Urteil des SozG Düsseldorf vom 20.11.2006

SozG Düsseldorf: vorläufiger rechtsschutz, fristlose kündigung, vermieter, erlass, unterkunftskosten, hauptsache, verzug, zivilprozessordnung, gefahr, anwendungsbereich

Sozialgericht Düsseldorf, S 43 AS 129/06 ER
Datum:
20.11.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
43. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 43 AS 129/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1.Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2.Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
3.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu
erstatten.
Gründe:
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I.
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Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bleibt erfolglos, weil die
Rechtsverfolgung des Antragstellers aus den sich unter II. ergebenden Darlegungen
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m.
§§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO).
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II.
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Der Antrag,
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die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller rückwirkend für den Zeitraum vom 01.09.2006 an monatliche Leistungen
für Unterkunft in Höhe von 464,27 EUR zu gewähren,
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hat keinen Erfolg.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache
- auf Antrag - eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte
Rechtsanspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird (Anordnungsanspruch)
und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V.
m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
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Erforderlich im Rahmen der Glaubhaftmachung ist der Nachweis der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht
überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3.
Auflage, III. Kapitel, Rn. 157). Dies ist grundsätzlich im Rahmen einer summarischen
Prüfung zu ermitteln (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 19.01.2006 - L 1 B
17/05 AS ER -, vom 29.11.2005 - L 19 B 84/05 AS ER - und vom 26.07.2005 - L 9 B
44/05 AS ER -).
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Der Antragsteller hat bereits einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Es
spricht nach den vorliegenden Erkenntnissen derzeit nichts dafür, dass ihm wesentliche
Nachteile drohen, wenn eine einstweilige Anordnung des Gerichts nicht ergeht.
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Eine einstweilige Anordnung dient der Sicherstellung wirksamen Rechtsschutzes, der
zu gewähren ist, wenn anders dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche
hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, insbesondere seiner
Menschenwürde, oder anderen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise
überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen. Hiervon ausgehend ist
in einem auf die Übernahme der Kosten für die Unterkunft gerichteten einstweiligen
Anordnungsverfahren ein Anordnungsgrund in der Regel dann gegeben, wenn der
Hilfebedürftige glaubhaft macht, dass ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung
nach Ablauf des - aus der Sicht der gerichtlichen Entscheidung - nächstfolgenden
Fälligkeitszeitpunktes für die Zahlung der Miete ernsthaft mit einer Kündigung und
Räumungsklage zu rechnen ist. Das setzt voraus, dass einerseits ohne die beantragte
einstweilige Anordnung zum nächsten Fälligkeitszeitpunkt die gesetzlichen
Voraussetzungen des § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für eine fristlose Kündigung durch den Vermieter
eintreten würden, andererseits aber auch ernsthaft erwartet werden muss, dass der
Vermieter nicht nur von seinem Kündigungsrecht, sondern auch von der Möglichkeit der
Räumungsklage Gebrauch machen wird. Eine dergestalt unmittelbar und ernsthaft
drohende Kündigung und Räumungsklage begründen eine aktuelle Notlage, die den
Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Wahrung wirksamen vorläufigen
Rechtsschutzes erfordern kann. Da sich der Zeitpunkt, zu dem der Vermieter die
Kündigung ausspricht und Räumungsklage erhebt, wie auch die Durchführung des
Räumungsprozesses der sozialgerichtlichen Einflussmöglichkeit entziehen, kann
wirksamer vorläufiger Rechtsschutz im allgemeinen nur dadurch gewährleistet werden,
dass der hilfebedürftige Mieter in den Stand gesetzt wird, durch rechtzeitige Zahlung der
nächstfälligen Miete überhaupt den Eintritt der Kündigungsvoraussetzungen zu
vermeiden (vgl. die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) im Anwendungsbereich des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG); Beschluss vom 12.12.1994, Az. 8 B 2650/94,
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl) 1995, 140, sowie Beschluss vom
16.03.2000, Az. 16 B 308/00, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2000, 2523 =
NWVBl 2000, 392 f. = Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und
Sozialgerichte (FEVS) 52, 24 ff.; vgl. ferner im Anwendungsbereich des
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II)
Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom
02.11.2006, Az. L 20 B 209/06 AS ER; im Ergebnis ebenso Sozialgericht Düsseldorf,
Beschluss vom 23.08.2006, Az. S 28 AS 202/06 ER, bestätigt durch LSG NRW,
Beschluss vom 15.11.2006, Az. L 12 B 144/06 AS ER).
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Der Antragsteller hat vorgebracht, er laufe Gefahr, nach teilweise gezahlter Miete
geräumt und damit obdachlos zu werden. Die von der Antragsgegnerin gewährten
Arbeitslosengeld II-Leistungen reichten nicht aus, um die Wohnungsmiete vollständig zu
begleichen. Bisher habe der Antragsteller die Differenz durch Darlehen von Freunden
und Bekannten decken können. Deren Mittel seien nunmehr jedoch erschöpft.
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Diesem Vorbringen ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Antragsteller aktuell,
also im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, gegenüber seinem
Wohnungsvermieter mit den Mietzahlungen in einem Rückstand befindet, so dass nichts
für die Gefahr einer fristlosen Kündigung und damit die Notwendigkeit des Erlasses
einer einstweiligen Anordnung ersichtlich ist.
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Selbst wenn der Antragsteller zukünftig mit den Mietzahlungen in Rückstand geraten
sollte, weil er die Differenz zwischen Leistungen der Antragsgegnerin und tatsächlich
geschuldeter Miete nicht mehr aufzubringen in der Lage ist, hängt es von der Höhe der
Mietrückstände ab, wann der Zeitpunkt erreicht ist, in dem das weitere Anwachsen des
Rückstandes den Vermieter zum nächsten Fälligkeitszeitpunkt zu einer fristlosen
Kündigung berechtigen würde. Nach § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr.
1 BGB ist eine fristlose Kündigung berechtigt, wenn der Mieter für zwei aufeinander
folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines Teils der Miete, der die Miete
für einen Monat übersteigt, in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich über mehr als
zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug
ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Ausgehend von der im Beschluss des
Gerichts vom 25.02.2006 gleichen Rubrums im Verfahren S 00 AS 000/00 ER zugrunde
gelegten tatsächlichen Miete einschließlich Neben- und Heizkostenvorauszahlung in
Höhe von 533,04 EUR besteht eine Differenz zu den von der Antragsgegnerin derzeit
gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 377,27 EUR, die sich auf
155,77 EUR bemisst. Selbst wenn zukünftig monatlich ein Mietrückstand in Höhe dieser
Differenz anwüchse, dauerte es noch einige Monate, bis ein Rückstand erreicht würde,
der den Voraussetzungen des § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB
entspricht.
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Mangels glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes kommt es mithin auf das Bestehen
eines Anordnungsanspruches nicht mehr an.
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Dennoch weist das Gericht zur Frage des Anordnungsanspruches, also der Frage des
Bestehens des materiellen Anspruchs auf Gewährung eines Unterkunfts- und
Heizkostenanteils im Rahmen des Arbeitslosengeldes II in Höhe der tatsächlichen
Kosten von 533,04 EUR anstelle der von der Antragsgegnerin als angemessen
anerkannten 377,27 EUR, vorsorglich darauf hin, dass es nicht von vornherein als
ausgeschlossen erscheinen dürfte, dass die von der Antragstellerin für einen
Einpersonenhaushalt als angemessen zugrunde gelegte sogenannte
Bruttomonatskaltmiete, d.h. Kaltmiete zuzüglich Betriebskosten, aber ohne Heizkosten,
in Höhe von 331,00 EUR einer rechtlichen Überprüfung standhält. Sollte dies der Fall
sein, sollten also die Aufwendungen des Antragstellers für die Unterkunft den der
Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach § 22
Abs. 1 Satz 2 SGB II als Bedarf nur solange zu berücksichtigen, wie es ihm nicht
möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten
oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Sofern der Antragsteller also
gegenüber der Antragsgegnerin darlegen und ggf. belegen kann, dass es ihm nicht
gelingt, eine Wohnung mit einer Bruttokaltmiete von 331,00 EUR monatlich anzumieten,
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dürften im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosengeld II die tatsächlichen
Unterkunftskosten zugrunde zu legen sein. Es könnte sich daher für den Antragsteller
zur Vermeidung nachteiliger Folgen empfehlen, sich ernsthaft und nachhaltig um die
Anmietung einer Wohnung mit einer Bruttomonatskaltmiete von höchstens 331,00 EUR
zu bemühen, sofern - seit der Erhöhung des anerkannten Angemessenheitswertes von
288,00 EUR auf 331,00 EUR im Mai 2006 durch die Antragsgegnerin - noch nicht
geschehen. Gelingt dem Antragsteller die Anmietung einer Wohnung zum
Bruttokaltmietpreis von 331,00 EUR monatlich und erteilt die Antragsgegnerin eine
Zusicherung zu den Aufwendungen für diese Wohnung nach § 22 Abs. 2 SGB II, kann
er - jedenfalls ab diesem Zeitpunkt - wieder Leistungen von der Antragsgegnerin in
Höhe der tatsächlichen (neuen) Unterkunftskosten erhalten. Gelingt ihm trotz intensiver
Bemühungen eine solche Anmietung nicht und kann er seine vergeblichen
Bemühungen darlegen und ggf. belegen, dürfte der Tatbestand der Unmöglichkeit der
Kostensenkung i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfüllt sein und - ebenfalls ab diesem
Zeitpunkt - ein Anspruch gegen die Antragstellerin auf Übernahme der (jetzigen)
tatsächlichen Kosten der Unterkunft im Rahmen des Arbeitslosengeldes II bestehen.
Durch ernsthafte, intensive und nachhaltige Bemühungen um die Anmietung einer
Wohnung zum Bruttokaltmietpreis von 331,00 EUR hat es der Antragsteller demnach
selbst in der Hand, zu erreichen, dass durch die Antragsgegnerin - jedenfalls für die
Zukunft - im Rahmen der gewährten Leistungen nach dem SGB II wieder die
tatsächlichen Unterkunftskosten übernommen werden, und zwar unabhängig davon, ob
der von der Antragsgegnerin als angemessen zugrunde gelegte Wert von 331,00 EUR
einer gerichtlichen Überprüfung standhält.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
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