Urteil des SozG Düsseldorf vom 29.08.2007

SozG Düsseldorf: versorgung, abrechnung, facharzt, weiterbildung, niederlassung, ausschluss, eigenschaft, genehmigungsverfahren, ultraschall, urkunde

Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 85/06
Datum:
29.08.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 2 KA 85/06
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
1
Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen im Quartal II/2005.
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Der Kläger ist seit 1993 als praktischer Arzt in C niedergelassen und zur
vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er verfügt gemäß Urkunde der Ärztekammer
Nordrhein vom 15.07.1987 über die Anerkennung als Facharzt für Frauenheilkunde und
Geburtshilfe und besitzt eine Genehmigung der Beklagten vom 18.02.1993 zur
Durchführung von Sonographieuntersuchungen für Abdominalorgane und
Retroperitonealraum einschließlich der Nieren, Uro-Genitalorgane,
Schwangerschaftsdiagnostik, Mammadiagnostik und Vaginalsonographie gemäß Nrn.
108, 178, 191, 380 bis 391 und 394 EBM (alt).
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Mit Bescheid vom 03.01.2006 strich die Beklagte im Wege sachlich-rechnerischer
Berichtigung für das Quartal II/2005 Leistungen nach den Nrn. 01785, 01786, 01815,
01825, 01827, 01850 und 01912 EBM aus den Kapiteln 1.7.4 (Mutterschaftsvorsorge),
1.7.5 (Empfängnisregelung), 1.7.6 (Sterilisation) und 1.7.7 (Schwangerschaftsabbruch).
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Diesem Bescheid widersprach der Kläger. Dabei wies er darauf hin, dass ihm die
Beklagte mit Schreiben vom 20.05.2006 auf seine entsprechende Anfrage, ob er neben
der Schwangerschaftsvorsorge weiterhin Leistungen wie Ultraschall, Tokogramm, CTG,
Amnioskopie, Wöchnerinnen-Untersuchungen usw. abrechnen könne, mitgeteilt habe,
ein neuerliches Genehmigungsverfahren sei insoweit nicht notwendig. Den
vorgenommenen sachlich-rechnerischen Berichtigungen müsse er nunmehr das
Gegenteil entnehmen. Es sei nicht in Einklang zu bringen, dass er einerseits berechtigt
sei, sonographische Leistungen zu erbringen und abzurechnen, andererseits jedoch
nicht berechtigt sein solle, Leistungen der Mutterschaftsvorsorge zu erbringen und
abzurechnen. Das eine ma che ohne das andere keinen Sinn. Im Übrigen habe er seit
seiner Niederlassung Leistungen der Mutterschaftsvorsorge erbracht und abgerechnet,
die bis zur Einführung des EBM 2005 bezahlt worden seien.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 20.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück:
Da der Kläger seit dem 01.01.1996 im hausärztlichen Versorgungsbereich tätig sei,
könnten arztgruppenübergreifende allgemeine Leistungen von ihm nur abgerechnet
werden, wenn sie in der Präambel 3.1 zu Kapitel 3 (hausärztlicher Versorgungsbereich)
aufgeführt seien.
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Hiergegen richtet sich die am 20.04.2006 erhobene Klage.
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Der Kläger ist vor allem der Ansicht, die Berichtigungen seien aus Gründen des
Vertrauensschutzes rechtswidrig. Die Beklagte habe jahrelang seine
Leistungserbringung geduldet und die Leistungen abgerechnet. Zudem habe sie mit
ihrer Auskunft vom 20.05.2005 die Abrechnung nochmals überprüft, anerkannt und
vorbehaltlos bestätigt. Jedenfalls für eine Übergangszeit nach Einführung des neuen
EBM müsse er weiterhin berechtigt sein, die Leistungen zu erbringen und abzurechnen.
Dies gelte umso mehr, als es medizinisch keinen Sinn mache, die Erbringung von
Sonographieleistungen zu genehmigen, Leistungen der Mutterschaftsvorsorge aber
nicht zu vergüten.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid über die sachlich-rechnerische Berichtigung für das Quartal II/2005 vom
03.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2006 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
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Der Kläger verkenne die Aussage ihres Schreibens vom 20.05.2005. In diesem werde
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die erteilten personenbezogenen
Genehmigungen auch im Hinblick auf den ab 01.04.2005 gültigen EBM weiterhin
Bestand hätten, soweit abrechnungsgestaltende Regelungen dem nicht entgegen
stünden. Bei der vom Kläger nicht abrechnungsfähigen Leistung handele es sich um
eine abrechnungsgestaltende Regelung. Auch der Gesichtspunkt des
Vertrauensschutzes könne hier nicht greifen. Soweit die Beklagte die streitige Leistung
vor Einführung des neuen EBM zum 01.04.2005 abgerechnet und vergütet habe, seien
die Regelungen des bis zum 31.03.2005 gültigen EBM maßgeblich gewesen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der
Gerichtsakte, der im Termin am 29.08.2007 ebenfalls verhandelten Streitsachen S 2 KA
87/06 (sachlich-rechnerische Berichtigung III/2005) und S 2 KA 158/06 (Genehmigung
zur Abrechnung der Nr. 01770 EBM) sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54
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Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil diese rechtmäßig sind.
Nach § 45 Abs. 1, 2 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) und § 34 Abs. 4 des
Bundesmantelvertrages-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) obliegt den Kassenärztlichen
Vereinigung die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer
vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich ihrer sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Die
Kassenärztliche Vereinigung berichtigt ggf. die fehlerhafte Honorarforderung des
Vertragsarztes.
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Leistungen der Abschnitte 1.7.4, 1.7.5, 1.7.6 und 1.7.7 EBM, zu denen die gestrichenen
Leistungen nach Nrn. 01785, 01786, 01815, 01825, 01827, 01850 und 01912 EBM
gehören, sind nicht Gegenstand des Kataloges der berechnungsfähigen Leistungen
nach Nr. 3.1.3 der Präambel (hausärztlicher Versorgungsbereich) im Kapitel III
(arztgruppenspezifische Leistungen). Der Kläger verfügt zwar gemäß Urkunde der
Ärztekammer Nordrhein vom 15.07.1987 über die Anerkennung als Facharzt für
Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Er ist jedoch nicht als Facharzt für Frauenheilkunde
zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, sondern als praktischer Arzt und nimmt
daher an der hausärztlichen Versorgung teil.
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Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stehen den vorgenommenen sachlich-
rechnerischen Berichtigungen nicht entgegen.
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Die Beklagte hat zwar dem Kläger mit Schreiben vom 20.05.2006 auf seine
entsprechende Anfrage, ob er neben der Schwangerschaftsvorsorge weiterhin
Leistungen wie Ultraschall, Tokogramm, CTG, Amnioskopie, Wöchnerinnen-
Untersuchungen usw. abrechnen könne, mitgeteilt, ein neuerliches
Genehmigungsverfahren sei insoweit nicht notwendig. Die dem Kläger erteilte
personenbezogene Genehmigung habe auch im Hinblick auf den neuen ab 01.04.2005
gültigen EBM weiterhin Bestand. Diese zutreffende Äußerung entfaltet indes allein dann
Bedeutung, wenn der Kläger nach Wechsel des Fachgebietes nicht als praktischer Arzt,
sondern als Facharzt für Frauenheilkunde zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassen würde und in dieser Eigenschaft dem Kreis der abrechnungsberechtigten
Ärzte angehören würde. In seiner Eigenschaft als praktischer Arzt ist jedoch kein Raum
für die Berücksichtigung seiner persönlichen Befähigung hierzu. Hierauf weist der
Zusatz: " ... soweit abrechnungsgestaltende Regelungen dem nicht entgegenstehen"
ausdrücklich hin. Die Ausschluss der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmenden
Ärzte von der Abrechnungsfähigkeit der streitbefangenen Leistungen ist eine solche
abrechnungsgestaltende Regelung im EBM. Damit hat die Beklagte zugleich die
Abrechnung des Klägers nicht nach nochmaliger Prüfung anerkannt und vorbehaltlos
bestätigt (dazu BSG, Urteil vom 08.02.2006 - B 6 KA 12/05 R - m.w.N.).
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Die Sonographiegenehmigung vom 18.02.1993, auf die der Kläger Bezug nimmt, ist
durch den Ausschluss der Abrechenbarkeit der berichtigten Leistungen auch nicht
entwertet. Die in der allgemeinärztlichen Praxis anfallenden Ultraschalluntersuchungen
der Brustdrüsen (Nr. 33041 EBM), des Abdomens (Nr. 33042 EBM), der Uro-Genital-
Organe (Nr. 33043 EBM) und der weiblichen Genitalorgane (Nr. 33044 EBM) kann der
Kläger als arztgruppenübergreifende Leistungen weiterhin erbringen und abrechnen.
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Auch soweit der Kläger seit seiner Niederlassung im Jahre 1993 die Leistungen der
Mutterschaftsvorsorge erbracht und unbeanstandet abgerechnet hatte, be gründet dies
keinen Vertrauensschutz. Diese Abrechnungen erfolgten rechtmäßig nach Maßgabe
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des bis zum 31.03.2005 geltenden EBM, der insofern eine Beschränkung auf Fachärzte
für Frauenheilkunde nicht vorgesehen hatte, und nicht aufgrund einer Duldung
fachfremder Leistungen durch die Beklagte über längere Zeit.
Es ist aus Vertrauensschutzgesichtspunkten auch nicht geboten, dem Kläger für eine
Übergangszeit die Abrechnungsmöglichkeit der streitbefangenen Leistungen zu
erhalten. Werden Ärzte durch neue Regelungen von der Erbringung und Abrechnung
bestimmter, in der Vergangenheit in erlaubter Weise erbrachter Leistungen
ausgeschlossen, so liegt eine statusrelevante Berufsausübungsregelung nur dann vor,
wenn diese Leistungen für ihr Fachgebiet wesentlich sind (BSG, Urteil vom 06.09.2000 -
B 6 KA 36/99 R -). Bei der Mutterschaftsvorsorge handelt es sich jedoch nicht um für das
Fachgebiet praktischer Ärzte wesentliche oder dieses Fachgebiet prägende Leistungen.
Dies ergibt sich aus Inhalt und Ziel der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin gemäß
der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Nordrhein (Nr. 1), die für diese Ärzte keine
eingehenden Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Mutterschaftsvorsorge
verlangt. Demgegenüber sieht die Weiterbildung in der Frauenheilkunde und
Geburtshilfe (Nr. 9) ausdrücklich die Mutterschaftsvorsorge als Inhalt und Ziel der
Weiterbildung vor. Handelt es sich somit um eine Leistung, die nicht den Grundbestand
bzw. Kernbereich des allgemeinmedizinischen Fachgebietes betrifft, so brauchen
Übergangsregelungen grundsätzlich nicht eingeführt zu werden (vgl. BSG, Urteil vom
08.03.2000 - B 6 KA 12/99 R -).
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Im Übrigen stand dem Kläger tatsächlich eine mehrjährige Übergangsfrist zur
Verfügung, innerhalb derer er Gelegenheit hatte, sich auf die geänderten Verhältnisse
einzustellen. Dem ab 01.04.2005 geltenden EBM (sog. EBM 2000plus) liegt eine
längere Entwicklungsgeschichte zugrunde, die allen Vertragsärzten frühzeitig und
fortlaufend in der KVNo aktuell vermittelt worden ist.
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Bereits in den Ausgaben 4/00 und 5/00 wurden Strukturen und Inhalte des neuen EBM
vorgestellt und in einem Sonderheft 10/00 eingehend erläutert. In den Ausgaben 9/00,
9/02, 7+8/03, 3/04, 4/04, 6/04, 10/04 und 11/04 wurde jeweils berichtet, aus welchen
Gründen sich die Einführung des EBM verzögerte. Eine eigens eingerichtete Website im
Internet (www.ebm2000plus.de) informierte ebenfalls durchgängig über Beweggründe,
Ziele und Regelungen des neuen EBM. Angesichts solch dichter Hinweise durfte kein
Arzt darauf vertrauen, dass die in der Vergangenheit vergüteten Leistungen ohne
weiteres auch in der Zukunft weiter honoriert würden (vgl. zur Zerstörung des
Vertrauensschutzes durch Mitteilungen in der KVNO aktuell LSG NRW, Urteil vom
21.12.2005 - L 11 KA 44/05 -). Eine fünfjährige faktische Zeitspanne, um sich auf die
neue Rechtslage einzurichten, stellt jedenfalls eine hinreichende Übergangszeit dar.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 des 6.
Gesetzes zur Änderung des SGG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 155
Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache im Hinblick auf Übergangsfristen
hat die Kammer die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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