Urteil des SozG Detmold vom 21.10.2010

SozG Detmold (teilnahme, versicherungsschutz, tätigkeit, kläger, veranstaltung, unfallversicherung, abteilung, charakter, arbeitsunfall, sport)

Sozialgericht Detmold, S 14 U 152/08
Datum:
21.10.2010
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 14 U 152/08
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 17 U 678/10
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Anerkennung eines Unfalles als Arbeitsunfall.
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Der am 00.00.1978 geborene Kläger war seit September 2004 Student der Katholischen
Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn.
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Nach der Unfallanzeige dieser vom 19.09.2007 verdrehte er sich im Rahmen der
Teilnahme als Spieler an einem Fußballturnier am 19.06.2007 das linke Knie und erlitt
dabei einen Riss des vorderen Kreuzbandes. An diesem Fußballturnier, welches
alljährlich in langjähriger Tradition an einer der vier Abteilungen der Fachhochschule
(Aachen, Köln, Münster, Paderborn) stattfindet und vom allgemeinen
Studentenausschuss (AStA) der Fachhochschule Abteilung Paderborn in
Zusammenhang mit den AStA der anderen Abteilungen organisiert wurde, nahmen im
konkreten Falle nach Auskunft des AStA ca. 60 Studenten aktiv teil, zuzüglich 15
Mitgliedern des AStA sowie des Studentenparlaments; die Kosten der Veranstaltung
wurden aus dem Etat des AStA der ausrichtenden Abteilung übernommen, die
Sportstätte, ein Kunstrasenplatz, kostenlos von der Stadt Paderborn überlassen.
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Mit Bescheid vom 14.01.2008 lehnte die Beklagte eine Anerkennung eines
Arbeitsunfalles mit der Begründung ab, das Fußballturnier sei weder eine Veranstaltung
im Rahmen des allgemeinen Hochschulsportes gewesen, noch sei der Kläger im
Unfallzeitpunkt einer studienbezogenen Tätigkeit nachgegangen; vielmehr trage das
Turnier den Charakter einer Freizeitveranstaltung. Mit dem hiergegen erhobenen
Widerspruch machte der Kläger geltend, das Fußballturnier sei fester Bestandteil des
Hochschulprogrammes; es sei im Übrigen neben dem normalen Vorlesungsbetrieb
abgehalten worden und sei von der hochschulbezogenen Institution AStA organisiert
worden; an der Veranstaltung hätten auch ausschließlich Studenten und Dozenten
teilgenommen. Es handele sich um eine offizielle Hochschulveranstaltung unter Leitung
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hochschulbezogener Institutionen, so dass ein Arbeitsunfall vorläge. Mit
Widerspruchsbescheid vom 08.07.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück;
zwar falle unabhängig vom jeweiligen Studienfach auch die Teilnahme am allgemeinen
Hochschulsport unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, erforderlich sei
jedoch dass das Sportangebot den Charakter einer offiziellen Hochschulveranstaltung
besäße, von der Hochschule selbst oder einer hochschulbezogenen Institution
durchgeführt werde und die Sportausübung innerhalb des organisierten
Übungsbetriebes während festgesetzter Zeiten und unter Leitung eines Übungsleiters
stattfände; in diesem Sinne gehöre das Fußballturnier nicht zum regelmäßigen
Sportprogamm, da es sich um eine Veranstaltung handele, die einmal jährlich bzw. alle
vier Jahre von der Abteilung in Paderborn ausgerichtet werde; gegen die Annahme von
Versicherungsschutz spräche im Übrigen der Wettkampfcharakter des Turniers sowie
der damit verbundene persönliche sportliche Ehrgeiz, sich mit anderen Studenten zu
messen, demgegenüber allgemeinen Gesichtspunkten wie Geselligkeit, Integration bzw.
Schaffung gesundheitlichen Ausgleichs zu Belastungen des Studiums nur nachrangige
Bedeutung zukomme.
Hiergegen richtet sich die am 21.07.2008 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein
Begehren weiter verfolgt. Er macht geltend, das Fußballturnier habe im normalen
Lehrbetrieb stattgefunden und sei zumindest wie eine Hochschulsportveranstaltung
durchgeführt worden. Grundlage der Teilnahme am Fußballturnier sei die Teilnahme am
allgemeinen Hochschulsport, insoweit er seit Beginn seines Studiums an der Fußball-
Volleyball- und Badminton-AG, welche als ergänzende Lehrveranstaltungen im
Vorlesungsverzeichnis aufgeführt seien, teilgenommen habe; dabei sei seine
Teilnahme in den ersten Semestern regelmäßig gewesen, wohingegen er zur Zeit des
Turniers sich im Praxissemester befunden habe und von daher seine Teilnahme eher
unregelmäßig stattgefunden habe, weshalb er auch ein zusätzliches Angebot zur
Vorbereitung auf das Fußballturnier aus zeitlichen Gründen nicht habe wahrnehmen
können. Zumindest unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen
Gemeinschaftsveranstaltung sei die Teilnahme am Turnier unfallversichert gewesen.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.07.2008 festzustellen, dass der Unfall vom 19.06.2007
ein Arbeitsunfall war.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie macht zunächst die Ausführungen ihrer Verwaltungsentscheidungen zum
Gegenstand ihrer Klageerwiderung und bekräftigt ihre Auffassung,
Unfallversicherungsschutz sei nicht zu begründen; die bloße zeitliche
Deckungsgleichheit mit normalem Lehrbetrieb vermöge dem Turnier nicht den
Charakter einer Hochschulveranstaltung zu verleihen. Dass es sich nicht um eine
Veranstaltung allgemeinen Hochschulsports gehandelt habe, ergäbe sich im Übrigen
aus der im Turniercharakter und dem jährlichen Abstand der Veranstaltung bzw. deren
Nichtaufnahme in das Vorlesungsprogramm. Abgesehen davon habe das
Bundessozialgericht (BSG) hinsichtlich Versicherungsschutz bei Teilnahme am
Betriebssport seine frühere Auffassung ausdrücklich revidiert und konstatiert, eine
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Ausdehnung des Versicherungsschutzes auch auf gelegentliche Turniere bzw.
Wettkämpfe mit anderen Betriebssportgemeinschaften sei durch triftige sachliche
Gründe nicht mehr gerechtfertigt. Ebensowenig sei Versicherungsschutz unter dem
Aspekt der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung zu
begründen, sollten die entsprechenden Grundsätze überhaupt anwendbar sein; keine
Gemeinschaftsveranstaltungen seien nämlich solche, die rein sportlichen Charakter
hätten und nur einen begrenzten Kreis der Beschäftigten ansprächen.
Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren
Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten
verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs.
1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- statthafte Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Die Beklagte hat mit Bescheid vom 14.08.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.07.2008 es zu Recht abgelehnt, den Unfall des
Klägers vom 19.06.2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Hierdurch ist der Kläger nicht
in seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
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Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des 7. Buches Sozialgesetzbuch -SGB VII-
Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6
begründenden Tätigkeit. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist danach in der
Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem der Unfall sich
ereignete, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche
Zurechnungszusam-menhang zwischen versicherter Tätigkeit und der Verrichtung zur
Zeit des Unfalles ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige
Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der
gesetzlichen Unfallversicherung reicht.
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Im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und unter
Versicherungsschutz steht seit der grundlegenden Entscheidung des BSG vom
28.11.1961 (BSGE 16, 1, 3) der Betriebssport unter bestimmten Voraussetzungen;
sportliche Betätigungen nämlich, die einen Ausgleich für die Betriebsarbeit bezwecken,
dienen nicht nur den persönlichen Interessen des Beschäftigen, sondern wesentlich
auch denen des Unternehmens und sind insoweit der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen. Nach der weiteren Entscheidung des BSG vom 28.08.1968 (BSGE 28,
204) gilt entsprechendes für Lernende bzw. Studenten; der Versicherungsschutz gemäß
§ 2 Abs. 1 Nr. 8 c SGB VII umfasst insoweit nicht nur alle unmittelbar studienbezogenen
Tätigkeiten, sondern auch die Teilnahme am allgemeinen Hochschulsport.
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Voraussetzung für die Annahme versicherten Betriebssportes ist, dass der Sport
Ausgleichs -und nicht Wettkampfcharakter hat, dem Sinne der Leibesübungen
entsprechend die sportliche Betätigung mit Regelmäßigkeit stattfindet und der
Teilnehmerkreis im Wesentlichen auf Angehörige des Unternehmens (hier Mitglieder
der Hochschule im Sinne von Hochschulbeschäftigten und Studierenden - vgl. hierzu
Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27.04.2006 - Az ... L 2 U 238/05)
beschränkt ist.
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Diese Voraussetzungen sind zwar hinsichtlich der Teilnahme an den im
Vorlesungsverzeichnis als ergänzende Lehrveranstaltungen aufgeführten Sport-
Arbeitsgemeinschaften gegeben, jedoch nicht hinsichtlich der Teilnahme des hier in
Rede stehenden Fußballturniers. Das BSG hat insoweit unter Aufgabe seiner früheren
Rechtsprechung, nach welcher auch ein gelegentlicher Wettkampf gegen Mannschaften
anderer Betriebssportgemeinschaften den Ausgleichszwecken der sportlichen
Betätigung als nichtentgegenstehend erachtet wurde, auch wenn dieser außerhalb
regelmäßiger Übungsstunden erfolgte (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 29) ausdrücklich
und allgemein aufgegeben (Urteil vom 13.12.2005 -Az. B 2 U 29/04 R) und dabei die
Verfolgung eigener Interessen, nämlich der Gesunderhaltung und körperlichen
Leistungstüchtigkeit bzw. des Ehrgeizes, sich im Wettkampf mit Anderen zu messen,
gegenüber nur noch entfernt unternehmensbezogenen Zwecken (nämlich mittelbar die
Begeisterung an der regelmäßigen betriebssportlichen oder hochschulsportlichen
Betätigung zu erhalten bzw. zu erhöhen) bei wertender Betrachtungsweise ein
deutliches Überragen zugemessen. Dem schließt sich das Gericht unter
gesetzessystematischen Gesichtspunkten an. Im Gegensatz zur eigentlichen
versicherten Tätigkeit, die mit der Handlungstendenz ausgeübt wird, den
Unternehmenszwecken zu dienen, dient der Betriebssport wesentlich auch eigenen
Interessen des Beschäftigten, so dass seine Einbeziehung bereits eine Ausnahme und
Erweiterung des Versicherungsschutzes darstellt; diese Erweiterung nochmals
auszudehnen, erscheint, dem BSG folgend, auch dem Gericht nicht mehr durch triftige
Gründe tragbar (noch weitergehend Sozialgericht Chemnitz, Urteil vom 26.10.2005 -Az.
S 8 U 159/05-, welches sogar die sportliche Betätigung im Rahmen des Betriebssportes
nicht in hinreichend deutlichem Bezug zur versicherten Tätigkeit ansieht und als
lediglich indirekt der beruflichen Leistungsfähigkeit zuträglich nicht geeignet ansieht,
Versicherungsschutz zu begründen).
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Die Teilnahme am unfallbringenden Fußballturnier als vom regelmäßigen, auf
Ausgleich der studentischen Lerntätigkeit abzielenden Hochschulsports weitgehend
losgelöste, ihr entfernt stehende Betätigung vermochte somit Unfallversicherungsschutz
nicht zu begründen; soweit das BSG noch in seiner Entscheidung vom 28.08.1968
(BSGE 28, 204, 206) meinte, Fälle ähnlicher Art seien nach besonderen
Gesichtspunkten zu beurteilen bzw. die strikte Anwendung der Grundsätze des
Betriebssportes sei bei Lernenden ein "nicht ganz adäquater Maßstab" besteht hierfür
bei der gebotenen Wertung in Anbetracht der aktuellen höchstrichterlichen
Rechtsprechung kein Raum mehr. Überdies ist im Falle des Klägers ausgehend von
seinen eigenen Angaben festzustellen, dass er zuletzt jedenfalls nicht einmal mehr
regelmäßig an der allgemeinen im Vorlesungsverzeichnis ausgewiesenen Sport-AG
teilgenommen hat, so dass, selbst der aktuellen Rechtsprechung des BSG nicht folgend,
es bereits der Grundlage der Einbeziehung auch gelegentlicher
Wettkampfveranstaltungen in den Unfallversicherungsschutz fehlte; wie ausgeführt
muss, dem Sinn von Leibesübungen entsprechend, die sportliche Betätigung mit einer
Regelmäßigkeit stattfinden und muss auch die Teilnahme regelmäßig erfolgen (vgl.
hierzu Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, § 8
SGB VII Anm. 7.12.2 m.w.N.).
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Die Klage war nach alledem abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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