Urteil des SozG Dortmund vom 06.11.2003

SozG Dortmund: genehmigung, durchschnitt, abrechnung, rücknahme, rka, versorgung, befreiung, vertrauensschutz, rechtswidrigkeit, rechtsgrundlage

Sozialgericht Dortmund, S 14 KA 126/01
Datum:
06.11.2003
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 14 KA 126/01
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 6 KA 14/04 R
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Tatbestand:
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Streitig ist, die teilweise Aufhebung von Honorarbescheiden und die Rückforderung von
Honorarbestandteilen.
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Mit Bescheid vom 08.03.2001 hob die Beklagte den Honorarbescheid für das Quartal
3/2000 teilweise auf und forderte 26.134,34 DM Honorar vom Kläger zurück.
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Im Bescheid führte die Beklagte hierzu aus:
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Die Abrechnungen der Quartale 4/1998 bis 2/2000 seien zwischenzeitlich korrigiert
worden. Der Rückzahlungsbetrag, der sich aus den entsprechenden Korrekturen ergab,
sei im Rahmen eines Vergleiches mit dem Kläger vereinbart worden. Die Abrechnung
des Quartals 3/2000 werde im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung für
diese Quartalsabrechnung ebenfalls korrigiert. Im Rahmen der Honorarberichtigung für
die Quartale 4/1998 bis 2/2000 sei jeweils von der durchschnittlichen Fallzahl der
Fachgruppe des Klägers (Allgemeinärzte) ausgegangen worden. Außerdem sei der
klägerischen Praxis ein Zuschlag von 80 % auf diesen Wert zugebilligt worden. Seit
dem 01.07.2000 sei Frau Nina Haag als Weiterbildungsassistentin ganztags in der
Praxis des Klägers beschäftigt. Im Quartal 3/2000 habe der Kläger 2.423
budgetrelevante Fälle abgerechnet. Die Durchschnittsfallzahl der Allgemeinärzte habe
in diesem Quartal 948 Fälle betragen. Zuzüglich eines 80 %igen Aufschlages, sei der
Praxis des Klägers eine Fallzahl von 1.706 Fällen zuzuerkennen. Da sich die Fallzahl
im Quartal 3/2000 im Rahmen der abgerechneten Fallzahlen der Quartale 4/1998 bis
2/2000 bewegten und sich keine erheblichen Veränderungen bezüglich der angeführten
Leistungsziffern ergäben, sei davon auszugehen, dass auch aus diesem Quartal
Tagesarbeitszeiten der Weiterbildungsassistentin von bis zu 20 Stunden resultierten.
Das bestätige die Auffassung, dass die Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin der
Aufrechterhaltung eines überdurchschnittlichen Praxisumfanges diene.
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Dies bestritt der Kläger mit dem fristgerecht eingelegten Widerspruch und führte
außerdem aus: Das Honorar dürfe nicht gekürzt werden, weil die Leistungen - auch
unter Mitarbeit der Weiterbildungsassistentin - ordnungsgemäß erbracht worden seien.
Der Hinweis der Beklagten auf die übergroße Praxis habe keine Bedeutung, weil sie
den Einsatz der Weiterbildungsassistentin genehmigt habe.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2001 zurück.
Sie begründet dies damit, dass der Praxis des Klägers ein Zuschlag über dem
Durchschnitt der Fachgruppe von 80 % zugebilligt worden sei. Die Praxis sei damals
noch eine Gemeinschaftspraxis gewesen, der nach § 101 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V
(SGB V) lediglich ein Zuschlag in Höhe von 3 % vom Durchschnitt der Fachgruppe
zugestanden hätte. Das Ausscheiden des ehemaligen Gemeinschaftspartners habe
nicht - wie erwartet - zum Rückgang der Fallzahl geführt. Daraus könne nur der Schluss
gezogen werden, dass die Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin zur
Aufrechterhaltung der hohen Fallzahlen diene. Das verstoße gegen die Vorschrift des §
32 Abs. 3 der Zulassungsordnung für Vertragsärzte (ZV-Ärzte) und rechtfertige die
Honorarrückforderung.
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Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 13.07.2001 Klage erhoben und
während des anhängigen Verfahrens die Klage um die Honorarrückbehaltungen aus
den Quartalen 4/00, 1/01 und 4/01 erweitert.
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Er trägt vor: Die Beklagte könne die Honorarrückforderung nicht auf § 32 ZV-Ärzte
stützen. Hierfür biete diese Vorschrift keine Ermächtigungsgrundlage. Aus dem
Charakter der Vorschrift könne sich nur die Frage stellen, ob die Beklagte die
Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin hätte genehmigen dürfen. Das habe die
Beklagte aber getan, und zwar in Kenntnis der Größe seiner Praxis.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 08.03.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 30.05.2001 und die Bescheide vom 23.04.2001 und vom
16.04.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die einbehaltenen Gelder an
den Kläger auszuzahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor: Aus dem Umfang einer Zweierpraxis könne nicht das Recht abgeleitet
werden, dass diese auch von dem verbliebenen Einzelarzt ausgefüllt werden könne,
und zwar auch nicht bei Beschäftigung einer Weiterbildungsassistentin. Die
Genehmigung der Weiterbildungsassistentin beinhalte nicht die Genehmigung für einen
übergroßen Praxisumfang.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Rechtsvortrages der Beteiligten wird
auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig.
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Sie ist auch statthaft in Hinblick auf die Erweiterung des Klageantrages auf die
Aufhebung der Honorarbescheide für die Quartale 4/2000, 1/2001 und 2/2001. Diese
Erweiterung ist auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, weil es sich hierbei nur um eine Erweiterung
des Klageantrages (§ 99 Abs. 3 Zif. 2 SGG) und nicht um eine Klageänderung handelt.
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Die Klage ist aber unbegründet.
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Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 08.03.2001 (Quartal
3/00) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2001 sowie die
Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom 24.04.2001 (Quartal 4/00), vom
24.07.2001 (Quartal 1/01) und vom 16.04.2002 (Quartal 2/01) sind rechtmäßig und
beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG.
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Zu Recht ist der Kläger der Auffassung, dass der § 32 der ZV-Ärzte nicht die
Anspruchsgrundlage für die (Teil-)Aufhebung der Honorarbescheide für die
streitbefangenen Quartale ist.
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Rechtsgrundlage hierfür sind die §§ 45 Abs. 2 des Bundesmantelvertrages Ärzte und 34
Abs. 4 des Bundesmantelvertrages Ärzte (Ersatzkassen). In diesen Bestimmungen heißt
es ungefähr gleichlautend:
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Der Kassenärztlichen Vereinigung obliegt die Prüfung der von den Vertragsärzten
vorgelegten Abrechnungen hinsichtlich ihrer sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Sie
berichtigt die fehlerhaften Honorarforderungen der Ärzte.
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Die Einbindung dieser Bestimmungen in die normsetzenden Bundesmantelverträge
bedeutet, dass sie verbindlich sind für die Vertragsärzte sowie für die Kassenärztlichen
Vereinigungen. § 45 Abs. 2 und § 34 Abs. 4 der Bundesmantelverträge sind
Sondervorschriften für die Aufhebung von Verwaltungsakten, die im Rahmen der
Abrechung vertragsärztlicher Leistungen ergehen. Sie verdrängen die allgemeinen
Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte (§ 45
SGB X).
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Im Rahmen der Prüfung nach den §§ 45 Abs. 2 und 34 Abs. 4 der
Bundesmantelverträge ist in diesem Fall auf § 32 Abs. 3 ZV-Ärzte als materiell-
rechtlicher Hintergrund Bezug zu nehmen.
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Dass die Honorarforderungen für die streitigen Quartale (teilweise) rechtsfehlerhaft sind,
weil die Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin zur Aufrechterhaltung einer
übergroßen Praxis gedient hat (§ 32 Abs. 3 ZV-Ä), ist auch die Auffassung des Gerichts.
Die Beklagte hat nachgewiesen, dass trotz Einräumung erheblicher Toleranzen die
Fallzahl der klägerischen Praxis weit im überdurchschnittlichen Bereich liegt und sich
die hohen Fallzahlen nach dem Ausscheiden des Gemeinschaftspartners nicht
verringert haben. Daher ist der Schluss zwingend, dass statt des Gemeinschaftspartners
nunmehr die Wei- terbildungsassistentin die Versorgung der vielen Patienten mit
übernommen hat, was § 32 Abs. 3 ZV-Ärzte gerade verhindern will.
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Bei Betrachtung der Differenz zwischen der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe
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und der Fallzahl der klägerischen Praxis besteht kein Zweifel, dass es sich um eine
übergroße Praxis handelt. Das Bundessozialgericht hat eine Praxis als übergroß
angesehen, die zweieinhalb so viel Scheine abgerechnet hatte wie die
Vergleichspraxen (BSG Urteil vom 29.10.1963, Az: 6 Rka 7/61). Im Fall der klägerischen
Praxis wird diese Differenz erreicht. Das ergibt sich aus dem Verhältnis zwischen der
durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe von 948 budgetrelevanten Fällen und der
entsprechenden Fallzahl der klägerischen Praxis von 2.423 abgerechneten Fällen.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagte in Kenntnis seiner
großen Praxis die Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin genehmigt habe und
deshalb den Umfang der Praxis akzeptieren müsse. Die Genehmigung ist erfolgt, weil
die Voraussetzungen hierfür in der Person der Weiterbildungsassistentin gegeben
waren. Sie beinhaltet nicht die Befreiung von Fallzahlbegrenzungsvorschriften oder von
Beschränkungen der Vergütungsvolumina.
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Zwar beruht die Rechtsfehlerhaftigkeit der Abrechnung nicht auf einem Fehler im
engeren Bereich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Der Kläger hat nicht die
Bedeutung einer Leistungslegende oder ähnliches verkannt. Die Rechtswidrigkeit der
(teil-) aufgehobenen Honorarbescheide ergibt sich aus der Fallzahlüberschreitung.
Rechtlich kommt dem aber keine Bedeutung zu. Die
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§§ 45 Abs. 2 und 34 Abs. 4 der Bundesmantelverträge gelten nach Auffassung des
Fachsenates des Bundessozialgerichts für alle Unrichtigkeiten der Honorarbescheide
und berechtigen zur Rücknahme der Honorarbescheide, soweit diese dadurch unrichtig
waren (BSG Urteil vom 31.10.2001 - Az: B 6 KA 16/00 R).
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Damit sind die Voraussetzung für die Aufhebung der Honorarbescheide für die streitigen
Quartale gemäß den §§ 45 Abs. 2 und 34 Abs. 4 der Bundesmantelverträge erfüllt. Der
Honorarrückforderung steht keine Vorschrift über einen Vertrauensschutz des
Betroffenen entgegen. § 45 des Sozialgesetzbuches X ist in dieser Fallkonstellation
nicht anwendbar.
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Aus diesen Gründen konnte dem Begehren des Klägers nicht stattgegeben werden. Die
Klage war daher abzuweisen.
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