Urteil des SozG Detmold vom 19.10.2010

SozG Detmold: brille, existenzminimum, darlehen, verwaltungsverfahren, krankenversicherung, zivilprozessordnung, gerichtsakte, anteil

Sozialgericht Detmold
Beschluss vom 19.10.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Detmold S 18 AS 1792/10
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Beteiligte streiten um die Kostenübernahme für die Anschaffung einer Brille als Leistung nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Die Klägerin steht mit ihrem Ehemann und ihrem 1992 geborenen Sohn im fortlaufenden Bezug von Leistungen nach
dem SGB II bei der Beklagten.
Nachdem die Klägerin am 14.06.2010 eine Brille bei der Fa. G zum Preis von 168,50 EURO erworben hatte,
beantragte sie mit Schreiben vom 16.06.2010 die Übernahme der Kosten bei der Beklagten, da der Rechnungsbetrag
aus dem Arbeitslosengeld II nicht bezahlt werden könne.
Ihren Antrag auf Übernahme der Kosten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2010 ab, da der geltend
gemachte Bedarf von der Regelleistung umfasst sei.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2010 als unbegründet
zurück. Dies begründete sie damit, dass es sich bei den geltend gemachten Kosten nicht um einen besonderen
Bedarf im Sinn von § 21 Abs. 6 SGB II handele. Es handele sich nicht um einen regelmäßigen Bedarf, da ein solcher
Bedarf nur vorliege, wenn er langfristig oder dauerhaft, zumindest regelmäßig wiederkehrend im Bewilligungsabschnitt
auftritt. Dieses sei im Fall einer Brille nicht gegeben.
Am 18.08.2010 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06.2010 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2010 die Gewährung von 168,50 EURO Kosten für die Brille begehrt.
Zugleich hat sie Prozesskostenhilfe beantragt.
Sie ist der Auffassung, dass sich ein Anspruch auf die Kostenübernahme aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 09.02.2010 (Az: 1 BvL 1/09, 3/09-4/09) als besonderer Bedarf ergebe. Die
Kosten für eine Sehhilfe seien in der Regelleistung nicht enthalten. Für ein menschenwürdiges Existenzminimum sei
eine Sehhilfe erforderlich.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Ansicht, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Zur
Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die zulässige Klage keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg gebietet (vgl. § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Die Entscheidung der Beklagten, Leistungen für die Kosten der Brille abzulehnen, erweist sich als rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren subjektiven Rechten.
Die Beklagte hat zu Recht die Übernahme der Kosten abgelehnt. Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage für die
Übernahme der entsprechenden Kosten durch die Beklagte als Trägerin der Leistungen nach dem SGB II. Entgegen
der Ansicht der Klägerin ergibt sich kein Anspruch im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 (1
BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 = NJW 2010, 505). Als Grundlage dieses Anspruches käme die Regelung aus § 21
Abs. 6 SGB II n.F. in Betracht, da mit dieser zum 03.06.2010 in Kraft getreten Vorschrift der Gesetzgeber die
Vorgaben des BVerfG zur Gewährung von sog. "Sonderbedarfen" einfachgesetzlich umgesetzt hat. Für die
Gewährung eines Sonderbedarfes im Sinn von § 21 Abs. 6 SGB II und damit im Sinn der Entscheidung des BVerfG
ist ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf erforderlich. Der Anspruch entsteht, wenn der
Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der
Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige
Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Dieser zusätzliche Anspruch dürfte angesichts seiner engen und strikten
Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen entstehen (BVerfG, a.a.O. Rn. 208).
Der geltend gemachte Bedarf hinsichtlich der Kosten für eine Brille ist weder ein laufender Bedarf noch ist er atypisch.
Mit laufenden Bedarfen sind solche Bedarfe erfasst, die regelmäßig in kurzen zeitlichen Abständen erfolgen.
Insbesondere also solche Bedarfe, die monatliche zu berücksichtigen sind. Hieran fehlt es vorliegend offensichtlich.
Selbst wenn die Kosten für eine neue Brille regelmäßig nach Ablauf einiger Jahren anfallen, liegt kein laufender Bedarf
im Sinn von § 21 Abs. 6 SGB II vor. Bei einem solchen Zeitraum ist es der Klägerin vielmehr möglich, die
notwendigen Kosten anzusparen. Denn entgegen ihrer Ansicht ist in der Regelleistung (§ 20 SGB II) ein
entsprechender Anteil enthalten. Vor allem solche medizinischen Leistungen, die von der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht (mehr) übernommen werden (vgl. § 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch-SGB V), sind als
notwendige Kosten anteilig über die Abteilung 06 "Gesundheitspflege" der EVS 2003 in die Regelleistung eingeflossen
(Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 20 Rn. 52). Darüber hinaus sind die Kosten für eine Brille auch keine atypischen
Kosten, denn diese Kosten treffen typischerweise eine Vielzahl der Bezieher von SGB II-Leistungen (LSG NRW,
Urteil vom 21.04.2010, L 12 AS 69/09).
Weitere Anspruchsgrundlagen kommen für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin nicht in Betracht.
Ob die Klägerin Anspruch auf ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II hätte, ist vorliegend nicht Streitgegenstand. Denn
die Klägerin macht weder die Gewährung eines Darlehens geltend noch hat bisher ein Verwaltungsverfahren zur Frage
eines Darlehens stattgefunden.