Urteil des SozG Detmold vom 24.08.2010

SozG Detmold (besondere härte, gegenstand des verfahrens, verwertung, immobilie, härte, höhe, verkehrswert, sgg, zeitpunkt, haus)

Sozialgericht Detmold, S 8 AS 299/09
Datum:
24.08.2010
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 AS 299/09
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin von der Beklagten im Zeitraum vom
01.04.2009 bis 31.03.2010 die Gewährung von zuschussweisen Leistungen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) trotz vorhandenen Vermögens beanspruchen
kann.
2
Die Klägerin wurde am 00.00.1948 geboren. Sie ist seit Dezember 2004 geschieden.
Sie ist Eigentümerin eines mit einem Einfamilienreihenhauses bebauten
Hausgrundstücks mit einer Grundstücksfläche von 204 m² und einer Wohnfläche von
125 m², das sie allein bewohnt. Auf der Immobilie lasten noch
Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von 20.340,21 EUR. Die zu erwartende künftige
Regelaltersrente beträgt ausweislich eine Renteninformation der Deutschen
Rentenversicherung Bund vom 10.08.2009 entsprechend der bislang erworbenen
Anwartschaft 797,27 EUR.
3
Die Klägerin beantragte am 06.10.2005 erstmals die Gewährung von Leistungen nach
dem SGB II bei der Beklagten, die diese zunächst auch zuschussweise gewährte. Am
22.09.2008 beantragte sie die Fortzahlung der Leistungen über den 30.09.2008 hinaus,
die die Beklagte für den Zeitraum vom 01.10.2008 bis 31.03.2009 vorläufig bewilligte.
Hinsichtlich der Immobilie der Klägerin holte sie eine überschlägige Wertaussage des
Gutachterausschusses für Grundstückswerte vom 21.11.2008 ein, der einen
überschlägigen Verkehrswert von 90.000,00 EUR ermittelte. Den Fortzahlungantrag der
Klägerin vom 23.02.2009 für die Zeit ab 01.04.2009 lehnte die Beklagte daraufhin mit
Bescheid vom 03.03.2009 ab. Gleichzeitig wies sie auf die Möglichkeit der
darlehensweisen Leistungsgewährung hin. Zur Begründung führte sie aus: Die Klägerin
sei mit dem vorhandenen Vermögen nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II. Es
handele sich bei der Immobilie nicht um ein angemessenes Hausgrundstück im Sinne
des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, da für eine Person lediglich eine Wohnfläche von 90 m² als
angemessen anzusehen sei. Der Verkehrswert belaufe sich abzüglich der
4
Verbindlichkeiten auf 69.659,21 EUR, was ihren Vermögensfreibetrag übersteige. Es
liege auch keine besondere Härte vor.
Hiergegen legte die Klägerin am 09.03.2009 Widerspruch ein. Am 31.03.2009
beantragte sie die darlehensweise Leistungsgewährung. Mit Bescheid vom selben Tag
wurden ihr darlehensweise Leistungen für den Zeitraum ab 01.04.2009 bis 31.03.2010
gewährt. Gegen diesen Darlehensbescheid wurde hinsichtlich der dort getroffenen
Nebenbestimmungen ein Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 8 AS 131/09
geführt.
5
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der
Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid als unbegründet zurück. Dem Bescheid war
folgende Rechtsbehelfsbelehrung angefügt: "Diese Entscheidung wird Bestandteil des
Klageverfahrens S 8 AS 131/09 E T./. Lippe pro Arbeit GmbH gemäß § 95 SGG."
6
Mit der hiergegen am 24.11.2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter. Zur Begründung führt sie aus: Die Verwertung des Hauses stelle für die Klägerin
eine unzumutbare Härte dar. Sie habe das Reihenhaus seinerzeit gemeinsam mit ihrem
Mann gekauft; seit der Scheidung bewohne und finanziere sie es allein. Die monatliche
Belastung betrage einschließlich Tilgung lediglich 254,25 EUR, was den für einen
Alleinstehenden angemessenen Kaltmietzins lediglich um 9,00 EUR übersteige. Der
Kredit werde im Jahr 2015 getilgt sein; 2013 vollende sie das 65. Lebensjahr.
Grundsicherungsleistungen fielen allenfalls für vier Jahre an. Es stelle eine
unzumutbare Härte für die Klägerin dar, von ihr zu verlangen, ihr Haus, das ihre
Alterssicherung darstelle, kurz vor Tilgungsende und kurz vor Erreichen der
Altersgrenze zu verkaufen. Sie sei im Alter auf eine schuldenfreie Unterkunft
angewiesen, um im Alter unabhängig von Grundsicherungsleistungen zu sein. Ein
Verkauf des Hauses sei unwirtschaftlich. Selbst wenn sie einen Betrag von 70.000,00
EUR durch einen Verkauf erwirtschaften würde und hierfür eine kleine Immobilie kaufen
würde, so müsse die Klägerin auch weiterhin Grundsicherungsleistungen beziehen,
wobei zur Finanzierung einer neuen Immobilie sicherlich ein neues Darlehen
aufgenommen werden müsste, da eine Immobilie für 70.000,00 EUR nicht zu erwerben
sein dürfte. Die Beklagte hätte dann die mit Sicherheit höheren anfallenden Zinsen zu
tragen. Zudem sei nicht nachzuvollziehen, dass die Klägerin das Haus behalten dürfe,
wenn es noch in Höhe des Verkehrswertes belastet sei, die unbelastete Immobilie aber
nunmehr verkaufen müsse. Nach dem Koalitionsvertrag der neuen Regierung sei
beabsichtigt, das selbst genutzte Grundeigentum unabhängig von der
Quadratmetergröße zu schützen.
7
Die Klägerin beantragt,
8
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.03.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10.08.2009 zu verurteilen, der Klägerin im Zeitraum vom
01.04.2009 bis 31.03.2010 Leistungen nach dem SGB II zuschussweise zu gewähren.
9
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Zur Begründung führt sie aus: Eine besondere Härte liege nicht vor. Voraussetzung
hierfür sei ein atypischer Sachverhalt, der hier nicht ersichtlich sei. Dass beim Erwerb
12
einer neuen angemessenen Immobilie weitaus höhere Zinsen anfielen, stelle eine reine
Vermutung dar. Zudem erlaube sich die Beklagte den Hinweis, dass die Klägerin im
Falle einer Veräußerung der Immobilie über erhebliches Barvermögen verfüge, dass
zum Lebensunterhalt eingesetzt werden müsse und damit nicht mehr hilfebedürftig sei.
Die Verwertung der Immobilie sei zudem auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich.
Soweit die neue Regierung eine Gesetzesänderung bezüglich des Schutzes von
Immobilien im SGB II plane, so handele es sich dabei bislang nur um eine
Absichtserklärung.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des
Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Kreis Lippe und in der Stadt Detmold
vom 28.05.2010. Auf das Gutachten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug
genommen.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten das Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Gerichtsakte zum Verfahren S 8 AS 131/09 sowie der Leistungsakten
der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
14
Entscheidungsgründe:
15
Die Klage hat keinen Erfolg.
16
Die Klage ist zunächst zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben. Im
vorliegenden Fall gilt gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 SGG wegen der unrichtigen
Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 10.08.2009 die Jahresfrist.
Gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 SGG ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb eines
Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, wenn die Belehrung
unterblieben oder unrichtig ist. Soweit die Beklagte hier in dem angefochtenen
Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen hat, dass dieser gemäß § 96 SGG
Gegenstand des Klageverfahrens S 8 AS 131/09, welches sich gegen den
Darlehensbescheid vom 31.03.2009 richtete, werde, so ist dies unzutreffend. Der
angefochtene Bescheid vom 03.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10.08.2009 ist bereits deshalb nicht gemäß §§ 86, 96 Gegenstand des Verfahrens
S 8 AS 131/09 geworden, weil er nicht zeitlich später, sondern eher als der Bescheid
vom 31.03.2009 ergangen ist. Zudem ändert oder ersetzt er auch nicht den dort
streitgegenständlichen Darlehensbescheid.
17
Die Klage ist aber unbegründet.
18
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 31.03.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10.08.2009 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil der Bescheid rechtmäßig ist. Die Klägerin hat im
streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.04.2009 bis 31.03.2010 keinen Anspruch
gegen die Beklagte auf Gewährung zuschussweiser Leistungen nach dem SGB II. Die
Klägerin ist im streitgegenständlichen Zeitraum nicht hilfebedürftig gemäß §§ 7, 9 SGB
II, da sie ihren Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Vermögen bestreiten konnte.
19
Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Leistungen nach dem
SGB II. Hilfebedürftig ist dabei gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt,
seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer
20
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus
dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die
erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere nicht von Angehörigen oder von
Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
Hier war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in der Lage, ihren
Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Vermögen zu bestreiten. Als
Vermögen sind gemäß § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu
berücksichtigen. Zutreffend hat die Beklagte dass im Eigentum der Klägerin stehende
mit einem Einfamilienreihenhaus bebaute Hausgrundstück als Vermögen im Sinne der
Vorschrift berücksichtigt.
21
Gemäß § 12 Abs. 4 S. 1 SGB II ist das Vermögen mit seinem Verkehrswert zu
berücksichtigen. Gemäß § 12 Abs. 4 S. 2 SGB II ist für die Bewertung der Zeitpunkt
maßgebend, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird, bei späterem Erwerb
von Vermögen der Zeitpunkt des Erwerbs. Wesentliche Änderungen des
Verkehrswertes sind gemäß § 12 Abs. 4 S. 3 SGB II zu berücksichtigen. Das Haus
verfügte ausweislich des gerichtlicherseits eingeholten Wertgutachtens des
Gutachterausschusses für Grundstückswerte im Kreis Lippe und in der Stadt Detmold
zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung über einen Verkehrswert von 80.000,00 EUR.
Hiervon in Abzug zu bringen sind die dinglich gesicherten Verbindlichkeiten, die sich im
streitgegenständlichen Zeitraum noch auf etwa 20.340,21 EUR beliefen. Es verbleibt
damit ein Vermögenswert von 59.659,79 EUR. Wesentliche Änderungen sind nicht
eingetreten. Soweit der Gutachterausschuss aktuell am 28.05.2010 einen um 5 Prozent
geringeren Verkehrswert ermittelt, kann letztlich dahinstehen, ob diese Wertveränderung
schon während des streitgegenständlichen Zeitraums bis zum 31.03.2010 oder erst
danach eingetreten ist, denn auch unter Berücksichtigung des Wertes von 76.000,00
EUR verbleibt abzüglich der Verbindlichkeiten in Höhe von 20.340,21 EUR ein Wert
von 55.659,79 EUR. Beide Werte übersteigen aber den zu berücksichtigenden
Freibetrag erheblich.
22
Dem so errechneten Vermögen stehen im streitgegenständlichen Zeitraum Freibeträge
der Klägerin gemäß § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 4 SGB II in Höhe von 9.750,00 EUR bzw.
9.900,00 EUR und 10.050,00 EUR gegenüber. Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II
sind vom Vermögen ein Grundfreibetrag in Höhe von 150,00 EUR je vollendetem
Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens aber
3.100,00 EUR. Gemäß § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB II ist ein Freibetrag für notwendige
Anschaffungen in Höhe von 750,00 EUR für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
Hilfebedürftigen zu berücksichtigen. Hieraus errechnet sich für die Klägerin für die Zeit
vom 01.04.2009 bis 27.04.2009 ein Freibetrag in Höhe von 9.750,00 EUR, für die Zeit
vom 28.04.2009 bis 27.04.2010 in Höhe von 9.900,00 EUR und ab dem 28.04.2010 in
Höhe von 10.050,00 EUR.
23
Das Hausgrundstück stellt auch kein geschütztes Vermögen im Sinne des § 12 Abs. 3
Nr. 4 SGB II dar. Gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II ist als Vermögen nicht zu
berücksichtigen ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder
eine entsprechende Eigentumswohnung. Das Haus ist mit einer Gesamtwohnfläche von
125 m² nicht mehr angemessen im Sinne der Vorschrift.
24
Bei dem Begriff der angemessenen Größe handelt es sich um einen unbestimmten
Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (BSG, Urteil vom
07.11.2006, Az.: B 7b AS 2/05 R). In Anlehnung an die Vorschriften des 2.
Wohnungsbaugesetzes vom 19. August 1994 (BGBl I 2137) gilt bei einem Familienheim
eine Größe von 130 m² bei einem vier Personen Haushalt noch als angemessen (vgl.
BSG, Urteil vom 15.04.2008, Az.: B 14/7b AS 34/06 R). Für jede weitere im Haushalt
lebende Person ist eine Fläche von 20 m² zu addieren (vgl. Eicher/Spellbrink, 2. Auflg.,
§ 12 SGB II Rdnr. 71). Bei einer geringeren Familiengröße sind je Person Abschläge
von 20 m² vorzunehmen, wobei auch bei Einzelpersonen eine Wohnungsgröße von 90
m² als angemessen anzusehen sein soll.
25
Hiervon ausgehend ist eine Wohnfläche von 90 m² für die Klägerin angemessen. Die
Gesamtwohnfläche des Hauses beträgt aber 125 m² und übersteigt damit die
angemessene Fläche um etwa das Doppelte. Selbst unter Berücksichtigung eines
Toleranzwertes von zehn Prozent übersteigt die vorhandene Wohnfläche noch den
angemessenen Wert um 26 m².
26
Die Verwertung des Hausgrundstücks ist auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Der
Verkehrswert des Hausgrundstückes unterschreitet den Substanzwert nicht um mehr als
25 Prozent. Offensichtlich unwirtschaftlich ist eine Verwertung, wenn der zu erzielende
Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu
verwertenden Vermögensgegenstandes steht. Umgekehrt ist eine offensichtliche
Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der
Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht. Hinsichtlich der
Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist auf das ökonomische Kalkül eines rational
handelnden Marktteilnehmers abzustellen. Es ist mithin zu ermitteln, welchen
Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser
gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüber zu stellen (vgl BSG, Urteil
vom 27.01.2009, Az.: B 14 AS 42/07 R). Hier beträgt der Substanzwert des
Hausgrundstückes 99.301,00 EUR. Der ermittelte Verkehrswert von 80.000,00 EUR
bzw. 76.000,00 EUR unterschreitet den Substanzwert lediglich um 19,44 Prozent bzw.
23,46 Prozent. Eine Unterschreitung des Substanzwertes um noch nicht einmal 25
Prozent stellt nach Auffassung der Kammer noch keine offensichtliche
Unwirtschaftlichkeit dar. Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass eine Verwertung
unwirtschaftlich sei, da die Beklagte im Falle des Erwerbs einer neuen angemessenen
Immobilie höhere Zinsen zu tragen habe, so vermag die Kammer dem nicht zu folgen.
Vielmehr geht die Kammer mit der Beklagten davon aus, dass im Falle eines Verkaufs
zunächst einmal erhebliche Beträge zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur
Verfügung stünden, die eine Hifebedürftigkeit der Klägerin ausschließen.
27
Auch stellt die Verwertung für die Klägerin keine unzumutbare Härte im Sinne des § 12
Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II dar. Als Vermögen sind gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II
Sachen und Rechte insoweit nicht zu berücksichtigen, als ihre Verwertung für den
Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Wann von einer "besonderen Härte"
im Sinne des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II auszugehen ist, richtet sich nach den
Umständen des Einzelfalles, wobei maßgebend nur außergewöhnliche Umstände sein
können, die nicht durch die ausdrücklichen Freistellungen über das Schonvermögen (§
12 Abs. 3 Satz 1 SGB II, § 4 Abs 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V))
und die Absetzungsbeträge nach § 12 Abs 2 SGB II erfasst werden. Für die Anwendung
des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr 6 SGB II müssen daher außergewöhnliche Umstände (etwa
die Betreuungspflege bedürftiger Personen, vgl Nachweise bei Brühl in LPK-SGB II, 2.
28
Aufl, § 12 RdNr 55 ff; auch Behrend in Juris Praxiskommentar, SGB II, § 12 RdNr 52)
vorliegen, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine
einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen
Einschnitte. Dies machen auch die Gesetzesmaterialien deutlich. Hiernach liegt ein
Härtefall iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 Alternative 2 SGB II z. B. dann vor, wenn ein
erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die
Altersvorsorge einsetzen müsste, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen
selbständiger Tätigkeit aufweist (BT-Drucks 15/1749, S 32). Dem kann entnommen
werden, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Beispielsfall nicht allein der
Verlust der Altersvorsorge und dessen Zeitpunkt, sondern beides auch nur zusammen
mit der Versorgungslücke eine besondere Härte darstellt. Es sind also nur besondere,
bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände beachtlich und
in ihrem Zusammenwirken zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden BSG, Urteil vom
16.05.2007, Az.: B 11b AS 37/06 R).
Hiervon ausgehend liegt nach Auffassung der Kammer eine besondere Härte nicht vor,
denn es sind keine Umstände ersichtlich, die regelmäßig nicht auch bei anderen
Hilfebedürftigen anzutreffen sind. Die Klägerin erwartet eine Altersrente in Höhe von
797,27 EUR. Die Altersvorsorge der Klägerin ist damit gesichert. Zudem ist die
Hilfebedürftigkeit der Klägerin nicht erst kurz vor Beginn des Rentenalters eingetreten.
Vielmehr bezieht die Klägerin bereits seit dem 06.10.2005 Grundsicherungsleistungen
nach dem SGB II; zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin erst 57 Jahre alt. Aber selbst
wenn man von dem Zeitpunkt am 01.04.2009 ausgeht, zu dem die Beklagte erstmals die
Leistungen nicht mehr zuschussweise gewährt und die Verwertung des Hauses
gefordert hat, war die Klägerin noch etwas über vier Jahre vom Beginn des Rentenalters
entfernt.
29
Das Hausgrundstück ist auch in einem angemessenen Zeitraum verwertbar. Nach der
gebotenen anzustellenden Verwertungsprognose, wäre die Klägerin in der Lage
gewesen, das Hausgrundstück innerhalb eines angemessenen Zeitraumes von sechs
Monaten zu verwerten. So hat der Gutachterausschuss für Grundstückswerte die
durchschnittliche Vermarktungsdauer mit 4,3 Monaten angegeben. Hierbei verkennt die
Kammer nicht, dass die dieser Prognose zugrunde liegenden Kauffälle aus den Jahren
1995 bis 1999 stammen. Die Klägerin hat jedoch demgegenüber keine Tatsachen
vorgetragen, die ernsthafte Zweifel an der Verwertbarkeit binnen dieses Zeitraumes
begründen könnten. Die Klägerin selbst hat eine Verwertung im streitgegenständlichen
Zeitraum nicht versucht.
30
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
31