Urteil des SozG Dresden vom 25.05.2007

SozG Dresden: nachforderung von beiträgen, befreiung von der versicherungspflicht, private krankenversicherung, arbeitsentgelt, mitgliedschaft, beendigung, anmerkung, kündigung, wechsel, auflage

Sozialgericht Dresden
Urteil vom 25.05.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 25 KR 389/06
+++ ANMERKUNG +++ Die Klägerin hat nunmehr im von der Beklagten angestrengten Berfungsverfahren die Klage
zurückgenommen. Das Urteil ist damit wirkungslos. +++ ENDE ANMERKUNG +++
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 07.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
09.06.2006 verpflichtet, den Bescheid vom 16.06.2004 insoweit aufzuheben, als er die Nachforderung von Beiträgen
zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5.953,64 EUR betrifft.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Der Streitwert wird auf 5.953,64 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Ergebnis einer Betriebsprüfung bei der Klägerin, insbesondere darüber, ob für den
Beigeladenen zu 1. Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2002 bestand.
Die Klägerin ist niedergelassene Zahnärztin. Seit 1997 beschäftigte sie den Beigeladenen zu 1. als angestellten
Zahnarzt, und zwar zunächst als Vorbereitungsassistenten und später als Entlastungsassistenten. Die Vorbereitungs-
sowie die Entlastungsassistenz musste jeweils von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) jedes Jahr für das
folgende Jahr genehmigt werden. Mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 17.03.1999 wurde ein monatliches
Arbeitsentgelt des Beigeladenen zu 1. in Höhe von 4.000,00 DM ab dem 10.02.1999 vereinbart. Im Dezember 2001
führten die Klägerin und der Beigeladene zu 1. Gehaltsverhandlungen für das nächste Kalenderjahr. Sie kamen
darüber überein, dass das Grundgehalt auf 5.000,00 DM abgeändert werden sollte. Darüber hinaus sollte der
Beigeladene zu 1. 15 % des Honorarumsatzes des Vormonates bekommen. Dabei gingen die Klägerin sowie der
Beigeladene zu 1. davon aus, dass sich diese Leistungszulage zwischen 1.200,00 EUR und 2.100,00 EUR bewegen
würde. Beide waren überzeugt davon, dass hierdurch die Jahresarbeitsentgeltgrenze für die Versicherungspflicht in
der Krankenversicherung für das Jahr 2002 überschritten werden würde. Der Beigeladene zu 1. bemühte sich
daraufhin um eine private Krankenversicherung und wählte die Z.-Krankenversicherung. Am 09.01.2002 kündigte er
schriftlich seine Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 2. zum Jahreswechsel. Im Vorfeld hatte er diesen Schritt
telefonisch mit Mitarbeitern der Beigeladenen zu 2. besprochen.
Mit Schreiben vom 14.01.2002 bestätigte die Beigeladene zu 2. dem Beigeladenen zu 1. "den Eingang der Kündigung
Ihrer freiwilligen Mitgliedschaft bei der BKK MEDICUS zum 31.12.2001".
Die Klägerin zahlte seit dem Jahr 2001 keine Beiträge für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung mehr an
die Beigeladene zu 2., sondern leistete dem Beigeladenen
zu 1. einen Beitragzuschuss zu der BKV.
Der Beigeladene zu 1. erzielte im Jahr 2002 ausweislich seines Lohnkontos für das Jahr 2002 (vgl. Bl. I 27 der
Verwaltungsakte) insgesamt ein steuerpflichtiges Entgelt in Höhe von 45.264,17 EUR. Die Beklagte führte am
11.05.2004 für den Prüfzeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2003 eine Betriebsprüfung durch. Mit Bescheid vom
16.06.2004 stellte sie fest, dass für den Beigeladenen zu 1. unzutreffend ab Januar 2002 keine Beiträge zur
gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt worden seien. Da der Beigeladene zu 1. im Jahr 2001 die
Jahresarbeitsentgeltgrenze dieses Jahres nicht überschritten habe, sei die Voraussetzung für eine
Versicherungsfreiheit in der Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.01.2002 nicht gegeben. Die
Versicherungspflicht ende frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Jahresarbeitsentgeltgrenze
überschritten werde, im vorliegenden Fall zum 31.12.2002. Sie stellte einen Beitragsrückstand in der Kranken- und
Pflegeversicherung in Höhe von 5.953,64 EUR fest. Auf die Berechnung in der Anlage zum Bescheid wird verwiesen
(Bl. I 6 der Verwaltungsakte).
Der gegen den vorgenannten Bescheid eingelegte Widerspruch der Klägerin, in dem sie sich insbesondere auf das
Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 14.01.2002 berief, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
15.03.2005 zurück.
Mit Antrag vom 30.11.2005, bei der Beklagten eingegangen am 05.12.2005, beantragte die Klägerin die Überprüfung
der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 16.06.2004. Der Beigeladene zu 1. habe ab dem 01.01.2002 die
Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten. Die Beigeladene zu 2. sei davon ausgegangen, dass bei dem Beigeladenen
zu 1. ab dem 01.01.2002 Versicherungsfreiheit eingetreten sei, da sie eine Mitgliedsbescheinigung bis zum
31.12.2001 ausgestellt habe.
Mit Bescheid vom 07.02.2006 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 16.06.2004 ab. Bei dem
Schreiben der Beigeladenen zu 2. vom 14.01.2002 handele es sich lediglich um eine Bestätigung der Ausübung des
Krankenkassenwahlrechts nach § 173 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Eine Befreiung von der
Versicherungspflicht sei damit nicht gegeben. Den Widerspruch der Klägerin vom 03.04.2006 wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 09.06.2006, abgesandt am 12.06.2006, zurück.
Mit der am 13.07.2006 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte habe zu Unrecht eine
Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1. verneint. Darüber hinaus habe die Beigeladene zu 2. die Beendigung der
Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bestätigt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
09.06.2006 zu verpflichten, den Bescheid vom 16.06.2004 insoweit aufzuheben, als er die Nachforderung von
Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5.953,64 EUR betrifft.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Da das Arbeitsentgelt des Beigeladenen zu 1. die Jahresarbeitsentgeltgrenze unstreitig erstmals im Jahre 2002
überstiegen habe, ende die Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 4 SGB V erst mit dem 31.12.2002. Die Beigeladene
zu 2. habe in dem Schreiben vom 14.01.2002 die Kündigung einer freiwilligen Mitgliedschaft bestätigt. Da jedoch im
Jahre 2001 eine Pflichtmitgliedschaft bestanden habe, könne das Schreiben wegen des
offenkundigen unrichtigen Inhalts nicht als Nachweis für die Beendigung der Versicherungspflicht angeführt werden.
Der Beigeladene zu 1. schließt sich dem Vorbringen der Klägerin an. Er habe am 12.12.2001 und 19.12.2001
telefonisch mit der Beigeladenen zu 2. abgeklärt, dass die Beendigung der Versicherungspflicht möglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der
Beklagten sowie der Gerichtsakte verwiesen. Die vorgenannten
Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 16.06.2004 erweist sich nach Überprüfung in dem
streitgegenständlichen Umfange als rechtswidrig, so dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn insoweit aufzuheben.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar
geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem
Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig
erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Der Bescheid vom 16.06.2004 erweist sich insoweit als rechtswidrig, als er feststellt, dass Beiträge für die
gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung für den Beigeladenen zu 1. für das Jahr 2002 nicht erbracht worden
sind.
Für den Beigeladenen zu 1. bestand im Jahr 2002 keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind versicherungsfrei Arbeiter und Angestellte, deren
regelmäßiges Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt. Da der
Beigeladene zu 1. im Jahr 2002 insgesamt ein Entgelt in Höhe von 45.264,17 EUR erhielt, überschritt er die
Jahresarbeitsentgeltgrenze für das Beitrittsgebiet für das Jahr 2002 in Höhe von 40.500,00 EUR.
Eine Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1. steht § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht entgegen. Nach der
vorgenannten Vorschrift endet die Versicherungspflicht mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten wird. Tatsächlich hat der Beigeladene zu 1. erstmalig im Jahr 2002 die
Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten, so dass bei einer wortlautorientierten engen Auslegung der Vorschrift
vorliegend von einem Ende der Versicherungspflicht erst mit dem 31.12.2002 auszugehen wäre. Die Frage, wann die
Versicherungsfreiheit eintritt, wenn ein grenzüberschreitendes Entgelt ab Beginn eines neuen Kalenderjahres
vereinbart wird, war nach dem Kenntnisstand der Kammer bislang nicht Gegenstand obergerichtlicher bzw.
höchstrichterlicher Rechtsprechung. In der Kommentarliteratur wird z. T. unter Hinweis auf den Wortlaut davon
ausgegangen, dass auch bei dem vorgenannten Sachverhalt die Versicherungspflicht erst mit dem Ende des
Kalenderjahres endet, in dem die Jahresarbeitsentgeltgrenze erstmalig überschritten wird (vgl. Baier in Krauskopf,
Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 6 Rdnr. 47). Nach anderer Ansicht soll die Versicherungsfreiheit
schon mit Beginn des Kalenderjahres eintreten, wenn ein grenzüberschreitendes Entgelt ab Beginn dieses
Kalenderjahres vereinbart wurde (vgl. Peters in Kasseler Kommentar; § 6 SGB V Rdnr. 14; wohl auch Gerlach in
Hauck/Noftz, Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar, § 6 Rdnr. 59).
Die Kammer schließt sich der letztgenannten Ansicht an. Vorliegend kann nämlich nicht außer Betracht bleiben, dass
es sich bei § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB V um eine Ausnahmevorschrift zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V handelt. Bei der
Auslegung von Ausnahmevorschriften kommt dem Grund, aus dem der Gesetzgeber gerade diese Fälle
ausgenommen hat, besondere Bedeutung zu. Richtete sich die Normvorstellung des Gesetzgebers lediglich auf eine
bestimmte Gruppe von Fällen, so sollte die Auslegung weitere Fälle auch dann, wenn dies nach dem Wortsinn der
gewählten Ausdrücke möglich wäre, nicht einbeziehen, es sei denn, das Prinzip der Gleichbehandlung des
Gleichsinnigen würde andernfalls verletzt (vgl. zum Ganzen Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6.
Auflage 1991, Seite 355f). § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB V soll einen kurzfristigen Wechsel zwischen Versicherungspflicht
und Versicherungsfreiheit vermeiden und zu einer gewissen Kontinuität der Versicherung führen (Peters a.a.O.). Das
Gesetz schiebt den Zeitpunkt, zu dem eine bestehende Versicherungspflicht wegen Überschreitens der Grenze enden
kann, generell auf das Jahresende hinaus. Erst dann steht die Jahresarbeitsentgeltgrenze für das folgende Jahr
endgültig fest und lässt sich daher zuverlässig beurteilen, ob auch die Grenze des neuen Jahres überschritten wird
und Versicherungsfreiheit eintritt oder ob die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überschritten wird und weiterhin
Versicherungspflicht bestehen bleibt (BSG, Urteil vom 25.02.1997, Aktenzeichen 12 RK 51/96, SozR 3-2500 § 6 Nr.
15). Die vorgenannten Gründe für die Ausnahmeregelung treffen auf den in Rede stehenden Sachverhalt nicht zu:
Wird ab dem 01.01. des neuen Kalenderjahres ein grenzüberschreitendes Arbeitsentgelt vereinbart, so ist der
Rechtssicherheit genüge getan, da zum 01.01. bereits die Jahresarbeitsentgeltgrenze für das nächste Jahr feststeht.
Wenn aufgrund der Vereinbarung feststeht, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze für das kommende Jahr überschritten
werden wird, so gibt es keinen Grund, die Versicherungsfreiheit um ein ganzes Kalenderjahr aufzuschieben.
Vorliegend haben die Klägerin und der Beigeladene zu 1. im Dezember 2001 eine Vereinbarung geschlossen, aus der
sich ergab, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze im Jahre 2002 überschritten werden würde. Sie haben in der
mündlichen Verhandlung anschaulich geschildert, dass sich das Honorar des Vormonats unkompliziert mit wenigen
Knopfdrücken am Computer ermitteln lässt und dass sie bei den Vertragsverhandlungen solche Stichproben
genommen hatten. Zusammen mit der Vereinbarung des erhöhten Grundgehaltes (5.000,00 DM) ergab sich
zwangsläufig eine Überschreitung der Jahresentgeltgrenze für das Jahr 2002, die zu diesem Zeitpunkt auch schon
feststand.
Nach dem Vorgesagten trat die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1. zum 01.01.2002 ein, so dass für ihn
keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen waren. Da die soziale Pflegeversicherung an die
Versicherungspflicht der Krankenversicherung anknüpft (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI), bestand auch keine
Beitragspflicht für die soziale Pflegeversicherung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.