unter dem 03.05.2006 ein
spanisches Institut für Sozialversicherung gebeten, die orthopädische Stellungnahme
bzw. das orthopädische Gutachten vom 22.11.2005 dem Gutachter erneut vorzulegen
mit der Bitte um Aussage dazu, ob der Widerspruchsführer noch körperlich leichte,
leidensgerechte und angepasste Tätigkeiten in einem Zeitrahmen von mehr als 6
Stunden verrichten könnte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2006, zu einem nicht näher im Rückschein
bezeichneten Zeitpunkt dem Bevollmächtigten des Klägers zugegangen, wies die
Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, es bleibe bei der Beurteilung der
Beklagten, dass der Kläger noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes 6 Stunden
und mehr täglich verrichten könne; im Ergebnis des aktuellen Rentengutachtens aus
Spanien könnte eingeschätzt werden, dass körperlich leichte, leidensgerechte und
angepasste Tätigkeiten auch weiterhin vollschichtig zumutbar seien. Auf solche sei der
Kläger auch verweisbar, da er nach Aktenlage als ungelernter bzw. allenfalls als
angelernter Arbeiter zu beurteilen sei.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 07.11.2006
bei einem spanischen Gericht Klage zum Sozialgericht Düsseldorf eingereicht.
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Zur Begründung hat er ausgeführt, die bisherige Ablehnung der Rente wegen
Erwerbsminderung durch die Beklagte sei wie oft nach einer unzureichenden
Sachaufklärung erfolgt. Die medizinischen Atteste in den Vordrucken E 213 seien
regelmäßig oberflächlich und unpräzise. Im E 213 vom November 2001 sei
festzustellen, dass weder ein Belastungs-EKG durchgeführt worden sei noch Blutdruck
oder Puls gemessen worden sei, obwohl die hauptsächliche Erkrankung für den
Rentenantrag eine Herzerkrankung sei. Auch ein Lungenfunktionstest sei nicht
durchgeführt worden. Der E 213 vom Oktober 2003 sei nicht besser und enthalte auch
keine Angaben zum Allgemeinzustand oder zur Bewertung des Bewegungsapparates.
Im E 213 vom Februar 2005 sei festzustellen, dass auch hier Angaben zum allgemeinen
körperlichen Zustand fehlen würden. Es seien also bisher völlig unzureichend
berücksichtigt der Zustand der Lendenwirbelsäule, der Halswirbelsäule und
Brustwirbelsäule, der kardiologische Status; auf neurologischem Fachgebiet seien auch
die Grand-Mal-Anfälle bisher nicht berücksichtigt worden.
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Die Beklagte hat daraufhin erwidert, sie könne nur zu Recht davon ausgehen, dass der
Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bäcker nicht mehr ausüben könne und dass
er deshalb nach spanischem Recht als "Total-Invalide" anzusehen sei. Sie gehe davon
aus, dass der Kläger auch nach spanischem Recht für fähig erachtet werde, noch
andere Tätigkeiten zu verrichten.
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Das Gericht hat mit Schreiben vom 26.01.2007 den Beteiligten mitgeteilt zu
beabsichtigen, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen. Es sei
voraussichtlich mit einer Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach § 131 Abs. 5
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Satz 1 SGG zu rechnen. Auch soweit die Beklagte von den zu ihrer Akte gelangten
ärztlichen spanischen Unterlagen einen geringen Bruchteil übersetzen habe lassen,
ließen diese Unterlagen aber nirgendwo eine eindeutige klare Leistungsbeurteilung
dazu erkennen, ob und in welchem Umfang in Stunden pro Tag der Kläger noch für
leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes leistungsfähig sein soll oder nicht.
Deshalb sei auch vom Bevollmächtigten des Klägers die bisherige Sachaufklärung als
unzureichend gerügt worden. Selbst der beratungsärztliche Dienst der Beklagten räume
nun mit Schreiben vom 09.01.2007 ein, eine Untersuchung der Herzkranzgefäße sei
anscheinend nicht erfolgt, trotz Angina-Pectoris-Beschwerden auch unter Behandlung.
Darüberhinaus habe die Beklagte in der Verwaltungsakte nicht einmal einen ansonsten
in Rentenverfahren üblichen Fragebogen zur Feststellung von Erwerbsminderung bzw.
Berufsunfähigkeit verwandt, sodass die Berufsbiographie des Klägers überhaupt nicht
geklärt sei und ob er eventuell Tätigkeiten langjährig wie ein gelernter Bäcker verrichtet
haben. Insoweit habe die Beklagte sich offenbar ausschließlich auf eine einzige
Aussage des Klägers gestützt, er habe überhaupt keine Ausbildung. Auch die Erfüllung
der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sei nach Aktenlage noch zweifelhaft.
Insgesamt ließen die bisherigen spanischen Unterlagen, soweit sie überhaupt übersetzt
worden seien, eine verlässliche und auch ausreichende Begründung der Entscheidung
nicht zu, ob der Kläger teilweise oder voll erwerbsgemindert sei und ggf. seit wann evtl.
doch und ob er dafür die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen könnte.
Die Beklagte werde daher nach Übersetzung der spanischen Unterlagen
erforderlichenfalls noch ein oder mehrere Gutachten einzuholen haben, die
insbesondere auch die Auswirkung der Herzerkrankung abklären würden und dann
noch eine eindeutige Aussage zum Leistungsvermögen pro Tag zu treffen hätten; die
Beklagte habe den Kläger auch noch zu seinem beruflichen Lebenslauf zu befragen.
Die Beklagte hat erwidert, aus ihrer Sicht sei die Möglichkeit einer Aufhebung ohne
Sachentscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG nicht gegeben. Sie halte diese Vorschrift für
nur anwendbar auf Anfechtungsklagen, dazu gebe es auch bereits Entscheidungen
diverser Landessozialgerichte. Allein die Aufhebung der angefochtenen Bescheide
wirke sich nicht für den Kläger begünstigend aus und sei aus ihrer Sicht nicht
sachdienlich. Ihrer Meinung nach könnte dies nur sachdienlich sein, wenn die Behörde
nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eine Sachverhaltsermittlung besser
und schneller durchführen könnte als das Gericht. Aus medizinischer Sicht liege auch
kein Ermittlungsausfall vor. Aus der Stellungnahme des ärztlichen Beratungsdienstes im
Klageverfahren, die die Einholung eines aktuellen Befundberichtes empfehle, könne
nicht auf einen Ermittlungsausfall geschlossen werden. Die Beklagte könne auch keine
ergänzende Untersuchung durch einen eigenen ärztlichen Dienst am Wohnort
durchführen. Für Untersuchungen auf einem bestimmten Fachgebiet müsste die
Beklagte wie das Gericht in Spanien erst nach einem geeigneten Gutachter in relativer
Wohnortnähe zum Kläger suchen, eine Zurückverweisung zur kardiologischen
Abklärung sei daher nicht sachdienlich. Auch hinsichtlich der Berufsbiographie liege
kein Ermittlungsausfall vor. Soweit das Gericht den in Inlandsfällen üblichen
Fragebogen zur Feststellung von Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit vermisse,
sei darauf hinzuweisen, dass ein solcher Fragebogen in Auslandsfällen weder üblich
noch benutzbar sei. Im Ausland könnte bei der Ausfüllung eines solchen Vordrucks
keine Hilfestellung geleistet werden. Im übrigen lägen die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente vor, auch wenn ein
Verlängerungstatbestand im Versicherungsverlauf nicht ausdrücklich dargestellt sei.
Eine weitere Entscheidung der Kammer zur Frage zur Zurückverweisung nach § 131
Abs. 5 SGG sei im übrigen inzwischen am 30.01.2007 vom LSG NRW aufgehoben
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worden, die Urteilsgründe lägen noch nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den
Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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A Das Gericht konnte gemäß § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden,
nachdem die Beteiligten entsprechend schriftlich angehört wurden und Gelegenheit zur
Stellungnahme hatten. Der Zugang der Anhörung zum Gerichtsbescheid ist durch das
Empfangsbekenntnis der Beklagten und den Einschreiben-Rückschein nachgewiesen.
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B Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht innerhalb von 3
Monaten nach Zugang und Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2006
erhoben. Wegen der Auslandszustellung lief die Klagefrist von 3 Monaten, §§ 151, 153
Abs. 1 und § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG. Da die Klage bereits am 07.11.2006 bei einem
spanischen Gericht eingereicht wurde, ist die Klagefrist hier über die Vorschrift des § 91
SGG gewahrt.
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C Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide war hier auch nach pflichtgemäßem
Ermessen des Gerichts gemäß § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG in der ab 01.09.2004
geltenden Fassung geboten. Diese Vorschrift besagt: "Hält das Gericht eine weitere
Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den
Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang
die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter
Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist".
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I. Diese Vorschrift ist anwendbar. Sie gilt für gerichtliche Entscheidungen ab dem
01.09.2004, Art. 14 des 1. Gesetzes zur Modernisierung der Justiz. Die Vorschrift ist
auch anwendbar, weil bisher noch keine 6 Monate nach Eingang der Verwaltungsakte
der Beklagten (24.01.2007) vergangen sind, § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG.
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§ 131 Abs. 5 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auch auf Klagen anwendbar, die
auf eine Verpflichtung der beklagten Behörde gerichtet werden könnten. Denn § 131
Abs. 5 SGG ist ein seit dem 01.09.2004 im Sozialgerichtsgesetz eingefügtes
besonderes Instrument des Gerichts, das ohne Bindung an bisher gestellte Anträge
gebraucht werden kann, wenn das Gericht die bisherige Sachaufklärung der Beklagten
für unzureichend hält. Die Auffassung, dass § 131 Abs. 5 SGG auch in Fällen einer
ausdrücklichen Verpflichtungsklage angewandt werden kann, ist neben diversen
Entscheidungen der 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf auch bereits bestätigt
worden durch ein Urteil des 8. Senates des Landessozialgerichts NRW (Urteil vom
11.05.2005 - L 8 RJ 141/04 - zur Zeit in der Revision unter Aktenzeichen B 5 RJ 30/05
R) und für grundsätzlich möglich auch gehalten worden vom sächsischen LSG (Urteil
vom 26.10.2005 - L 6 SB 34/05, wobei dort nur im Einzelfall eine Zurückverweisung an
die Beklagte nicht ausgesprochen wurde). Nach diesen Entscheidungen ist es auch
irrelevant, dass nach der Praxis der Verwaltungsgerichte eine solche Aufhebung nicht
möglich sein soll bei eventuellen Verpflichtungsklagen. Denn das
verwaltungsgerichtliche Verfahren - ganz anders als das sozialgerichtliche Verfahren -
ist wesentlich stärker geprägt von Anfechtungsklagen als Klagen gegen Akte der
klassischen Eingriffsverwaltung; die ganz überwiegende Anzahl der sozialgerichtlichen
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Verfahren hingegen sind typischerweise Klagen auf Erbringung einer Sozialleistung. Mit
einer Beschränkung der Anwendbarkeit von § 131 Abs. 5 SGG nur auf
Anfechtungsklagen würde die Sozialgerichtsbarkeit eines wichtigen
Verfahrensinstruments für die überwiegende Anzahl von Verfahren beraubt. Auch der
Gesetzeswortlaut enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Vorschrift sich nur
auf Anfechtungsklagen beschränken soll. Im Gegenteil, die Bundestags-Drucksache zur
Neufassung des SGG (Drucksache 378/03 Seite 67) spricht gerade dafür, § 131 Abs. 5
SGG gerade und auch bei Verpflichtungsklagen anzuwenden. Diese Vorschrift sollte
nämlich gerade für das sozialgerichtliche Verfahren geschaffen werden, um dem Gericht
eigentlich der Behörde obliegende zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärung zu
ersparen, weil nach Beobachtung der Praxis die erforderliche Sachverhaltsaufklärung
von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen werde, was bisher zu einer
sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führe. Die 26. Kammer des
Sozialgerichts Düsseldorf hält nach alldem die oben genannten Entscheidungen des
LSG NRW und des sächsischen LSG für zutreffend und folgt ihnen auch weiterhin
grundsätzlich. Denn gerade in den spanischen Auslandsrenten-Fällen liegen seit vielen
Jahren erhebliche Mängel in der Rechtskontrolle der ausländischen bzw. spanischen
Rentenverfahren vor, weil den Sozialgerichten Rentenakten in überwiegend spanischer
Sprache vorgelegt werden (die für den in der Fremdsprache nicht bewanderten Leser
nahezu unverständlich sind), obwohl die Gerichtssprache und Amtssprache Deutsch ist
(§§ 184 - 191 GVG, § 19 SGB X); soweit auszugsweise Übersetzungen aus diesen
Gutachten vorgelegt werden, treffen diese häufig aber keine Aussagen zum
Leistungsvermögen, sondern nur zu Diagnosen und anderem.
II. Es liegen hier auch die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 SGG vor. Es sind hier
nach Art und Umfang noch Ermittlungen auf internistischem, orthopädischem und
neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erforderlich, um den Sachverhalt wirklich
sachgerecht und abschließend beurteilen zu können (wobei bei dieser Gelegenheit dem
Kläger auch noch ein Fragebogen zur Feststellung von Erwerbsminderung bzw.
Berufsunfähigkeit zugesandt werden sollte, um dessen Berufsbiographie zumindest
ansatzweise aufzuklären). Aus den zur Verwaltungsakte gelangten medizinischen
Unterlagen unter anderem in diversen Formularen E 213, die auch nur zum Teil
übersetzt worden sind, lässt sich nämlich nicht ausdrücklich entnehmen, dass der
Kläger für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, auf den die Beklagte den
Kläger verweisen will, überhaupt noch 6 Stunden und mehr täglich einsatzfähig sein
soll, also zumindest 6 Stunden täglich. Den Formularen E 213 bzw. den Übersetzungen
der Beklagten lässt sich jedenfalls eine solche Aussage nicht eindeutig entnehmen. An
keinem Punkt enthalten bisher die Fragebögen E 213 eine klare Fragestellung dazu, ob
zumindest leichte leidensangepasste Tätigkeiten noch zumindest 6 Stunden täglich
verrichtet werden können. Deswegen hat ja auch die Beklagte selbst mit Schreiben vom
03.02.2006 bei der spanischen Sozialbehörde nachgefragt, ob der Kläger leichte
leidensgerechte Tätigkeiten noch in einem Zeitrahmen von mehr als 6 Stunden
verrichten könne. Dazu ist aber keine ausdrückliche Aussage herbeigeführt worden. Es
kann allenfalls dem E 213 vom 20.04.2006 entnommen werden, dass angepasste Arbeit
wie Überwachung und Kontrolle verrichtet werden könnte (zu Frage 11.5 des E 213); in
welchem Umfang täglich, ist aber nicht beantwortet worden. Entscheidend ist aber, falls
der Kläger als angelernter Arbeiter nur anzusehen ist, ob und in welchem Umfang er
leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch unter 6 Stunden täglich
verrichten kann oder noch zumindest im Umfang von 6 Stunden. Wenn es eine
dahingehende entsprechende Fragestellung in den Formularen E 213 offenbar so gar
nicht gibt, muss die Beklagte entweder andere Vordrucke verwenden oder aber
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entsprechende Fragen an die ärztlichen Gutachter richten und deren Aussage dazu
auch abwarten. Die Beklagte hat offenbar nur nach Aktenlage gemeint, dies allein
aufgrund der mitgeteilten Befunde entscheiden zu können. Damit aber sind die Beklagte
und auch der Widerspruchsausschuss ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht
geworden, wenn sie ohne jedes Eingehen und ohne konkrete gutachterliche Aussage
sich allein auf die Aussagen des beratungsärztlichen Dienstes verlassen, ohne
überhaupt Gutachten herbeizuführen, die eine eindeutige Aussage zum zeitlichen
Leistungsvermögen treffen. Wie sich aus der Klagebegründung ergibt, liegt der
Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers auf kardiologischem Fachgebiet und es
liegen auch diverse Befunde an der Halswirbelsäule und zu anderen Punkten des
Bewegungsapparates vor, und offenbar auch eine neurologische Erkrankung
(Epilepsie? - Grand-Mal-Anfälle wurden erwähnt). In diesem Zusammenhang erscheint
auch überraschend, dass der ärztliche Beratungsdienst der Beklagten unter dem
09.01.2007 empfiehlt, bei den behandelnden Ärzten einen aktuellen Befundbericht
beizuziehen, während die Sachbearbeitung mit Schriftsatz vom 23.01.2007 gleichwohl
beantragt, schon jetzt die Klage als unbegründet zurückzuweisen, also die Empfehlung
ihres beratungsärztlichen Dienstes anscheinend ignoriert.
Schließlich gilt auch für die Beklagte der Untersuchungsgrundsatz, wonach sie alle für
den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände, zu
berücksichtigen hat, § 20 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X. Soweit Zweifel bestehen, hat die
Beklagte nach der Vorschrift des § 19 Abs. 2 SGB X über die Vorlage von Unterlagen in
fremder Sprache auch unverzüglich die Vorlage von (ausreichenden) Übersetzungen zu
verlangen bzw. zu veranlassen. Dazu ist es aber so hier nicht gekommen. All diese
Umstände stellen seit vielen Jahren einen erheblichen Mangel in der Rechtskontrolle
der insbesondere spanischen Rentenverfahren dar, weil den Sozialgerichten jahrelang
praktisch immer nur Rentenakten überwiegend in spanischer Sprache vorgelegt wurden
(die für den in der Fremdsprache nicht bewanderten Leser nahezu unverständlich sind),
obwohl die Gerichtssprache und Amtssprache Deutsch ist (§§ 183 - 191 GVG, § 19 SGB
X). Damit sollten dem Gericht - und auch schon vorher dem Widerspruchsausschuss -
nicht nur nachvollziehbare deutsche Unterlagen vorgelegt werden, sondern zumindest
Unterlagen mit einer entsprechend klaren Aussage zu einer entsprechend klaren Frage
für das Rentenversicherungsrecht, in welchem Umfang noch Tätigkeiten angepasster
Art verrichtet werden können. Die Vorlage der in europäischen Rentenverfahren
allgemein verwandten Vordrucke E 213 in der bisher geltenden Fassung bewirkt hier
jedenfalls bisher offenbar keine entscheidende ausreichende Sachverhaltsaufklärung
zur letztlich entscheidenden Frage, ob der Kläger nur noch unter 6 Stunden zumindest
leichte angepasste Tätigkeiten verrichten kann oder nicht. Soweit die Beklagte dazu
einwendet, für Untersuchungen auf einem bestimmten Fachgebiet müsste die Beklagte
erst wie das Gericht in Spanien nach einem geeigneten Gutachter suchen, verfängt
dieses Argument nicht; wenn noch Unklarheiten bestehen, dann muss die Beklagte
eben entsprechende Fachgutachter einschalten, da anderenfalls von einem
Ermittlungsausfall auszugehen ist.
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Anlässlich der noch durchzuführenden weiteren medizinischen Ermittlungen zum
Leistungsvermögen des Klägers pro Tag hat die Beklagte dann auch dem Kläger noch
einen Fragebogen zuzusenden, der näheren Aufschluss über seine Berufsbiographie
gibt, also auch dazu, ob der Kläger eventuell langjährig letztlich wie ein gelernter Bäcker
Arbeiten verrichtet hat. Bei längjährig in einem Beruf tätig gewesenen Versicherten
kommt nämlich durchaus im Einzelfall ein Berufsschutz in Betracht. Soweit die Beklagte
einwendet, der Gebrauch von ansonsten in Inlandsverfahren üblichen Fragebögen zur
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Feststellung von Erwerbsminderung sei in Auslandsfällen "weder üblich noch
benutzbar", liegt darin eine Diskriminierung von spanischen Versicherten, denen
gegenüber die Beklagte Gleichbehandlung bei der Sachbearbeitung schuldet. Die
Aussage, der Gebrauch einer bestimmten Unterlage sei in Auslandsfällen "nicht üblich"
ist eine Aussage, aber keine Begründung für die Unterlassung dahingehender
Aufklärung. Im übrigen trifft es schlichtweg nicht zu, dass Fragebögen zur Feststellung
von Berufsunfähigkeit in spanischen Verfahren nicht gebraucht würden. Dem Gericht ist
nämlich inzwischen im Verfahren S 26 R 282/06 eines anderen Klägers durchaus ein
zweisprachiger dahingehender Vordruck der Beklagten bekannt geworden (Vordruck A
4668 - derzeit wohl nach dem Stand vom September 2005). In einem solchen
Fragebogen wird sowohl auf Spanisch wie auch auf Deutsch gefragt nach dem erlernten
Beruf, nach Dauer von Lehre oder Anlernzeit, nach abgelegten Prüfungen und
sämtlichen danach ausgeübten Beschäftigungen oder Tätigkeiten und
Beschäftigungsorten und auch Beschäftigungszeiten. Damit greift schon das Argument
der Beklagten nicht, ihr stünden keine für spanische Versicherte benutzbaren
Unterlagen insoweit zur Verfügung. Außerdem hat die Beklagte - wie aus anderen
Verfahren gerichtsbekannt wurde - oft auch bei deutschen Versicherten, die in Spanien
leben und von dort aus eine deutsche Rente beantragt haben, keinen Fragebogen zur
Feststellung von Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit benutzt.
Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Zurückverweisung an die
Beklagte ist hier auch sachdienlich im Sinne von § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG, weil nur
damit dem der Beklagten obliegenden Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X
Genüge getan wird und weil dies im jetzigen frühen Verfahrensstand auch dem Kläger
noch günstig ist, da er mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Möglichkeit
erlangt, nach Durchführung erforderlicher und auch sachgerechter Ermittlungen erneut
wieder Rechtsmittel wie Widerspruch und Klageerhebung auszuschöpfen, ohne dass
ihm quasi schon die Vorinstanz des Widerspruchsverfahrens genommen wurde, und
ohne dass er jetzt schon mit den Kosten des Verfahrens - insbesondere den
außergerichtlichen Kosten für seinen Anwalt - belastet wird, weil die Beklagte nach
bisher unzureichender Sachaufklärung entschieden hat.
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Die Beklagte wird also nunmehr, wenn sie weiterhin Rente schon ab
Rentenantragstellung abhlehnen will, Gutachten in Form eines E 213 oder in Form
eines anderen Sachverständigengutachtens zur Abklärung der
internistisch/kardiologischen, orhopädischen und neurologisch-psychiatrischen Leiden
des Klägers herbeizuführen haben, mit auch klaren Aussagen zum zeitlichen
Leistungsvermögen des Klägers (unter 6 Stunden oder noch 6 Stunden zumindest - und
seit wann?), und zumindest dem Kläger Gelegenheit zur Klärung seiner
Berufsbiographie zu geben haben durch Übersendung eines geeigneten Vordrucks zur
Feststellung von Berufsunfähigkeit, und erst dann den Rentenantrag durch
widerspruchsfähigen Bescheid zu bescheiden haben.
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D Demzufolge war hier zu entscheiden wie geschehen und zwar auch durch
Gerichtsbescheid nach § 105 SGG. Denn von der Zurückverweisung an die Verwaltung
nach § 131 Abs. 5 SGG kann nur sinnvoll Gebrauch gemacht werden, wenn dies
möglichst zügig geschieht, auch im Interesse der Beteiligten (§ 131 Abs. 5 Satz 4 SGG).
Die Zurückverweisung in geboten erscheinenden Fällen hat daher sinnvollerweise und
im Regelfall durch Gerichtsbescheid zu erfolgen (so auch SG Aachen -
Gerichtsbescheid vom 11.01.2005 - S 18 SB 221/04 und SG Dresden -
Gerichtsbescheid vom 25.02.2005 - S 19 SB 362/04), die als Urteil wirken § 105 Abs. 3
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SGG. Wäre angesichts der überlasteten Gerichte erst ein zukünftiger Kammertermin
abzuwarten, und dann hier auch noch besonderes frühzeitig zu laden, da die Zustellung
von Ladungen in Spanien nicht immer zuverlässig und rechtzeitig erfolgt, so könnte der
Ablauf der 6-Monats-Frist nach § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG möglicherweise nicht
eingehalten werden , und schließlich liegt es auch im Interesse der Beteiligten, dass
möglichst frühzeitig über eine Zurückverweisung entschieden wird. Deshalb war hier die
Entscheidung durch Gerichtsbescheid geboten, zumal auch der Kläger selbst durch
seinen Bevollmächtigten sich nicht mehr weiter geäußert hat.
Ein Abwarten einer Entscheidung im Revisionsverfahren B 0 RJ 00/00 R in Bezug auf
das vorgenannte Urteil des LSG NRW vom 11.05.2005 war demnach hier auch nicht
geboten, auch weil schon allein durch das Abwarten die 6-Monats-Frist abzulaufen
droht, innerhalb derer eine Zurückverweisung nur möglich ist.
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E Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG. Wie bereits oben ausgeführt,
ist die Auferlegung der Kosten auf die Beklagte hier gerade sachdienlich und auch den
Kläger begünstigend, weil er nicht schon jetzt mit den Kosten für ein Verfahren belastet
werden soll, das nicht ausreichend transparent und objektiv geführt wurde.
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