Urteil des SozG Cottbus vom 19.12.2007

SozG Cottbus: eingliederung, materielles recht, ausstellung, auszahlung, behörde, exekutive, ermessensüberschreitung, begriff, ermessensfehlgebrauch, arbeitsvermittler

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Gericht:
SG Cottbus 14.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 14 AS 516/08
Dokumenttyp:
Gerichtsbescheid
Quelle:
Normen:
§ 6a Abs 1 S 2 SGB 2, § 14 S 3
SGB 2, § 16 Abs 2 S 1 SGB 2
vom 19.12.2007, § 16 Abs 1 S 2
SGB 2, § 421g SGB 3
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Eingliederungsleistung -
Vermittlungsgutschein - alternatives Modell -
Vermittlungsprämie - keine Neuschaffung von bereits gesetzlich
geregelten Instrumenten - Ermessensfehler
Leitsatz
1.) Zur Frage der Schaffung alternativer Modelle zur Eingliederung in Arbeit.
2.) Ein Träger der Leistungen nach dem SGB II ist bei der Schaffung alternativer Modelle zur
Eingliederung in Arbeit nicht berechtigt gesetzlich geregelte Instrumente (wie der
Vermittlungsgutschein), durch eigene Abwandlungen der gesetzlich geregelten Instrumente
zu ersetzen.
3.) Die von dem Beklagten geschaffene Vermittlungsprämie ist rechtswidrig.
Tenor
I. Der Beklagte wird, unter Aufhebung des Bescheides vom 28. November 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2008 verpflichtet, den Antrag des
Klägers vom 10. August 2007 auf Ausstellung eines Vermittlungsgutscheins unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
II. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu
erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten über
den Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Vermittlungsgutscheins nach dem Zweiten
Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II).
Am 10. August 2007 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Ausstellung eines
Vermittlungsgutscheins (gem. § 16 Absatz 1 SGB II i. V. m. § 421g SGB III). Mit Bescheid
vom 28. November 2007 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab und führte zur
Begründung im Wesentlichen aus; der Beklagte erbringe Leistungen zu Eingliederung in
Arbeit und könne unter anderem die in §§ 421f SGB III ff. genannten Leistungen
erbringen. Bei der Auswahl der Eingliederungsleistungen habe der Beklagte die
Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 14 S. 3 SGB II) zu beachten. Der
Beklagte hat daher das Instrument der Vermittlungsprämie anstelle des Instrumentes
des Vermittlungsgutscheines geschaffen. Das von dem Beklagten neu geschaffene
Instrument der Vermittlungsprämie sichere gewisse Mindeststandards und besondere
Vorzüge wie:
- Übermittlung einer konkreten Stellenbeschreibung
- Eine Arbeitsstundenzahl von mindestens 30 Wochenstunden
- Mindestvergütung in Höhe von 6,- Euro die Stunde (bei Facharbeitern 7,- Euro)
- Keine Beschäftigung in den letzten 3 Jahren für länger als 3 Monate bei dem
Arbeitgeber
- Eine stärkere Bemühung des Arbeitsvermittlers den Vermittelten nachhaltig in
Arbeit zu vermitteln um sich die volle Prämie zu sichern.
und wirke durch restriktive Förderungsvoraussetzung einer missbräuchlichen
Verwendung entgegen. Die Höhe der Vermittlungsprämie wurde durch den Beklagten
auf eine absolute Höhe von 2000,- € begrenzt. Die Auszahlung dieser Maximalsumme
erfolgt gestaffelt, abhängig von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Nach
Vorlage des Arbeitsvertrages erfolgt eine anteilige Auszahlung in Höhe von 200,- Euro.
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Vorlage des Arbeitsvertrages erfolgt eine anteilige Auszahlung in Höhe von 200,- Euro.
Danach erfolgen nach mindestens sechsmonatigem Bestehen und dann für jeweils
weitere 6 Monate jeweils in diesen Staffelungen, die Auszahlungen von bis zu dreimal
600,- Euro. Hierdurch würden nach Argumentation des Beklagten so genannte
Mitnahmeeffekte und den niedrigen 1. Betrages neutralisiert. Die nachfolgende
Staffelung unterstreiche den langfristigen Charakter der Eingliederungsbemühungen.
Darüber hinaus erfülle das Instrument der Vermittlungsprämie die gleichen Aufgaben wie
der Vermittlungsgutscheins und habe den gleichen Mitteleinsatz. Der Hilfebedürftige
habe durch die Entscheidung für die Vermittlungsprämie auch keinen Nachteil, da diese
ebenso wie der Vermittlungsgutscheins erst nach der Vermittlung zur Auszahlung
komme. Auf diese Weise werde mit den Geldern der Steuerzahler, nach der Begründung
des Beklagten, wirtschaftlicher umgegangen.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2008 zurück. Der Beklagte stellte dabei fest, bei
der begehrten Leistung handele es sich um Ermessensleistungen und der Beklagte habe
sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt.
Mit seiner am 26. März 2008 erhobenen Klage begehrt der Kläger eine
ermessenfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Ausstellung eines
Vermittlungsgutscheins. Er ist der Auffassung der Beklagte habe das ihm eingeräumte
Ermessen falsch gebraucht. Nach seiner Auffassung sei das Ermessen des Beklagten
dahingehend zu gebrauchen, dass ihm vergleichbare Leistungen zum
Vermittlungsgutschein der Bundesagentur für Arbeit zu gewähren seien (§ 421g SGB III)
die vom Beklagten in Aussicht gestellte Vermittlungsprämie sei abhängig von der
Haushaltslage. Ein Rechtsanspruch auf Auszahlung würde selbst im Falle einer
erfolgreichen Vermittlung daher nicht begründet werden. Es kann daher im Falle der
Vermittlungsprämie nicht mit der gleichen Sicherheit wie bei einem
Vermittlungsgutschein davon ausgegangen werden, dass der Arbeitsvermittler auch
tatsächlich einen Anspruch auf Auszahlung der Vergütung gegenüber dem Beklagten
erlangt. Das wirtschaftliche Risiko der Beauftragung des Arbeitsvermittlers wird damit in
vollem Umfang auf den Hilfebedürftigen übertragen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. November 2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2008 zu
verpflichten, den Antrag des Klägers vom 10. August 2007 auf Ausstellung
eines Vermittlungsgutscheins unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte im Wesentlichen auf die angefochtenen
Bescheide. Er trägt ergänzend vor, dass er wegen § 6a SGB II verpflichtet sei alternative
Modelle der Eingliederung zu schaffen. Dem sei er mit der Schaffung der
Vermittlungsprämie, die das Instrument des Vermittlungsgutscheines auch nicht völlig
ablöse, sondern lediglich ergänze, auch nachgekommen.
Die Kammer hat in Ausübung der Verpflichtung zur unter dem 13. Juli 2009 einen
Erörterungstermin durchgeführt. Im Rahmen dessen wurde dem Beklagten aufgegeben
darzulegen in welchem Umfang in den vergangenen Jahren seit 2005 durch diesen
Vermittlungsprämien und Vermittlungsgutscheine ausgegeben wurden. Die Kammer hat
den Beteiligten mit Schreiben vom 10. September 2009 die Möglichkeit gegeben zur
beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid Stellung zu nehmen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, sowie auf
die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die bei der Entscheidungsfindung
Berücksichtigung gefunden haben.
Entscheidungsgründe
I.
Die Kammer kann gemäß § 105 Absatz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und
die Beteiligten dazu gehört wurden.
II.
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Die Klage ist zulässig, und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 28. November
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2008 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger erfüllt unstreitig die
Voraussetzungen des § 7 Absatz 1 SGB II. Er hat darüber hinaus einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Ausstellung eines
Vermittlungsgutscheins. Die Ausstellung eines Vermittlungsgutscheins richtet sich nach
§ 16 Absatz 1 S. 2 SGB II i. V. m. § 421g SGB III. Wie die Formulierung in § 16 Absatz 1 S.
2 SGB II („kann erbringen“) klarstellt, handelt es sich bei den Eingliederungsleistungen
nach dieser Bestimmung um Ermessensleistungen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen
nach dem SGB III in den Vorschriften, auf welche sich diese Verweisung bezieht, eine
Pflichtleistung geregelt ist (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 18.
Dezember 2008 Az.: L 7 AS 3614/08). Grundsätzlich ist daher keine unmittelbare
Verurteilung zur Leistung, sondern nur eine Verpflichtung zur Neubescheidung unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes möglich (vgl. § 131 Absatz 3 SGG). Das
Gericht ist nicht berechtigt, oder befugt seine eigenen Ermessenserwägungen anstelle
der Behörde auszuüben (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 9. Aufl. § 54 Rn. 28).
Der Beklagte hat sein Ermessen pflichtgemäß im Sinne von § 39 Absatz 1 S. 2 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) auszuüben. Ein
Ermessensfehler und damit eine Verletzung der Verpflichtung aus § 39 Absatz 1 S. 1
SGB I, liegt regelmäßig in drei Fallkonstellationen vor (vgl. aaO. SGG 9. Aufl. § 54 Rn. 27
ff.):
1.
und Voraussetzungen des Ermessensnichtgebrauchs: von Wulffen SGB X 6. Aufl. § 45
Rn. 92)
2.
Begriff: Kasseler Kommentar zum SGB I § 39 Rn 9).
3.
Begriff: von Wulffen SGB X 6. Aufl. § 45 Rn. 92)
Der Beklagte hat im streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid nicht einmal erkannt,
dass er überhaupt Ermessen auszuüben berechtigt ist. Er ist viel eher davon
ausgegangen, dass er „verpflichtet sei alternative Modelle zur Eingliederung
Arbeitssuchender zu schaffen“. Im Widerspruchsbescheid hat er sein Ermessen
hingegen erkannt und auszuüben versucht.
Dieses Ermessen wurde allerdings fehlerhaft im Sinne einer Ermessensüberschreitung
und eines Ermessensfehlgebrauchs ausgeübt. Eine Ermessensüberschreitung liegt vor,
wenn eine im Gesetz nicht gesetzte Rechtsfolge gesetzt wird. Ermessensfehlgebrauch
liegt vor, wenn die Behörde sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt. Der Beklagte
hat hier sowohl eine vom Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge gesetzt, als auch sich
von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Zwar ist die auf den ersten Blick gesetzte
Rechtsfolge (Ablehnung des Antrags) durchaus vom Gesetz gedeckt; wird eine Leistung,
die im Ermessen der Behörde steht abgelehnt, ist durch das Gesetz in jedem Falle die
Ablehnung der Leistung abgedeckt. Aber die vom Beklagten weiter gesetzte Rechtsfolge,
nämlich der Verweis auf eine Vermittlungsprämie ist vom Gesetz (§ 16 SGB II) nicht
gedeckt.
Die vom Beklagten in Aussicht gestellte Vermittlungsprämie ist in § 16 Absatz 1 S. 2
SGB II nicht geregelt. Die Gewährung einer Vermittlungsprämie ist auch im SGB III nicht
geregelt. Dem Beklagten ist durchaus bewusst, dass die von ihm geschaffene
Vermittlungsprämie tatsächlich auf einer völlig eigenen Kreation des Beklagten beruht.
Der Beklagte ist zu einer Rechtsetzung grundsätzlich, schon wegen des
Gewaltenteilungsprinzips (vgl. Artikel 20 Absatz 2 S. 2 GG), nicht berechtigt. Der
Beklagte ist als Behörde Teil der Exekutive. Gesetzgeberische Fähigkeiten liegen der
Exekutive allerdings nicht zu Grunde. Diese sind der gesetzgebenden Gewalt, der
Legislative, vorbehalten. In Ausnahmefällen kann ein Gesetz durch eine so genannte
Verordnungsermächtigung, die Exekutive ermächtigen durch Satzungen oder
Verordnungen so genanntes „materielles Recht“, im Rahmen der Grenzen der
Verordnungsnorm, selbst zu setzen und zu schaffen.
Als eine solche Ermächtigungsnorm käme hier allenfalls § 16 Absatz 2 SGB II i. d. F. bis
31. Dezember 2008 (a.F.) in Betracht. Danach können über die in Absatz 1 genannten
Leistungen hinaus weitere Leistungen erbracht werden, wie für die Eingliederung des
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in das Erwerbsleben erforderlich sind. Die weiteren
Leistungen dürfen die Leistungen nach Absatz 1 nicht aufstocken. Zu den weiteren
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Leistungen dürfen die Leistungen nach Absatz 1 nicht aufstocken. Zu den weiteren
Leistung gehören insbesondere die Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder
oder die häusliche Pflege von Angehörigen, die Schuldnerberatung, die psychosoziale
Betreuung, die Suchtberatung, das Einstiegsgeld nach § 29 SGB II oder Leistungen zur
Beschäftigungsförderung nach § 16a SGB II.
Aus der vorgenannten Aufzählung wird deutlich, dass die in Aussichtstellung einer
Vermittlungsprämie nicht zu den Leistungen gehört in die der Gesetzgeber beispielhaft
in dieser Vorschrift aufzählt.
Soweit der Beklagte ergänzend auf § 6a SGB II hinweist, ist seine Auslegung dieser Norm
mit deren eindeutigem Wortlaut nicht vereinbar. Wie der Beklagte allen Ernstes zu der
Auffassung gelangt er sei verpflichtet alternative Modelle zur Eingliederung in Arbeit zu
schaffen erschließt sich der Kammer nicht. Nach § 6a Absatz 1 SGB II sollen lediglich „
insbesondere alternative Modelle der Eingliederung von Arbeitssuchenden im
Wettbewerb zu den Eingliederungsmaßnahmen der Agenturen für Arbeit erprobt
werden“. Sinn und Zweck dieser Erprobung ist dabei nicht der sparsame Einsatz von
Mitteln, sondern die bessere Eingliederung der Arbeitssuchenden. Die Kammer hat
insoweit erhebliche Bedenken, ob ein Modell, das weit restriktivere Voraussetzungen
festlegt, im Wettbewerb um bessere Eingliederung in Arbeit tatsächlich Bestand haben
kann. Die Kammer verkennt indes in diesem Zusammenhang nicht, dass der Beklagte
hier ein Modell schaffen wollte, mit dem er auch dem Arbeitsvermittler einen Anreiz zu
einer langfristigeren Eingliederung der Hilfe suchenden setzt.
Entscheidend ist jedoch, dass der Wortlaut von § 16 Absatz 2 S. 1 SGB II a.F. („über …
zusätzlich zu,
unabhängig von
SGB II, 2. Aufl. § 16 Rn. 19). Unabhängig von der konkreten Situation im Einzelfall, hat
der Beklagte im Erörterungstermin ausdrücklich erklärt, dass seit der Einführung der
Vermittlungsprämie durch den Beklagten nicht ein einziger Vermittlungsgutschein,
sondern ausschließlich Vermittlungsprämien ausgestellt wurden. Auch im konkreten Fall
hat der Beklagte die Vermittlungsprämie nicht zusätzlich oder unabhängig von einer
Leistung nach § 16 Absatz 1 SGB II gewähren wollen, sondern anstelle dieser Leistung.
Damit verstößt der Beklagte sowohl gegen Ermessens-, als auch gegen
Verordnungsgrenzen, so dass er sein Ermessen bezüglich des Antrags des Klägers gar
nicht pflichtgemäß ausüben konnte.
Da es der Kammer, wie bereits geschildert, verwehrt ist ihr Ermessen an Stelle des
Ermessens des Beklagten zu setzen, war der Beklagte, neben der Aufhebung des
Ablehnungsbescheides, nach § 131 Absatz 3 SGG noch zu verpflichten über den Antrag
des Klägers unter Beachtung der oben genannten Rechtsauffassung erneut zu
entscheiden.
III.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der
Hauptsache.
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