Urteil des SozG Detmold vom 03.11.2010

SozG Detmold (aufschiebende wirkung, antragsteller, sgg, wirkung, aufrechnung, überwiegendes interesse, rente, interessenabwägung, antrag, höhe)

Sozialgericht Detmold, S 8 KN 84/10 ER
Datum:
03.11.2010
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 8 KN 84/10 ER
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird
abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1
I.
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Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die
Aufrechnung der Antragsgegnerin wegen eines Rückzahlungsanspruches mit der Hälfte
der laufenden Altersrente.
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Der am 00.00.1942 geborene Antragsteller beantragte am 23.04.2004 die Gewährung
von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Antragsgegnerin prüfte im Laufe
dieses Verfahrens die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 116
SGB VI und gewährte schließlich mit Bescheid vom 21.10.2004 eine Rente wegen
voller Erwerbsminderung ab dem 01.04.2004. Hiergegen legte der Antragsteller am
19.11.2004 Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom
24.01.2005 als unbegründet zurückwies. Im anschließenden Klageverfahren S 8 KN
8/05 schlossen die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 04.05.2006
folgenden Vergleich:
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1.Die Beklagte hebt den Bescheid vom 21.10.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.01.2005 auf. 2.Der Kläger verpflichtet sich zur
Rückgewähr aller durch die aufgehobenen Bescheide erhaltenen Leistungen, soweit sie
nicht durch Leistungsansprüche anderer Sozialleistungsträger anderweitig getilgt sind.
3.Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. 4.Die Beteiligten sind
hiermit einverstanden und erklären den Rechtsstreit in vollem Umfang für erledigt.
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Mit Bescheid vom 04.07.2006 hob die Antragsgegnerin sodann den Bescheid vom
21.10.2004 auf und forderte von dem Antragsteller einen Betrag von 22.785,00 EUR für
den Zeitraum vom 01.04.2004 bis 30.06.2006 zurück. Mit Schreiben vom 20.12.2006
teilte die Antragsgegnerin sodann mit, dass nach Zahlungen der AOK Westfalen-Lippe
und der Agentur für Arbeit Bielefeld noch eine Überzahlung in Höhe von 9.998,61 EUR
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bestünde. Diese wurde zunächst gestundet. Der verbleibende Betrag resultierte daraus,
dass die Bundesagentur für Arbeit für den Zeitraum vom 01.11.2004 bis 24.10.2005 die
Gewährung von Arbeitslosengeld ablehnte und daher für diesen Zeitraum ein
Erstattungsanspruch nicht bestand; das hiergegen geführte Klageverfahren (Az.: S 4 AL
69/06 und L 19 AL 9/08) blieb erfolglos.
Am 10.09.2007 beantragte der Antragsteller die Gewährung von Regelaltersrente, die
die Antragsgegnerin seit dem 01.01.2008 mit einem monatlichen Zahlbetrag von
1.000,70 EUR netto gewährt.
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Mit Bescheid vom 18.01.2010 erklärte die Antragsgegnerin die Aufrechnung gemäß §
51 Abs. 2 SGB I des zu erstattenden Betrages von 9.998,61 EUR mit der Hälfte der
monatlichen Rente in Höhe von 500,35 EUR. Hiergegen legte der Antragsteller am
16.02.2010 Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom
06.05.2010 als unbegründet zurückwies. Am 18.06.2010 erhob der Antragsteller
hiergegen Klage. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen S 8 KN 59/10 geführt. Die
Antragsgegnerin habe den Leistungsbezug, den sie gegenüber dem Antragsteller durch
Aufrechnung zurückzuführen suche, selbst rechtswidrig verursacht. Zudem werde er
durch die Aufrechnung hilfebedürftig.
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Am 14.09.2010 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Die
Klage sei zulässig und begründet; die Antragsgegnerin habe gleichwohl mit Wirkung für
Juli und August 2010 die Aufrechnung durchgeführt.
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Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,
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die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18.06.2010 gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 18.01.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
06.05.2010 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung führt sie aus: Der Antragsteller habe sich in dem vorangegangenen
Rechtsstreit zur Rückzahlung der Rentenleistungen verpflichtet. Der diesbezügliche
Ausführungsbescheid sei bestandskräftig geworden. Der Antragsteller habe nicht
nachgewiesen, dass durch die Aufrechnung Hilfebedürftigkeit eintrete. Auf den
diesbezüglichen ausdrücklichen Hinweis im Anhörungsschreiben werde hingewiesen.
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Das Gericht hat mit Verfügung vom 12.10.2010 um Übersendung einer
Bedarfsbescheinigung gebeten. Eine solche hat der Antragsteller bislang nicht
vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der
Gerichtsakten S 8 KN 8/05 und S 4 AL 69/06, die bei der Entscheidung vorgelegen
haben, Bezug genommen.
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II.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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Nach § 86 b Abs. 1 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den
Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung
haben, die aufschiebende Wirkung durch Beschluss gemäß § 86 b Abs. 4 SGG ganz
oder teilweise anordnen.
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Die Klage des Antragstellers hat gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 3 SGG als Klage gegen einen
Verwaltungsakt in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der eine laufende Leistung
herabsetzt, keine aufschiebende Wirkung.
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§ 86 b Abs. 1 S. 1 SGG regelt allerdings nicht, unter welchen Voraussetzungen das
Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen kann. Im Falle des § 86 a Abs. 2 Nr. 1
SGG bestimmt § 86 a Abs. 3 S. 2 SGG, dass die Aussetzung der Vollziehung erfolgen
soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder
Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte zur Folge hätte. Die Regelung des § 86 a Abs. 3 S. 2 SGG betrifft
hingegen nicht die Fälle des § 86 a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGG. Die Lücke ist unter
Berücksichtigung der Regelung in § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen (Binder in HK-
SGG, § 86 b, Rn. 13). Das Gericht nimmt insoweit eine rechtlich gebundene
Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Einzelnen an der Anordnung
der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen
Vollziehung vor. Im Rahmen der Interessenabwägung ist nach der Systematik der
Regelung im SGG zu berücksichtigen, dass in den Fällen des § 86 a Abs. 2 SGG, auf
den der § 86 b Abs. 1 SGG verweist, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht. Hiernach
hat im Zweifel das Vollzugsinteresse Vorrang. Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber
zunächst einmal ein Entfallen der aufschiebenden Wirkung angeordnet hat. Es besteht
in diesen Fällen nur dann ein hinreichender Grund von dem Regel-Ausnahme-
Verhältnis abzuweichen, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den
Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
muss dabei eine Ausnahme bleiben, die nur mit gewichtigen Argumenten zu begründen
ist. So muss zur Begründung eines überwiegenden Interesses eine offenbare
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vorliegen. Die Abschätzung der
Erfolgsaussichten ist nach summarischer Prüfung vorzunehmen. Bei nicht eindeutig
absehbaren Erfolgsaussichten bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung,
wobei die Aussichten des Hauptsacheverfahrens mit berücksichtigt werden können.
Damit stehen Erfolgsaussichten und Interessenabwägung in einer Wechselbeziehung,
so dass bei steigenden Erfolgsaussichten sinkende Anforderungen an das
Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellen sind. Damit wird dem
verfassungsrechtlich gebotenen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19
Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) entsprochen. Hiernach sind die Bürger vor irreparablen
Entscheidungen zu schützen. Neben dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Vorrang des
Vollzugsinteresses können folgende Gesichtspunkte für die Interessenabwägung
beachtlich sein: die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen, insbesondere eine
unbillige Härte; eine eventuell gegebene general- oder spezialpräventive Wirkung der
sofortigen Geltung des Verwaltungsaktes; das Verhalten der Behörde; eine Betroffenheit
von Grundrechten sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dabei ist hinsichtlich
der Abschätzung der Folgen auf die sogenannte Doppelhypothese des
Bundesverfassungsgerichts abzustellen, wonach die Folgen, die eintreten würden,
wenn die begehrte Eilentscheidung nicht erginge, der Widerspruch oder die Klage aber
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später Erfolg hätte, mit den Folgen abzuwägen sind, die entstünden, wenn die begehrte
Eilentscheidung erginge, die Klage aber erfolglos bliebe.
Hiervon ausgehend hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung der Klage vom 18.06.2010 gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 18.01.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
06.05.2010 glaubhaft gemacht. Die erforderliche Interessenabwägung geht zulasten des
Antragstellers aus. Der angegriffene Bescheid ist nach der im einstweiligen
Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung nicht zu beanstanden.
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Rechtsgrundlage für die Aufrechnung ist § 51 Abs. 2 SGB I. Hiernach kann der
zuständige Leistungsträger Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht erbrachter
Sozialleistungen mit Ansprüchen auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte
aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch
hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt
oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird.
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Es besteht zunächst eine Aufrechnungslage. Die Antragsgegnerin hat gegen den
Antragsteller einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Rente wegen voller
Erwerbsminderung. Der Rückforderungsanspruch der Antragsgegnerin in Höhe von
noch 9.998,61 EUR steht im Gegenseitigkeitsverhältnis zum Anspruch des
Antragstellers auf Regelaltersrente in Höhe von monatlich 1.000,70 EUR, denn die
Antragsgegnerin ist Gläubigerin des Rückforderungsanspruches und Schuldnerin des
Rentenanspruchs; der Antragsteller ist Schuldner des Rückforderungsanspruches und
Gläubiger des Rentenanspruchs. Der Gegenstand der Leistung ist auch gleichartig, da
es sich jeweils um öffentlich-rechtliche Geldforderungen handelt.
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Der Rückforderungsanspruch der Antragsgegnerin ist auch vollwirksam und fällig. Der
Antragsteller hatte sich vergleichsweise im Verfahren S 8 KN 8/05 verpflichtet,
überzahlte Rente wegen Erwerbsminderung zurückzuzahlen, nachdem seinem Antrag
im dortigen Klageverfahren entsprechend der die Rente wegen voller
Erwerbsminderung gewährende Bescheid durch die Antragsgegnerin aufgehoben
wurde. Gründe, die gegen die Wirksamkeit des Vergleichs sprechen könnten, sind nicht
ersichtlich. Der entsprechende Ausführungsbescheid der Antragsgegnerin vom
04.07.2006 ist bestandskräftig.
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Der Rückforderungsanspruch der Antragsgegnerin ist somit vollwirksam und fällig; der
Rentenanspruch des Antragstellers ist erfüllbar.
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Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass er durch die Aufrechnung
hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII oder SGB II würde. Eine
entsprechende Bescheinigung des Sozialleistungsträgers hat er trotz Aufforderung des
Gerichts nicht vorgelegt. Ein weiteres Zuwarten im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes kommt nicht in Betracht. Es steht dem Antragsteller frei, eine
entsprechende Bescheinigung im Hauptsacheverfahren vorzulegen. Aus dem gesamten
Akteninhalt lässt sich ebenfalls nicht erkennen, dass der Antragsteller durch die
Aufrechnung hilfebedürftig im Sinne des SGB XII oder SGB II würde.
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Ermessensfehler der Antragsgegnerin sind nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG in entsprechender Anwendung.
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