Urteil des SozG Dresden vom 28.02.2011

SozG Dresden: verfügung, vorrang, behinderung, ausstattung, krankenversicherung, form, ermessen, erwerbsfähigkeit, wirtschaftlichkeit, bildschirm

Sozialgericht Dresden
Urteil vom 28.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 24 KN 625/09
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 4.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
11.3.2009 verpflichtet, dem Kläger einen neuen Bescheid über die Gewährung eines für ihn behindertengerechten
Bürostuhls unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen. II. Die Beklagte hat dem Kläger seine
notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Teilhabeleistungen in Form eines behindertengerechten Bürostuhls. Der 1965 geborene Kläger ist
seit 1983 gelernter Facharbeiter für Eisenbahntransporttechnik, arbeitete danach bei der Deutschen Reichsbahn der
DDR und später bei der Deutschen Bahn stets im Innendienst. Seit 1.1.2009 ist er für ein Unternehmen der Deutschen
Bahn in B mit der Steuerung und Planung internationaler Güterzugressourcen in einer ausschließlich sitzenden
Tätigkeit im Büro beschäftigt. Er leidet aufgrund einer frühkindlichen infektiösen Entzündung des Knochenmarks vor
allem der Hüft-, aber auch der Hand- und Fußgelenke, an einer daraus folgenden ausgeprägten Seitverbiegung der
unteren Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen und Schmerzen, an einer erheblich eingeschränkten
Beweglichkeit beider Hüftgelenke sowie an Bewegungseinschränkungen an Händen und Füßen. Zudem besteht bei
ihm eine Schuppenflechte mit dem Verdacht auf eine dadurch bedingte entzündliche Gelenkerkrankung. Er ist deshalb
mit einem GdB von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt und hat von der Beklagten regelmäßig alle vier Jahre
stationäre Rehabilitationen erhalten, zuletzt im Oktober 2007. Am 30.5.2008 beantragte der Kläger telefonisch einen
für ihn behindertengerechten Bürostuhl, was die Beklagte nach Rücklauf der Antragsformulare am 5.11.2008, denen
eine Stellungnahme des Arbeitgebers und ein Befundbericht der behandelnden Orthopädin beilagen, mit Bescheid vom
4.12.2008 ablehnte, weil der Arbeitgeber und nicht sie für die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes
zuständig sei. Den dagegen unter Berufung auf die Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 22.9.1981 - 1 RA 11/80 -, Juris
Rn. 27/28 = SozR 2200 § 1237a Nr. 18) zum Vorrang von behinderungsbedingten Rehabilitations- vor
Arbeitgeberleistungen bei der Arbeitsplatzausstattung erhobenen Widerspruch vom 11.12.2008 wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 11.3.2009 zurück. Der Arbeitgeber sei bereits mit der Begründung des
Arbeitsverhältnisses verpflichtet, den Arbeitsplatz von schwerbehinderten Menschen, die dem Pflichtkontingent
gemäß § 71 Abs. 1 SGB IX zuzurechnen seien, behindertengerecht auszustatten. Ein Anspruch auf eine
behindertengerechte Arbeitsplatzausstattung als Rehabilitationsleistung bestehe nur, wenn der Arbeitgeber dieser
Ausstattungspflicht nachgekommen oder wenn dies für ihn finanziell unzumutbar sei. Lediglich bei Beginn eines
Arbeitsverhältnisses komme ungeachtet dieser Ausstattungspflicht des Arbeitgebers eine behindertengerechte
Arbeitsplatzausstattung durch den Rehabilitationsträger in Betracht, um das Beschäftigungsverhältnis überhaupt
begründen zu können. Dies scheide beim Kläger aber aus, weil er schon seit 1983 ununterbrochen bei seinem
Arbeitgeber beschäftigt und diesem zudem angesichts der Konzerngröße die Anschaffung eines für den Kläger
behindertengerechten Bürostuhls ohne weiteres möglich sei. Mit seiner Klage vom 30.3.2009 wendet der Kläger
dagegen ein, dass nach der zitierten Rechtsprechung des BSG gerade der Rehabilitationsanspruch Vorrang vor der
Ausstattungspflicht des Arbeitgebers habe und er unstreitig einen für ihn behindertengerechten Bürostuhl für seine
ausschließlich sitzende Büroarbeit benötige, dessen Ausstattung über die ergonomische Gestaltung nach den
allgemeinen gesetzlichen Vorgaben hinausgehe. Wäre die Ausstattungspflicht des Arbeitgebers vorrangig, wie die
Beklagte behaupte, liefe der Teilhabeanspruch gegen den Rehabilitationsträger weitgehend leer. Zudem widerspräche
es Sinn und Zweck der Teilhabeleistungen zur Integration behinderter Menschen in das Erwerbsleben, wenn zur
Durchsetzung dieser Teilhabeleistungen immer erst vorrangig gegen den Arbeitgeber vorgegangen werden müsste.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid vom 4.12.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
11.3.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm einen neuen Bescheid über die Gewährung eines für ihn
behindertengerechten Bürostuhls unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen. Die Beklagte
beantragt, die Klage abzuweisen. Sie bleibt bei ihrer Auffassung. Nach Auswertung der vom Gericht ergänzend
beigezogenen Befunde der behandelnden Ärzte sei mit der Einschätzung ihres Sozialmedizinischen Dienstes (SMD)
vom 23.7.2010 zwar geklärt, dass ein herkömmlicher ergonomischer Bürostuhl, wie er nach den gesetzlichen
Richtlinien vom Arbeitgeber auch gesunden Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen ist, für den Kläger nicht
ausreiche. Jedoch sei der Arbeitgeber auch für eine solche darüber hinausgehende, behindertengerechte
Arbeitsplatzausstattung vorrangig zuständig. Die Vorschrift des § 101 Abs. 2 SGB IX, auf die das Gericht u. a.
hingewiesen habe, begründe für sie keine Leistungspflicht. Die zitierte Rechtsprechung des BSG habe sich nicht mit
einem Bürostuhl, sondern mit einer hydraulischen Zeichenmaschine befasst. Zudem sei ein Bürostuhl keine
technische Arbeitshilfe, sondern gehöre zur Büroausstattung "an sich". Dem Gericht liegen zur Entscheidung in
medizinischer Hinsicht insbesondere die Befundberichte der behandelnden Ärzte und die Stellungnahme des SMD
dazu vom 23.7.2010 vor. Zudem hat das Gericht eine Auskunft des zuständigen Unfallversicherungsträgers vom
22.3.2010 zu den allgemeinen gesetzlichen Anforderungen an Bürostühle an Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen für
gesunde Arbeitnehmer eingeholt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die
Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens
waren.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hierzu
einverstanden erklärt haben. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 4.12.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.3.2009 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger deshalb (§ 54 Abs. 2 Satz 1
SGG). Die Beklagte hat die Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines für den Kläger
behindertengerechten Bürostuhls zu Unrecht abgelehnt. Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VI erbringt die Rentenversicherung
unter anderem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu den in § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI genannten Zwecken,
wenn die persönlichen (§ 10 SGB VI) und versicherungsrechtlichen (§ 11 SGB VI) Voraussetzungen dafür erfüllt sind
und kein Ausschlussgrund nach § 12 SGB VI vorliegt. Dann werden die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
nach den §§ 33 bis 38 SGB IX gewährt (§ 16 SGB VI), wobei der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter
Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der
Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Dass der Kläger in diesem Sinne
die persönlichen (§ 10 SGB VI) und versicherungsrechtlichen (§ 11 SGB VI) Voraussetzungen für die Gewährung von
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach erfüllt und kein Ausschlussgrund nach § 12 SGB VI
vorliegt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch für das Gericht nicht zweifelhaft. Ebenso unstreitig und
angesichts der Stellungnahme des SMD vom 23.7.2010 für das Gericht unzweifelhaft ist, dass der Kläger zur
Aufrechterhaltung seiner Erwerbsfähigkeit hinsichtlich der typischen Anforderungen seiner sitzenden Bürotätigkeit als
konkrete Leistung einen seiner Behinderung gerecht werdenden Bürostuhl benötigt, dessen Ausstattung über diejenige
hinausgeht, die ergonomische Bürostühle nach den staatlichen Arbeitsschutzvorschriften und den
Unfallverhütungsvorschriften auch bei gesunden Arbeitnehmern haben müssen, wie sie für gesunde Arbeitnehmer als
Mindestvoraussetzungen im "Leitfaden für die Gestaltung von Bildschirm- und Büroarbeitsplätzen" (GUV-I 650)
zusammengefasst sind (vgl. dazu m. w. N.: SG Dresden, Urt. v. 29.3.2010 - S 24 R 157/08 -, Juris Rn. 24 bis 27).
Dies hat der SMD der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 23.7.2010 auf Grundlage der Befunde der
behandelnden Ärzte und der Auskunft des zuständigen Unfallversicherungsträgers vom 22.3.2010 einschließlich der
GUV-I 650 bestätigt, so dass das Gericht keinen Grund sieht, daran zu zweifeln. Ist die Ausstattung des
Arbeitsplatzes des Klägers mit einem seiner Behinderung gerecht werdenden Bürostuhl somit eine im Sinne von § 16
SGB VI i. V. m. § 33 Abs. 1 SGB IX konkret erforderliche Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zwecks
Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit des Klägers, kann die Beklagte diese Leistung nicht unter Verweis auf eine
vorrangige Zuständigkeit des Arbeitgebers für eine solche Arbeitsplatzausstattung ablehnen, weil sie selbst als
Rehabilitationsträger und nicht der Arbeitgeber dafür vorrangig zuständig ist. Zwar haben schwerbehinderte Menschen
(wie der Kläger mit einem GdB von 80) Anspruch gegenüber ihren Arbeitgebern auf behindertengerechte Einrichtung
und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte, der Ge¬staltung der
Arbeitsplätze sowie auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen (§ 81 Abs. 4
Satz 1 Nr. 4 und 5 SGB IX). Dieser Ausstattungsanspruch besteht im Übrigen unabhängig davon, ob der Arbeitgeber
gemäß § 71 Abs. 1 SGB IX das Pflichtkontingent für schwerbehinderte Arbeitnehmer erfüllt und ob der betroffene
schwerbehinderte Arbeitnehmer zu diesem Pflichtkontingent gehört. Denn im Gegensatz zum alten, bis 30.9.2000
geltenden § 14 Abs. 3 Satz 1 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) erfolgt jetzt in § 81 Abs. 4 SGB IX (ebenso
wie schon im zuletzt vom 1.10.2000 bis 30.6.2001 geltenden, damals neu gefassten § 14 Abs. 3 SchwbG) keine
Verknüpfung der Arbeitsplatzausstattungspflicht des Arbeitgebers mehr mit der Pflicht, durch geeignete Maßnahmen
sicherzustellen, dass die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Arbeitnehmer beschäftigt wird, die jetzt stattdessen
in § 81 Abs. 3 SGB IX gesondert geregelt ist (Großmann in: GK-SGB IX, Stand: Dezember 2008, § 81 Rn. 355). Die
von der Beklagten vorgenommene Verknüpfung der Ausstattungspflicht des Arbeitgebers mit dem Pflichtkontingent
gemäß § 71 Abs. 1 SGB IX findet daher bereits seit 1.10.2000 im Gesetz keine Stütze mehr. Ungeachtet dessen ist
jedoch die Ausstattungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 5 SGB IX wie schon unter
Geltung des SchwbG auch heute gegenüber den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben der Rehabilitationsträger
nachrangig, d. h. nur soweit kein Anspruch auf solche Rehabilitationsleistungen besteht, kommt ergänzend eine
Ausstattungspflicht des Arbeitgebers gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 5 SGB IX in Betracht. Dies folgt zum einen
aus § 101 Abs. 2 SGB IX. Danach bleiben die den Rehabilitationsträgern nach den geltenden Vorschriften obliegenden
Aufgaben unberührt, wenn - gemäß § 101 Abs. 1 SGB IX, auf den § 101 Abs. 2 SGB IX Bezug nimmt - die
besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben nicht durch freie Entschließung
der Arbeitgeber erfüllt werden und deshalb diese Regelungen von den Integrationsämtern und der Bundesagentur für
Arbeit in enger Zusammenarbeit durchgeführt werden. Die Rehabilitationsträger haben somit ihre Leistungen auch
dann zu erbringen, wenn der Arbeitgeber seiner Ausstattungspflicht nicht nachkommt und nunmehr für ihn das
Integrationsamt (zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit) tätig wird, insbesondere die nötige
Arbeitsplatzausstattung nach § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a SGB IX bereitsstellt. Da aber Doppelleistungen bei
der Arbeitsplatzausstattung nicht in Betracht kommen, kann § 101 Abs. 2 SGB IX nur als Regelung über den Vorrang
der Rehabilitationsleistungen vor den Leistungen der Arbeitgeber und an deren Stelle der Integrationsämter bzw. der
Bundesagentur für Arbeit verstanden werden. Der Einwand der Beklagten, aus § 101 Abs. 2 SGB IX folge für sie
keine (vorrangige) Leistungspflicht, geht daher fehl. Zudem lässt die Beklagte § 102 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IX
unberücksichtigt, wonach Leistungen der Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGB IX, auch wenn auf sie
ein Rechtsanspruch nicht besteht, nicht deshalb versagt werden dürfen, weil nach den besonderen Regelungen für
schwerbehinderte Menschen entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Hieraus wird besonders deutlich, dass
zunächst die nötigen Rehabilitationsleistungen nach Teil 1 des SGB IX zu erbringen sind, bevor die Leistungen nach
den besonderen Regelungen für schwerbehinderte Menschen erbracht werden, wie sie in Teil 2 des SGB IX
vorgesehen sind. Schließlich ergibt sich der Vorrang der Teilhabeleistungen der Rehabilitationsträger ausdrücklich
auch aus § 77 Abs. 5 Satz 1 SGB IX, wonach die Ausgleichsabgabe nur für besondere Leistungen zur Förderung der
Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben verwendet werden darf, soweit Mittel für denselben Zweck
nicht von anderer Seite zu leisten sind oder geleistet werden (vgl. zum Ganzen Spiolek in: GK-SGB IX, Stand:
Dezember 2008, § 101 Rn. 43/44; Großmann in Hauck/Noftz, SGB III, Stand: Juli 2009, § 109 Rn. 261; jeweils m. w.
N.). Dies entspricht zudem der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 22.9.1981 - 1 RA 11/80 -, Juris Rn. 27/28 = SozR
2200 § 1237a Nr. 18) zum SchwbG, das in der damaligen, bis 31.7.1986 geltenden Fassung in § 11 Abs. 3 Satz 2, §
27 und § 28 Abs. 4 Satz 2 SchwbG identische Regelungen zu den heutigen Vorschriften in § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5, §
101 und § 102 Abs. 5 Satz 2 SGB IX enthielt, aus denen das BSG den Vorrang der Rehabilitationsleistungen (heute
Teilhabeleistungen) vor den Leistungen der Arbeitgeber nach den besonderen Regelungen des SchwbG (heute nach
Teil 2 des SGB IX) mit den gleichen Argumenten, wie oben dargelegt, hergeleitet hat. Daran hat sich seitdem nichts
geändert. Vielmehr sollte diese Rechtslage nach dem Willen des Gesetzgebers auch unter Geltung des SGB IX
ausdrücklich beibehalten werden (vgl. BT-Drs. 14/5074, S. 112 [zu §§ 75 bis 78] und S. 113/114 [zu den §§ 101 und
102]). Weshalb die Beklagte diese seit Jahrzehnten bestehende, höchstrichterlich geklärte Rechtslage bezweifelt,
erschließt sich nicht. Dies gilt umso mehr, als eine anlässlich des Inkrafttretens des SGB IX abgeschlossene, seit
1.8.2002 geltende und auch die Beklagte bindende Verwaltungsabsprache zwischen dem Verband Deutscher
Rentenversicherungsträger, den übrigen Rehabilitationsträgern und der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen über die Gewährung von Leistungen der Begleitenden Hilfen im
Arbeitsleben gemäß Teil 2 des SGB IX im Verhältnis zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß Teil 1
des SGB IX existiert, die nach ihrem Vorwort (unter "Allgemeines", Sätze 1 und 2) gerade im Hinblick auf die
gleichartige Leistungserbringung bei der Arbeitsplatzausstattung getroffen wurde und ausdrücklich bestimmt, dass die
Leistungsverpflichtung der Arbeitgeber und Integrationsämter im Verhältnis zum Rehabilitationsträger im Rahmen der
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nachrangig ist (Ziff. 1 Satz 3 der Verwaltungsabsprache). Dementsprechend
folgt beispielsweise die Deutsche Rentenversicherung Bund unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urt. v.
22.9.1981 - 1 RA 11/80 -, Juris Rn. 27/28 = SozR 2200 § 1237a Nr. 18) auch aktuell dieser Verwaltungsabsprache
(vgl. im Online-Portal "rvLiteratur®", § 33 SGB IX, Pkt. 17.1, http://rvliteratur.drv-bund.de). Die weiteren Einwände der
Beklagten greifen angesichts dessen ebenfalls nicht durch. Insbesondere ist ohne Belang, dass es in der
Entscheidung des BSG vom 22.9.1981 um eine hydraulische Zeichenmaschine und keinen Bürostuhl ging, weil sich
sowohl aus den gesetzlichen Vorschriften des SGB IX als auch aus dem Urteil des BSG vom 22.9.1981 ergibt, dass
der Vorrang der Leistungspflicht der Rehabilitationsträger nach dem SGB IX ein genereller ist und nicht von der
konkreten Form der Arbeitsplatzausstattung abhängt. Im Übrigen mag ein Bürostuhl zwar zu einer Büroausstattung
"an sich" gehören, wie die Beklagte ausführt. Er muss deshalb, worauf bereits hingewiesen wurde, in ergonomischer
Mindestausstattung (gemäß der GUV-I 650) vom Arbeitgeber auch gesunden Arbeitnehmern zu Verfügung gestellt
werden. Erfordert die Behinderung des Arbeitnehmers aber einen Bürostuhl mit darüber hinaus gehenden
Ausstattungsmerkmalen (wie hier), handelt es sich um eine technische Arbeitshilfe, die vorrangig vom
Rehabilitationsträger gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 5 SGB IX und nur nachrangig vom Arbeitgeber gemäß § 81 Abs. 4
Satz 1 Nr. 5 SGB IX zur Verfügung zu stellen ist. Technische Arbeitshilfen sind Vorrichtungen und Geräte, die
ausschließlich am Arbeitsplatz installiert bzw. aufgestellt und genutzt werden, um behinderungsbedingte Nachteile bei
der Arbeit auszugleichen. Sie ermöglichen dem schwerbehinderten Menschen diejenigen Verrichtungen am
Arbeitsplatz, zu denen er bei seinen behinderungsbedingt verbliebenen Restfähigkeiten sonst nicht oder nur schwer in
der Lage wäre. Technische Arbeitshilfen unterscheiden sich daher von den Hilfsmitteln im Sinne von § 33 Abs. 8 Nr. 4
SGB IX dadurch, dass sie nicht für den Körper bestimmt sind bzw. nicht am Körper getragen werden, um dort eine
beeinträchtigte oder ausgefallene Körperfunktion wiederherzustellen oder zu ersetzen, wie dies etwa bei Hörgeräten
der Fall ist (vgl. Großmann in: GK-SGB IX, Stand: Dezember 2008, § 33 Rn. 136 sowie § 81 Rn. 371). Deshalb
werden behindertengerechte Bürostühle, soweit sie lediglich dazu bestimmt sind, die Folgen der Behinderung im
beruflichen Bereich auszugleichen, allgemein als technische Arbeithilfen angesehen (Götze in: Hauck/Noftz, SGB IX,
Stand: April 2009, § 33 Rn. 38; Schröder ebenda, § 81 Rn. 39; Großmann in: GK-SGB IX, Stand: Dezember 2008, §
81 Rn. 374). Behindertengerechte (Büro-)Stühle sind nur dann - medizinische - Hilfsmittel gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 6 i.
V. m. § 31 SGB IX und in diesem Fall von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen, wenn mit
ihnen die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder gemildert werden, d. h. wenn sie
(im Sinne des sog. mittelbaren Behinderungsausgleichs) ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betreffen, mithin
das Sitzen überhaupt im gesamten täglichen Leben zumutbar ermöglichen sollen (z. B. Bandscheibenstuhl für den
Alltag bei inkompletter Querschnittslähmung: LSG Niedersachsen, Urt. v. 21.4.1999 - L 4 KR 121/97 -, Juris Rn. 21
ff.). Dabei dient ein behindertengerechter (Büro-)Stuhl schon dann allein dem Ausgleich der Behinderungsfolgen im
beruflichen Bereich (und ist technische Arbeitshilfe), wenn der Behinderte mit seiner Hilfe erst in die Lage versetzt
wird, überhaupt eine sinnvolle Berufstätigkeit auszuüben, weil er ausschließlich oder ganz überwiegend nur sitzende
Berufstätigkeiten verrichten kann. Die gegenteilige Rechtsprechung (orthopädischer Sitzschalenstuhl für einen
solchen Fall als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung: BSG, Urt. v. 12.10.1988 - 3 RK 29/87 -, SozR 2200
§ 182b Nr. 36) hat der für die Hilfsmittelversorgung nach dem SGB V allein zuständige 3. Senat des BSG jetzt
ausdrücklich aufgegeben (BSG, Urt. v. 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R -, Juris Rn. 17 = Breith 2010, 914 ff.). Ein
behindertengerechter Stuhl, der danach allein dem Ausgleich der Behinderungsfolgen im beruflichen Bereich dient (wie
hier), ist auch nicht deshalb ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX (und keine technische
Arbeitshilfe gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 5 SGB IX), weil er unter obigen Voraussetzungen medizinisches Hilfsmittel
im Sinne des § 26 Abs. 2 Nr. 6 i. V. m. § 31 SGB IX sein kann. Denn anders als beim
krankenversicherungsrechtlichen Hilfsmittelbegriff (der technische Arbeitshilfen naturgemäß nicht kennt) fallen unter
den Hilfsmittelbegriff des § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX - wie oben ausgeführt - nur Hilfsmittel, die für den Körper
bestimmt sind bzw. am Körper getragen werden, um dort eine beeinträchtigte oder ausgefallene Körperfunktion
wiederherzustellen oder zu ersetzen, mithin diejenigen Hilfsmittel, die in der gesetzlichen Krankenversicherung dem
sog. unmittelbaren Behinderungsausgleich dienen. Dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dient ein Hilfsmittel
jedoch nur dann, wenn es die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert
(BSG, Urt. v. 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 R -, Juris Rn. 15 = Breith 2010, 914 ff.), d. h. diese Hilfsmittel müssen dazu
dienen, die natürlichen Funktionen eines nicht oder nicht voll funktionsfähigen Körperorgans zu ersetzen oder zu
ergänzen, mithin ausgefallene Funktionen eines Körperorgans übernehmen oder unvollkommene Funktionen eines
Körperorgans verstärken (so schon grundsätzlich: BSG, Urt. v. 22.2.1974 - 3 RK 27/73 - Juris Rn. 19 = SozR 2200 §
187 Nr. 1). Dies ist aber bei einem Stuhl zum Sitzen nicht der Fall. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich an
dem Vorrang der Leistungspflicht der Beklagten vor derjenigen des Arbeitgebers auch dann nichts ändern würde, wenn
ein behindertengerechter Bürostuhl abweichend von obigen Ausführungen nicht als technische Arbeitshilfe, sondern
als Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX angesehen würde. Zwar bestimmt § 33 Abs. 8 Satz 1
Nr. 4 Halbsatz 2 Alt. 1 SGB IX, dass Kosten für Hilfsmittel dann nicht als Teilhabeleistung zu erbringen sind, wenn
eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht. Damit ist jedoch wegen des grundsätzlichen Vorrangs der
Teilhabeleistungen nach Teil 1 des SGB IX vor den Leistungen der Arbeitgeber nach Teil 2 des SGB IX (siehe oben)
gerade nicht die Pflicht des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 5 SGB IX gemeint, sondern etwaige im
Einzelfall bestehende Verpflichtungen des Arbeitgebers aus Betriebsvereinbarungen, Arbeits- oder Tarifverträgen und
die Verpflichtungen des Arbeitgebers nach den einschlägigen Arbeitsschutz- bzw. Unfallverhütungsvorschriften
(Großmann in: GK-SGB IX, Stand: Dezember 2008, § 33 Rn. 134). Es wäre auch nicht nachvollziehbar, wenn die
Arbeitgeber zwar Hilfsmittel zum alleinigen Ausgleich beruflicher Behinderungsfolgen (z. B. nur im Beruf nötige,
spezielle Hörgeräte) vorrangig zur Verfügung stellen müssten, die Rehabilitationsträger aber vorrangig technische
Arbeitshilfen zur behindertengerechten Arbeitsplatzausstattung (z. B. einen speziellen Computerbildschirm für
Sehbehinderte), für die eine Regelung wie in § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 Halbsatz 2 Alt. 1 SGB IX vom Gesetzgeber
gerade nicht getroffen wurde. Die Beklagte hat dem Kläger somit gemäß § 16 SGB VI i. V. m. § 33 SGB IX einen für
ihn behindertengerechten Bürostuhl als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zur Verfügung zu stellen und dabei
gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach
pflichtgemäßem Ermessen den konkreten, der Behinderung gerecht werdenden Bürostuhl auszuwählen sowie die
genaue Art und Weise, wie dieser zur Verfügung gestellt wird, zu bestimmen. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. -