Urteil des SozG Dortmund vom 09.06.2010

SozG Dortmund (mutter, seminar, teilnahme, veranstaltung, sgg, verhandlung, antrag, schule, begründung, schüler)

Sozialgericht Dortmund, S 29 AS 209/08
Datum:
09.06.2010
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
29. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 29 AS 209/08
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2007 verurteilt, die
Kosten des Seminars Streitschlichtung vom 23.02.2007 bis zum
25.02.2007 in Höhe von 90,00 Euro zu übernehmen. Die Beklagte trägt
die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die
Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist die Übernahme der Kosten der Teilnahme an einem Bildungsseminar im
Rahmen einer schulischen Arbeitsgemeinschaft.
2
Die am xxx geborene Klägerin bezog in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und ihrem
Bruder in den Jahren 2007 und 2008 Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Beklagten. Sie war Schülerin der Gesamtschule
Gartenstadt der Stadt xxx und nahm dort an einer klassenübergreifenden Ausbildung im
Bereich Mediation/Streitschlichtung teil. Im Rahmen dieser Ausbildung fand von Freitag,
dem 23.02.2007 bis Sonntag, dem 25.02.2007 ein Seminar im xxx statt.
3
Am 02.02.2007 beantragte die Mutter der Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der
durch die Teilnahme entstehenden Kosten in Höhe von 90,00 Euro. Diese lehnte den
Antrag mit Bescheid vom 20.02.2007 mit der Begründung ab, die Kosten des
außerschulischen Seminars seien durch den Regelsatz abgedeckt. Die Mutter der
Klägerin legte hiergegen am 23.03.2007 Widerspruch ein und gab an, noch am
22.02.2007 habe ihr eine Mitarbeiterin der Beklagten auf telefonische Nachfrage
zugesichert, die Kosten würden direkt an den Lehrer überwiesen. Im Vertrauen hierauf
habe sie ihre Tochter teilnehmen lassen. Auch habe es sich nicht um eine
außerschulische Veranstaltung gehandelt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Bescheid vom 30.07.2007, gerichtet an die Mutter der Klägerin, als unbegründet zurück.
Sie vertrat den Standpunkt, dass es sich bei dem Seminar nach den Richtlinien für
Schulwanderungen und Schulfahrten nicht um eine Klassenfahrt handele.
4
Hiergegen richtet sich die am 24.08.2007 bei Gericht eingegangene, von der Mutter der
5
Klägerin im eigenen Namen erhobene Klage. Zur Begründung wird geltend gemacht, es
habe sich um einen jahrgangs- und klassenverbandsübergreifenden Projektkurs der
Schule gehandelt, so dass das Seminar eine schulische Veranstaltung gewesen sei.
Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe ist das Rubrum
dahingehend abgeändert worden, dass nicht die Mutter der Klägerin, sondern diese
selbst im Rubrum als Klägerin zu führen ist. Hierdurch bedingt hat beim Sozialgericht
Dortmund ein Zuständigkeitswechsel von der 28. Kammer auf die 29. Kammer
stattgefunden.
6
Im Februar 2008 fand ein weiteres Seminar "Training zur Streitschlichtung und
Konfliktbearbeitung" statt, wofür die Klägerin ebenfalls die Kostenübernahme
beantragte. Gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten (Bescheid vom
14.02.2008 und Widerspruchsbescheid vom 05.06.2008) hat die Klägerin am
13.06.2008 Klage erhoben. Das Gericht hat beide Verfahren unter dem diese Klage
betreffenden Aktenzeichen zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung verbunden.
7
In der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtige der Klägerin darauf
hingewiesen, dass diese an dem im Jahr 2008 durchgeführten Seminar aus
Kostengründen nicht teilgenommen hat und hat die unter dem Aktenzeichen S 29 AS
209/08 erhobene Klage für erledigt erklärt.
8
Die Klägerin beantragt,
9
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.02.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30.07.2007 zu verurteilen, die Kosten für das
Bildungsseminar Streitschlichtung vom 23.02.2007 bis 25.02.2007 zu übernehmen.
10
Die Beklagte beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Sie hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie den der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten
ergänzend Bezug genommen.
14
Entscheidungsgründe:
15
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtene
Entscheidung der Beklagten, nämlich die Ablehnung der Kostenübernahme für das im
Jahr 2007 durchgeführte Streitschlichtungsseminar, im Sinne von § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn sie hat Anspruch auf Übernahme dieser
Kosten nach dem SGB II.
16
Gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 3 SGB II sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im
Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst. Sie
werden gesondert erbracht. Die Klägerin erfüllt die gesetzlichen
Anspruchsvoraussetzungen, denn zum einen hat sie an einer mehrtägigen
Veranstaltung teilgenommen und zum anderen hat es sich um eine Klassenfahrt im
17
Sinne der gesetzlichen Vorschriften gehandelt. Der Begriff der Klassenfahrt ist
gesetzlich nicht definiert, festgelegt ist lediglich, dass es sich um eine Klassenfahrt im
Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen handeln muss (Beschluss des
Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25.06.2009 - L 1 B 40/08 AS -). Die
Richtlinien für Schulwanderungen und Schulfahrten (Wanderrichtlinien - WRL-) des
Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 19.03.1997 (GABl NW I. S 101)
bestimmen zwar unter Ziffer 4.2, dass Schulwanderungen und Schulfahrten
Schulveranstaltungen sind, die grundsätzlich im Klassenverband bzw. im Kursverband
durchgeführt werden und deren Teilnahme für Schülerinnen und Schüler verpflichtend
ist. Dies könnte gegen die Einordnung der klassen- und kursübergreifend
durchgeführten Streitschlichtungsseminare als Schulfahrt bzw. Klassenfahrt sprechen.
Andererseits können gemäß Ziffer 2.6 der Richtlinien aber auch Veranstaltungen zu
einzelnen Unterrichtsbereichen - z. B. religiöse Freizeiten, Seminare zur Sucht- und
Drogenvorbeugung, Schulorchesterfreizeiten, Veranstaltungen zur Berufsorientierung,
Schullandheimaufenthalte mit sportlichem Schwerpunkt - Gegenstand von
Schulwanderungen und Schulfahrten sein. Dabei ist es für ein Schulorchester geradezu
charakteristisch, dass dieses sich nicht aus Schülern eines bestimmten Klassen- oder
Kursverbandes zusammensetzt, sondern dass sich in ihm Schüler der verschiedensten
Klassen und Jahrgangsstufen zusammenfinden. Nach Auffassung der Kammer spricht
daher nichts dagegen, die Teilnahme an dem Streitschlichtungsseminar genauso wie
die Teilnahme an einer Schulorchesterfreizeit als Schulfahrt im Sinne der Richtlinien
anzusehen, zumal die Mitwirkung in einem Schulorchester genauso freiwillig stattfindet
wie der Besuch eines Streitschlichtungskurses. Auch rein formal spricht nichts gegen
die Einordnung als Schulfahrt, denn dass es sich bei dem Bildungsseminar um eine
Veranstaltung nach den WRL handelte, ist von der Schulleiterin durch ihre Unterschrift
bestätigt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
18
Die Berufung hat die Kammer zugelassen, weil sie der Angelegenheit im Hinblick auf
die Vielfalt der möglichen schulischen Veranstaltungen und der bisher eher spärlichen
Rechtssprechung zur Definition des Begriffes "Klassenfahrt" im Sinne des § 23 Abs. 3
SGB II grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 144 Abs. 2 Ziffer 1 SGG).
19