Urteil des SozG Darmstadt vom 15.07.2010

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Sozialgericht Darmstadt
Beschluss vom 15.07.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt S 4 R 285/10 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine
Rehabilitationsmaßnahme in dem Kinder-Rehazentrum X GmbH, X Straße, X-Stadt für die Zeit vom 21. Juli 2010 bis
17. August 2010 unter vorläufiger Übernahme der Kosten zu gewähren und auch die Kosten für die Unterbringung der
Mutter und der Schwester des Antragstellers im gleichen Zeitraum in oben genannter Klinik vorläufig zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Eilverfahren über eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Der Antragsteller begehrt
unter Mitnahme seiner Mutter und seiner Schwester als Begleitpersonen einen stationären Kuraufenthalt im Kinder-
Rehabilitationszentrum X zwecks Teilnahme an einem Programm für Kinder, die an Phenylketonurie erkrankt sind.
Der 2003 geborene Antragsteller beantragte am 17. Dezember 2009 durch seine gesetzlichen Vertreter bei der
Beklagten eine Kinderrehabilitation gem. § 31. Abs. 1 Nr. 4 SGB VI und teilte mit, es sei für die hessischen
Schulferien in der Zeit vom 21. Juli bis 17. August 2010 bei dem "Kinder-Rehazentrum X", das auf die
Stoffwechselstörung Phenylketonurie spezialisiert sei, eine Vorab-Reservierung getätigt worden. Außerdem legte der
Antragsteller seinen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "H" vom 2. Oktober 2003 vor und beantragte
die Begleitung durch seine Mutter sowie durch seine Schwester, die durch die Erkrankung des Bruders "Schattenkind"
sei und daher während der Reha Zuwendung brauche. Er legte einen Befundbericht der behandelnden Kinderärztin Dr.
P vom 21. Dezember 2009 vor. Durch Bescheid vom 28. Januar 2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit der
Begründung ab, eine Rehabilitationsbedürftigkeit liege nicht vor, ambulante fachärztliche Behandlung am Wohnort
reiche aus. Dagegen erhob der Antragsteller am 25. Februar 2010 unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme des
Prof. K vom 22. Februar 2010 Widerspruch und trug vor, es lägen aufgrund der Diät bereits Symptome einer
Essstörung vor.
Gegen den zurückweisenden Widerspruchbescheid vom 11. Mai 2010 hat der Antragsteller am 20. Mai 2010 Klage
erhoben und am 24. Mai 2010 Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt. Er legt Bescheinigungen über
Kurempfehlungen für andere Kinder mit der gleichen Stoffwechselerkrankung für das Kinder-Rehazentrum X vor.
Außerdem legt er ärztliche Stellungnahmen der behandelnden Kinderärztin Dr. P vom 11. Juni 2010 und des Dr. K von
der Stoffwechselambulanz des Universitätsklinikums XV. und XX. vom 14. Juni 2010 sowie Unterlagen des Kinder-
Rehazentrums X vor und gibt Telefonate mit dem Leiter der gewünschten Klinik und dem Leiter einer von der
Beklagten genannten Klinik wieder. Schließlich legt er eidesstattliche Versicherungen vor, dass die Familie nicht in
der Lage sei, die Kosten für die vorgesehene Rehabilitationsmaßnahme vorläufig selbst zu tragen und dass eine
Betreuungsmöglichkeit für die neunjährige Schwester des Klägers während der Rehabilitationsmaßnahme zu Hause
nicht bestehe.
Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine
Rehabilitationsmaßnahme in dem Kinder-Rehazentrum X GmbH, X-Straße, X-Stadt für die Zeit vom 21. Juli 2010 bis
17. August 2010 unter vorläufiger Übernahme der Kosten zu gewähren und auch die Kosten für die Unterbringung
seiner Mutter und seiner Schwester AL. im gleichen Zeitraum in oben genannter Klinik vorläufig zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie trägt vor, ein Rehabilitationsbedarf sei nicht festgestellt worden. Bei der Kinderrehabilitation handele es sich um
eine freiwillige Leistung, auf die kein Rechtsanspruch bestehe. Eine ambulante fachärztliche Behandlung sei
ausreichend. Auch dürfe die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden, wie es hier der Fall
wäre, wenn dem Antrag stattgegeben würde. § 14 SGB IX sei nicht einschlägig, da bei Leistungen zur
Kinderrehabilitation Gleichrangigkeit zwischen den gesetzlichen Rentenversicherungen und den gesetzlichen
Krankenkassen bestehe. Bei der vom Antragsteller gewünschten Einrichtung handele es sich nicht um eine
Vertragsklinik i.S.d. § 21 SGB IX. Es stünden zwei Vertragskliniken zur Verfügung, die genauso geeignet seien.
Schließlich sei nicht glaubhaft gemacht, dass dem Antragsteller "schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage
wäre.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Rehabilitationsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis gem. § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets,
dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als
auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen
Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die
endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden. Wegen des Gebots, effektiven
Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung
dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende
Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der
Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 m.w.N.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in diesem Zusammenhang
verlangt grundsätzlich die summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit
einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs
(Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft
zu machen, müssen also überwiegend wahrscheinlich sein. Dabei sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung
umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen,
insbesondere auch mit Blick auf ihre Bedeutung für die Grundrechte des Antragstellers wiegen (BVerfG, Beschluss
vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02). In Fällen existentiell bedeutsamer Leistungen ist anhand einer
Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Krodel, Die sozialgerichtliche
Eilentscheidung zwischen Subsumtion und Abwägung, NZS 2009, Seite 18, 21 bis 23). Dabei stellt Art 19 Abs 4 GG
besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens. Die Gerichte müssen sich im Falle drohender
schwerer oder unzumutbarer Nachteile schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Das gilt
insbesondere dann, wenn es auch um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser
grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die
Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen es andererseits nicht aus, dass
die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache beachten. Bei der vom
Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Güter- und Folgenabwägung kommt das Gericht im vorliegenden Falle zur
Überzeugung, dass der Antragsteller im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz einen Anspruch auf die begehrte
medizinische Rehabilitationsleistung hat. Der Antragsteller hat nach Ansicht des Gerichts sowohl einen
Anordnungsanspruch (dazu unter 1.) als auch einen Anordnungsgrund (dazu unter 2.) glaubhaft dargetan. Dem
Begehren der Antragstellerin steht auch nicht der Umstand entgegen, dass grundsätzlich der Antragsgegnerin bei der
Entscheidung, ob und welche Leistungen sie bei der Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren hat, ein
Ermessen eingeräumt ist (dazu unter 3.); auch ist im vorliegenden Falle ausnahmsweise eine Ausnahme vom Verbot
der Vorwegnahme der Hauptsache gegeben (dazu unter 4.). Schließlich ist die einstweilige Anordnung auch
erforderlich, um ein grundgesetzlich geschütztes Rechtsgut zu schützen (dazu unter 5.).
1.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf die begehrte Rehabilitationsmaßnahme glaubhaft dargetan. Die
Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI liegen dem Grunde nach vor. Danach kann der
Rentenversicherungsträger als sonstige Leistung zur Teilhabe stationäre Heilbehandlung für Kinder von Versicherten,
Beziehern einer Rente wegen Alters, wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder für Bezieher einer Waisenrente
erbringen, wenn hierdurch voraussichtlich eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit beseitigt oder eine
beeinträchtigte Gesundheit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann. Kinderheilbehandlungen dienen
der Heilung und Linderung von chronischen Erkrankungen und werden in speziell dafür vorgesehenen Einrichtungen
erbracht. Der Antragsteller ist Kind eines bei der Antragsgegnerin Versicherten. Die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen liegen unstreitig vor. Der Antragsteller und sein gesetzlicher Vertreter als der bei der
Antragsgegnerin Versicherte haben sich an die Antragsgegnerin (nicht die Krankenkasse) gewandt. Damit ist diese
der erstangegangene Träger. Hätte sich der Antragsteller zuerst an die Krankenkasse gewandt, so wäre diese gemäß
§ 40 Abs. 2 SGB V wegen § 40 Abs. 4 SGB V, der keine Nachrangigkeit bei Leistungen nach § 31 SGB IV regelt,
zuständig und zur Kostentragung verpflichtet gewesen. Es besteht in solchen Fällen eine echte Anspruchskonkurrenz
(Hauck/Noftz-Noftz, SGB XII, § 40, Rn. 32).
Hiervon ausgehend hat die Antragsgegnerin nach Ansicht des Gerichts die für den Antragsteller glaubhaft dargelegten
Gefahren bleibender Gesundheitsschäden durch Diätfehler nicht in ausreichendem Umfang berücksichtigt. Entgegen
der Ansicht der Antragsgegnerin handelt es sich bei dem Antragsteller nicht um einen unproblematisch verlaufenden
Fall der Phenylketonurie, sondern die verschiedenen ärztlichen Stellungnahmen - insbesondere die Stellungnahme der
behandelnden Kinderärztin Dr. P vom 11. Juni 2010 und die Stellungnahme des Dr. K vom 14. Juni 2010 - belegen in
eindrucksvoller Art, dass bei dem jetzt siebenjährigen Antragsteller gegenwärtig schwere Probleme bei der drei mal
täglich notwendigen Einnahme der bitter schmeckenden Aminosäuremischung und der Diäteinhaltung bestehen. Diese
vermehrte Essproblematik entwickele sich eindeutig in Richtung einer psychopathologische relevanten Essstörung,
die für die Behandlung der Phenylketonurie äußerst problematisch sei. Die hierdurch zu erwartenden erhöhten
Phenylalaninblutspiegel könnten zur deutlichen Verschlechterung der geistigen und körperlichen Entwicklung führen
und die normale Schul- und Ausbildungsentwicklung gefährden. Dr. K teilt mit, dass bei dem Antragsteller der Wunsch
"nicht anders sein zu wollen" bereits häufig in der Verweigerung der Einnahme der Aminosäuremischung und in
Diätverstößen resultiert habe. Fachpsychologische Gespräche mit dem Leiter des Funktionsbereiches Kinder-
Psychosomatik der Uniklinik XV. seien bereits erforderlich gewesen. Er führt aus, dass eine dringende Indikation für
eine Rehabilitationsmaßnahme bestehe. Nach den bisherigen Erfahrungen seien in solchen Situationen ambulante
Schulungs- und Interventionsmaßnahmen nicht für eine langfristige Stabilisierung der psychologischen und
metabolischen Situation ausreichend. Hierdurch ist glaubhaft gemacht, dass bei dem Antragsteller Diätfehler drohen,
die zu bleibenden Schäden führen können und die geistige und körperliche Entwicklung des Antragstellers nachhaltig
beeinträchtigen können. Diese bleibenden Schäden hätten wiederum Auswirkungen auf die schulische Laufbahn und
die Erwerbsbiographie, so dass hieraus unmittelbar auch eine Gefährdung der späteren Erwerbsfähigkeit resultieren
würde. Es ist auch glaubhaft gemacht, dass das vom dem Antragsteller als Ort der Reha-Maßnahme begehrte Kinder-
Rehazentrum auf X geeignet ist, durch spezielle Schulungen und psychologische Betreuung die bereits bestehende
Essstörung und daraus resultierende Diätfehler fachgerecht zu therapieren. Dies ergibt sich ebenfalls aus der
Bescheinigung des Dr. K vom 14. Juni 2010, der diese Rehabilitationseinrichtung ausdrücklich empfiehlt und detailliert
darlegt aus welchen Gründen sie besonders geeignet erscheint (langjährige Erfahrung, psychologische Betreuung und
Schulung der PKU-Kinder und Eltern, Labor mit der Möglichkeit kurzfristig den Phenylalaningehalt im Blut der
Patienten zu messen und mit der PKU erfahrene Diätassistentinnen). Damit ist glaubhaft gemacht, dass die
angestrebte Maßnahme bei dem Antragsteller erforderlich ist, um eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die sich auf
die spätere Erwerbsfähigkeit auswirken kann, wesentlich zu bessern. Der Antragsteller kann wegen seines Alters von
7 Jahren nicht allein an der Rehabiliationsmaßnahme teilnehmen, darüber hinaus ergibt sich aus dem im
Verwaltungsverfahren vorgelegten Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "H" vom 2. Oktober 2003, dass
er ständiger Hilfe bedarf. Schließlich ist es für die im Kinder-Rehazentrum X vorgesehenen Schulungsmaßnahmen
sinnvoll, dass die Mutter des Antragstellers daran teilnehmen kann. Schließlich sind auch die Kosten für eine
Mitunterbringung der Schwester des Klägers von der Antragsgegnerin zu übernehmen, da mangels
Betreuungsmöglichkeiten zu Hause die vorgesehene Rehabilitationsmaßnahme sonst möglicherweise überhaupt nicht
stattfinden könnte. Laut eidesstattlicher Versicherung des Vaters des Antragstellers steht eine Betreuungsperson für
zu Hause nicht zur Verfügung. Eine Neunjährige kann aber nicht für vier Wochen alleine (selbst wenn dies nur
tagsüber zu den Arbeitszeiten des Vaters der Falle wäre) zu Hause gelassen werden. Im Übrigen ist zu beachten,
dass Kinder- und Jugendlichen-Rehabilitation sich wesentlich von medizinischer Rehabilitation im Erwachsenenalter
unterscheidet. Die Rehabilitationsziele und die darauf aufbauenden therapeutischen Maßnahmen müssen individuell
auf das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes oder Jugendlichen abgestimmt sein. Kinder- und Jugendlichen-
Rehabilitation erfordert deshalb in der Regel spezifische und komplexe, auf eine direkte Verhaltensänderung
ausgerichtete Konzepte, die das familiäre und soziale Umfeld des Kindes einbeziehen (vgl. hierzu: Aufsatz, Aster-
Schenck/Hillmann/Winnefeld, in: DAngVers 2001, 408-417). Auch insoweit erscheint es sinnvoll, die Mutter und die
Schwester des Antragstellers in die Rehabilitationsmaßnahme einzubeziehen
2.
Der Antragsteller hat auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft dargetan. Die vorgesehene
Rehabilitationsmaßnahme soll bereits am 21. Juli 2010 beginnen und bis zum 17. August 2010 dauern. Allein die
durch die Familie des Antragstellers getätigte Reservierung in dem Kinder-Rehazentrum X für den oben genannten
Zeitpunkt kann nicht Grundlage für die Eilbedürftigkeit im vorliegenden Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz sein.
Auch besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt offenbar keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben. Würde man den
Antragsteller auf ein Abwarten in der Hauptsache verweisen, so könnte die Rehabilitationsmaßnahme jedoch
voraussichtlich erst in ein bis zwei oder gar in drei Jahren durchgeführt werden. Möglicherweise würde es in dieser
Zeit zu keinen Diätfehlern und zu keinen gesundheitlichen Schäden kommen. Wäre jedoch das Gegenteil der Fall, wie
es von den behandelnden Ärzten als nicht allzu fern liegende Möglichkeit glaubhaft dargelegt ist, wären irreparable
Gesundheitsschäden die Folge. Daher ist dem Antragsteller das Zuwarten in der Hauptsache nicht zuzumuten.
3.
Der begehrten Regelungsanordnung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass hinsichtlich der konkreten
Ausgestaltung der Rehabilitationsmaßnahme der Antragsgegnerin ein Ermessen eingeräumt ist. Denn im vorliegenden
Falle ist eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben. Nach § 13 Abs. 1 des Sechsten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB VI) bestimmt der Rentenversicherungsträger im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze
der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die
Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Ermessen erstreckt sich nicht auf das "Ob" einer
Leistung, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, sondern auf das "Wie" und enthält ein
Bestimmungsrecht für den Rentenversicherungsträger. Nach § 33 Satz 1 und 2 des Ersten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB I) sowie § 9 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) können Wünsche des
Versicherten berücksichtigt werden. Diese müssen sich dabei im gesetzlichen Leistungsrahmen halten und den
Leistungszweck nicht verfehlen, um als berechtigt im Sinne von § 9 Absatz 1 Satz 1 SGB IX angesehen zu werden.
Außerdem ist das Wirtschaftlichkeitsgebot (u.a. § 69 Abs. 2 SGB IV) zu beachten. Zwar handelt es sich bei der von
dem Antragsteller begehrten Kinder-Reha-Klinik nicht um eine Vertrags-Klinik im Sinne des § 21 SGB IX. Aufgrund
der von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen ist jedoch glaubhaft gemacht, dass die vom Antragsteller begehrte
Klinik für die Behandlung von Phenylketonuriepatienten die eindeutig besser geeignete Einrichtung gegenüber den von
der Antragsgegnerin genannten Einrichtungen ist. So ist aufgrund der Wiedergabe eines Telefonates durch den Vater
des Antragstellers mit dem ärztlichen Leiter der Reha-Klinik in Y. glaubhaft gemacht, dass Phenylketonurie kein
Schwerpunkt der Klinik ist und diese nur in Einzelfällen behandelt werden (von 200 Patienten ein bis zwei mit
schwerwiegenden Stoffwechselerkrankungen). Die Reha-Klinik in Z. listet in ihrem Indikationskatalog
Stoffwechselstörungen überhaupt nicht auf. Die kurzfristige Phenylalaninspiegel-Bestimmung im Blut ist bei den
angebotenen Leistungen bei beiden Kliniken ebenfalls nicht möglich, soweit aus den von der Antragsgegnerin
übersandten Unterlagen ersichtlich. Dagegen ergibt sich aus den vom Antragsteller überreichten Unterlagen (Bl. 42 ff
der Gerichtsakte) des Kinder-Rehazentrums X, dass dort ein Behandlungskonzept speziell für Phenylketonurie-
Patienten maßgeschneidert wurde. Auch die vom Antragsteller vorgelegten ärztlichen Unterlagen, die andere Kinder
mit Phenylketonurie betreffen, belegen, dass diese Reha-Einrichtung für diese Erkrankung offenbar auch von anderen
Ärzten empfohlen wird. Im Übrigen ist durch die Wiedergabe eines Telefonats mit dem Chefarzt des Kinder-
Rehazentrums auf X Dr. L durch den Vater des Antragstellers glaubhaft gemacht, dass das Kinder-Rehazentrum X
seitens der Rentenversicherungsträger in Einzelfällen auch bereits belegt wurde. Auch gehen die glaubhaft gemachten
voraussichtlichen Kosten in Höhe von insgesamt 5.268,76 Euro (für den Antragsteller, die Mutter und die Schwester)
nicht über das hinaus, was für eine Kinderrehabilitationsmaßnahme angemessen erscheint. Unter Berücksichtigung
dieser Umstände ist bei summarischer Prüfung eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben.
4.
Schließlich steht der begehrten Anordnung nicht das sogenannte Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen.
Zwar ist es richtig, dass regelmäßig durch eine einstweilige Anordnung unter Ausnutzung der erleichterten Prüfung der
Sach- und Rechtslage nicht das Ergebnis eines eventuellen Hauptsacheverfahrens vorweggenommen werden darf.
Denn sonst würden die Antragsteller das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Umgehung eines
Hauptsacheverfahrens nutzen können, zumal häufig eine Rückabwicklung der Leistungen sich später wirtschaftlich
als wenig erfolgversprechend darstellt. Andererseits ist ausnahmsweise dann eine Ausnahme von diesem Verbot
geboten, wenn ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Begehrens in einem Hauptsacheverfahren
besteht und sonst durch den Zeitablauf für den Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die später
nicht oder nur schwerlich wieder gut gemacht werden könnten. Hiervon ausgehend ist das Gericht im vorliegenden Fall
der Ansicht, dass eine derartige Ausnahmesituation gegeben ist. Wollte man die Entscheidung der Antragsgegnerin
aufrechterhalten, so wäre der Antragsteller in der Situation, dass er voraussichtlich erst in ein bis zwei,
möglicherweise sogar in drei Jahren abschließend eine Hauptsacheentscheidung über sein Begehren erlangen könnte.
In dieser Zeit müssen zwar keine Schäden durch Diätfehler eintreten, es besteht aber die nicht ganz entfernte
Möglichkeit, dass sie eintreten. Da diese die Gesundheit des Klägers nachhaltig schädigen könnten, ist unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass die Gesundheit eines Kindes grundgesetzlich als höchstes Gut einzustufen ist,
ein Abwarten auch dann nicht zumutbar, wenn hierdurch die Hauptsache letztlich vorweggenommen werden muss.
5.
Der Antragsteller kann nicht auf den Weg der Selbstbeschaffung der begehrten Rehabilitationsmaßnahme mit
anschließender Klageänderung zwecks Kostenerstattung durch die Beklagte im Hauptsacheverfahren verwiesen
werden. Die Familie des Antragstellers kann die Kosten für die geplante Rehabilitationsmaßnahme nicht vorläufig
selbst aufbringen. Vermögen, auf das ein unmittelbarer Zugriff möglich ist, ist nicht vorhanden, wie durch die
eidesstattliche Versicherung der Eltern des Antragstellers glaubhaft gemacht wurde. Aus den laufenden Einkünften
kann der anstehende Betrag in Höhe von 5.268,76 Euro nicht umgehend aufgebracht werden. Da das Kinder-
Rehazentrum sich auf eine unsichere Finanzierungslage nicht einlassen werden wird, ist es zum Schutze des hier
gefährdeten hochrangigen Rechtsgutes notwendig, dass die Beklagte die Kosten der im Wege der einstweiligen
Anordnung zu gewährende Rehabilitationsmaßnahme vorläufig übernimmt.
Dem Antrag war daher stattzugeben. Sollte sich später in einem Hauptsachverfahren herausstellen, dass die hier
streitige und nunmehr zugesprochene Maßnahme dem Antragsteller im Ergebnis nicht zusteht, so wäre er zur
Rückabwicklung der gewährten Leistungen verpflichtet, soweit hierfür die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.