Urteil des SozG Detmold vom 07.12.2010

SozG Detmold: stadt, jugendhilfe, versorgung, sozialhilfe, unverzüglich, beteiligter, beiladung, rechtskraft, eltern, haushalt

Sozialgericht Detmold
Urteil vom 07.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Detmold S 2 SO 104/10
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 9 SO 26/11
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Aufwendungen für die Elternassistenz zur Betreuung des Kindes K D zu
Gunsten der Frau B D in der Zeit ab 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 in Höhe von 12.424,80 Euro zu erstatten. Die
Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Anschluss an das Verfahren 6 K 1776/06 beim Verwaltungsgericht Minden nun
Kostenerstattung von der Beklagten im Hinblick auf die erbrachten Leistungen der Elternassistenz für eine
schwerstbehinderte Mutter bei der Erziehung ihres Sohnes, zu deren Leistung sie vom Verwaltungsgericht unter dem
Aspekt des zweitangegangenen Reha-Trägers verpflichtet worden ist. Die Beteiligten streiten dabei um die
Abgrenzung von Hilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII und Jugendhilfe nach dem SGB VIII.
Die im Januar 1972 geborene, seit Ende 2008 verheiratete Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer spastischen
Lähmung aller vier Gliedmaßen (Tetraplegie) und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie ist in die Pflegestufe II
eingeordnet. Sie kann nur begrenzte Tätigkeiten im Haushalt erledigen und ist in allen Lebensbereichen auf
Unterstützung angewiesen. Deswegen erhält sie selbst seit Jahren von der Beklagten Leistungen der
Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII. Den übrigen Hilfebedarf (Haushalt, Unterstützung beim Aufstehen, Ankleiden,
Frisieren etc.) deckt ihr als Arbeiter berufstätiger Ehemann. Am 00.04.2009 gebar sie ihren Sohn K. Bereits mit
Schreiben vom 05.03.2009 beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der Kosten der Elternassistenz ab dem
15.07.2009 im Umfang von 10 Stunden werktäglich mit der Begründung, ihr Ehemann werde nach der dreimonatigen
Elternzeit in seinen Beruf zurückkehren und sie werde dann während seiner arbeitstäglichen zehnstündigen
Abwesenheit zur Erfüllung ihrer Rolle als Mutter und zur Versorgung ihres Sohnes auf Grund ihrer körperlichen
Behinderung auf die beantragte Hilfe angewiesen sein. Da es sich um die Deckung ihres Hilfebedarfs bei der
Versorgung ihres Sohnes und nicht eines Hilfebedarfs des Kindes handele, beantrage sie die Kostenübernahme im
Rahmen der Eingliederungshilfe, nicht der Jugendhilfe. Der hiesige Beklagte (LWL = Beigeladener im Verfahren 6 K
1776/09) leitete den Antrag an die hiesige Klägerin (Stadt C = Beklagte im Verfahren 6 K 1776/09) als örtlichen Träger
der Jugendhilfe weiter. Es gehe um die Versorgung des Kindes nicht der Mutter. Die Stadt C sandte den Antrag
umgehend an den LWL zurück, weil sie sich für unzuständig hielt.
Daraufhin beantragten die Eltern D am 26.05.2009 die Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB
VIII. Die Stadt C hielt aus fachlicher Sicht die beantragte Unterstützung für erforderlich, sah hierfür aber den LWL als
Träger nach dem SGB XII in der Pflicht. Der LWL wiederum vertrat die Auffassung, der eigene Hilfebedarf der Mutter
B D sei bereits durch die ihr gewährte Eingliederungshilfe gedeckt. Die jetzt beantragte Hilfe werde von deren Sohn
benötigt, der Hilfe aber nur vom Jugendamt, also von der Stadt C beanspruchen könne. Mit Bescheid vom 23.06.2009
lehnte die Stadt C sowohl den an sie weitergeleiteten Antrag vom 13.03.2009 als auch den am 26.05.2009 bei ihr
direkt gestellten Antrag auf Kostenübernahme für eine "Elternassistenz" mit der Begründung ab, sie sei weder nach
dem SGB VIII unter dem Aspekt der Jugendhilfe zuständig noch sei sie zweitangegangener Reha-Träger. Mit
Schreiben vom 14.04.2007 stellte sie klar, dass die Ablehnung auch einen am 13.07.2009 gestellten Antrag auf
Auszahlung eines Elternbudgets umfasse. Der Antrag auf ein persönliches Budget sei ein Antrag auf eine besondere
Gestaltung der Elternassistenz.
In einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht Minden unter dem
Aktenzeichen 6 L 382/09 vom 31.07.2009 und schließlich durch Urteil vom 25. Juni 2010 im Verfahren 6 K 1776/09,
zu dem der hiesige Beklagte (LWL) beigeladen war, wurde die Stadt C zu näher spezifizierten Leistungen der
Elternassistenz für den Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 verpflichtet. Die Zuständigkeit ergebe sich
unter dem Aspekt des zweitangegangenen Reha-Trägers. Der Anspruch der Mutter B D ergebe sich aus §§ 53 ff. SGB
XII. Auf Seite 8 des Urteils heißt es hierzu: "Der Hilfebedarf besteht im vorliegenden Fall ausschließlich in der Person
der Klägerin und nicht etwa (auch oder gar allein) bei ihrem Kind, worauf die Klägerin bereits in ihrem ersten
Antragsschreiben vom 05.03.2009 ausdrücklich hingewiesen hatte und was die Kammer ausführlich schon im
Beschluss vom 31.07.2009 dargelegt hat; auf jene Ausführungen wird verwiesen." Die Klägerin (Stadt C) hat daraufhin
im Zeitraum vom 18.08.2009 bis zum 14.04.2010 Leistungen in Höhe von 12.424,80 Euro erbracht.
Im hiesigen Klageverfahren begehrt nun die Stadt C als vorläufig in Anspruch genommener Leistungsträger gegenüber
dem beklagten LWL als endgültig verpflichtetem Leistungsträger nach § 102 Absatz 1 SGB X in Verbindung mit § 14
Absatz 4 Satz 1 SGB IX die Erstattung der Leistungen für eine sogenannte Elternassistenz in Höhe der erbrachten
12.424,80 Euro im Zeitraum 18.08.2009 bis 14.04.2010.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr die A(c)ufwendungen für die Elternassistenz zur Betreuung des Kindes K D zu
Gunsten der Frau B D in der Zeit ab 18.08.2009 bis 14.04.2010 in Höhe von 12.424,80 Euro zu erstatten
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zuständig sei die Klägerin unter dem Aspekt der Jugendhilfe. Sie teile die im Verfahren 6 K 1776/09 geäußerte
Rechtsansicht der 6. Kammer des VG Minden nicht. Aus diesem Grunde und weil die mit dem vorliegenden Verfahren
verbundene Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung habe, müsse die Frage höchstrichterlich geklärt werden. Ein
Anspruch behinderter Eltern auf Elternassistenz sei auch Gegenstand einer aktuellen bundespolitischen Diskussion.
Dabei dürfte zwischen den Beteiligten schließlich Einigkeit herrschen, dass der Familie D Ansprüche auf
Unterstützung zustünden. Fraglich sei lediglich, welchem Hilfesystem diese Ansprüche zuzuordnen seien und welcher
Träger damit letztlich für die Kosten aufkommen müsse. Ein jugendhilferechtlicher Anspruch aus § 20 SGB VIII
bestehe zugunsten des Vaters während seiner beruflichen Abwesenheit, weil die Mutter die Betreuung und Versorgung
nicht übernehmen könne.
Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten des
Verwaltungsgerichts Minden zu den Verfahren 6 L 382/09 und 6 K 1776/09, sowie die beigezogenen Verfahrensakten
der Klägerin und der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig, da die Klägerin gegenüber der Beklagten als überörtlichem
Träger der Sozialhilfe in einem Erstattungsverfahren nicht durch Verwaltungsakt handeln kann.
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Erstattungsanspruch
sowohl dem Grunde nach als auch in der geltend gemachten Höhe. Dieser ergibt sich aus § 14 Absatz 4 SGB IX.
Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgetellt, dass ein
anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet gemäß § 14 Absatz 4 SGB IX dieser dem
Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden
Rechtsvorschriften. Für die Frage der sachlichen Zuständigkeit zwischen der Klägerin und dem Beklagten ist hier § 14
SGB IX einschließlich des dort speziell geregelten Erstattungsanspruchs anwendbar. Denn nach § 6 Absatz 1 SGB
IX sind auch die Träger der Jugendhilfe (dort Nr. 6) und die Träger der Sozialhilfe (dort Nr. 7) grundsätzlich Reha-
Träger. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Absatz 1 Satz 1 SGB
IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden
Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist ( ...). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht
zuständig ist, leitet er gemäß § 14 Absatz 1 Satz 2 SGB IX den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung
zuständigen Rehabilitationsträger zu. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt gemäß § 14 Absatz 2 Satz 1 SGB IX
der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Wird der Antrag weitergeleitet, gelten gemäß §
14 Absatz 2 Satz 3 SGB IX die Sätze 1 und 2 für den Rehablilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden
ist, entsprechend. Nach § 14 SGB IX ist also die Klägerin als zweitangegangener Träger hier durch die Weiterleitung
des Reha-Antrags seitens des Beklagten zuständig geworden, wie auch das Verwaltungsgericht Minden bereits
festgestellt hat. Deshalb muss sie die Kosten der Leistung jedoch nicht endgültig tragen, sondern kann vielmehr nach
Maßgabe des § 14 Absatz 4 SGB IX Erstattung verlangen. Die Zuständigkeitsfiktion schützt also den betroffenen
Bürger, der sich mehreren möglichen Reha-Trägern gegenüber sieht, und nicht den tatsächlich zuständigen, seine
Zuständigkeit jedoch verneinenden Reha-Träger. Anderer Leistungsträger im Sinne des § 14 Absatz 4 SGB IX im
Sinne des eigentlich verpflichteten Leistungsträgers bei von Anfang an richtiger Rechtsanwendung ist der hiesige
Beklagte. Dies ergibt sich im vorliegenden Fall zwischen den Beteiligten bereits aus der rechtskräftigen Entscheidung
des Verwaltungsgerichts Minden zum Aktenzeichen 6 K 1776/09. Jenes Verfahren hat zwar als dortige Klägerin die
Leistungsempfängerin B D gegen die Stadt C als dortige Beklagte angestrengt und die Rechtskraft eines Urteils wirkt
grundsätzlich nur zwischen den Beteiligten. Der LWL als hiesiger Beklagter war im dortigen Verfahren jedoch ebenfalls
Beteiligter. Denn zu dem dortigen Verfahren ist der hiesige Beklagte gemäß § 65 VwGO beigeladen worden. Der Sinn
und Zweck der Beiladung besteht gerade darin, die Rechtskraft auf den Beigeladenen zu erstrecken, indem der
betroffene Dritte im Wege der Beiladung in die Position eines Verfahrensbeteiligten gesetzt wird. Und rechtskräftige
Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, gemäß § 121 VwGO die Beteiligten und ihre
Rechtsnachfolger. Beteiligter im Sinne des § 121 VwGO ist auch der Beigeladene. Das Verwaltungsgericht hat im
dortigen Verfahren auch materiell über den Streitgegenstand entschieden; anders wäre es nur, wenn das Urteil
unvollständig wäre oder aber die Klage bereits an Zulässigkeitsvoraussetzungen gescheitert wäre, so dass eine
Entscheidung in der Sache nicht möglich gewesen wäre. Beides ist nicht der Fall. Zur materiellen Anspruchsgrundlage
des Leistungsempfängers führt das Verwaltungsgericht Minden im Urteil 6 K 1776/09 des genannten Verfahrens
vielmehr aus, die Zuständigkeit der Stadt C für die vorläufige Leistungspflicht ergebe sich unter dem Aspekt des
zweitangegangenen Reha-Trägers. Der Anspruch der Mutter B D als dortiger Klägerin und Leistungsempfängerin
ergebe sich jedoch "aus §§ 53 ff. SGB XII", also den Normen der Eingliederungshilfe und nicht etwa aus den
Bestimmungen des SGB VIII über die Jugendhilfe. Auf Seite 8 des genannten Urteils heißt es hierzu: "Der Hilfebedarf
besteht im vorliegenden Fall ausschließlich in der Person der Klägerin und nicht etwa (auch oder gar allein) bei ihrem
Kind, worauf die Klägerin bereits in ihrem ersten Antragsschreiben vom 05.03.2009 ausdrücklich hingewiesen hatte
und was die Kammer ausführlich schon im Beschluss vom 31.07.2009 dargelegt hat; auf jene Ausführungen wird
verwiesen." Somit ist bereits im Verfahren 6 K 1776/09 rechtskräftig entschieden worden, dass der Anspruch der Frau
B D ein solcher der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe ist und es nicht etwa um einen Anspruch des Sohns K
auf jugendhilferechtliche Leistungen geht. Die Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum erbrachten Leistungen von
12.424,80 Euro ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Das Gericht hatte ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass
Leistungen in anderer Höhe oder gar nicht erbracht worden wären. Vielmehr entspricht der Betrag von 12.424,80 Euro
genau dem Betrag, zu dessen Leistung die hiesige Klägerin und dortige Beklagte (die Stadt C) im dortigen Verfahren
vor dem VG Minden gegenüber der dortigen Klägerin verpflichtet worden ist, wie sich bereits aus dem dortigen Tenor
des Urteils ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Absatz 1 VwGO, wonach der unterliegende
Teil die Kosten des Verfahrens trägt.