Urteil des SozG Düsseldorf vom 05.09.2006

SozG Düsseldorf: behinderung, neurotische fehlentwicklung, schwerhörigkeit, herzleiden, herzinfarkt, leistungsfähigkeit, zustand, migräne, bluthochdruck, persönlichkeitsstörung

Sozialgericht Düsseldorf, S 35 (28,6) SB 321/03
Datum:
05.09.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
35. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 35 (28,6) SB 321/03
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird - unter Abänderung des Bescheides vom 06.08.03 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.03 - verurteilt, beim
Kläger einen GdB von 100 festzustellen. Die weitergehende Klage wird
abgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen
außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1/4.
Tatbestand:
1
Mit Bescheid vom 9. Dezember 1991 hatte die Beklagte beim Kläger einen Grad der
Behinderung von 80 wegen:
2
1.Persönlichkeitsstörung (GdB 70) 2.Schwerhörigkeit (GdB 10) 3.Migräne (GdB 10)
4.Schmerzsyndrom der Wirbelsäule (GdB 10) 5.Sehminderung (GdB 10)
3
festgestellt.
4
Im Juni 2003 stellte der Kläger einen Änderungsantrag, mit dem er die Gewährung eines
höheren Grades der Behinderung und die Nachteilsausgleiche "erheblich beeinträchtigt
in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" - G -, "außergewöhnlich gehbehindert" -
aG - und "Befreiung von der Rundfunk- und Fernsehgebührenpflicht" - RF - begehrte.
5
Die Beklagte holte daraufhin Befundberichte von den Ärzten des Klägers ein und erteilte
unter dem 06.08.2003 einen Bescheid, wonach die Behinderungen
6
1. Schwere neurotische Fehlentwicklung mit Zwangssymptomatik und Depression (70)
2. Schwerhörigkeit (10) 3. Migräne (10) 4. Schmerzsyndrom der Wirbelsäule, Zustand
nach traumatisch bedingtem Deckplatteneinbruch 2. Lendenwirbelkörper (20) 5.
Sehminderung bei Augenleiden (10) 6. Schlaf-Apnoe-Syndrom mit Überdruckbeatmung
(20) 7. Harnentleerungsstörung bei Prostatavergrößerung (10)
7
weiterhin einen GdB von 80 bedingen. Die Zuerkennung der begehrten
Nachteilsausgleiche wurde mit dem Bescheid abgelehnt.
8
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 08.10.2003 als sachlich unbegründet zurückwies.
9
Gegen den Widerspruchsbescheid richtet sich die am 28.10.2003 bei Gericht
eingegangene Klage mit der der Kläger u.a. vorträgt, er sei nicht in der Lage, größere
Wegstrecken zurückzulegen.
10
Der Kläger ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Er hat
schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
11
die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 06.08.2003 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2003 zu verurteilen, einen Grad der
Behinderung von 100 und die Nachteilsausgleiche "G", "aG" und "RF" festzustellen.
12
Die Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Sie ist der Auffassung, dass ein höherer Grad der Behinderung nicht festgestellt werden
kann und die Voraussetzung für die begehrten Nachteilsausgleiche nicht vorliegen.
15
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von medizinischen
Sachverständigengutachten von dem Internisten Q, dem Neurologen und Psychiater W1
und dem Orthopäden W2.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den
Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte
waren Gegenstand der einseitigen mündlichen Verhandlung.
17
Entscheidungsgründe:
18
Das Gericht kann vorliegend in Abwesenheit des Klägers entscheiden, denn der Kläger
wurde zum Termin ordnungsgemäß geladen und ist mit dieser Ladung darauf
hingewiesen worden, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden
werden kann.
19
Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist hinsichtlich der Höhe
des Grades der Behinderung begründet, hinsichtlich der Gewährung von
Nachteilsausgleichen aber unbegründet.
20
Soweit der Kläger einen höheren Grad der Behinderung begehrt, ist die Klage
begründet. Der Kläger ist insoweit durch die angefochtenen Bescheide beschwert im
Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide
erweisen sich als rechtswidrig.
21
Das Gericht verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen im vorliegenden
Fall der GdB zu bilden ist, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom
08.10.2003.
22
Nach Maßgabe der dort genannten Vorschriften ist in den gesundheitlichen
Verhältnissen des Klägers eine wesentliche Änderung eingetreten, die es rechtfertigt,
23
den GdB anzuheben.
Die wesentliche Änderung ist schon daraus zu ersehen, dass gegenüber den
Feststellungen aus dem Jahre 1991 nun mehrere weitere Gesundheitsstörungen mit
einem GdB von 20 hinzugetreten sind. Nach Auffassung der Kammer rechtfertigt dies
eine Neubewertung der Behinderungen.
24
Unstreitig liegt beim Kläger eine schwere psychische Behinderung vor, die der
Sachverständige W1, ebenso wie der beratende Arzt des Beklagten mit einem GdB von
70 bewerten. Darüber hinaus liegen Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule vor, die
einen GdB von 20 bedingen. Die Beklagte erkennt auch an, dass das Schlaf-Apnoe-
Syndrom vorliegend einen GdB von 20 bedingt. Dies wird auch von dem gerichtlichen
Sachverständigen Q so bestätigt. Die Schwerhörigkeit des Klägers bedingt nach der
Tabelle unter 26.5 der Anhaltspunkte einen GdB von 10. Zu berücksichtigen ist
allerdings, dass der Kläger zusätzlich an einem Tinitus leidet. Hier folgt die Kammer den
Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Q, der nachvollziehbar darlegt, dass
der Tinitus beim Kläger zu einer Verstärkung im Bereich des Gehörleidens führt, so dass
die Kammer es hier für angemessen hält, einen GdB von 20 festzusetzen. Schließlich
leidet der Kläger an einer Herzerkrankung und einem Zustand nach Herzinfarkt.
Bedauerlicherweise hat der medizinische Sachverständige Q die körperliche
Leistungsfähigkeit des Klägers hier nicht getestet. Vor dem Hintergrund einer
Belastungsdyspnoe und pekatinösen Beschwerden bei bestehendem Bluthochdruck
hält die Kammer hier allerdings - abweichend von der Auffassung der Beklagten - einen
Einzel-GdB von 30 für gerechtfertigt, denn allein aus den offensichtlich vorliegenden
Beschwerden, die schon 1989 vom Kläger vorgebracht wurden, kann auf eine deutliche
Verminderung der Leistungsfähigkeit geschlossen werden. Soweit der Sachverständige
Q hier einen GdB von 50 - unter Berufung auf frühere ärztliche Stellungnahmen und das
Gutachten von M in dem Verfahren SG Düsseldorf, Az.: S 00 Vs 00/00 - in Ansatz bringt,
ist dem allerdings entgegenzuhalten, dass die damalige Bewertung auf den inzwischen
außer Kraft getretenen "Anhaltspunkten 1986" (Heilungsbewährung nach Herzinfarkt)
beruhte.
25
Nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen Q bedingen die Behinderungen
insgesamt einen GdB von "mindestens" 80. Diese Aussage des Sachverständigen ist
für die Entscheidung des Gerichts nicht hilfreich, weil nicht präzise genug. Die Kammer
sieht sich aber in der Lage, aus den bestehenden Einzelgraden der Behinderung den
Gesamtgrad der Behinderung selbst zu bilden. Ausgehend vom höchsten Einzelgrad
der Behinderung von 70 für die psychische Erkrankung wirkt das Herzleiden nach Punkt
19 der Anhaltspunkte GdB erhöhend, denn die Behinderung besteht auf einem völlig
anderen medizinischen Sachgebiet und wirkt sich im alltäglichen Leben daher auch in
völlig anderen Bereichen aus. Gleiches gilt für das Schlafapnoesyndrom, das sich
wiederum verstärkend auf das Herzleiden auswirkt. Die beim Kläger von den
Sachverständigen festgestellten Wirbelsäulenveränderungen wirken sich wiederum in
einem anderen Bereich aus, nämlich in dem Bereich der Bewegungsfähigkeit und
führen daher ebenfalls zu einer Anhebung des GdB. Danach ist - nach Auffassung der
Kammer - ein GdB von 100 gerechtfertigt. Es kann dann dahinstehen, ob auch das
Gehörleiden noch GdB erhöhend wirkt.
26
Dagegen liegen die Voraussetzungen für die begehrten Nachteilsausgleiche nicht vor.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung des Nachteilsausgleichs "G". Nach
Punkt 30 (3) der insoweit maßgeblichen Anhaltspunkte für die ärztliche
27
Gutachtertätigkeit sind die Voraussetzungen für die Gewährung des
Nachteilsausgleichs "G" erfüllt, wenn Behinderungen der unteren Gliedmaßen
vorliegen, die für sich genommen - unter Berücksichtigung der Vorgaben von Punkt 19
der Anhaltspunkte - einen GdB von 50 bedingen. Dies ist beim Kläger nicht der Fall. Die
einzige Behinderung, die sich auf die Gehfähigkeit des Klägers auswirkt ist die
Funktionsbeeinträchtigung der Lendenwirbelsäule, die allerdings nur mit einem GdB
von 20 zu bewerten ist. Beim Kläger liegt auch keine Herzleistungsschwäche nach
Gruppe 3 der Anhaltspunkte unter 26.9 vor, denn das Herzleiden des Klägers bedingt
nach dem oben gesagten nur einen GdB von 30.
Da beim Kläger schon nicht die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G"
vorliegen, hat der Kläger erst Recht keinen Anspruch auf Gewährung des
Nachteilsausgleich "aG", denn die Voraussetzungen dieses Nachteilsausgleichs gehen
weit über die Voraussetzungen zur Gewährung des Nachteilsausgleichs "G" hinaus.
28
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für die Gewährung des
Nachteilsausgleichs "RF", denn der Kläger kann noch an öffentlichen Veranstaltungen
teilnehmen. Insoweit folgt die Kammer den medizinischen Sachverständigengutachten,
die übereinstimmend festgestellt haben, dass der Kläger nicht gehindert ist, seine
Wohnung zu verlassen, um an entsprechenden Veranstaltungen teilzunehmen.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger zuletzt mit
Schreiben vom 15.08.2006 mitgeteilt hat, er werde seine entfernt wohnende kranke
Schwester besuchen. Das Gericht geht davon aus, dass, wenn derartige Besuche
möglich sind, der Kläger auch an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann.
29
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
30