Urteil des SozG Darmstadt vom 16.04.2009

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Sozialgericht Darmstadt
Urteil vom 16.04.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt S 22 AS 724/08
Hessisches Landessozialgericht L 9 AS 243/09
1. Der Bescheid des Beklagten vom 28.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2008 wird
abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, als Warmwasserpauschale nur einen Betrag von 6,33 EUR zu
berücksichtigen.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Abzugs von Kosten für die Warmwasserbereitung von den Heizkosten im
Rahmen der Kosten der Unterkunft nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II).
Die 1954 geborene Klägerin steht im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Ihre
Regelleistung nach dem SGB II beträgt 351,00 EUR monatlich. Ihre 40 m² große Wohnung in A-Stadt beheizt sie mit
einer Gasheizung, mittels derer auch das Warmwasser bereitet wird. Ein gesonderter Zähler für den auf die
Warmwasserbereitung eingesetzten Energieanteil existiert nicht.
Mit Bescheid vom 28.7.2008 bewilligte der Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
für den Zeitraum vom 01.7.2008 bis zum 30.11.2008. Dabei zog er von den tatsächlichen Heizkosten in Höhe von
68,72 EUR einen Betrag von 6,63 EUR für die Bereitung von Warmwasser ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 30.7.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zum Abzug der Kosten für die Warmwasserbereitung an, die einen niedrigeren Abzugsbetrag
vorsehe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.8.2008 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Das
Bundessozialgericht habe bei seinen Entscheidungen als Berechnungsgrundlage die Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe (EVS) 1998 zugrunde gelegt. Nunmehr sei aber die neuere EVS 2003 maßgeblich, von der auch
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ab der Regelsatzanpassung zum 1.7.2008 ausgehe.
Dagegen hat die Klägerin am 5.9.2008 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Die Klägerin bezieht sich zur Klagebegründung auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.2.2008 – B 14/11b AS
15/07 R. Danach sei basierend auf der EVS 1998, unter Berücksichtigung einer Dynamisierung entsprechend der
Entwicklung des Rentenwertes, lediglich ein Betrag von 6,33 EUR abzuziehen.
Über die Beschränkung des Klageantrags hinaus äußert die Klägerin die Rechtsauffassung, es sei zwar von der EVS
2003 auszugehen, aber von den Haushaltsstromkosten seien nur 25 Prozent, anstatt 30 Prozent, als Kosten der
Warmwasserbereitung zu berücksichtigen. Diesen Prozentsatz entnimmt die Klägerin dem Bericht der
Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2008 (BT-Drs.
16/3265 Seite 3). Danach ergebe sich ein Abzugsbetrag von nur 5,52 EUR.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 28.7.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
26.8.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, als Warmwasserpauschale nur einen Betrag von 6,33 EUR zu
berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte meint, für die Ermittlung der Warmwasserpauschale sei die EVS 2003 zu berücksichtigen. Basierend auf
der Empfehlung des Deutschen Vereins aus dem Jahre 1991 seien 30 Prozent der in der EVS für die
Haushaltsenergie vorgesehenen Kosten als Kosten der Warmwasserbereitung anzusehen. Hieraus ergebe sich ein
Abzugsbetrag von 6,63 EUR.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstadt der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten sind, soweit sie einen Abzug für die Warmwasserbereitung in
Höhe von 6,63 EUR von den bewilligten Heizkosten vorsehen, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten. Sie waren daher dahingehend abzuändern, dass ein Abzug für die Warmwasserbereitung nur in Höhe von
monatlich 6,33 EUR vorzunehmen ist.
Von den Heizkosten waren die in der Regelleistung enthaltenen Kosten für die Warmwasserbereitung abzuziehen.
Gem. § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Ein Anspruch hierauf besteht allerdings nach dem
Rechtsgedanken des § 9 Abs. 1 SGB II nur insoweit als der Bedarf nicht bereits anderweitig gedeckt ist. Deshalb und
zur Vermeidung von zweckidentischen Doppelleistungen sind bei der Bemessung der Höhe der Kosten der Unterkunft
und Heizung Beträge abzuziehen, die bereits Teil der Regelleistung gem. § 20 Abs. 1 SGB II sind. Gem. § 20 Abs. 1
SGB II umfasst die Regelleistung insbesondere die Kosten für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat,
Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem
Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Zur im Regelsatz enthaltenen
Haushaltsenergie gehören die Stromkosten, die Kochenergie, die Kosten für Beleuchtung und die Kosten für die
Bereitung von Warmwasser (Beschluss des BVerwG vom 14.1.1998 – 6 B 92/97).
Die in der Regelleistung von 351,00 EUR enthaltenen Kosten für die Warmwasserbereitung betragen 6,33 EUR (vgl.
hierzu Urteil des BSG vom 27.2.2008 – B 14/11b AS 15/07 R – juris Rn. 26 f.).
Die im Regelsatz enthaltenen Kosten der Warmwasserbereitung sind unter Zugrundelegung der EVS 1998 zu ermitteln
und entsprechend der Erhöhung des Regelsatzes seit dem 1.1.2005 zu dynamisieren.
Der Gesetzgeber hat die monatliche Regelleistung für alleinstehende Personen aus der auf den Stand 1.7.2003
hochgerechneten EVS 1998 ermittelt (BT-Drs 15/1516 Seite 56 zu § 20). In der so gebildeten Regelleistung in Höhe
von 345,00 EUR waren als Kosten der Warmwasserbereitung 6,22 EUR enthalten (vgl. zur Herleitung im Einzelnen
BSG a.a.O. juris Rn. 26).
Dies entspricht 30 Prozent des im Regelsatz enthaltenen Anteils für die Haushaltsenergie. Der Ansatz von 30 Prozent
ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte der Empfehlung des Deutschen Vereins aus dem Jahr 1991 entnommen (vgl.
BSG a.a.O. juris Rn. 26 am Ende; NDV 1991, 77).
Die seitdem vorgenommenen Erhöhungen der Regelleistung auf die hier einschlägigen 351,00 EUR beruhten auf der
Regelung des § 20 Abs. 4 SGB II, der eine Dynamisierung der Regelleistung in Abhängigkeit von der Entwicklung des
Rentenwerts der Gesetzlichen Rentenversicherung vorsieht. Erhöht man die Kosten der Warmwasserbereitung im
selben Verhältnis, so sind diese auf 6,33 EUR angestiegen.
Bei der Berechnung der Kosten der Warmwasserbereitung sind die Werte der EVS 1998, nicht die Werte der EVS
2003 zugrunde zu legen.
Zwar hat der Gesetzgeber bei Einführung der Vorschrift des § 20 Abs. 4 SGB II vorgesehen, die Bemessung der
Regelleistung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, sobald die Ergebnisse einer neuen Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe vorliegen. Dies ist jedoch bislang nicht geschehen. Der Regelsatz in Höhe von 351,00 EUR ist
auf eine nur im Hinblick auf den Rentenwert vorgenommene Erhöhung zurückzuführen. Die EVS 2003 hatte auf die
Höhe der Regelleistung keinen Einfluss.
Die Kammer geht im Gegensatz zu der von der Klägerin über den Klageantrag hinaus geäußerten Rechtsauffassung
davon aus, dass 30 Prozent der im Regelsatz enthaltenen Kosten für Haushaltsenergie als Kosten der
Warmwasserbereitung zu berücksichtigen sind, nicht nur 25 Prozent.
Zwar kann sich die Klägerin insoweit auf den Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von
Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2008 (BT Drs 16/3265 Seite 3) berufen. Dieser Bericht hatte aber keinen
Einfluss auf die Bemessung des Regelsatzes und kann deshalb auch nicht als niedergeschriebener,
gesetzgeberischer Wille für den Ansatz der Höhe der Warmwasserkosten als Grundlage dienen. Vielmehr hat sich der
Gesetzgeber bei der Bemessung des Regelsatzes einer weiteren Aufgliederung des Postens Haushaltsenergie in
Einzelbeträge für Stromkosten, Kochenergie, Beleuchtung und Warmwasserbereitung enthalten. Deshalb ist für die
hier erforderliche Aufgliederung auf empirische Werte zurückzugreifen. Derartige Berechnungen sind dem Bericht der
Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2008 nicht zu
entnehmen. Der Prozentsatz von 25 wird vielmehr ohne weitere Begründung postuliert (vgl. BT Drs 16/3265 Seite 3
f.). Die Empfehlung des Deutschen Vereins, die auch das BSG in seiner o.g. Entscheidung zugrunde legt, basiert
hingegen auf Modellrechnungen der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) aus dem Jahr 1986 und kann
sich mithin jedenfalls auf eine statistische Grundlage berufen. Auch wenn insoweit mit Recht die Aktualität dieser
Berechnungen bemängelt werden kann, handelt es sich jedenfalls um eine verlässlichere Tatsachengrundlage, auf die
die Kammer, wie bereits das Bundessozialgericht, mangels anderweitiger Anhaltspunkte ihre Entscheidung stützt.
Der Klage war nach alledem in dem mit dem Klageantrag verfolgten Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Berufung war gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Sache von grundlegender Bedeutung ist.