Urteil des SozG Darmstadt vom 30.03.2009

SozG Darmstadt: unterbringung, demenz, hauptsache, unmittelbare gefahr, wohngemeinschaft, stadt, pflegeheim, wechsel, gestaltung, umzug

Sozialgericht Darmstadt
Beschluss vom 30.03.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt S 17 SO 18/09 ER
Hessisches Landessozialgericht L 9 SO 65/09 B ER
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, bis zum rechtskräftigen Abschluss
des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Darmstadt - Aktenzeichen S 17 SO 121/08 - die ungedeckten Kosten der
Pflege der Antragstellerin in der Wohngemeinschaft für Demenzkranke in der A Straße, A-Stadt darlehensweise ab
10.02.2009 zu übernehmen.
2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache um die Übernahme von ungedeckten ambulanten Pflegekosten in einer
Demenz-WG.
Die 1921 geborene Antragstellerin leidet unter einer Demenzerkrankung und lebt seit 1.3.2008 in einer sog Demenz-
WG in der A-Straße in A-Stadt, in der sie durch einen ambulanten Pflegedienst gepflegt wird.
Bis Ende Februar 2008 lebte die Antragstellerin in ihrer eigenen Wohnung und wurde von einem ambulanten
Pflegedienst gepflegt. Die hierbei entstehenden monatlichen Kosten von ca. 3.000,00 EUR wurden im Rahmen der
ambulanten Hilfe zur Pflege von der Antragsgegnerin übernommen. Die Antragstellerin ist seit dem 01.08.2006 in die
Pflegestufe II eingestuft, durch Bescheid vom 02.02.2009 der AOK Pflegeversicherung wurde die Antragstellerin
rückwirkend zum 01.07.2008 in die Pflegestufe III eingestuft. Durch ihre Betreuerin beantragte die Antragstellerin mit
Schreiben vom 12.01.2008 bei der Antragsgegnerin einem Umzug in die Demenz-WG A-Straße zuzustimmen und die
ungedeckten Kosten zu übernehmen, weil ein weiterer Verbleib in der eigenen Wohnung nicht mehr möglich sei.
Hierzu legte die Antragstellerin ein ärztliches Attest vom 14.02.2008 des Hausarztes der Antragstellerin vor (Blatt 22
der Gerichtsakte).
Durch Bescheid vom 06.03.2008 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Übernahme der Kosten in der Demenz-
WG ab und begründete dies damit, dass eine vollstationäre Unterbringung in einem Alten- bzw. Pflegeheim zumutbar
sei und die dadurch entstehenden ungedeckten Kosten in Höhe von 555,50 EUR deutlich niedriger als die bei der
Unterbringung in einer Demenz-WG von monatlich 2.475,60 EUR ausfielen. Der hiergegen bei der Antragsgegnerin am
25.03.2008 eingegangene Widerspruch der Antragstellerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2008 mit der
wesentlichen Begründung als unbegründet zurückgewiesen, dass der Aufenthalt der nun 87-jährigen Antragstellerin in
einem der vorgeschlagenen Alten- und Pflegeheimen zumutbar sei, zumal es sich bei den benannten Heimen um
zugelassene Einrichtungen handele, deren Versorgungsauftrag auch die Pflege und Betreuung dementer Personen
umfasse. Hierzu nannte die Antragsgegnerin beispielhaft vier stationäre Pflegeeinrichtung, die über individuelle
Versorgungskonzepte für Demenzerkrankte verfügten. Der von Herrn Dr. M. erstellte Befundbericht ließe nicht
erkennen, dass eine stationäre Einrichtung für sie nicht in Betracht komme, zumal die Antragstellerin nur unter einer
mittelschweren Demenz leide und in vielen Lebensbereichen gut motivierbar sei. Die Aufnahme in die Demenz
Wohngemeinschaft sei daher mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden.
Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid hat die Antragstellerin am 15.08.2008 vor dem Sozialgericht
Darmstadt Klage erhoben.
Mit am 10.02.2009 beim Sozialgericht Darmstadt eingegangenen Schriftsatz hat sie des Weiteren einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung hat sie ein durch sie selbst veranlasstes neuro-
psychiatrisches Sachverständigengutachten von Herrn Dr. A. vom 29.01.2009 (Blatt 49 ff. der Gerichtsakte)
vorgelegt, in welchem dieser ausführt, dass zwar theoretisch eine stationäre Unterbringung in einer
Demenzeinrichtung denkbar gewesen wäre, allerdings in dem besonderen Fall davon auszugehen sei, dass aufgrund
des Verlaufs von der Aufnahme in eine Demenz-Wohngemeinschaft eine qualifizierte und dem Krankheitsbild
angemessene Behandlung zu erwarten gewesen sei. Darüber hinaus sei eine Verlegung eines demenzerkrankten
Menschen in eine andere Versorgungsstruktur medizinisch völlig unzuträglich, weil hier eine unmittelbare
gesundheitliche Verschlechterung zu erwarten sei, die durchaus im Falle der demenzerkrankten Antragstellerin
verheerende Folgen haben könnte. Insofern sei ein Umzug in eine sogenannte stationäre Einrichtung aus
medizinischer und insbesondere neuropsychiatrischer Sicht unzumutbar. Des Weiteren hat die Antragstellerin unter
anderem ein ärztliches Attest von Herrn G., Facharzt für Allgemeinmedizin, vom 01.12.2008 vorgelegt, der ebenfalls
ausführt, dass ein aus finanziellen Gründen erzwungener Wechsel der Unterbringung und damit verbundene
Herausreissen der Antragstellerin aus der gewohnten und sozial vertrauten Umgebung in Anbetracht der vorliegenden
Erkrankung nicht hilfreich sei und im schlimmsten Fall zur Verschlechterung der Gesundheitssituation führen könne
(Blatt 62 der Gerichtsakte).
Die Antragstellerin vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass bei ihr sowohl Anordnungsanspruch als auch
Anordnungsgrund für die Übernahme der Kosten der Unterbringung in der Demenz-WG zumindest bis zur
Entscheidung der Hauptsache darlehensweise zu übernehmen sei. Insbesondere sei die Antragstellerin finanziell nicht
in der Lage, mehrere Monate bis zur Entscheidung der Hauptsache zu überbrücken, weil sie weder über
dementsprechendes Vermögen verfüge, noch sie aus ihren laufenden monatlichen Einkünften hierzu in der Lage sei.
So habe der die Antragstellerin versorgende ambulante Pflegedienst bereits die Kündigung des Pflege- und
Betreuungsvertrages angekündigt, womit die pflegerische Versorgung der Antragstellerin nicht mehr gesichert sei. Aus
den vorgelegten ärztlichen Attesten ergebe sich zwingend, dass eine stationäre Unterbringung nicht mehr zumutbar
sei. Schließlich trägt sie vor, dass die Antragsgegnerin ihr mündlich vor dem Einzug in die Demenz-WG die
Kostenübernahme zugesichert habe.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß), der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, bis
zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Darmstadt im parallel geführten
Rechtsstreit S 17 SO 121/08 die ungedeckten Kosten der Pflege der Antragstellerin in der Wohngemeinschaft A-
Straße, A-Stadt darlehensweise ab dem 10.02.2009 zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß), den Antrag abzulehnen.
Sie vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass insbesondere ein Anordnungsanspruch im vorliegenden Fall nicht
glaubhaft gemacht sei. Insbesondere sei nicht ersichtlich, inwiefern die Unterbringung in einem stationären Pflegeheim
der Antragstellerin nicht zumutbar sei. Alleine 600.000 Fälle im Bundesgebiet würden belegen, dass durchaus durch
eine stationäre Unterbringung Menschen mit einer Demenzerkrankung eine geeignete und zumutbare Behandlung
erfahren würden. Eine Zusicherung der Kostenübernahme in einer ambulanten Einrichtung sei nie erfolgt.
Die Antragsgegnerin vertritt des Weiteren die Auffassung, dass unter Zugrundelegung der nun anerkannten
Pflegesatzstufe III bei der Unterbringung in einem Pflegeheim mit einem täglichen Pflegesatz in Höhe von 105,00
EUR eine ungedeckte Kostenlücke in Höhe von 804,77 EUR bestünden, hingegen bei der Unterbringung in der
ambulanten WG ein ungedeckter Aufwand in Höhe von 1926,00 EUR entstehe. Dies wird insbesondere damit
begründet, dass bei der Aufstellung der Kosten für die Pflege in der Demenz-WG das monatliche Renteneinkommen
der Antragstellerin unberücksichtigt bleiben müsse, weil die Antragstellerin aus ihrem Einkommen gemäß § 85 Abs. 2
SGB XII Kost und Logi zu bezahlen hätte.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und statthaft. Rechtsgrundlage ist die Vorschrift des
§ 86 b Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Antrag ist auch begründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt
voraus, dass eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein solcher Nachteil ist nur
anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der
Hauptsache – möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die
Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Das Abwarten einer
Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein; d.h. es muss eine dringliche
Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Hessisches Landessozialgericht (HLSG) Beschluss
22.09.2005 – L 9 AS 47/05 ER -; Conradis in LPK–SGB II, 1. Aufl., Anhang Verfahren Rn. 117).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sich beide
in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender
Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein
bewegliches System (HLSG vom 29.09.2005 – L 7 AS 1/05 ER; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 86b Rn. 27 und 29
mwN). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf
mwN). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf
einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes
Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich
die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund
verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der
Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer
Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher
zuzumuten ist.
Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde
das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip) ist ein nur
möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe
unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel
vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG,
a.a.O). Denn im Rahmen der gebotenen Folgeabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers
ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den
Antragsteller verwirklichbaren soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten (Hessisches LSG, 27.7.2005 – L 7
AS 18/05 ER).
Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O.) ist vorliegend die Sach- und Rechtslage
nicht abschließend aufklärbar, denn es kann derzeit nicht abschließend festgestellt werden, ob der dem Grunde nach
bestehende Anspruch des Antragstellers auf ergänzende Hilfe zur Pflege gemäß § 61 SGB XII wegen
unverhältnismäßiger Kosten zu beschränken ist bzw. ausscheidet.
Es kann dahinstehen, ob eine Kostenübernahme in einer ambulanten Einrichtung seitens der Antragsgegnerin
mündlich zugesichert worden ist, weil im Bereich des Sozialrecht eine wirksame Zusicherung nur schriftlich erfolgen
kann (§ 34 SGB X; s.a. Engelmann in von Wulffen, SGB X, § 34 Rn 8).
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide sind im Rahmen der Hilfe zur Pflege bzw. Eingliederungshilfe §§ 61,
53, 54, 13 Absatz 1 Satz 4 SGB XII. Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 61 SGB XII liegt im vorliegenden Fall
zweifelsfrei vor. Auch der Umfang ist unstreitig. Die Klägerin ist auch mit der Demenzerkrankung wesentlich körperlich
behindert im Sinne von § 2 SGB IX.
Den Wünschen des Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, soll nach § 9 Abs. 2 Satz 1
SGB XII entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Die Angemessenheit richtet sich nach den
Besonderheiten des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Leistungsberechtigten, der Art seines Bedarfs und
den örtlichen Verhältnissen (§ 9 Abs. 1 SGB XII). Nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII soll der Träger der Sozialhilfe
regelmäßig Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre.
Nach dieser Vorschrift hat der Sozialhilfeträger einen Kostenvergleich zwischen der gewünschten Leistung und
anderen geeigneten und zumutbaren Hilfeangeboten vorzunehmen. Fallen wunschbedingte Mehrkosten an, erschöpft
sich die Frage nach ihrer (Un)Verhältnismäßigkeit nicht in einem rein rechnerischen Kostenvergleich. Die
Verhältnismäßigkeit betrifft die Relation zwischen der gewünschten Gestaltung der Hilfe und den damit verbundenen
Mehrkosten. Die Mehrkosten dürfen zum angestrebten Verwendungszweck nicht außer Verhältnis stehen. Der
Mehrkostenvorbehalt in § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII verlangt daher eine wertende Betrachtungsweise. Zu
berücksichtigen ist vor allem das Gewicht, das der vom Leistungsberechtigten gewünschten Gestaltung der Hilfe im
Hinblick auf seine individuelle Notsituation beizumessen ist. Dabei sind alle Besonderheiten des Einzelfalles in den
Blick zu nehmen. Je größer die Bedarfsnähe der gewünschten Hilfegestaltung ist, um so "berechtigter" kann der
Wunsch des Leistungsberechtigten sein (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.12.2005, Az.: L
23 B 1086/05 SO – juris).
Gemäß § 13 Absatz 1 SGB XII können Leistungen entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung
des Bedarfes außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre Einrichtungen
erbracht werden. Bei letzteren handelt es sich um Einrichtungen, in den der Hilfebedürftige lebt und die erforderlichen
Hilfeleistungen erhält. Nach § 13 Absatz 1 Satz 4 SGB XII gilt der Vorrang der ambulanten Leistungen nicht, wenn
eine Leistung in einer geeigneten stationären Einrichtung zumutbar ist und eine ambulante Leistungen mit
unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Auf den Mehrkostenvergleich kommt es nach § 13 Absatz 1 Satz 5,
7 SGB XII nicht an, wenn die stationäre Unterbringung unzumutbar ist (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes
Niedersachsen - Bremen vom 07. Juni 2007, - L 8 SO 118/07 ER -).
Bei der Zumutbarkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff dessen Auslegung sich insbesondere an
§ 13 Absatz 1 Satz 6 SGB XII orientiert (vgl. Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 13, Rdn. 6;
Grube/ Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 13, Rdn. 5). Nach dieser Norm sind die persönlichen, familiären und
örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Im Rahmen des Begriffes der Angemessenheit steht dem
Sozialhilfeträger ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm aaO.). Dabei ist eine
Gesamtwürdigung der Umstände vorzunehmen (vgl. Beschluss des Sozialgerichtes Hamburg vom 15. Dezember
2005, - S 50 SO 583/05 ER -), welche immer auf den jeweiligen Einzelfall abgestellt sein muss (vgl. Beschluss des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 11. Februar 2000, - 13 B 3030/99 -).
Unzumutbarkeit liegt in der Regel dann vor, wenn bei einer stationären Unterbringung unmittelbare Gefahr für Leib oder
Leben droht, etwa wenn ernsthaft mit einem Suizid des Hilfebedürftigen zu rechnen ist (vgl. Beschluss des
Landessozialgerichtes Niedersachsen - Bremen vom 07. Juni 2007 aaO.). Gleiches gilt, wenn er in der Einrichtung
nicht menschenwürdig wohnt oder wegen erheblicher Qualitätsmängel nicht fachgerecht betreut wird (vgl. LPK - SGB
XII - Krahmer, § 13, Rdn. 9; Beschluss des Sozialgerichtes Hamburg vom 15. Dezember 2005, - S 50 SO 583/05 ER
-).
Unzumutbarkeit aus persönlichen Gründen liegt auch vor, wenn ein junger Pflegebedürftiger auf das Altersheim
verwiesen wird (vgl. Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 28. August 1996, - 4 L 1845/96 -;
Schellhorn/ Schellhorn/ Hohm, aaO.) Ein persönlicher Umstand besteht in dem Verlust der sozialen Gemeinschaft,
welche bei Eintritt in ein Heim verloren gehen würde (vgl. Grube/Wahrendorf, § 13, Rdn. 5). Familiäre Umstände liegen
vor, wenn beispielsweise eine Pflege durch einen Angehörigen bei Wechsel in ein Heim nicht fortgesetzt werden
könnte (vgl. LPK - SGB XII - Krahmer aaO.)
Die Beweislast dafür, dass entgegen dem Regelausnahmeverhältnis eine Leistung für eine geeignete stationäre
Einrichtung im vorliegenden Fall zumutbar ist trägt nach herrschender Meinung der Sozialhilfeträger, weil bei Zweifeln
daran, ob alle Tatbestandsmerkmale des § 13 Satz 3 SGB XII erfüllt sind, es beim Vorrang ambulanter Hilfen im
Sinne von Satz 2 verbleiben muss (siehe Jürgens NDV 1996, 393, 394; s.a. Kramer LPK SGB XII § 13 Randnummer
9).
Gemessen an diesen Umständen kann im vorliegenden Fall nach einer Gesamtabwägung aller
entscheidungserheblichen Umstände nach gebotener summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen
Rechtschutzes nicht beurteilt werden, ob die Klage in der Hauptsache begründet ist oder nicht. Vielmehr wird im
Hauptsacheverfahren erst ein entsprechendes Sachverständigengutachten die entscheidungserhebliche Frage der
Zumutbarkeit klären.
So spricht für eine Zumutbarkeit einer stationären Heimunterbringung der Umstand, dass bundesweit zahlreiche unter
einer Demenzerkrankung leidende Menschen in entsprechend stationären Einrichtungen untergebracht sind und
zumindest nicht bekannt ist, dass diese hierdurch zusätzlichen gesundheitlichen Schäden erleiden. Des Weiteren ist
nicht dargetan, dass durch die Unterbringung in einem stationären Heim familiäre Besuche seitens der Familie der
Antragstellerin nicht mehr möglich seien. Insoweit hat die Antragsgegnerin glaubhaft dargetan, dass es entsprechende
stationäre Einrichtungen im Stadtgebiet der Stadt A-Stadt gibt. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es
nach dem im Gesetzeswortlaut klar zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, der auch dem im Bereich
der steuerfinanzierten Sozialhilfe geltenden Grundsatz der Subsidiarität entspricht, nicht alleine darauf an, ob die
Unterbringung in einer ambulanten Betreuung besser für sie wäre. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der SGB XII-
Träger nicht für eine optimale Unterbringung zu sorgen hat. Vielmehr kommt es zunächst darauf an, ob nicht im Falle
einer billigeren Unterbringung in einer stationären Einrichtung diese der Antragstellerin zumutbar ist.
Gegen die Zumutbarkeit sprechen allerdings die seitens der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Befunde,
insbesondere das ärztliche Attest von Herrn Dr. M. vom 06.02.2008, demzufolge bei der Antragstellerin ausreichende
Ressourcen im Hinblick auf soziale Kommunikation und Kompetenz bestünden, die in einem Pflegeheim nicht
hinreichend aktiviert werden können. Darüber hinaus folgt aus dem seitens der Antragstellerin vorgelegten neuro-
psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 29.01.2009, dass im Falle der Antragstellerin davon auszugehen ist,
dass aufgrund des Verlaufs von der Aufnahme in eine Demenz Wohngemeinschaft eine qualifiziertere und dem
Krankheitsbild angemessenere Behandlung zu erwarten war. Aus diesen Stellungnahmen folgt zwar nicht zwingend,
dass die Aufnahme in einer stationären Maßnahme für die Antragstellerin nicht zumutbar gewesen wäre, sie lassen
jedoch darauf schließen, dass aus medizinischen Gründen die Aufnahme in einer ambulanten Demenz-WG die
angemessenere und daher zumutbarere Maßnahme ist. Die Antragsgegnerin hat zu den seitens der Antragstellerin
vorgelegten medizinischen Befunden, die sie als Gefälligkeitsgutachten betrachtet, keinerlei eigene Ermittlungen von
Amts wegen angestellt, sondern sich vielmehr auf den Erfahrungssatz berufen, dass per se die Unterbringung von
Demenzkranken in stationären Maßnahmen zumutbar sei. Dies trägt jedoch nicht dem Grundsatz Rechnung
ausreichend, dass die Frage der Zumutbarkeit eine individuelle Abwägung von Nutzen und Gefahren für den im
Einzelnen Betroffenen voraussetzt. Insoweit ist der im Sozialrecht geltende Individualitätsgrundsatz zu beachten und
der Umstand, dass bei der Frage der Zumutbarkeit im Rahmen des § 13 SGB XII nicht pauschal auf die Gesamtheit
der Demenzerkrankten abzustellen ist, sondern gerade im Hinblick auf die Antragstellerin zu prüfen ist, ob für sie die
Unterbringung in einer stationären Einrichtung zumutbar ist oder nicht. Hätte der Gesetzgeber eine pauschale Prüfung
der Zumutbarkeit stationärer Demenzeinrichtungen an dieser Stelle gewollt, hätte er dies unschwer im
Gesetzeswortlaut zum Ausdruck bringen können. Ob auch im Falle der Antragstellerin die Unterbringung in einer
stationären Maßnahme eine zumutbare Unterbringung wäre wird letztlich erst ein im Hauptsacheverfahren
einzuholendes entsprechendes Gutachten klären können, weshalb die Erfolgsaussichten nicht sicher sind.
Demgemäß ist eine Interessenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung vorzunehmen, welchen Beteiligten ein
Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.
Die Gewährung des Existenzminimums umfasst neben dem allgemeinen Lebensunterhalt auch die Grundpflege und
hauswirtschaftliche Versorgung eines schwerpflegebedürftigen Menschen, so dass der Antragstellerin für den Fall der
Kündigung des Pflegedienstes schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die ein Abwarten einer Entscheidung in
der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen.
Aus den seitens der Antragstellerin im Laufe des Verfahrens vorgelegten medizinischen Befunden folgt, dass
jedenfalls seitdem sie in der ambulanten Demenz-WG untergebracht ist, ein Umzug in eine stationäre Maßnahme
nicht zumutbar ist. So führt der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin Herr G. in seinem Attest vom 01.12.2008
aus, dass ein aus finanziellen Gründen erzwungener Wechsel der Unterbringung und damit verbundene Herausreißen
der Antragstellerin aus der gewohnten und sozial vertrauten Umgebung in Anbetracht der vorliegenden Erkrankung im
schlimmsten Fall zur Verschlechterung der Gesundheitssituation führen könne. Auch Dr. A. führt in seinem Gutachten
vom 29.01.2009 aus, dass eine Verlegung eines demenzkranken Menschen in eine andere Versorgungsstruktur
medizinisch völlig unzuträglich sei, weil hier eine unmittelbare gesundheitliche Verschlechterung zu erwarten wäre, die
im Falle der Antragstellerin verheerende Folgen haben könnte. Aus diesen Ausführungen ergibt sich geradezu
zwingend bei einer Folgenabwägung zwischen der gesundheitlichen Unversehrtheit der Antragstellerin und dem
finanziellen Interesse der Antragsgegnerin, dass hier eher der Antragsgegnerin ein Abwarten der Entscheidung in der
Hauptsache zuzumuten ist, und sie bis dahin darlehensweise die Kosten für die Unterbringung in der Demenz-WG zu
tragen hat. Da mittlerweile das "Pflegeteam M.", welches die Antragstellerin pflegt, mit Schriftsatz vom 05.11.2008
gegenüber der Betreuerin der Antragstellerin angekündigt hat, aufgrund der fehlenden Zahlungseingänge aus
wirtschaftlichen Gründen den Betreuungs- und Pflegevertrag zu kündigen, sofern nicht bis zum 30.11.2008 die
Außenstände ausgeglichen seien, ist es der Antragstellerin nicht zumutbar, die Entscheidung in der Hauptsache
abzuwarten.
Hiergegen kann die Antragsgegnerin auch nicht mit Erfolg einwenden, dass die Antragstellerin mit ihrem
eigenmächtigen Einzug in die Demenz-WG Fakten geschaffen habe, und daher ein Berufen auf einen nunmehr
entstehenden Schaden bei Auszug rechtsmißbräuchlich sei. So hätte es der Antragsgegnerin freigestanden,
insbesondere nach Vorlage der ärztlichen Atteste seitens der Antragstellerin entsprechen der eigenen
Amtsermittlungspflicht nach §§ 20, 21 SGB X zu genügen und durch eigene Sachverhaltsermittlungen z.B. in Form
der Einholung eines entsprechenden Pflegegutachtens die Zumutbarkeit einer Unterbringung in einer stationären
Maßnahme festzustellen. Dies gilt umso mehr, als sie mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 8.2.2008 gerade
aufgefordert wurde, die Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte vorzulegen. Auch wenn die Antragsgegnerin diese
später als Gefälligkeitsgutachten wertete, indizierten sie eine Abklärung durch eigene Amtsärzte. Die hierzu u.U.
fehlenden Sachmittel der Antragsgegnerin können nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen.
Dem Antrag musste daher mit der entsprechenden Kostenfolge aus § 193 SGG im tenorierten Umfang stattgegeben
werden. Da in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes eine Vorwegnahme der Hauptsache grundsätzlich
unzulässig ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, § 86b, Rn 31), war nur eine Verpflichtung zur darlehensweise
Kostenübernahme auszusprechen. Maßgebend war die Antragstellung beim SG Darmstadt am 10. Februar 2009.