Urteil des SozG Düsseldorf vom 08.08.2005

SozG Düsseldorf: meldung, minderung, unverzüglich, befristung, beendigung, obliegenheit, auflage, meinung, ausbildung, eingliederung

Sozialgericht Düsseldorf, S 7 AL 41/05
Datum:
08.08.2005
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 7 AL 41/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 1 AL 61/05
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 03.09.2004 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2005 verurteilt, dem
Kläger Arbeitslosengeld ab dem 01.08.2004 ohne Anrechnung eines
Minderungsbetrags von 1050,00 Euro gemäß § 140 SGB III (Drittes
Buch Sozialgesetzbuch) zu bewilligen. Die Beklagte trägt die
außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Minderung eines Arbeitslosengeldanspruchs nach § 37
b i. V. m. § 140 SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch).
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Der Kläger machte vom 01.09.2000 bis 23.07.2003 bei der A GmbH eine Ausbildung.
Am 16.07.2003 wurde ein befristeter Arbeitsvertrag bis zum 31.07.2004 geschlossen.
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Der Kläger meldete sich am 20.7.1004 zum 01.08.2004 arbeitslos und beantragte die
Bewilligung von Arbeitslosengeld.
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Mit Bescheid vom 03.09.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld. Mit
Schreiben vom 30.08.2004 teilte sie dem Kläger mit, dass er sich spätestens am
03.05.2004 bei der Beklagten hätte arbeitssuchend melden müssen. Die tatsächliche
Meldung am 20.07.2004 sei um 78 Tage zu spät. Nach § 140 SGB III mindere sich der
Leistungsanspruch um 35,00 Euro für jeden Tag der verspäteten Meldung. Hieraus
errechne sich ein Gesamtminderungsbetrag von 1050,00 Euro.
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Dem widersprach der Kläger am 27.09.2004. Dass er nach der bestandenen
Abschlussprüfung für mindestens 12 Monate übernommen werde sei noch vor in Kraft
treten von § 140 SGB III im Rahmen einer Betriebsvereinbarung in den 90iger Jahren
vereinbart worden. Da die Weiterbeschäftigung aufgrund dieser Betriebsvereinbarung
erfolgt sei, habe er insofern keinen neuen Vertrag abgeschlossen. Zudem sei ihm eine
Weiterbeschäftigung über den 31.07.2004 hinaus in Aussicht gestellt worden. Erst in der
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letzten Kalenderwoche des Julis 2004 sei entschieden worden, den Vertrag nicht zu
verlängern. Diese Entscheidung sei sowohl für ihn als auch für seinen Vorgesetzten
unerwartet gewesen. Er habe sich in keiner Weise einen Vorwurf zu machen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2005 als unbegründet
zurückgewiesen.
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Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Ergänzend sei vorzutragen,
dass er von seinem Arbeitgeber nicht auf die Meldepflicht bei der Beklagten
hingewiesen worden sei. Auch sei die Regelung des § 37 b i. V. m. § 140 SGB III in
keiner Weise hinreichend bestimmt. Ihm könne daher kein Vorwurf gemacht werden.
Hierzu beziehe er sich auf die Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund (S 33 AL
127/04).
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Der Kläger beantragt,
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den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 03.09.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 10.01.2005 aufzuheben und ihm Arbeitslosengeld in voller
Höhe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 14.07.2005 dazu angehört, dass es
beabsichtigt, der Klage durch Gerichtsbescheid stattzugeben. Den Beteiligten ist
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die
Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Das Gericht kann gemäß § 105 SGG (Sozialgerichtsgesetz) durch Gerichtsbescheid
entscheiden, wenn der Sachverhalt geklärt ist und keine Schwierigkeiten tatsächlicher
oder rechtlicher Art vorliegen.
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Der Bescheid vom 03.09.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.01.2005
verletzt den Kläger in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 SGG.
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Die Beklagte hat den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu Unrecht um 1050,00 Euro
gemindert.
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Hat sich ein Arbeitsloser entgegen § 37 b SGB III i.V.m. § 140 SGB III nicht unverzüglich
arbeitssuchend gemeldet, so mindert sich das Arbeitslosengeld, das ihm aufgrund eines
Anspruchs zusteht der nach der Pflichtverletzung entstanden ist. Die Minderung beträgt
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1.bei einem Bemessungsentgelt von bis zu 400,00 Euro 7,00 Euro,
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2.bei einem Bemessungsentgelt bis zu 700,00 Euro 35,00 Euro
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3.bei einem Bemessungsentgelt über 700,00 Euro 50,00 Euro
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für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der
sich bei einer 30-tägigen Verspätung errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der
Minderungsbetrag auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird.
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Während § 37 b Satz 1 SGB III Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet
dazu verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts
arbeitssuchend zu melden, bestimmt § 37 b Satz 2 SGB III, dass im Falle eines
befristeten Arbeitsverhältnisses die Meldung frühestens drei Monate vor dessen
Beendigung zu erfolgen hat.
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Ob § 37 b SGB III bzw. § 140 SGB III verfassungsgemäß sind (siehe dazu den
Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Frankfurt an das Bundesverfassungsgericht vom
1.4.2004, Az. S 7 AL 42/04) kann dahinstehen, da die Voraussetzungen der Normen
tatbestandlich nicht erfüllt sind.
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§ 37 b SGB III i.V.m. § 140 SGB III greift nur ein, wenn die Arbeitssuchendmeldung nicht
unverzüglich erfolgt ist. Der Begriff der Unverzüglichkeit ist im BGB (Bürgerliches
Gesetzbuch) legal definiert. Nach § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet unverzüglich ohne
schuldhaftes Zögern. Die Definition gilt über § 216 Abs. 2 ZPO (Zivilprozessordnung)
und § 23 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) nach
allgemeiner Meinung im gesamten öffentlichen Recht (OVG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 3.2.1992 Az. 18 A 226/92. A; LSG Baden-Württemberg, Az. L 3 AL
1267/04, Urteil vom 9.6.2004; Palandt/Heinrichs § 121 BGB, Rn. 3, 62. Auflage 2003).
Schuldhaft handelt nach § 276 Satz 2 BGB, wer vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgeht.
Auch § 276 BGB gilt für das gesamte öffentliche Recht (LSG Baden Württemberg Az.: L
3 AL 1267/04 Urteil vom 9.6.2004; Gagel § 37 b SGB III, Rn 15, Palandt/Heinrichs § 276
BGB Nr. 4)
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Eine Pflichtverletzung kann regelmäßig aber nur dann angenommen worden, wenn die
dem Betreffenden obliegende Pflicht hinreichend bestimmt ist. § 37 b Satz 2 SGB III legt
für befristete Arbeitsverhältnisse lediglich fest, dass die Meldung "frühestens" drei
Monate vor deren Beendigung zu erfolgen hat. Durch die Verwendung des Begriffs
"frühestens" kommt zum Ausdruck, dass auch eine spätere Meldung möglich sein muss.
Wann dies spätestens zu erfolgen hat, ist der Norm nicht zu entnehmen. Eine
hinreichend definierte Obliegenheit wird dadurch für befristete Arbeitsverhältnisse nicht
bestimmt (so auch SG Aachen Urteil vom 24.9.2004, S 8 AL 81/04; Sozialgericht
Dortmund Urteil vom 14.7.2004, S 33 AL 169/04, Urteile vom 26.7.2004, S 33 AL 127/04
und S 33 AL 127/04; Sozialgericht Münster Urteil vom 2.11.2004, S 5 AL 50/04 und
Gerichtsbescheid vom 23.2.2005, S 5 AL 209/04; Sozialgericht Augsburg Urteil vom
7.9.2004, S 1 AL 144/04).
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Es ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber übersehen hat zu regeln, bis wann spätestens
die Meldung zu erfolgen hat. Ein etwaiges gesetzgeberisches Versehen kann jedoch
auch nicht im Rahmen juristischer Auslegungsmethoden behoben werden.
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Die Auslegung dem Wortlaut nach führt zu keinem Ergebnis. Die Formulierung
"frühestens" bedeutet "nicht früher als". Ausgehend vom Wortlaut kann der Arbeitslose
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sich erst drei Monate vor Ablauf der Befristung arbeitslos melden.
Die Gesetzesbegründung des Gesetzgebers zur Einführung von § 37 b SGB III kann
ebenfalls keinen Aufschluss geben. Hierin ist lediglich vermerkt: "Bei befristeten
Arbeitsverhältnissen soll die Meldung jedoch nicht früher als drei Monate vor Ablauf des
Arbeitsverhältnisses erfolgen" (BTDS 15/25 zu Nr.6, S.27).
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Sinn und Zweck der Regelung ist es, die Eingliederung von Arbeitssuchenden zu
beschleunigen und den Eintritt einer Arbeitslosigkeit und das Anfallen von
Entgeltersatzleistungen möglichst zu vermeiden. Dieses Ziel würde für Arbeitnehmer in
befristeten Beschäftigungsverhältnissen gleichermaßen Sinn machen wie für
Arbeitnehmer, die in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen gekündigt wurden. Um
diesen Gesetzessinn umzusetzen müsste das Wort "spätestens" in das Wort
"frühestens" umgedeutet werden.
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Eine nach juristischen Methoden zulässige Auslegung muss jedoch nachvollziehbar
sein und Willkür auszuschließen. Ausgangspunkt einer jeden juristischen Interpretation
muss der Wortlaut des Gesetzes sein. Danach können grammatikalische, logische,
historisch-subjektive und teleologisch-objektive Gesichtspunkte zur Auslegung
herangezogen werden. Das Ergebnis einer gerichtlichen Auslegung kann aber nicht die
Umkehr des Gesetzestextes in sein Gegenteil zur Folge haben. Die Rechtsprechung
kann im Rahmen der juristischen Auslegung Text- und Wertungslücken schließen. Das
Legalitätsprinzip verbietet es vorliegend aber, die Formulierung "frühestens" zu
überlesen oder sie in "spätestens" umzudeuten (SG Augsburg Urteil vom 7.9.2004, S 1
AL 440/04). Nach § 31 SGB I (Erstes Buch Sozialgesetzbuch) können Pflichten des
Sozialleistungsempfängers nur begründet werden, wenn ein Gesetz dies vorschreibt
oder zulässt. Hinzu kommt, dass ein Verstoß gegen § 37 b SGB III mit einer nicht
unerheblichen pauschalen Schadensausgleichkonsequenz sanktioniert ist.
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Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Sanktionsfolge von § 140 SGB III
aufgrund der unbestimmten Regelung hinsichtlich der Arbeitssuchendmeldung bei
befristeten Arbeitsverträgen in § 37 b Abs. 2 SGB III nicht eintreten kann. Vor diesem
Hintergrund kann es dahinstehen, ob der Kläger überhaupt einen neuen Arbeitsvertrag
geschlossen hat und ob ihm sein Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung nach Ablauf der
Befristung versprochen hatte oder nicht. Weitere Ermittlungen sind obsolet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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