Urteil des SozG Dresden vom 15.07.2004

SozG Dresden: unternehmer, soziale sicherheit, widerspruchsverfahren, unfallversicherung, form, versicherter, vergütung, eigentümer, besitzer, zustand

Sozialgericht Dresden
Beschluss vom 15.07.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 5 U 114/04 LW
Die von der Beklagten begehrte Festsetzung des Gegenstandswertes wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Streitig war, ob die Klägerin von dem angegangenen Sozialleistungsträger die Kosten für ein erfolgreich
durchgeführtes Widerspruchsverfahren verlangen kann.
Nachdem bereits zuvor zahlreiche Bescheide ergangen und im weiteren Verlauf zum Teil wieder aufgehoben und
korrigiert worden waren, forderte die Beklagte durch Bescheid vom 26.03.2003 von der Klägerin als
forstwirtschaftlichem Unternehmer den Beitrag für das Geschäftsjahr 2002. Im Widerspruchsverfahren erging ein
weiterer Beitragsbescheid vom 07.04.2003 für die Umlagejahre 1999 bis 2001. Nachdem die von der Klägerin
vorgelegten Unterlagen dann überprüft worden waren, teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 01.10.2003
mit, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht zum 01.07.1992 entfalle.
Den Antrag auf Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
14.11.2003 ab. Während des Widerspruchsverfahrens erließ die Beklagte am 10.03.2004 einen Bescheid, in welchem
sie sich gegenüber der Klägerin verpflichtete, die ihr zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren in vollem Umfang/zur Hälfte
auf Antrag hin zu erstatten. Gleichwohl lehnte die Beklagte dann mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2004 die
Erstattung von Kosten des Widerspruchsverfahrens ab.
Hiergegen wandte sich die Klage vom 19.04.2004. Im Schriftsatz vom 12.05.2004 erklärte sich die Beklagte bereit,
der Klägerin die entstandenen Kosten dem Grunde nach zu erstatten. Gleichzeitig beantragt sie den Streitwert
festzusetzen. Rechtsgrundlage für die begehrte anwaltliche Vergütung sei § 118 i.V.m. § 11
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO).
Die Klägerin nahm das Anerkenntnis in der Hauptsache an und weist darauf hin, dass sich die Vergütung ihres
Prozessvertreters nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO richte.
II.
Der Antrag der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen, unter denen eine Festsetzung
des Gegenstandswertes nach § 116 Abs. 2 BRAGO erfolgt, sind nicht erfüllt.
Gemäß § 116 Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO erhält der Rechtsanwalt in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in
denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, vor dem Sozialgericht 50,00 EUR bis 660,00 EUR. In
sonstigen Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gelten die Vorschriften des dritten Abschnitts sinngemäß,
wenn der Auftraggeber nicht zu den in § 183 des Sozialgerichtsgesetzes genannten Personen gehört (§ 116 Abs. 2
Satz 1 BRAGO). Letztere Vorschrift ist vorliegend nicht anwendbar, da die Klägerin als Auftraggeber zu den in § 183
des Sozialgerichtsgesetzes genannten Personen gehört. Sie ist "Versicherte" im Sinne dieser Vorschrift.
Das Sechste Sozialgerichts-Änderungsgesetz vom 17.08.2001 (BGBl. I S. 2144) hat an dem Grundsatz der
Gebührenfreiheit im sozialgerichtlichen Verfahren festgehalten. Dementsprechend bestimmt § 183 SGG, dass das
Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich
Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches
Sozialgesetzbuch kostenfrei ist, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind.
Nach § 183 Satz 3 SGG steht den in Satz 1 genannten Personen gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen
Personen gehören würde.
Die Klägerin war jedenfalls bis zum 01.10.2003 als landwirtschaftliche Unternehmerin bei der Beklagten veranlagt. Auf
diesem Rechtsverhältnis fußt letztlich auch die Erstattungsklage, welche die Klägerin am 19.04.2004 anhängig
gemacht hatte.
Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) schuldet in der gesetzlichen Unfallversicherung
grundsätzlich der Unternehmer (vgl. § 136 Abs. 3 SGB VII) die Beiträge für die in seinem Unternehmen tätigen
Versicherten. Diese prinzipielle Gegenüberstellung von Versicherten einerseits und Unternehmer (Mitglied)
andererseits macht gerade die strukturelle Besonderheit der gesetzlichen Unfallversicherung im Vergleich zu den
übrigen Sozialversicherungszweigen aus (vgl. hierzu Spellbrink in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts,
Band 2 - Unfallversicherungsrecht, 1996, § 23 Rz. 1 ff., 9, 23). Lediglich in der besonderen Konstellation, dass
ausnahmsweise der Unternehmer selbst gleichzeitig auch Versicherter ist, fallen die Rechtsbeziehungen in einer
Person zusammen (vgl. Spellbrink a.a.O. Rz. 39). Für diese Fallgestaltung ordnet daher § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB VII
ausdrücklich an, dass diese Versicherten (d.h. nach § 2 SGB VII pflichtversicherten Unternehmer sowie nach § 3
bzw. § 6 SGB VII kraft Satzungsregelung oder freiwillig versicherte Unternehmer) ausnahmsweise selbst
Beitragsschuldner sind. Sie haben die Beiträge nicht auf der Grundlage der gezahlten Arbeitsentgelte (§ 153 SGB VII),
sondern - ähnlich wie in der privaten Unfallversicherung - nach dem kraft Satzung bestimmten Jahresarbeitsverdienst
(Versicherungssumme) zu entrichten (§ 154 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in Verbindung mit den jeweiligen
Satzungsvorschriften).
Im Vorverfahren ging es ausschließlich um die eigene Unternehmerversicherung der Klägerin, das heißt alle
Rechtsbeziehungen (Mitgliedsverhältnis, Versicherungsverhältnis) mit der Beklagten fielen in der Person des
Unternehmers untrennbar zusammen. Dies bedeutet nicht anderes als dass die Klägerin (auch) Versicherte im Sinne
des § 183 SGG war und den Widerspruch (auch) in dieser Eigenschaft einlegte. Auch wenn sich eine
landwirtschaftliche Berufsgenosssenschaft mit einem Beitragsbescheid an den allein beitragspflichtigen Unternehmer
wendet, wird damit zugleich auch die Versicherteneigenschaft des Unternehmers betroffen. Die gegenteilige
Auffassung der Beklagten, die sich auf die Ausführungen in einem Aufsatz zu den Neuregelungen des Kostenrechts
im sozialgerichtlichen Verfahren (Köhler, Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft, Heft 3/2003, S. 231 ff.) stützt,
überzeugt daher nicht.
Selbst wenn man aber für die Prüfung, ob § 183 SGG Anwendung findet, das Rechtsverhältnis der Unternehmer nach
§ 150 Abs. 1 Satz 2 SGB VII in ein Versicherungs- und in ein Mitgliedsverhältnis aufspalten wollte, würde es der
soziale Schutzzweck, den auch das Sechste SGG-Änderungsgesetz vom 17.08.2001 nicht beseitigen wollte,
gebieten, in Fällen wie dem Vorliegenden, den Unternehmer einem Versicherten im Sinne des § 183 SGG
gleichzustellen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte als Ausnahmeregelung zu der in § 183
vorgesehenen Gebührenfreiheit die Anwendung des Gerichtskostengesetzes und bestimmter Vorschriften der
Verwaltungsgerichtsordnung nur in Verfahren erfolgen, an denen Personen beteiligt sind, die nicht eines besonderen
sozialen Schutzes in Form eines kostenfreien Rechtschutzes bedürfen. Derartige Verfahren sollten zum Beispiel
Streitigkeiten von Sozialleistungsträgern untereinander, Streitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern und
Arbeitgebern und auch Vertragsarztverfahren (Vertragsarztzulassung, Honorarstreitgkeiten) sein (vgl.
Bundesdrucksache 14/5943, S. 28/29).
Bei der Klägerin handelte es sich nicht um eine Arbeitgeberin in diesem Sinne, da ihr nicht die Verfügungsmacht über
die Arbeitskraft eines oder mehrerer Arbeitnehmer zustand. Lediglich für die Ausübung der Teilhaberechte an der
Selbstverwaltung weist § 47 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch IV versicherte Selbständige der Gruppe der Arbeitgeber
zu.
Wie ein Versicherter im Sinne des § 183 SGG bedarf die Klägerin eines besonderen sozialen Schutzes in Form eines
kostenfreien Rechtsschutzes. Wenn schon Eigentümer bzw. Besitzer oder sonstige Nutzungsberechtigte an
forstwirtschaftlichen Grundstücken ohne jegliche Bewirtschaftungsmaßnahmen aufgrund einer Fiktion zu
Beitragszahlungen herangezogen werden können, müssen sich jedenfalls die selbstversicherten Unternehmer ohne
Arbeitnehmer gegen (rechtswidrige) Veranlagungen ohne erhöhtes Kostenrisiko wehren können. Bezüglich der
sozialen Schutzbedürftigkeit stehen diese "Unternehmer" einem Rentenantragsteller oder Schwerbehinderten nicht
nach.
Nach alledem ist die Anwendung von § 116 Abs. 2 BRAGO ausgeschlossen. Die Bemessung der Gebühren des
Rechtsanwaltes richtet sich nach § 116 Abs. 1 Ziff. 1 BRAGO.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei. Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zum Sächs. Landessozialgericht
zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands EUR 50 übersteigt. Sie ist beim Sozialgericht Dresden, Löbtauer
Straße 4, 01067 Dresden, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§
172 SGG iVm § 10 Abs.3 BRAGO).