Urteil des SozG Darmstadt vom 20.05.2010

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Sozialgericht Darmstadt
Urteil vom 20.05.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt S 18 KR 344/08
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.011,31 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 6. September 2008 sowie weiterer 3 Prozentpunkte ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um das Entgelt für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von 1.011,31 EUR.
Die Klägerin betreibt das K.-Krankenhaus in K ... Die bei der Beklagten versicherte D. K. wurde dort wegen einer
chronischen Salpingitis bzw. Oophoritis vom 27. bis zum 29. November 2007 vollstationär behandelt.
Die Klägerin berechnet hierfür die DRG-Fallpauschale N07Z und stellte der Beklagten unter dem 12. Dezember 2007
einen Betrag in Höhe von 2.252,86 EUR in Rechnung. Die Rechnung ging bei der Beklagten am 14. Dezember 2007
auf elektronischem Wege ein. Am 19. Dezember 2007 sandte die Beklagte die Rechnung ebenfalls elektronisch mit
dem Hinweis zurück, dass keine Mitgliedschaft der Patientin bei der Beklagten feststellbar sei, eine Prüfung einer
möglichen Familienversicherung aber in Arbeit sei.
Ab 20. Dezember 2007 führte die Beklagte die Patientin als Versicherte in der Familienversicherung. Der Beginn der
Mitgliedschaft in der Familienversicherung lag vor dem Behandlungszeitpunkt. Eine Mitteilung hierüber an die Klägerin
erfolgte nicht.
Im weiteren Verlauf versuchte die Klägerin sechs weitere Male, die Rechnung zu übermitteln, unter anderem am
4.2.2008. Die Rechnung wurde aber jeweils mit ähnlichen Hinweisen auf eine nicht feststellbare Mitgliedschaft
zurückgewiesen.
Eine weitere Übermittlung der Rechnung erfolgte am 6.8.2008. Mit Schreiben vom 26.8.2008 zeigte der Medizinische
Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) der Klägerin an, mit einer Prüfung der Rechnung vom 6.8.2008
beauftragt worden zu sein. Am 5. September 2008 zahlte die Beklagte einen Teilbetrag in Höhe von 1.241,55 EUR an
die Klägerin. Im Oktober 2008 übersandte der MDK den Fall unbegutachtet an die Beklagte zurück. Die Klägerin hatte
keine prüfbaren Krankenhausdokumentationen zu dem Behandlungsfall zu Verfügung gestellt.
Am 7. November 2008 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Sie meint, § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) enthalte eine Ausschlussfrist. Wenn die
Krankenkasse diese Frist verstreichen lasse, ohne eine Prüfung der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung
vorzunehmen, sei sie verpflichtet, die Forderung des Krankenhauses zu erfüllen. Die Sechswochenfrist des § 275
Abs. 1c SGB V habe bereits mit der ersten Rechnungsübermittlung begonnen. Dass die Beklagte zunächst nicht in
der Lage war, die Mitgliedschaft ihrer Versicherten festzustellen, falle nicht in der Risikosphäre der Klägerin. Diese
habe alle relevanten Information bereits mit der ersten Rechnungsstellung übermittelt.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.011,31 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. September 2008 sowie weiterer 3 Prozentpunkte ab
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Regelung des § 275 Abs. 1c SGB V finde nur im vorgerichtlichen Verfahren Anwendung. Für das
Gerichtsverfahren verbleibe es beim Amtsermittlungsgrundsatz. Selbst wenn man aber § 275 Abs. 1c SGB V als
Ausschlussfrist verstehe, sei es im vorliegenden Fall nicht zu einer Präklusionswirkung gekommen. Es handele sich
um einen atypischen Verfahrensablauf, weil die Beklagte bei der erstmaligen Rechnungsstellung keine Mitgliedschaft
feststellen und daher auch den MDK nicht beauftragen konnte. Bei der Rechnungsstellung am 6.8.2008 sei der MDK
rechtzeitig innerhalb der Sechswochenfrist beauftragt worden. Es komme daher auf die medizinische Notwendigkeit
der Krankenhausbehandlung an, weshalb medizinische Ermittlungen erforderlich seien.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Krankenhausakte der Klägerin, sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung des Entgelts für die Krankenhausbehandlung der Versicherten D. K. in
der Zeit vom 27. bis zum 29. November.
Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten restlichen Vergütungsanspruch der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 2,
3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit dem Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der
Krankenhausbehandlung gem. § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen
entsteht unabhängig von einer Kostenzusage der Krankenkasse unmittelbar mit einer Inanspruchnahme der Leistung
durch den Versicherten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser im Sinne des § 109 Abs. 4 Satz 2
SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16,
17 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) nach Maßgabe der Bundespflegesatzverordnung in der
Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträgern festgelegt wird. Der Zahlungsanspruch des
Krankenhauses korrespondiert mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Demgemäß müssen
beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorliegen, wobei unter Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ein
Krankheitszustand zu verstehen ist, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses
erforderlich macht. Eine Krankenkasse ist nach § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V in Verbindung mit der
Pflegesatzvereinbarung verpflichtet, die vereinbarten Entgelte zu zahlen, wenn die Versorgung im Krankenhaus im
Sinne von § 39 SGB V erforderlich ist (BSG, Urteile vom 13. Mai 2004 und 28. September 2006).
Im vorliegenden Fall kommt es dabei auf die medizinische Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung nicht an. Die
Beklagte ist mit Einwendungen hinsichtlich der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit der Versicherten gem. § 275
Abs. 1c SGB V ausgeschlossen.
Gem. § 275 Abs. 1c SGB V ist bei Krankenhausbehandlungen nach § 39 eine Prüfung im Sinne des § 275 Abs. 1 Nr.
1 SGB V zeitnah durchzuführen. Diese Prüfung ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der
Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen.
Die Sechswochenfrist des § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V stellt eine Ausschlussfrist dar. Sie schließt nach ihrem
Ablauf jegliche Einwendungen, die die medizinische Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung betreffen aus. Dies
ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung, nach der Prüfungen nach Ablauf der Frist "unzulässig" sind (BT-
Drucksache 16/3100 S. 171). Wenn aber eine Prüfung durch den MDK nicht mehr zulässig ist, kann die
Krankenkasse keine medizinischen Einwendungen mehr vorbringen, weil sie kraft der Systematik des SGB V nicht
über eigenen medizinischen Sachverstand verfügt (vgl. Heberlein GesR 2008, 113, 117). Die Klägerin hat daher auch
nach Ablauf der Frist zu Recht die Herausgabe medizinischer Unterlagen an den MDK verweigert. Mangels einer
gesetzlichen Frist zur Datenübermittlung, wäre eine solche gem. § 67 d Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB
X) datenschutzrechtlich rechtswidrig.
Die Frist ist – anders als bspw. die Verjährung – von den Gerichten von Amts wegen zu beachten (Sieper GesR 2007,
446, 447). Eine Beschränkung der Frist auf die vorgerichtliche Auseinandersetzung der Beteiligten ist dem Wortlaut
nicht zu entnehmen. Sie ist auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu erklären, die eine missbräuchliche
Verzögerung des Rechnungsprüfungsverfahrens zulasten des Krankenhauses verhindern soll. Im Gegenteil würde der
Gesetzeszweck gleichsam konterkariert werden, wenn sich die Krankenkasse durch Klageeinreichung über die im
vorgerichtlichen Verfahren eingetretene Präklusion hinwegsetzen könnte. Eine solche Beschränkung der
Präklusionswirkung wäre auch rechtspolitisch nicht erklärlich, weil sie die Belastung der Gerichte weiter verstärken
würde und die Bemühungen der Beteiligten außergerichtliche Lösungen für Konflikte zu finden, verringern könnte.
Die Wirkungen der Ausschlussfrist sind im vorliegenden Fall eingetreten. Fristbeginn war die erste
Rechnungsübermittlung am 14.12.2007. Die Krankenkasse kann sich nicht darauf berufen, dass eine Prüfung des
MDK aus ihrer Sicht schon deshalb nicht angezeigt war, weil ein Mitgliedschaftsverhältnis der Patientin nicht
festgestellt werden konnte. Dieser Fehler in der Datenverwaltung der Krankenkasse liegt alleine in der Risikosphäre
der Beklagten. Er kann nicht zu Lasten des Krankenhauses gehen. Hierfür spricht nicht nur, dass das Krankenhaus
keine Möglichkeit hat, Einfluss auf die Richtigkeit und Effizienz des Verwaltungshandelns der Beklagten zu nehmen.
Zudem hätte die Beklagte bereits auf die Aufnahmemitteilung gem. § 301 Abs. 1 Nr. 3 SGB V mit einem
entsprechenden Hinweis auf die – aus ihrer Sicht – fehlende Mitgliedschaft reagieren können. Im Übrigen ergab sich
der angeblich ungeklärte Versicherungsstatus der Patientin als Mitglied in der Familienversicherung bereits aus der
Krankenversicherungskarte. Die in der Krankenhausdokumentation befindliche ärztliche Verordnung der
Krankenhausbehandlung vom 8.11.2007 enthält im Feld "Status" die Nummer "3000 1". Diese Angabe, die aus der
Krankenversicherungskarte ausgelesen wird, steht für eine Mitgliedschaft in der Familienversicherung. Selbst wenn
man aber davon ausginge, dass mit der erstmaligen Übermittlung der Rechnung die Ausschlussfrist des § 275 Abs.
1c SGB V noch nicht begonnen hätte, weil die Krankenkasse zu diesem Zeitpunkt von einer nicht bestehenden
Mitgliedschaft der Patientin ausging, so hätte der Lauf der Frist spätestens am 4.2.2008 mit der nochmaligen
Übermittlung der Rechnung begonnen. Unstreitig war auch der Krankenkasse spätestens am 20.12.2007 der
Versicherungsstatus der Patientin bekannt. Dass zu diesem Zeitpunkt ein Abgleich der Datenbanken für die
Mitgliedschaftsverwaltung und für die Krankenhausabrechnungen offenkundig nicht stattfand, ist ein
Organisationsfehler auf Seiten der Beklagten, der nicht dies gesetzliche Regelungen zum Schutze des
Krankenhauses verdrängen kann.
Entscheidend für den Beginn der Ausschlussfrist des § 275 Abs. 1c SGB V in atypischen Fällen ist daher, in wessen
Sphäre die Ursache für den atypischen Geschehensablauf fällt. Liegt der Grund für die Unregelmäßigkeit beim
Krankenhaus, läuft bis zu einer Rückkehr zu einem normalen Verfahrensablauf keine Ausschlussfrist. Ist die Ursache
dagegen in der Sphäre der Krankenkasse begründet, so beginnt der Fristlauf wie in typischen Fällen mit dem Eingang
der Rechnung.
Die Beklagte war daher hier mit medizinischen Einwendungen ausgeschlossen. Die Kammer konnte deshalb von
medizinischen Ermittlungen absehen.
Weitere Gründe, die gegen eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten sprechen waren nicht ersichtlich oder
vorgetragen. Der Klage war deshalb stattzugeben.
Die Nebenentscheidung zu den Zinsen basiert auf § 10 Abs. 5 des Hessischen Landesvertrags in Verbindung mit §
288 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) für die Zeit vom 6. September bis zur Rechtshängigkeit der Klage;
für die Zeit ab Rechtshängigkeit auf § 69 Satz 4 SGB V in Verbindung mit §§ 291, 288 Abs. 2 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.