Urteil des SozG Dresden vom 08.04.2008

SozG Dresden: beweiswert, unfallversicherung, anerkennung, fahrschule, arbeitsunfall, versicherungsschutz, befragung, einvernahme, versicherter, gerichtsverfahren

Sozialgericht Dresden
Gerichtsbescheid vom 08.04.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 5 U 342/07
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Hinterbliebenenleistungen unter Anerkennung eines Verkehrsunfalls des verstorbenen
Vaters der Klägerin (Versicherter) als Arbeitsunfall.
Der im Jahre 1967 geborene Versicherte (V.) betrieb in der C.-Z.-Straße in P. eine Fahrschule. Am 30.8.2006 erlitt er
gegen 10.15 Uhr auf der Bundesstraße 172 in Richtung Pirna fahrend ca. 2 km vor der Ortseinfahrt Pirna einen
tödlichen Verkehrsunfall. Ermittlungen der DEKRA Automobil GmbH ergaben, dass das von V. gefahrene
Firmenfahrzeug durch eine doppelte Lenkbewegung bei einer Fahrtgeschwindigkeit zwischen 115 und 140 km in der
Stunde auf die linke Fahrbahnseite geraten und frontal mit einem entgegenkommenden Lkw kollidiert war. Am Tag
nach dem Unfall gab die Lebensgefährtin des V. gegenüber der Polizei an, dass V. gegen 9.30 Uhr losgefahren sei,
weil er ein Fitness-Studio in Dresden habe aufsuchen wollen. Dies bestätigte sie bei einer weiteren polizeilichen
Einvernahme am 3.9.2006 und gab noch zusätzlich an, dass V. sie noch gebeten hatte, Blumen zu besorgen, da
seine Oma an diesem Tag Geburtstag gehabt habe. Termine hätten nicht angelegen. Dies hätte er ihr gesagt, bzw.
würde im Kalender stehen. Sonst sei ihre Tochter mit ins Studio gefahren; an diesem Tag hätte sie jedoch keine Lust
gehabt.
Mit Bescheid vom 7.8.2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung des tödlichen Verkehrsunfalls als Arbeitsunfall ab.
Zum Unfallzeitpunkt habe keine versicherte Tätigkeit vorgelegen.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 29.8.2007 Widerspruch und ließ dann am 1.10.2007 durch ihren
Bevollmächtigten vortragen, dass V. am Unfalltag seine Fahrschule in Pirna habe aufsuchen wollen, um dort täglich
anfallende Arbeiten zu erledigen. Zudem habe er noch MPU-Prüf- bzw. Schulungstermine vorbereiten und hierfür
notwendige Kollegmappen holen wollte. Zum Zeitpunkt der polizeilichen Befragung sei sie noch emotional erheblich
erschüttert gewesen.
Mit Widerspruchbescheid vom 30.11.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Letztlich sei nicht bewiesen,
dass V. bei einer beruflichen Tätigkeit verunglückt sei. Den Erstangaben seiner Lebensgefährtin sei ein höherer
Beweiswert zuzumessen, da diese noch unbeeinflusst von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen
getätigt worden seien.
Mit der am 20.12.2007 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Abermals weist sie darauf hin, dass
sich V. zum Unfallzeitpunkt auf dem Weg zu seiner Fahrschule befunden habe.
Die Klägerin beantragt daher,
den Bescheid der Beklagten vom 7.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2007 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenleistungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen der
Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält daran fest, dass eine versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt nicht bewiesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der
Beklagten, die vorgelegen hat Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da der
Sachverhalt geklärt war, ohne dass es weitere Ermittlungen bedurfte und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies. Die Beteiligten wurden hierzu angehört. Einer Zustimmung der Klägerin zu
dieser Verfahrensweise bedurfte es ebenso wenig (vgl. BSG Beschluss vom 16.03.1994 - 9 BV 151/93-) wie der
Vernehmung der angebotenen Zeugin.
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Unfall des V. am 30.8.2006 war kein versicherter Arbeitsunfall
(Wegeunfall). Die Klägerin hat somit keinen Anspruch auf die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus der
gesetzlichen Unfallversicherung.
Nach § 63 Abs. 1 SGB VII haben Hinterbliebene unter anderem Anspruch auf Sterbegeld und Hinterbliebenenrenten,
wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalls eingetreten ist. Versicherungsfälle sind nach § 7 SGB VII
Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz
nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist nach § 8
Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren
Wegeunfall und von dem Ort der Tätigkeit.
Danach ist Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (Wegeunfall), dass das Verhalten, bei dem sich
der Unfall ereignet hat, in einem inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit steht, der es rechtfertigt, dass
betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist bei einem Wegeunfall
gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. nach Beendigung dieser
Tätigkeit der Erreichung der Wohnung eines dritten Ortes dient. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs
zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu
welcher der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist daher wertend zu entscheiden, ob
das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit bzw. - wie hier - zum Weg zur oder von der
Arbeitsstätte gehörte (BSGE 58, 76, 77). Maßgeblich ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie
insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Fehlt es an einem inneren Zusammenhang in
diesem Sinne, scheidet der Versichtungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet,
die der Versicherte auf dem Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG SozR 3 - 2200 § 540
Nr. 4 und 16).
Vorliegend lässt sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass V. sich zum Zeitpunkt des tödlichen
Unfalls auf dem Weg zu seiner Betriebsstätte in Pirna befunden hat. Zwar behauptet dies seine Lebensgefährtin seit
der Einschaltung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren, die von ihr gemachten Erstangaben sprechen
jedoch dagegen. Bereits bei der Befragung am 31.8.2006 hatte sie angegeben, dass V. gegen 9.30 Uhr losgefahren
sei, weil er ein Fitness-Studio in Dresden habe aufsuchen wollen. Diesen Vortrag konkretisierte sie dann vier Tage
später bei ihrer polizeilichen Einvernahme dahingehend, dass V. sie zuvor noch gebeten habe, Blumen zu besorgen,
da seine Oma an diesem Tag Geburtstag hatte. Termine hätten nicht angelegen, da V. dies sonst gesagt hätte, bzw.
es in seinem Kalender stehen würde. Sonst sei auch immer die Tochter noch mit ins Studio gefahren, sie habe an
diesem Tag jedoch keine Lust gehabt.
Dass die Lebensgefährtin des V. jetzt versucht diese Angaben zu entkräften, ist in Gerichtsverfahren, in denen das
Vorliegen einer versicherten Tätigkeit geprüft werden muss, nicht ungewöhnlich. Dass die detaillierten Angaben
insbesondere am 3.9.2006 wegen noch vorliegender emotionaler Betroffenheit falsch gewesen sein sollen, ist jedoch
nicht glaubhaft. Insbesondere die ausführliche Darstellung zum damaligen Zeitpunkt lässt eher vermuten, dass es
sich dabei um wahrheitsgemäße Angaben gehandelt hat, was die Lebensgefährtin bei Unterschreiben des
Vernehmungsprotokolls auch versichert hatte.
Zwar kann entgegen der Auffassung der Beklagten der objektive Beweiswert einer Erklärung nicht allein nach dem
zeitlichen Abstand von dem Ergebnis, auf das sie sich bezieht, bestimmt werden. Weder das Sozialgerichtsgesetz
noch die Zivilprozessordnung kennen eine Beweisregel in dem Sinne, dass frühere Aussagen oder Angaben
grundsätzlich einen höheren Beweiswert besitzen als spätere (BSG, Urt. v. 11.7.2003 - B 2 U 41/02 R -). Vielmehr
sind alle Umstände des Einzelfalls und vor allem auch die Glaubwürdigkeit der die Erklärung abgebenden Personen zu
würdigen. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung misst das erkennende Gericht den zeitlich früheren Angaben aufgrund
des Gesichtspunktes, dass sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen noch unbeeinflusst waren
aber einen höheren Beweiswert als den späteren Aussagen der Lebensgefährtin des Versicherten zu. Daher bedurfte
es auch keiner Vernehmung der Lebensgefährtin des V.
Da sich somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit hat feststellen lassen, dass V zum Zeitpunkt des tödlichen
Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. -