Urteil des SozG Düsseldorf vom 22.02.2007

SozG Düsseldorf: zwangsarbeit, gerichtsakte, form, altersrente, entschädigung, zugehörigkeit, lohnanspruch, verpflegung, stiftung, gegenleistung

Sozialgericht Düsseldorf, S 26 R 74/05
Datum:
22.02.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 26 R 74/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 13 R 53/07
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur
Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
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Die am 00.00.1927 in S1 in Polen geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-
Regimes und lebt seit 1948 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.
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Ein erster Rentenantrag war mit dem bestandskräftigen Bescheid der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 12.10.1995 abgelehnt worden,
weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten vorliegen würden. Die
Klägerin hatte seinerzeit angegeben, ab September 1939 bis April 1945 rassisch
Verfolgte gewesen zu sein, ohne werktätig gewesen zu sein (Bl. 48 Rückseite der
Verwaltungsakte der Beklagten).
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Die Klägerin beantragte am 17.11.2002 bzw. 11.03.2003 erneut die Gewährung einer
Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung
von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab im Rentenantragsformular an, dem deutschen
Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben (Bl. 117 Rückseite der Verwaltungsakte der
Beklagten). Sie habe von März 1941 bis Dezember 1942 während ihres Aufenthalts im
Ghetto von Radom innerhalb und auch außerhalb Tätigkeiten als Arbeiterin verrichtet.
Sie habe Rohstoffe sortiert und Reinigungsarbeiten verrichtet und auch Metalle bei den
Bahngleisen verladen. Sie habe 12 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den
Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür Sonderkost, besserer und
reichlicherer Art als andere, und Unterkunft. Barlohn habe sie nicht erhalten (Bl. 118,
119, 128 der Verwaltungsakte). Nach den Angaben in einem früheren
Entschädigungsverfahren war sie danach in Zwangsarbeitslagern gewesen und im Juni
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Entschädigungsverfahren war sie danach in Zwangsarbeitslagern gewesen und im Juni
1944 sei sie dann ins Konzentrationslager Auschwitz und später Bergen-Belsen
gekommen. Am 15.04.1945 sei sie befreit worden und nach Ludwigsburg und später
Wetzlar in Hessen gekommen, wo sie bei einem Gymnasialprofessor Deutsch- und
anderen Unterricht erhalten habe und 1947 geheiratet habe. Ab Herbst 1947 habe die
Auswanderung über Hamburg und Emden nach Israel stattgefunden, wo sie am
01.05.1948 eingetroffen sei. Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge nach dem
BEG vom Regierungspräsidium Darmstadt bei. Dort hatte die Klägerin unter dem
07.11.1962 angegeben: ... "1941 schickte man meinen Vater nach Auschwitz, und wir
erhielten eine Nachricht, dass er dort umgekommen ist. Ich arbeitete damals
ungewohnte schwere Zwangsarbeit im Torfkommando des ZAL Radom (1942) und bin
viel geschlagen worden, auch mit einer Peitsche ..." (Bl. 103 Rückseite der
Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 11.03.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur
Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer
entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustandegekommenen freiwilligen
Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche
Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Zunächst gehe die Beklagte davon aus,
dass allenfalls ohnehin der Zeitraum von März 1941 bis August 1942 in Betracht käme,
weil nur in diesem Zeitraum das Ghetto Radom bestanden habe. Außerdem sei die
Klägerin nach früheren Angaben schon seit Juli 1942 im Zwangsarbeitslager Radom
gewesen und später in einem anderen Zwangsarbeitslager. Aber auch nur die Zeiten
von März 1941 bis ca. Juli 1942 kämen nicht als glaubhaft gemachte
Beschäftigungszeiten in Betracht, weil die von ihr jetzt angegebene Tätigkeit in der
Rohstofferfassung sich aus der Entschädigungsakte gar nicht ergebe, vielmehr
Angaben zu einem Torfkommando, wobei es diesbezüglich auch wieder
unterschiedliche Zeitpunkte und unterschiedliche Angaben gebe wann dort gearbeitet
worden sei. Die Arbeitsbedingungen, die während dieser Beschäftigung geherrscht
hätten, würden aber eindeutig auf Zwangsarbeit hindeuten, die nicht nach dem ZRBG
Beitragszeiten begründen könne. Im übrigen reiche allein die von der Klägerin
angegebene bessere Kost nicht aus, um den Entgeltbegriff im Sinne des ZRBG zu
erfüllen.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 11.03.2004 Widerspruch ein. Zur
Begründung reichte sie eine schriftliche Erklärung des Zeugen S2 vom 16.05.2004 ein,
der sie 1940 kennengelernt habe, anlässlich Tätigkeit im Rahmen der Erfassung von
Abfallstoffen. Er und die Klägerin hätten alle Arten von Gütern, einschließlich Kleidung,
Leinen, Glas und Metall usw. sortiert und die Güter auf Lkw s und auf Züge geladen. Erst
gegen Ende 1942 oder Anfang 1943 seien die Arbeiter verschiedenen Arbeitsgruppen
und Konzentrationslagern zugewiesen worden. Zum Entgelt bzw. zur Vergütung machte
Herr S2 keine Angaben.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und führte
noch ergänzend aus, ihrer Auffassung nach habe die Klägerin bei ihren
Arbeitsverrichtungen im Ghetto Radom typische Form von Zwangsarbeit unter direkter
Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei Unterbringung im Ghetto und nur notdürftiger
Versorgung ausgeübt. Auch vor dem Hintergrund der Verordnung über die Einführung
von Arbeitszwang im Generalgouvernement für die jüdische Bevölkerung sei ein
entgeltliches Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis nicht überwiegend
wahrscheinlich.
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Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 08.02.2005 Klage zum Sozialgericht
Düsseldorf erhoben.
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Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen
und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für ihre Tätigkeit habe sie einen
Lohnanspruch gehabt, nach den im Generalgouvernement geltenden Bestimmungen
und Rechtsvorschriften und Richtlinien. Dieser Lohnanspruch reiche nach der
Rechtsanspruchstheorie aus zur Fiktion eines Entgeltes bzw. von
Rentenversicherungsbeiträgen über §§ 12, 14 WGSVG, so dass sie die
Voraussetzungen des ZRBG erfülle. Es sei auch von der Aufnahme einer Beschäftigung
aus eigenem Willensentschluss auszugehen, denn die Arbeit sei für Ghettoinsassen die
Reaktion auf die schlimmen Verhältnisse gewesen. Sie habe sich jedenfalls selbst
bemüht um die Arbeit in der Rohstofferfassung. Ähnliches sei auch nachzulesen in den
Lebenserinnerungen von Marcel Reich-Ranicki, also dass Juden eine Arbeit freiwillig
aufgenommen hätten. Im übrigen überinterpretiere die Beklagte das Urteil des
Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 unkritisch. Versicherungspflicht verlange der
Gesetzestext nicht. Auch müsse irgendeine Form von Entgelt genügen, nach dem
Gesetzeswortlaut. Bestätigt werde das ihrer Auffassung nach durch die
Gesetzesmaterialien. In den Redebeiträgen zur Beratung der Gesetzesentwürfe zum
ZRBG sei zum Ausdruck gekommen, z. B. durch den Abgeordneten Deligöz, dass man
die besondere Zwangssituation im Ghetto gekannt habe und die schrecklichen
Zustände unter denen die Menschen dort leben mußten. Frau T sei auch zum Ergebnis
gekommen, dass die Personen, welche im Ghetto unendliches Leid zu tragen hatten
und die für ihre Arbeit zu keiner Zeit eine angemessene Entlohnung erhielten, durch das
ZRBG entschädigt werden sollten.
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Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.03.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.01.2005 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von
Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto
von Radom von März 1941 bis Dezember 1942 zurückgelegten Zeiten einer
Beschäftigung - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden
Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge
eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem
01.07.1997 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Ergänzend macht sie geltend, unter Berücksichtigung des Urteils des 13. Senats des
Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei hier weiterhin von schon nicht ausreichend
versicherungspflichtigem Entgelt im Sinne des ZRBG auszugehen bzw. sei ein solches
Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Selbst allein gute Verpflegung reiche
dem Bundessozialgericht nicht aus. Allein ein etwaiger Lohnanspruch reiche auch nicht
aus für das ZRBG, wie bereits das LSG NRW entschieden habe.
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Das Gericht hat eine Auskunft der Claims Conference eingeholt. Diese hat mitgeteilt, die
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Klägerin habe von ihr (aufgrund eines Antrages von 2001 zur Wahrnehmung der
Interessen bei der Stiftung "Erinnerung-Verantwortung-Zukunft", Bl. 55 Gerichtsakte)
eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Radom in den
Jahren 1940 bis 1944 erhalten (Bl. 48 ff der Gerichtsakte).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den
Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
war, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte in Abwesenheit der Bevollmächtigten der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung entscheiden, weil diese in der Terminsmitteilung, deren
Zustellung ordnungsgemäß bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit
hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt, zumal die Bevollmächtigte auch telefonisch
mitgeteilt hat, dass niemand zum Termin erscheinen werde.
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Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
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Die Klage ist aber unbegründet. Die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten,
nämlich der Bescheid vom 11.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
27.01.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von §
54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer
Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§
54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG
hier nicht vorliegen bzw. nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind und weil allein
Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen einen Rentenanspruch zu begründen,
und weil im übrigen die von der Claims Conference erbrachte Entschädigung eine
Rente aus Ghetto-Zeiten nach § 16 EVZStiftG ohnehin ausschließt und weil es hier
ohnehin zur Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG bzw. nach dem SGB VI bzw.
nach dem FRG auch an der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis
fehlen würde.
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Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht gemäß § 136 Abs. 3
SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden,
erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom
11.03.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den
dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben und weshalb hier schon nicht
von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG aus eigenem
Willensentschluss ausgegangen werden kann.
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Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung
einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung ist nach § 35 SGB VI neben
der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf
anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat die Klägerin aber nicht. Die
Anwendbarkeit des ZRBG zu ihren Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten in der
deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland
scheitert hier schon daran, dass sie keine Beschäftigung in einem Sinne von § 1 Abs. 1
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Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch
eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen
geeignet wäre.
I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer aus eigenem
Willensentschluss zustandegekommenen Tätigkeit in Radom, für die zumindest ein
Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste, um überhaupt
rentenrechtlich relevant sein zu können, entsprechend § 1227 der
Rechtsversicherungsordnung, wonach Zuwendungen allein zur Unterhaltssicherung
keine Rentenversicherungspflicht begründet hätten. Gerade angesichts der Angaben
der Klägerin nicht nur im früheren Entschädigungsverfahren, sondern auch angesichts
ihrer Angabe im ersten Rentenantrag von 1995, die damals wesentlich zeitnäher
gemacht wurden als heute, ist nicht als überwiegend wahrscheinlich anzunehmen, dass
sie schon im Ghetto Radom regelmäßig eine Tätigkeit ausübte, die die
Mindestmerkmale einer Beschäftigung erfüllt hätte. Denn sie gab selbst im Fragebogen
von 1995 auf Bl. 48 Rückseite der Verwaltungsakte damals an, ab September 1939 bis
April 1945 rassisch Verfolgte gewesen zu sein und nicht werktätig gewesen zu sein.
Soweit die Entschädigungsakte nach dem BEG dazu überhaupt etwas hergibt, kann
allenfalls von "schwerer Zwangsarbeit" im "Torfkommando" ausgegangen werden, die
ihrer Art nach aber nicht die Merkmale einer aus eigenem Willensentschluss
zustandegekommenen Beschäftigung erfüllen kann. Der Einsatz in Arbeitskommandos
bzw. Torfkommandos - möglicherweise erst im Zwangsarbeitslager angeordnet - stellt
regelmäßig eine hoheitlich angeordnete Zwangsmaßnahme zur Ausnutzung der
Arbeitskraft dar, und der Vortrag im Klageverfahren - soweit er sich damit überhaupt
auseinandersetzt - vermag allenfalls dahingehend zu überzeugen, dass man im Ghetto
angeordneter Arbeit nachging, um daraus noch das Beste zu machen, nicht aber ein
wirklich freiwillig zustandegekommenes Beschäftigungsverhältnis anzunehmen. Die
erstmals im zweiten Rentenverfahren angegebene Sonderkost besserer und reichlicher
Art als bei anderen mit Unterkunft stellt kein Entgelt im Sinne der Rechtsprechung des
13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) dar, denn
selbst im Einzelfall "gute Verpflegung" reicht danach nicht zur Annahme aus; es muß
eine gewisse Gegenleistung im Sinne eines Austauschverhältnisses von Arbeit und
Lohn vorgelegen haben, anderenfalls könnte man den Entgelt-Begriff auf alles
ausdehnen. Die Unterkunft im Ghetto selbst kann auch nicht als Entgeltbestandteil
angesehen werden, denn die Unterbringung im Ghetto war bereits Teil der Verfolgung
und betraf auch Juden, die nicht arbeiteten bzw. nicht arbeiten konnten. Insoweit hat die
Klage auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin möglicherweise
einen Anspruch auf Lohn nach den Vorschriften im Generalgouvernement gehabt hätte.
Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente kommt es nach dem
Wortlaut von § 1 ZRBG - soweit überhaupt schon eine aus eigenem Willensentschluss
zustandegekommene Beschäftigung angenommen werden kann - ferner darauf an, dass
auch tatsächlich Entgelt gezahlt worden war, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte
oder Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist nämlich ein lex
spezialis gegenüber anderen insbesondere älteren Vorschriften, auch gegenüber dem
WGSVG. Außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur die Beitragsentrichtung aus
Verfolgungsgründen, nicht aber die Entgeltzahlung selbst. Im übrigen spricht die Nicht-
Zahlung eines eventuellen zivilrechtlich oder öffentlich rechtlich geschuldeten
angemessenen Arbeitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur
Ausnutzung und Ausbeutung der Arbeitskraft handelte. Auch nach aktueller
Rechtsprechung des LSG NRW, der sich die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf
anschließt, greift die Anspruchstheorie nicht ein (LSG NRW Urteile vom 27.01.2006 - L
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13 R 123/05 und vom 13.02.2006 - L 3 R 43/5 und L 3 R 178/05 ).
II. Die Würdigung der von der Bevollmächtigten der Klägerin herangezogenen
Redebeiträge der Abgeordneten anläßlich der Verabschiedung des ZRBG vermag hier
auch nicht eine andere Auslegung des Gesetzes herbeizuführen. Denn ein Gesetz kann
nicht gegen seinen eigenen Wortlaut ausgelegt werden, auch wenn sich der
Gesetzgeber bzw. die Abgeordneten den Regelungsgehalt des Gesetzes anders
vorgestellt haben mögen. Bemerkenswert ist allerdings, dass z.B. Frau Dr. Schwaetzer
in ihrem Wortbeitrag zum Ergebnis kommt, dass Juden im Ghetto unendliches Leid zu
tragen hatten und dass sie zu keiner Zeit für ihre Arbeit eine angemessene Entlohnung
erhielten, gleichwohl aber offenbar einem Gesetz zugestimmt hat, das genau letzteres
doch verlangt: nämlich den Erhalt von "Entgelt". Entgelt ist aber nach seinem Wortsinn
Gegenleistung für geleistete Arbeit und nicht nur Zuwendung von irgendetwas. Damit
kann, auch wenn z.B. Frau Dr. Schwaetzer oder Herr Deligöz sich dies anders
vorgestellt haben mögen, das Gesetz nicht gegen seinen Wortlaut dahingehend
ausgelegt werden, dass als Entgelt einfach gereicht hat, dass man überleben konnte.
Das mag für Juristen unbefriedigend erscheinen und leider die betroffenen
Ghettoinsassen enttäuschen, ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber nun
einmal ein Gesetz geschaffen hat, das Arbeit bzw. Beschäftigung "gegen Entgelt"
verlangt.
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III. Selbst wenn bei der Klägerin ein freiwilliges und sogar entgeltlich gewesenes
Beschäftigungsverhältnis im Ghetto Radom vorgelegen hätte, so würde ihr Anspruch auf
eine Rente unter Berücksichtigung des ZRBG hier auch daran scheitern, dass die
Klägerin für die Zeit im Ghetto Radom in den Jahren 1940 bis 1944 bereits entschädigt
wurde, nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft" (EVZStiftG). Wie die Claims Conference bestätigt hat, hat die Klägerin aufgrund
der 2000 eingeführten Vorschriften für Zwangsarbeitsverhältnisse für die Jahre 1940 bis
1944 im Ghetto Radom eine Entschädigung nach dem EVZStiftG erhalten (Bl. 52 und
Bl. 55 der Gerichtsakte bestätigen diesen Zusammenhang). § 16 EVZStiftG regelt nun in
seinem Abs. 1 Satz 2:
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"Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem
Unrecht sind ausgeschlossen."
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Die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf schließt sich damit der Auffassung des
LSG NRW im Urteil vom 07.06.2005 (L 4 R 3/05) an, wonach der Ausschluss von
Ansprüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG auch Forderungen gegenüber der
Sozialversicherung beinhaltet bzw. solche Forderungen nun ausschließt. Dieser
Leistungsausschluss hätte praktisch keinen Anwendungsbereich und würde
ausgehebelt, wenn nach § 16 Abs. 3 EVZStiftG auf diesem Umweg doch wieder
jedwede Ansprüche nach anderen Rechtsvorschriften möglich sein sollten. Dies kommt
indirekt zum Ausdruck auch in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage
der Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/1955 Seite 5). Dort hat die
Bundesregierung klargestellt, es sei zu unterscheiden zwischen rentenrechtlichen
Beschäftigungen und Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit, die eben nach
anderen Gesetzen erbracht wurden oder würden. Ist die Klägerin somit wie hier gerade
für Zeiten im Ghetto Radom nach dem Zwangsarbeiter-Stiftungsgesetz so entschädigt
worden als hätte sie dort Zwangsarbeiten erbracht, so hat dies automatisch auch den
Ausschluss von Abgeltungen nach anderen Gesetzen wie hier nach dem ZRBG bzw.
SGB VI zur Folge.
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IV. Im übrigen steht der Anwendbarkeit des ZRBG bzw. des SGB VI zur Begründung
von Beitragszeiten und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland nach §§ 15, 16,
17a FRG auch entgegen, dass die Klägerin nicht überwiegend wahrscheinlich dem
deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat. Nach dem Urteil des LSG NRW vom
13.01.2006 - L 4 RJ 113/04 -, dem sich die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf
anschließt, kommt die Anwendbarkeit des ZRBG bzw. des FRG bzw. des SGB VI nur
dem Personenkreis zugute, der auch dem dSK zum Zeitpunkt der Verfolgung angehörte,
denn das ZRBG hat keine Anspruchserweiterung herbeigeführt und stellt im
wesentlichen - auch nach dem Wortlaut - nur ein Zahlbarmachungsgesetz dar. Da die in
Rede stehenden Tätigkeiten im Ghetto Radom im damaligen Generalgouvernement
verrichtet wurden, in dem nicht die deutschen Reichsversicherungsgesetze galten, wäre
das ZRBG bzw. das FRG nur auf die Klägerin anwendbar, wenn sie dem deutschen
Sprach- und Kulturkreis angehört hätte. Dies kann hier aber nicht mit der erforderlichen
überwiegenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden; denn in einer schriftlichen
Erklärung vom 29.06.1956 gab die Klägerin damals im Rahmen des
Entschädigungsverfahrens wesentlich zeitnäher als heute an, dass sie bei ihrem
Eintreffen in Deutschland nach dem Kriege damals der deutschen Sprache nur sehr
wenig mächtig gewesen sei (Bl. 29 f der Verwaltungsakte der Beklagten); die Klägerin
kann also bei dieser Sachverhaltsdarstellung nicht wie es § 17 a FRG erfordert zum
Zeitpunkt der Verfolgung die deutsche Sprache überwiegend und auch im Alltag
gebraucht haben, so dass allein die Ankreuzung der Zugehörigkeit zum deutschen
Sprach- und Kulturkreis im jetzigen Rentenantrag nicht ausreicht eine Zugehörigkeit
zum deutschen Sprach- und Kulturkreis überwiegend wahrscheinlich zu machen.
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V. Im übrigen wird nach Auffassung der Kammer klägerischerseits verkannt, dass das
ZRBG in der vorliegenden Fassung von vornherein nicht geeignet ist, Ansprüche für
einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von den meisten heute
noch lebenden Ghetto-Insassen gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem
Wortlaut dieses Gesetzes reicht nicht jede Art von Tätigkeit anlässlich Aufenthalt in
einem Ghetto aus, um ins Ausland zahlbare Rentenansprüche nach dem ZRBG zu
begründen (BSG Urteil vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R und LSG NRW Urteil vom
18.07.2005 - L 3 RJ 101/04). Auf die obigen Ausführungen unter II wird nochmals
hingewiesen. Von der Klägerin wurde hier nicht substanziiert vorgetragen, was im Lichte
der vorgenannten Entscheidungen hier ihre Ghetto-Tätigkeiten - soweit sie hier
überhaupt glaubhaft sind angesichts des früheren Rentenantrags von 1995 - glaubhaft
anders bewerten könnte. Eine klare Sachentscheidung, die eventuelle Tätigkeiten der
Klägerin hier anders bewerten könnte, ist auch mit der Entscheidung des
Bundessozialgerichts vom 14.12.2006 (B 4 R 19/06 R) nach der bisher vorliegenden
Pressemitteilung nicht getroffen worden; es wurde dort nur aus formalen Gründen der
Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen.
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VI. Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach
Lage der gesetzlichen Vorschriften und der bisher vom Bundessozialgericht und dem
LSG NRW gemachten Vorgaben keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch
der Klägerin zu entsprechen.
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Das ZRBG bzw. EVZStiftG in der bisher vorliegenden Form geben solche
weitergehende Ansprüche für die Klägerin zur Überzeugung der Kammer nicht her.
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VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
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