Urteil des SozG Düsseldorf vom 12.10.2006

SozG Düsseldorf: altersrente, vertreter, bindungswirkung, sachprüfung, rechtskraft, verwaltungsakt, prozessfähigkeit, erlass, zukunft, verwirkung

Sozialgericht Düsseldorf, S 26 R 210/06
Datum:
12.10.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 26 R 210/06
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt eine höhere Rente und einen früheren Rentenbeginn bereits ab
dem 55. Lebensjahr.
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Die Klägerin ist am 00.00.1942 geboren und erhält von der Beklagten aufgrund ihres
Rentenantrages vom April 2002 mit dem Rentenbescheid vom 03.06.2002 (Bl. 188 ff der
Verwaltungsakte) nach Vollendung des 60. Lebensjahres ab dem 01.12.2002
Altersrente für schwerbehinderte Menschen, ohne Abschläge wegen vorzeitiger
Inanspruchnahme. Im Versicherungsverlauf der Klägerin sind Pflichtbeiträge wegen
Kindererziehung in der Zeit vom 01.11.1982 bis 31.10.1983 im Umfang von 12 Monaten
enthalten und Kinderberücksichtigungszeiten im Zeitraum vom 01.10.1982 bis
31.10.1992.
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Ein früherer Antrag auf Altersrente von Februar 1998 war von der Beklagten mit
Bescheid vom 21.04.1998 abgelehnt worden mit der Begründung, ein Rentenanspruch
bestehe nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres.
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Das Sozialgericht Düsseldorf hat in zwei Vorprozessen mit Urteil vom 22.07.2003 (S 00
RA 000/00) und mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2004 (S 00 RA 000/00) die Begehren
der Klägerin nach einer höheren Altersrente und hinsichtlich eines früheren
Rentenbeginns ab Vollendung des 55. Lebensjahres abgewiesen mit der Begründung,
die Beklagte habe bereits alle von der Klägerin zurückgelegten Versicherungszeiten
und die Kindererziehungszeiten und die Kinderberücksichtigungszeiten zutreffend
berücksichtigt und auch das für die Klägerin gültige Recht angewandt; die Beklagte
habe auch nicht ehemaliges DDR-Recht angewandt oder nur Entgeltpunkte Ost
zugrunde gelegt. Soweit die Altersrente niedriger sei als noch 1996 in einer
Rentenauskunft mitgeteilt, sei dies auf Rechtsänderungen seit 1996 zurückzuführen und
im übrigen sei die Auskunft von 1996 nicht rechtsverbindlich und nicht bindend. Die
Ablehnung einer früheren Altersrentenzahlung schon für die Zeit ab 1998 sei mit
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Bescheid vom 21.04.1998 - die Klägerin auch bindend - abgelehnt worden und im
übrigen auch sachlich nicht zu beanstanden, da das Gesetz Altersrente frühestens ab
Vollendung des 60. Lebensjahres vorsehe.
Die gegen diese Entscheidungen des Sozialgerichts Düsseldorf eingelegten
Berufungen der Klägerin hat das Landessozialgericht mit Urteilen vom 07.02.2006 (L 00
RA 00/00 und L 00 RA 0/00) zurückgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass die
Beklagte die Höhe der Rente zutreffend und der Rechtslage entsprechend festgestellt
habe, und dass im übrigen der Klägerin auch keine Rente vor Dezember 2002 zustehe.
Die bisherigen Bescheide der Beklagten seien damit nicht zu beanstanden. Auf die
Entscheidungsgründe des Urteils und des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts
Düsseldorf werde Bezug genommen und die Entscheidungen würden vom
Landessozialgericht für zutreffend erklärt. Im übrigen habe kein Anlass bestanden, für
die Klägerin einen besonderen Vertreter zu bestellen, auch wenn die vom Amtsgericht
früher angeordnete Betreuung inzwischen in 2005 zeitlich ausgelaufen sei, da ein
psychiatrischer Gutachter des Amtsgerichts - L - die tatsächliche Ausprägung der
psychischen Erkrankung der Klägerin ohne von der Klägerin abgelehnte Untersuchung
nicht habe feststellen können; damit bestehe kein genügender Anlass, die
Prozessfähigkeit der Klägerin im Wege des Freibeweises auszuschließen und für sie
nach § 72 SGG einen besonderen Vertreter zu bestellen.
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Die von der Klägerin gegen diese Urteile eingelegten Beschwerden gegen die
Nichtzulassung der Revision hat das Bundessozialgericht mit Beschlüssen vom
12.04.2006 (B 00 R 000/00 B und B 00 R 000/00 B) als unzulässig verworfen.
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Mit Schreiben vom 15.05.2006 hat die Klägerin die Beklagte aufgefordert, ihr eine
richtige und vollständige Rente zu zahlen. Sie habe 1998 zu Recht schon damals Rente
beantragt und die Rente sei auch nicht richtig berechnet worden. Wegen der
Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird Bezug genommen auf Blatt 1633 ff der
Verwaltungsakte. Die Beklagte hat dieses als Überprüfungsantrag ausgelegt.
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Mit Bescheid vom 02.06.2006 (Bl. 1640 der Verwaltungsakte) hat die Beklagte es
abgelehnt, die Rente neu festzustellen und Rente rückwirkend bereits ab dem 55.
Lebensjahr zu gewähren. Sie begründete dies mit den gesetzlichen Vorschriften und
dem Ausgang der Vorprozesse, insbesondere mit den Urteilen des
Landessozialgerichts NRW vom 07.02.2006, worin bereits Aussagen zur
Rentenberechnung getroffen worden seien. Seitdem hätten sich keine Änderungen
ergeben, die einen Anspruch auf Neufeststellung der Rente begründen würden.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.06. und 04.07.2006 Widerspruch ein.
Wegen ihres Vorbringens wird Bezug genommen auf Blatt 1641 ff der Verwaltungsakte.
Zur Verwaltungsakte gelangte dann auch noch der Bescheid vom 29.04.1996 mit
Rentenauskunft, die das Sozialgericht Düsseldorf bereits in seinem Urteil vom
22.07.2003 erwähnt hatte.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2006 (Blatt 1664 der Verwaltungsakte) wies die
Beklagte den Widerspruch zurück und lehnte weiterhin die Neufeststellung der Rente
und die Zahlung einer Altersrente bereits ab dem 55. Lebensjahr ab. Zur Begründung
führte sie aus, das Vorbringen der Klägerin sei bei der Erteilung des angefochtenen
Bescheides (vom 02.06.2006) bereits bekannt gewesen und sei schon berücksichtigt
worden. Gründe zu einer Änderung lägen nicht vor. Sie verweise auch auf das Urteil des
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Landessozialgerichts vom 07.02.2006.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 16.08.2006 Klage zum Sozialgericht
Düsseldorf erhoben.
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Sie trägt mit der Klage im wesentlichen vor, nach alten Rentenrechtsgesetzen hätte
1998 Versicherten schon mit Vollendung des 55. Lebensjahres eine Rente für
langjährige Versicherte ohne Abschläge zugestanden. Sie habe in X und in O gearbeitet
und sei deshalb nach westdeutschen Rentenrechtsgesetzen zu behandeln. Sie habe
auch eine Tochter geboren, dies habe die Beklagte entsprechend zu berücksichtigen.
Wenn der Zugangsfaktor 1 stimme müsste ihr auch monatlich brutto 950,82 Euro bezahlt
werden statt nur netto 479,32 Euro. Sie fühle sich ungerecht behandelt gegenüber
anderen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird Bezug genommen
auf deren Schriftsätze vom 12.09.2006 mit Anlagen, vom 28.08.2006 und 05.09.2006
jeweils mit Anlagen.
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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.06.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17.07.2006 und Rücknahme bzw. Abänderung der
Bescheide vom 21.04.1998 und 03.06.2002 und 23.10.2002 zu verurteilen, ihr - auch
unter Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten
- eine höhere Rente nach westdeutschen Rentengesetzen zu zahlen, und dies bereits
seit Vollendung des 55. Lebensjahres.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden
und die Begründungen des Sozialgerichts Düsseldorf und des Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen in den vorangegangenen Urteilen und hält alle diese
Ausführungen für weiterhin zutreffend. Neues habe die Klägerin nicht vorgetragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den
Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und den Inhalt der Vorprozessakten S 00 RA
000/00 bzw. L 00 RA 0/00 und S 00 RA 000/00 bzw. L 00 RA 00/00 Bezug genommen;
alle diese Akten und Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte in Abwesenheit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung
entscheiden, weil diese in der Terminsmitteilung, die durch Zustellung ordnungsgemäß
am 13.09.2006 bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist,
die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.
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Die Kammer brauchte zur Entscheidung über das Begehren der Klägerin auch keinen
besonderen Vertreter zu bestellen; sie tritt insoweit den Ausführungen des
Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in den Entscheidungsgründen in den
Urteilen vom 07.02.2006 bei, die erst vor ca. 8 Monaten ergangen sind; die 26. Kammer
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des Sozialgerichts Düsseldorf sieht ebenso wie das Landessozialgericht NRW vor dem
Hintergrund der Ermittlungen des Vormundschaftsgerichts und den Eindrücken des
Landessozialgerichts auch keinen genügenden Anlass, die Prozessfähigkeit der
Klägerin im Wege des Freibeweises auszuschließen und nach Maßgabe des § 72 SGG
für sie einen besonderen Vertreter zu bestellen. Am üblichen Vorbringen der Klägerin in
objektiv beleidigender und unangemessener Weise wie schon in den Vorprozessen hat
sich seitdem nichts geändert, weder zum Besseren noch zum Schlechteren, sodaß
weiterhin kein Anlass gesehen wird für die Klägerin einen besonderen Vertreter zu
bestellen.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der
Beklagten, nämlich der Überprüfungsbescheid vom 02.06.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17.07.2006, sind nicht rechtswidrig und beschweren die
Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden
nach § 44 Abs. 1 SGB X zu Recht ohne erneute vollständige Sachprüfung an der
Bindungswirkung ihrer früheren Bescheide festgehalten hat. Nach § 44 ist zwar ein
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückzunehmen bzw. abzuändern, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass
bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden
sind. Diese Bestimmung ermöglicht somit eine Abweichung von der Bindungswirkung
sozialrechtlicher Verwaltungsakte (auch Rentenbescheiden), die gemäß § 77 SGG
grundsätzlich von allen Beteiligten zu beachten ist, also auch von dem
Sozialleistungsträger, der den Verwaltungsakt erlassen hat. Es findet jedoch nicht
immer wieder eine erneute vollumfängliche Sachprüfung statt; vielmehr gilt für die
Durchbrechung der Rechtskraft früherer bereits bestandskräftig gewordener Bescheide
ein dreistufiges Prüfungsverfahren. Dabei müssen zunächst einmal Gründe geltend
gemacht worden sein, die ihrer Art nach Gründe für eine Durchbrechung der
Bindungswirkung darstellen (Bundessozialgericht in SozR 1300 § 44 Nr. 33; LSG NRW
Urteil vom 29.01.1997 - L 4 An 21/95). Erst wenn solche Gründe vorgetragen und zu
bejahen sind, ist erst weiter zu fragen, ob der geltend gemachte Grund tatsächlich
vorliegt und der bindende Bescheid auf einem Umstand beruht, der im
Überprüfungsverfahren nunmehr zweifelhaft geworden ist, und erst bei Bejahung
dessen kann dann erst einen erneute Sachprüfung des gesamten früheren und jetzt
vorgetragenen Streitstoffes erfolgen. Ergibt sich aber schon im Rahmen eines Antrags
auf Überprüfung nichts Neues, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung bzw. der
Vorentscheidungen sprechen könnte, dann darf sich die Verwaltung - und damit auch
eine neue Gerichtsinstanz - ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen.
Hier ist es so, dass die Klägerin im jetzigen Klageverfahren mit ihren Ausführungen
letztlich wieder nur die gleichen Einwände erhebt, die sie schon früher gegen ihre
Rentenberechnung hatte und die sie schon früher gegen eine Rentenzahlung erst ab
Dezember 2002 erhob. Wiederum macht sie nur geltend, ihre Kindererziehungszeiten,
ihre Kinderberücksichtigungszeiten und bundesdeutsches Recht seien nicht zutreffend
berücksichtigt worden und die Rente hätte ihr schon mit Vollendung des 55.
Lebensjahres zustehen müssen. All dies war schon Gegenstand der oben
vorprozessualen Entscheidungen des Sozialgerichts Düsseldorf und des
Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, sodaß sich das Sozialgericht jetzt zur
Ablehnung des Begehrens der Klägerin und zur Abweisung der Klage auf die
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ausführlichen Ausführungen in den vorgenannten Entscheidungen stützt, die auch
bereits rechtskräftig geworden sind; mit der Folge, dass auch die früheren Bescheide
bzw. Rentenbescheide der Beklagten für die Klägerin nach § 77 SGG bindend
geworden sind. Soweit die Klägerin jetzt noch moniert, aufgrund des ihr unstreitig
zuerkannten Zugangsfaktors 1 müsse dies zu einer höheren Rente führen, verkennt sie
offenbar, dass dieser im Rentenbescheid vom 03.06.2002 berücksichtigte
Zugangsfaktor lediglich bewirkt, dass der Klägerin keine Rentenabschläge gemacht
wurden bzw. werden, er führte lediglich dazu, dass die ermittelten Entgeltpunkte der
Klägerin nicht gekürzt wurden bzw. mit einem Faktor kleiner als 1 ihr ungünstig
vervielfältigt wurden - und zwar vor dem Hintergrund, dass der Klägerin die ab
Dezember 2002 gewährte Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschlag
bzw. Verringerung der Entgeltpunkte zustand (§ 77 Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit §
236 a Satz 4 Nr. 1 SGB VI).
Soweit die Klägerin in Zukunft weitere Überprüfungsanträge ausdrücklich oder
sinngemäß stellen sollte, die wiederum nur die gleichen Einwände beinhalten sollten,
so kann dies dazu führen, dass weitere solche Anträge von der Beklagten wegen
Verwirkung eines erneuten Antragsrechts nicht mehr beschieden werden müssen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
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