Urteil des SozG Dortmund vom 12.02.2010

SozG Dortmund (kläger, verschlechterung des gesundheitszustandes, echte rückwirkung, sgg, erlass, rückwirkung, unterlagen, sachliche zuständigkeit, bundesrepublik deutschland, örtliche zuständigkeit)

Sozialgericht Dortmund, S 51 (3) SB 205/08
Datum:
12.02.2010
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
51. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 51 (3) SB 205/08
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers
aufgrund des Änderungsantrags vom 30.10.2007 rückwirkend ab dem 06.04.2006 mit
mindestens 50 zu bewerten ist.
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Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 16.08.2007 stellte das damals
zuständige Versorgungsamt bei dem Kläger einen GdB von 40 fest. Es setzte damit
einen vor dem Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) geschlossenen
Vergleich um, der auf dem Hinweis des Senatsvorsitzenden beruhte, dass der Einzel-
GdB für den Funktionsbereich Wirbelsäule doch schon mit 40 bewertet werden könne.
Der ärztliche Berater des Versorgungsamtes war zuvor von einem Gesamt-GdB von 30
auf Grundlage folgender Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen: (1.)
Brustwirbelsäulen-Lendenwirbelsäulen-Syndrom, abgelaufene Scheuermann-
Erkrankung, Entkalkung, Verformung der Wirbelsäule, Beinverkürzung links von 0,5 cm,
Wirbelgleiten (Einzel-GdB 30); (2.) Handgelenksverschleiß links (Einzel-GdB 10).
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Unter dem 30.10.2007 beantragte der Kläger, seinen GdB aufgrund zusätzlicher
Gesundheitsstörungen soweit als möglich rückwirkend mit mindestens 50 festzustellen.
Zur Begründung legte er einen vom Sozialgericht Dortmund in einem dort anhängigen
Rentenverfahren eingeholten Befundbericht des behandelnden Arzt Dr. xxx (Facharzt
für Neurologie und Psychiatrie, xxx) vom 28.06.2007 vor. Das Versorgungsamt holte
daraufhin selbst einen Befundbericht bei Dr. xxx ein (Befundbericht vom 13.11.2007).
Nach Auswertung dieser Unterlagen kam der ärztliche Berater des Versorgungsamtes
zu dem Ergebnis, dass der Gesamt-GdB der Klägerin weiterhin mit 40 zu bewerten sei,
wobei folgende Funktionststörungen zu berücksichtigen seien: (1.) Brustwirbelsäulen-
Lendenwirbelsäulen-Syndrom, abgelaufene Scheuermann-Erkrankung, Entkalkung,
Verformung der Wirbelsäule, Beinverkürzung links von 0,5 cm, Wirbelgleiten,
Kopfschmerzsyndrom (Einzel-GdB 40); (2.) Handgelenksverschleiß links (Einzel-GdB
20). Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17.01.2008 den Antrag des
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Klägers ab.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, den er damit begründete, dass der
bisherige Gesamt-GdB von 40 allein auf seinen Wirbelsäulenerkrankungen beruhe.
Aufgrund der Befundberichte des Dr. xxx sei zusätzlich ein Einzel-GdB für den Bereich
Kopf und Gesicht von 20 bis 40 zu berücksichtigen, so dass sich ein Gesamt-GdB von
mindestens 50 ergebe. Dass Kopfschmerzsyndrom im Rahmen des Einzel-GdB für die
Wirbelsäulenerkrankungen zu berücksichtigen sei unzulässig. Denn das
Schwerbehindertenrecht unterscheide zwischen Beeinträchtigungen von Kopf / Gesicht
und Haltungs- und Bewegungsaorganen und außerdem seien die im Rahmen der
Wirbelsäulenschäden zu berücksichtigenden Erkrankungen durch den vor dem LSG
NRW geschlossenen Vergleich abschließend und rechtsverbindlich festgelegt. Der
Beklagte legte den Widerspruch seinem ärztlichen Berater vor, der aber auch jetzt zu
keiner für den Kläger günstigeren Bewertung kam. Daraufhin legte der Beklagte die
Sache der Bezirksregierung Münster zur Entscheidung vor, die den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 10.07.2008 als unbegründet zurückwies.
5
Am 28.07.2008 hat der Kläger Klage erhoben.
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Zur Begründung wiederholt der Kläger im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und
legt Kopien der Befundberichte des Dr. xxx vom 28.06.2007 und 13.11.2007, des
Protokolls der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem LSG NRW vom 31.07.2007
sowie ein von Dr. xxxk ausgestelltes Rezept vom 23.07.2009 vor. Ergänzend führt er
aus, dass sich die Auswirkungen des Kopfschmerzsyndroms hinreichend aus der
verordneten Medikation und der Tatsache ergeben, dass Dr. xxx ihm im Befundbericht
vom 28.06.2007 eine Arbeitsfähigkeit nur noch für leichte Tätigkeiten und zwischen 2
und 3 Stunden pro Tag attestiere.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 17.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 10.07.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des
Bescheides vom 16.08.2007 ab dem 06.04.2006 bei ihm einen Grad der Behinderung
von mindestens 50 festzustellen.
9
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist zur Begründung auf die Begründungen der angefochtenen
Verwaltungsentscheidungen.
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Das Gericht hat den Kläger mehrfach – durch gerichtliche Verfügungen vom 17.04.2009,
16.06.2009 und vom 14.10.2009, im Erörterungstermin vom 28.07.2009 und zuletzt in
der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2010 – aufgefordert, seine behandelnden Ärzte
von der Schweigepflicht zu entbinden, der Beiziehung von Akten aus anderen
laufenden oder abgeschlossenen Verfahren und / oder einer ambulanten Begutachtung
zuzustimmen. Dabei hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die eingereichten
medizinischen Unterlagen allein nach seiner Auffassung nicht ausreichen, um beim
Kläger einen höheren GdB festzustellen. Außerdem hat das Gericht den Kläger auf die
ihm obliegende Mitwirkungspflicht, die Folgen mangelnder Mitwirkung sowie den
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Grundsatz der objektiven Beweislast hingewiesen.
Der Kläger hat sich trotzdem weder zu einer Schweigepflichtentbindung noch zur
Zustimmung in die Beiziehung von Akten oder eine ambulante Begutachtung bereit
finden können. Er hat darauf verwiesen, dass zu einer zutreffenden Bewertung seines
GdB die vorliegenden medizinischen Unterlagen ausreichen.
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Im Erörterungstermin vom 28.07.2009 hat der Kläger erklärt, dass er sich eine
ambulante Begutachtung in der Zukunft vorbehalten wolle, aktuell aber allenfalls mit
einer Begutachtung nach Aktenlage einverstanden sei. Um dem Kläger von der schon
mehrfach schriftsätzlich erläuterten Auffassung des Gerichts zu überzeugen, dass die
vorliegenden Unterlagen für ein Gutachten nach Aktenlage nicht ausreichen und eine
ambulante Begutachtung erforderlich sei, hat das Gericht zunächst Beweis erhoben
durch eine Anfrage an den Sachverständigen Dr. xxx (Facharzt für Neurologie und
Psychiatrie, xxx), ob anhand der vorhandenen medizinischen Unterlagen ein Gutachten
nach Aktenlage gefertigt und der GdB des Klägers festgestellt werden könne. Nachdem
der Kläger Einwände gegen den ihm aus einem anderen Verfahren bekannten
Sachverständigen Dr. xxx erhoben und den Sachverständigen als befangen abgelehnt
hat, hat das Gericht den Sachverständigen Dr. xxx (Facharzt für Neurologie und
Psychiatrie, xxx) mit der Beantwortung dieser Frage betraut. Der Kläger hat aber auch
den Sachverständigen Dr. xxx als befangen abgelehnt, weil das Gericht dem
Sachverständigen die gesamte Gerichts- und Verwaltungsakte einschließlich "vom
[Kläger] verbotener Sachverhalte" übersandt hatte. Zugleich hat der Kläger dem Gericht
weitere Ermittlungen verboten. Daraufhin hat das Gericht auch den Sachverständigen
Dr. Reininghaus entbunden und den Kläger mit Verfügung vom 14.10.2009 darauf
hingewiesen, dass es die Sache mangels Nachweis einer Verschlimmerung für
abweisungsreif halte und zur Sitzung nehmen werde. Den vom Kläger daraufhin gegen
das Gericht gestellten Befangenheitsantrag hat das LSG NRW durch Beschluss vom
28.12.2009 zurückgewiesen.
15
Hinsichtlich Einzelheiten der Beweisaufnahme und wegen des weiteren Sach- und
Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Beiakten, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
18
Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid vom 17.01.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 10.07.2008 nicht i.S.d. § 54 Abs. 2 SGG beschwert, denn
der Bescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt ihn nicht in eigenen Rechten. Er leidet
weder an formellen noch materiellen Fehlern.
19
I.
20
In formeller Hinsicht sind die angefochtenen Bescheide fehlerfrei. Eine Fehlerhaftigkeit
kommt allenfalls im Hinblick auf die Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster für den
Erlass des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2008 in Betracht. Zur Überzeugung der
Kammer steht jedoch fest, dass aufgrund des rückwirkend zum 01.01.2008 in Kraft
getretenen § 4a des Gesetztes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande
Nordrhein-Westfalen (AGSGG NRW) die Bezirksregierung Münster rückwirkend
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sachlich und örtlich zuständige Widerspruchsbehörde geworden ist.
Nachdem der Landesgesetzgeber durch das Gesetz zur Eingliederung der
Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen vom
30.10.2007 (VersÄmtEinglG NW 2007, verkündet als Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur
Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GV NW Seite
482) u.a. die Versorgungsämter aufgelöst und in § 2 die Aufgaben des
Schwerbehindertenrechts nach den §§ 69 und 145 des Neunten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB IX) den Kreisen und kreisfreien Städten als "Pflichtaufgaben zur
Erfüllung nach Weisung" übertragen hat, war zunächst umstritten, ob es sich bei den
übertragenen Aufgaben um Selbstverwaltungsaufgaben handelt und welche Behörde
deshalb zum Erlass des Widerspruchsbescheids in diesen Angelegenheiten zuständig
war.
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Das Land NRW, vertreten durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales
(MAGS), ordnete die übertragenen Aufgaben nicht als Selbstverwaltungsaufgaben im
Sinne von § 85 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein und ging deshalb – wohl
auch im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 7 AGVwGO a.F. - aufgrund der
Übertragung der Aufgabe als "Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung" davon aus,
dass die Bezirksregierung Münster als zuständige Aufsichtsbehörde (vgl. § 2 Abs. 2
Satz 2 VersÄmtEinglG NW 2007) auch für den Erlass des Widerspruchbescheids
zuständig war (vgl. die Stellungnahme des MAGS, dargestellt im Urteil des LSG NRW
vom 16.12.2009, Az. L 10 SB 39/09).
23
Die Rechtsprechung zu dieser Frage war uneinheitlich:
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Zum Teil wurden die übertragenen Aufgaben nicht als Selbstverwaltungaufgaben
eingeordnet (SG Dortmund, Urteil vom 10.06.2009, Az. S 7 SB 54/08 und Urteil vom
29.05.2009, Az. S 51 (3) SB 198/08). In der Folge wurde die Bezirksregierung Münster
dann teilweise als sachlich und örtlich zuständige nächsthöhere Behörde im Sinne des
§ 85 Abs. 2 Nr.1 SGG angesehen, weil § 2 Abs. 2 Satz 2 VersÄmtEinglG NW 2007 als
eine von § 8 Abs. 3 Landesorganisationsgesetz (LOG) abweichende Sonderregelung
über die Frage ausgelegt wurde, wer nächst höhere Behörde im Sinne des § 85 Abs. 2
Nr.1 SGG ist (SG Dortmund, Urteil vom 10.06.2009, Az. S 7 SB 54/08). Oder die
sachliche Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster als nächst höherer Behörde im
Sinne des § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG wurde aus § 8 Abs. 3 LOG abgeleitet und eine
fehlende – aber gem. § 42 Satz 1 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB X)
unbeachtliche – örtliche Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster festgestellt (SG
Dortmund, Urteil vom 29.05.2009, Az. S 51 (3) SB 198/08).
25
Andere Gerichte gingen hingegen davon aus, dass es sich bei den übertragenen
Aufgaben um Selbstverwaltungsaufgaben im Sinne von § 85 Abs. 2 Nr.4 SGG handelt
und hielten die Bezirksregierung Münster deshalb für unzuständig zum Erlass der
Widerspruchsbescheide (LSG NRW, Urteil vom 16.12.2009, Az. L 10 SB 39/09; SG
Detmold, Urteil vom 18.09.2009, Az. S 19 SB 7/09 und Urteil vom 10.12.2009, Az. S 19
SB 59/08). Dabei herrschte Uneinigkeit über die Folgen der Unzuständigkeit: Während
teilweise eine isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheids für nötig befunden
wurde (LSG NRW, Urteil vom 16.12.2009, Az. L 10 SB 39/09), wurde eine isolierte
Aufhebung des Widerspruchsbescheids unter entsprechender Anwendung des § 79
Abs. 2 Satz 2 VwGO teilweise auch für unnötig gehalten (SG Detmold, Urteil vom
10.12.2009, Az. S 19 SB 59/08).
26
Als Reaktion auf das Urteil des LSG NRW vom 16.12.2009 (LT-Drs. 14/10533, Seite 87)
hat der Landesgesetzgeber am 26.01.2010 durch Art. 3 des Gesetzes zur
Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzten im Land Nordrhein-Westfalen
(JuMoG NRW, GV NW Seite 30 ff.) den § 4a neu in das AGSGG eingefügt. Danach
erlässt in Angelegenheiten nach §§ 69 und 145 SGB IX, die den Kreisen und kreisfreien
Städten übertragen sind, die Bezirksregierung Münster den Widerspruchsbescheid.
Gem. Art. 4 des JuMoG NRW sollte § 4a AGSGG rückwirkend mit Wirkung vom
01.01.2008 in Kraft treten.
27
Damit besteht nunmehr eine Sonderzuständigkeit der Bezirksregierung Münster für den
Erlass von Widerspruchsbescheiden in Angelegenheiten nach §§ 69 und 145 SGB IX,
die unabhängig von der Frage ist, ob es sich bei den Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach
Weisung um eine Selbstverwaltungsaufgabe handelt. Geht man von einer
Selbstverwaltungsangelegenheit aus, folgt die Zuständigkeit aus § 85 Abs. 2 Nr. 4 2.
Halbsatz SGG in Verbindung mit § 4a AGSGG NRW, hält man die übertragenen
Aufgaben nicht für Selbstverwaltungsaufgaben, kommt man zum selben Ergebnis über
§§ 85 Abs. 2 Nr.1, 219 SGG in Verbindung mit § 4a AGSGG NRW.
28
Die Sonderzuständigkeit der Bezirksregierung Münster besteht gem. Art. 4 JuMoG NRW
bereits rückwirkend ab dem 01.01.2008. Eine isolierte Aufhebung des
Widerspruchsbescheids ist daher auch im hier zu entscheidenden Fall - der
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster datiert vom 19.04.2008 – nicht
mehr notwendig.
29
Dabei bestehen gegen die durch Art. 4 JuMoG angeordnete Rückwirkung keine
durchgreifenden Bedenken im Hinblick auf die als Teilgebote des Rechtsstaatsprinzips
durch Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich geschützten Gebote der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.
30
Im Hinblick auf die Anforderungen, die an eine zulässige Rückwirkung zu stellen sind,
ist zwischen der echten Rückwirkung und der unechten Rückwirkung zu unterscheiden
(Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland –
Kommentar, 10. Auflage 2009, Art. 20 Rn 67 f. m.w.N. auch zur vom 2. Senat des
BVerfG abweichend verwendeten – inhaltlich aber im wesentlichen identischen –
Begrifflichkeit der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen
Rückanküpfung). Diese Unterscheidung kann hier jedoch dahinstehen, weil die durch
Art. 4 JuMoG angeordnete Rückwirkung sogar den strengeren Maßstab für eine echte
Rückwirkung erfüllt.
31
Eine echte Rückwirkung ist grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise zulässig,
wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht – oder nicht mehr –
vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des einzelnen eine Durchbrechung gestatten
(BVerfGE 72, 200, 258, 97, 67, 79 f., 101, 239, 263 f.).
32
Einen solchen Ausnahmefall nicht schutzwürdigen Vertrauens nehmen das BVerfG und
ihm folgend die übrige Rechtsprechung (stRspr. BVerfG, Urteil vom 25.05.1993, Az. 1
BvR 1509/91 m.w.N. = BVerfGE 88, 384; BSG, Urteil vom, 21.06.2005, Az. B 8 KN 1/05
R = BSGE 95, 29; Jarass, in: Jarass/Pieroth, aaO., Art. 20 Rn 72 m.w.N. aus der Rspr.
der Bundesgerichte) dann an, wenn das geltende Recht unklar und verworren ist. Denn
schutzwürdiges Vertrauen auf einen bestimmten Gesetzesinhalt kann sich nur bilden,
33
wenn er für die Betroffenen auch erkennbar ist. Gerade daran fehlt es aber bei einer
unklaren oder verworrenen Rechtslage. Diese Voraussetzung ist nach der
Rechtsprechung des BVerfG erfüllt, wenn die ursprüngliche Norm von vornherein
Anlass zu Auslegungsproblemen gibt, "deren Lösung nur in einer Zusammenschau von
Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung" möglich
ist (Beschluss vom 17. Januar 1979, Az. 1 BvR 446, 1 BvR 1174/77 = BVerfGE 50, 177).
In diesem Fall entstehen schutzwürdiges Vertrauen und Rechtssicherheit hinsichtlich
des Norminhalts erst durch die Rechtsprechung, insbesondere die des zuständigen
höchsten Fachgerichts und/oder eine ständige Praxis der Gesetzesanwendung, die
dann Grundlage für eine schutzwürdige Vertrauensbildung wird (BSG, Urteil vom,
21.06.2005, Az. B 8 KN 1/05 R = BSGE 95, 29). Bei einer unklaren Rechtslage, die erst
durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt wird, ist Rechtssicherheit hinsichtlich
des Normverständnisses aber bis zu dieser Klärung nicht vorhanden, und
dementsprechend kann sich berechtigtes Vertrauen der Betroffenen als Gegenstück der
Rechtssicherheit erst mit und ab dieser Klärung bilden (BVerfG, Urteil vom 24.07.1968,
Az. 1 BvR 1968 = BVerfGE 24, 75, 98; BSG, Urteil vom 21.06.2005, Az. B 8 Kn 1/05 R =
BSGE 95, 29).
Eine in diesem Sinne unklare und verworrene Rechtslage, die die Entstehung
schutzwürdigen Vertrauens von vornherein ausschließt, liegt hier im Hinblick auf den
Rechtscharakter der Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX als Selbstverwaltungsaufgaben
und die sich daraus ergebende Frage nach der "richtigen" Widerspruchsbehörde vor.
Denn die Auslegung des VersÄmtEinglG NW 2007 wurde im Hinblick auf diese Fragen
schon während des Gesetzgebungsverfahrens kontrovers diskutiert (vgl. Szymczak,
Gutachten für die Landesregierung, S. 18 sowie die Nachweise bei LSG NRW, Urteil
vom 16.12.2009, Az. L 10 SB 39/09 und Urteil vom 13.07.2006, Az. L 10 SB 40/06). Als
sich die Gerichte der ersten Instanz erstmals mit der Frage des Rechtscharakters der
Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX und der Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster
für den Erlass des Widerspruchsbescheids auseinandersetzen mussten, kam es zu den
verschiedensten Lösungen (vgl. nur die oben zitierten Entscheidungen der
Sozialgerichte Dortmund und Detmold). Bereits kurz nach Inkraftreten des
VersÄmtEinglG NW 2007 musste sich das LSG NRW – neben anderen
Auslegungsproblemen - erstmals mit diesen Fragen befassen (LSG NRW, Urteil vom
05.03.2008, Az. L 10 SB 40/06), ohne das es dadurch zu einer Vereinheitlichung der
Rechtsprechung gekommen wäre. Auch durch die Entscheidung des LSG NRW vom
16.12.2009, L 10 SB 39/09 ist es noch nicht zu einer letztverbindlichen Klärung der
Auslegungsproblematik gekommen, da das LSG NRW die Revision zugelassen hat,
Revision auch eingelegt worden ist und weiterhin erstinstanzliche Entscheidungen der
Einschätzung des LSG NRW nicht folgen (vgl. etwa SG Dortmund, Beschluss vom
29.01.2010, Az. S 7 SB 55/08, indem die Kammer in Kenntnis Urteils des LSG NRW
vom 16.12.2009, L 10 SB 39/09 an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhält). Der
Landesgesetzgeber hat schließlich auch gerade deshalb § 4a AGSGG erlassen, um die
entstandene unklare und verworrene Rechtslage im Interesse der Rechtssicherheit zu
beseitigen und Rechtsfrieden herzustellen (LT-Drs. 14/10533, Seite 87).
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Für die Zulässigkeit der durch Art. 4 JuMoG angeordneten Rückwirkung von § 4a
AGSGG NRW spricht außerdem, dass eine rückwirkende Änderung / Einführung
verfahrensrechtlicher Vorschriften verfassungsrechtlich eher zulässig ist, als beim
Betroffensein materieller Rechtspositionen. Denn das Vertrauen in den Fortbestand
verfahrensrechtlicher Regelungen ist von Verfassungs wegen weniger geschützt als das
Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen (BVerfG, Urteil vom
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22.03.1983, Az. 2 BvR 475/87 = BVerfGE 64, 343 m.w.N.). Dies umso mehr, wenn die
betroffene Rechtsänderung keine wesentlichen Positionen für die aussichtsreiche
Wahrung der Rechte des Bürgers verkürzt oder abschneidet, sondern bloß
Verfahrensregelungen mit geringer Bedeutung und Gewicht – reine technische
Regelungen, "Spielregeln", Ordnungsbestimmungen – betrifft. Dabei ist als wesentlicher
Umstand mit zu berücksichtigen, ob zum Zeitpunkt der Änderung bereits ein rechtlich
abgeschlossenes Verfahren vorliegt (BVerfG, Urteil vom 22.03.1983, Az. 2 BvR 475/87
= BVerfGE 64, 343 m.w.N.). Schließlich ist zu beachten, dass auch das
Rechtsstaatsprinzip nicht vor jeglicher Enttäuschung schützt, sondern nur dann, wenn
die rückwirkend geänderte gesetzlichen Regelung generell geeignet ist, aus dem
Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen
herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei Änderung der Rechtslage als
nachteilige erweisen (BVerfG Urteil vom 23.03.1971, Az. 2 BvL 2/66 u.a. = BVerfGE 30,
367 m.w.N.).
Bei der hier betroffenen Verfahrensposition – der Bestimmung der "richtigen"
Widerspruchsbehörde - handelt es sich nach diesen Maßstäben um eine
Verfahrensregelung mit geringer Bedeutung. Denn geregelt wird nicht etwa die Frage,
ob überhaupt ein Widerspruchsbescheid ergehen muss, sondern nur, wer ihn zu
erlassen hat. Die Verfahrensposition des Klägers wird dadurch nicht wesentlich
verschlechtert, zumal es sich um eine gebundene Entscheidung handelt (§ 69 SGB Abs.
1 SGB IX "stellen", § 69 Abs. 4 SGB IX "treffen"), also von einer anderen – ebenfalls an
Recht und Gesetz gebundenen (Art. 20 Abs. 3 GG) – Widerspruchsbehörde auch keine
andere Entscheidung zu erwarten wäre. Durch eine – isolierte – Aufhebung des
Widerspruchsbescheids – sofern man sie überhaupt für nötig hält (vgl. SG Detmold,
Urteil vom 10.12.2009, Az. S 19 SB 59/08) – würde die Verfahrensposition des Klägers
außerdem auch nicht wesentlich verbessert, da § 4a AGSGG NRW jedenfalls für die
Zeit ab seiner Verkündung anzuwenden ist. Es würde dann erneut die Bezirksregierung
Münster entscheiden, allein mit dem Unterschied, dass die Zuständigkeit aufgrund von §
4a AGSGG NRW nunmehr unstreitig gegeben ist. Aus demselben Grund ist das
Vertrauen auf eine Regelung über die Zuständigkeit zum Erlass des
Widerspruchsbescheids auch nicht geeignet, Entscheidungen und Dispositionen
herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei Änderung der Rechtslage als
nachteilige erweisen. Der Zulässigkeit der Rückwirkung steht auch nicht entgegen, dass
zum Zeitpunkt der Verkündung von § 4a AGSGG NRW das Verwaltungsverfahren mit
Erlass des Widerspruchsbescheids bereits abgeschlossen war und das BVerfG es für
einen wesentlichen Umstand hält, ob zum Zeitpunkt der Änderung bereits ein rechtlich
abgeschlossenes Verfahren vorlag. Zwar endet das Widerspruchsverfahren und damit
auch die Entscheidungskompetenz der Widerspruchsbehörde rein formal betrachtet mit
dem Erlass des Widerspruchsbescheids. Indes ist das Widerspruchsverfahren nur ein
Teil des einheitlichen Verwaltungsverfahrens, gibt es eine Vielzahl von Vorschriften
über das Verwaltungsverfahren, die in ein erstinstanzliches Gerichtsverfahren
hineinwirken - etwa §§ 41, 42 SGB X – und ist der Streitgegenstand des
abgeschlossenen Verwaltungs- und des beginnenden Gerichtsverfahrens – der
angefochtene Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid
gefunden hat (§ 95 SGG) – derselbe. Zudem verhindern zunächst der Widerspruch und
dann die Klage, dass die angefochtenen Bescheide bestandskräftig werden (e contr. §
77 SGG) und lassen so einen gewissen Schwebezustand entstehen. Schließlich endet
die Entscheidungskompetenz der Bezirksregierung Münster nur insoweit durch den
Erlass des Widerspruchsbescheids, als sie als Widerspruchsbehörde handelt. Als
Aufsichtsbehörde kann sie der den Gerichtsprozess führenden Ausgangsbehörde
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weiterhin Anweisungen bei der Erfüllung der Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung
geben. Bei einer Gesamtbetrachtung der prozessualen Situation des Klägers und unter
Berücksichtigung der Bedeutung und Auswirkung der rückwirkenden Änderung der
betroffenen Verfahrensposition für die Betroffenen steht das rein formale Ende des
Verwaltungsverfahrens der Zulässigkeit der Rückwirkung von § 4a AGSGG NRW
deshalb ebenfalls nicht entgegen.
II.
37
Die angefochtenen Bescheide sind auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.
Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB.
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Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte GdB-Anhebung ist § 48 Abs.1 des
Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) in Verbindung mit § 69 des Neunten
Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX).
39
Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die
Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei
seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine
solche liegt bei einer Behinderung vor, wenn bei dem Vergleich des bestandskräftig
festgestellten Gesamt-GdB mit dem aktuellen Gesamt-GdB eine Abweichung von
mindestens 10 besteht (Gregarek in: Jahn, SGB X, Stand Januar 2008, § 48 SGB X, Rn
22). Gem. § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt die zuständige Behörde auf Antrag des
behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Danach
muss die Behörde im Falle einer wesentlichen Änderung im Sinne einer
Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines behinderten Menschen auch die in
einem bestandskräftigen Bescheid enthaltene Feststellung des GdB mit Wirkung für die
Zukunft aufheben (§ 48 SGB X) und den nunmehr infolge der Änderung zutreffenden
GdB mittels eines neuen Bescheides feststellen (§ 69 SGB IX).
40
Eine (Neu-)Feststellung nach diesen Vorschriften kommt hier allerdings nicht in
Betracht. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist es nicht erwiesen, dass
eine wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs.1 SGB X eingetreten und der GdB
des Klägers ab dem 06.04.2006 mit mindestens 50 festzustellen ist.
41
Dass sich eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers
nicht objektivieren lässt, geht zu seinen Lasten und führt zur Abweisung seiner Klage.
Denn sofern eine bestimmte Tatsache nach Ausschöpfung aller
Ermittlungsmöglichkeiten nicht festgestellt werden kann, trägt nach dem Grundsatz der
objektiven Beweislast jeder die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend
gemachten Anspruch begründen, (Leitherer, in: Mayer-Ladewig, SGG-Kommentar, 9.
Auflage 2008, § 103 Rn 19a m.w.N.). Hier konnte eine Beweislastentscheidung
ergehen, denn das Gericht hat alle Ermittlungen angestellt, die es im Rahmen der
Amtsermittlung durchführen konnte und musste, ohne dass eine wesentliche
Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Klägers zu beweisen war.
Deshalb trug der Kläger die Beweislast für eine Verschlechterung seiner
Gesundheitssituation als Voraussetzung für den Anspruch auf Feststellung eines
höheren GdB, so dass sich die Nichterweislichkeit dieser Tatsache zu seinen Lasten
auswirkt.
42
Der Beweis einer wesentlichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des
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Klägers konnte durch die vom Kläger eingereichten Unterlagen nicht erbracht werden.
Die Befundberichte des Dr. xxx vom 28.06.2007 und vom 13.11.2007 enthalten nur
Diagnosen ("Spannungskopfdruck, Migräne ohne Aura"), jedoch keine Befunde, die die
Einordnung der Erkrankungen anhand der insoweit maßgeblichen
Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG) zuließe. Dazu wären insbesondere
Angaben über Häufigkeit und Dauer der Anfälle sowie die Ausprägung der
Begleiterscheinungen notwendig gewesen (vgl. Teil B. Ziff. 2.3 VmG). Diese Angaben
lassen sich auch nicht durch die Einschätzung des Dr. xxx im Befundbericht vom
02.07.2007 ersetzen, der Kläger könne aufgrund seiner neurologischen Erkrankungen
nur zwei bis drei Stunden pro Tag arbeiten. Denn die Frage der (geminderten)
Erwerbsfähigkeit enthält keinerlei Festlegung für das Schwerbehindertenrecht, bei dem
es nicht auf die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben ankommt, sondern auf
die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen (vgl. Teil
B. Ziff. 2 lit.a VmG). Hinzu kommt, dass die Befundberichte des Dr. xxx vom 28.06.2007
und vom 13.11.2007 keinen Rückschluss auf die aktuelle gesundheitliche Situation des
Klägers zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl.
Keller, in: Mayer-Ladewig, aaO., § 54 Rn 34) zulassen. Einen solchen Rückschluss
erlaubt auch das vom Kläger eingereichte Rezept vom 23.07.2009 nicht. Denn es
enthält keinerlei Angaben darüber, wie das verordnete Medikament einzunehmen ist –
dauerhaft zur Vorbeugung, bei Bedarf bzw. Auftreten eines Anfalls, etc. – und wie lange
der Kläger mit der verordneten Menge auskommt.
Weitere Ermittlungen – in Frage kamen Einholung von Befundberichten, Beiziehung von
Akten aus anderen laufenden oder abgeschlossenen Verfahren,
Sachverständigengutachten nach ambulanter Untersuchung bzw. nach Aktenlage -
konnte und musste das Gericht nach Überzeugung der Kammer nicht durchführen.
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Sofern die Einholung von Befundberichten, Beiziehung von Akten aus anderen
laufenden oder abgeschlossenen Verfahren sowie ein Sachverständigengutachten
nach ambulanter Untersuchung in Rede standen, hat der Kläger trotz mehrfacher
Anfragen des Gerichts – unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten und den
Grundsatz der objektiven Beweislast – die notwendigen Mitwirkungshandlungen
abgelehnt: Weder hat er seine Ärzte von der Schweigepflicht entbunden, noch sein
Einverständnis in die Beiziehung von Akten erteilt oder sich bereit gefunden, sich
ambulant untersuchen zu lassen. Damit hat er die ihm obliegende Pflicht zur Mitwirkung
bei den Ermittlungen (§ 103 Satz 1 2. Halbsatz SGG) verletzt, denn sowohl die Abgabe
der Schweigepflichtentbindungserklärung als auch eine ambulante Untersuchung
waren dem Kläger zumutbar. Gegenteiliges hat der Kläger auch gar nicht vorgetragen,
sondern nur dargelegt, dass die vorhandenen medizinischen Unterlagen seinen
Anspruch ausreichend begründen und er seiner Mitwirkungspflicht bereits im
Verwaltungsverfahren hinreichend nachgekommen sei.
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Ein Gutachten nach Aktenlage musste das Gericht nicht einholen. Zwar entbindet die
Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Klägers das Gericht nicht von seiner
Amtsermittlungspflicht und muss das Gericht trotz fehlender Mitwirkung versuchen,
weitere erforderliche Ermittlungen selbst anzustellen, soweit sie nach Zeit- und
Kostenaufwand nicht unverhältnismäßig sind (Leitherer, in: Mayer-Ladewig, aaO., § 103
Rn 17 m.w.N.). Die Amtsermittlungspflicht reicht aber auch in diesen Fällen nur so weit,
wie das Gericht sich auf Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung
gedrängt fühlen muss, weitere Ermittlungen anzustellen (Leitherer, in: Mayer-Ladewig,
aaO., § 103 Rn 20 m.w.N.). Zwar hat das Gericht versucht, den Kläger von seiner schon
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mehrfach schriftsätzlich erläuterten Auffassung zu überzeugen, dass die vorliegenden
Unterlagen für ein Gutachten nach Aktenlage nicht ausreichen und eine ambulante
Begutachtung erforderlich sei, indem es einem Sachverständigen die Frage gestellt hat,
ob allein anhand der vorhandenen medizinischen Unterlagen ein Gutachten nach
Aktenlage gefertigt und der GdB des Klägers festgestellt werden könne. Nachdem der
Kläger aber auch mit diesem Ermittlungsschritt des Gerichts nicht einverstanden war,
konnte es auch auf die Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage verzichten. Denn
insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass die allein dem Gericht vorliegenden
Befundberichte aus dem Jahr 2007 stammen, aktuelle Angaben zum
Gesundheitszustand des Klägers nicht vorliegen und – wegen der Weigerung des
Klägers, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken – auch nicht zu beschaffen
waren, musste sich die Kammer zur Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage nicht
gedrängt fühlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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