Urteil des SozG Dresden vom 15.10.2010

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Sozialgericht Dresden
Beschluss vom 15.10.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 18 KR 481/10
Das Sozialgericht Dresden ist funktionell unzuständig. Das Verfahren wird an das Sächsische Landessozialgericht
verwiesen.
Gründe:
Das Verfahren ist wegen funktioneller Unzuständigkeit des angerufenen Sozialgerichts gemäß § 98 SGG, § 17a Abs.
2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 GVG an das funktionell und örtlich zuständige Sächsische Landessozialgericht zu
verweisen.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer am 29.09.2010 beim Sozialgericht Dresden eingegangenen Klage gegen die
Bestimmung der Schiedsperson für die Verhandlungen mit dem Beigeladenen, dem S. H. e.V., über den Abschluss
eines Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung für den Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen durch
die Beklagte nach § 73b Abs. 4a Satz 2 SGB V.
Sachlich zuständig hierfür ist als Gericht der ersten Instanz das Landessozialgericht.
Gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des
Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) entscheiden die Landessozialgerichte im ersten Rechtszug
über Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den
Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen
Bundesvereinigung, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird.
Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass die Bestimmung der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde
eine Maßnahme der Aufsicht im Sinne des § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG darstellt (so bereits Sozialgericht Magdeburg,
Beschluss vom 03.09.2010, Az. S 1 KA 93/10 ER; Beschluss vom 20.09.2010, Az. S 1 KA 94/10).
Dass, wie die Beklagte hiergegen einwendet, die Aufsichtsbehörde mit der Einsetzung einer Schiedsperson nach §
73b Abs. 4a Satz 2 SGB V eine Maßnahme nicht ausschließlich gegenüber der ihrer Aufsicht unterstehenden
Körperschaft trifft, steht der Einordnung als Maßnahme der Aufsicht nicht entgegen. Denn dabei handelt es sich
weder um ein notwendiges noch um ein hinreichendes Merkmal für die Qualifikation einer Maßnahme als aufsichtlich.
Der staatlichen Aufsicht unterliegen die Selbstverwaltungskörperschaften auch hinsichtlich ihres Handelns und ihrer
rechtlichen Verhältnisse nach Außen einschließlich der vertraglichen Beziehungen gegenüber Leistungserbringern. Die
zur Aufsicht im Sinne des § 29 Abs. 2 Nr. 2 SGG zählenden Maßnahmen der Aufsichtsbehörden beschränken sich
zudem nicht von vorn herein auf die versicherungszweigübergreifend in den §§ 87 ff. SGB IV genannten Befugnisse.
Spezielle aufsichtliche Befugnisse können ihre Rechtsgrundlage auch in den anderen Büchern des Sozialgesetzbuchs
gesondert für die dort geregelten Versicherungszweige finden.
Welche Maßnahmen zur Aufsicht gehören, ist mit Rücksicht auf die Funktion und den Zweck der staatlichen Aufsicht
über die selbstverwaltete mittelbare Staatsverwaltung zu bestimmen. Im Kontext des Vierten Kapitels des Fünften
Buchs Sozialgesetzbuch im Allgemeinen wie auch des § 73b SGB V im Besonderen ist die hoheitliche Einsetzung
einer Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde nach § 73b Abs. 4a Satz 2 SGB V hierzu zu zählen.
Es gehört gerade zu den Kernaufgaben der Aufsicht, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Gleichgewichtslage
zwischen Privatrechtssubjekten und Selbstverwaltungskörperschaften sichern und hierzu erforderlichenfalls mit
Drittwirkung nach Außen korrigierend in die Rechtsbeziehungen zwischen den Versicherungsträgern und den ihnen
gegenübertretenden Privaten einzugreifen. Gerade weil der Gesetzgeber die Ausgestaltung der Angebotsstrukturen in
der hausarztzentrierten Versorgung in die Hände nicht öffentlich-rechtlich korporierter
Leistungserbringergemeinschaften einerseits und der Krankenkassen andererseits gelegt hat, bedarf es der
aufsichtlichen Durchgriffsbefugnis der unmittelbaren Staatsverwaltung, um zu gewährleisten, dass die mit dem Recht
zur Selbstverwaltung den Krankenkassen eingeräumte Autonomie den Rahmen wahrt, der eine paritätische
Gestaltung der gesetzlich vorgesehen Verträge ermöglicht.
Die Befugnis der Aufsichtsbehörde, erforderlichenfalls gemäß § 73b Abs. 4a Satz 2 SGB V durch Verwaltungsakt die
Einigungserklärung der Krankenkasse nach § 73b Abs. 4a Satz 1 SGB V - auch mit Wirkung für die
Leistungserbringergemeinschaft - zu ersetzen, fügt sich damit als weiteres, spezielles Regelungsinstrument neben
den allgemeinen Aufsichtsmaßnahmen nach §§ 87 ff. SGB IV in den Katalog der aufsichtrechtlichen Kompetenzen
ein.
Abgesehen davon spricht, vom Ergebnis her betrachtet, für eine Einordnung als Aufsichtsangelegenheit, die den
Zugang zur erstinstanzlichen Zuständigkeit des Landessozialgerichts nach § 29 SGG eröffnet, dass durch die
Verkürzung des Instanzenzuges am Ehesten dem Anliegen des Gesetzgebers entsprochen wird, gerichtliche
Verfahren über die Rechtmäßigkeit sowohl der Bestimmung der Schiedsperson als auch des Schiedsspruches selbst
zu beschleunigen, damit ein flächendeckendes Angebot hausarztzentrierter Versorgung möglichst rasch sichergestellt
werden kann (vgl. zu § 73b SGB V: Deutscher Bundestag, Drucksache 16/10609 Seite 68; zu § 29 SGG: Deutscher
Bundestag, Drucksache 16/7716 Seite 15 f.). In diese Richtung weist die Stellungnahme des Beigeladenen, wonach in
vergleichbaren Fällen auch die erstinstanzlich von Sozialgerichten entschiedenen Verfahren erfahrungsgemäß bis in
die zweite Instanz weiter betrieben und damit letztlich stets vom Landessozialgericht abschließend entschieden
werden.
Für die Anwendung der Norm auf Maßnahmen, welche den Rahmen für die Tätigkeit der Schiedsstellen betreffen,
spricht zudem die Nähe der Materie zu den gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ebenfalls den Landessozialgerichten im
ersten Rechtszug zugewiesenen Schiedsamts- und Schiedsstellenangelegenheiten. Es wäre widersprüchlich,
Streitigkeiten über die verfahrensmäßigen und organisatorischen Strukturen der Schiedsämter und Schiedsstellen
einerseits und Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit deren Entscheidungen andererseits unterschiedlichen
Eingangsinstanzen zuzuweisen, da beides sich nicht sinnvoll voneinander trennen lässt. Es bedarf vor diesem
Hintergrund keiner abschließenden Klärung, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung auch der Festlegung der
Schiedsperson in § 29 Abs. 2 SGG auf einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes zur Weiterentwicklung der
Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung beruht hat (so das Sozialgericht Magdeburg,
Beschluss vom 03.09.2010, Az. S 1 KA 93/10 ER; Beschluss vom 20.09.2010, Az. S 1 KA 94/10).
Örtlich zuständig für die Klage über die Bestimmung der Schiedsperson nach § 73b Abs. 4a Satz 2 SGB V und damit
gemäß § 86b Abs. 1 SGG als Gericht der Hauptsache auch für das Antragsverfahren ist das Sächsische
Landessozialgericht. Nach § 57a Abs. 3 SGG ist - soweit das Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt - in
Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen, das Sozialgericht zuständig, in
dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat. Zwar streiten die Beteiligten hier nicht unmittelbar über die
Wirksamkeit oder die Auslegung, dafür jedoch über das Verfahren für den Abschluss eines Vertrages auf
Landesebene. Der Rechtsstreit betrifft einen Vertrag auf Landesebene, weil das Verfahren nach § 73b Abs. 4 SGB V,
für das die Schiedsstelle zu besetzen ist, auf den Abschluss einer regionalen Vereinbarung für den Bezirk der
Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen gerichtet ist. Die Besetzung der Schiedsstelle stellt einen für das
Zustandekommen des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung notwendigen Verfahrensschritt dar; kraft dieses
Sachzusammenhanges ist der Vertrag mithin betroffen.
Diese Entscheidung ist gemäß § 98 Satz 2 SGG unanfechtbar.