Urteil des SozG Chemnitz vom 14.07.2005

SozG Chemnitz: arbeitslosenhilfe, immobilie, verwertung, wohnung, freibetrag, darlehen, gebäude, eigentumsübertragung, teilung, kauf

Sozialgericht Chemnitz
Urteil vom 14.07.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 6 AL 1658/04
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 18.06.2004 und vom 21.06.2004 sowie des
Widerspruchsbescheides vom 15.10.2004 ver-urteilt, an den Kläger ab 01.04.2004 Arbeitslosenhilfe zu zahlen. II. Die
Beklagte hat dem Kläger dessen notwendig entstandene außergericht-liche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist das Bestehen eines Anspruchs auf Zahlung von Arbeitslosenhilfe.
Der am ... 1947 geborene Kläger beantragte am 04.02.2003 die Zahlung von Arbeitslo-senhilfe.
Die Beklagte bewilligte die beantragte Leistung mit Bescheid ab 05.02.2003.
Ab 03.08.2003 bezog der Kläger Arbeitslosengeld nach einer Beschäftigung als Bauwerker im Zeitraum 01.04.2003
bis 02.08.2003. Der Kläger hatte insgesamt eine neue Anwart-schaftszeit erfüllt.
Am 31.03.2004 beantragte der Kläger die Zahlung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum ab 01.04.2004.
Mit Bescheid vom 15.04.2004 lehnte die Beklagte die Zahlung der beantragten Leistung mit der Begründung ab, der
Kläger und seine Partnerin in eheähnlicher Gemeinschaft ver-fügten über ein Vermögen in Höhe von 80.279,87 Euro,
das verwertbar und dessen Ver-wertung zumutbar sei. Der Freibetrag in Höhe von 59.800,00 Euro werde überschritten.
Damit liege Bedürftigkeit nicht vor.
Am 30.04.2004 bat der Kläger im Rahmen einer persönlichen Vorsprache um die Überprü-fung des Betrages, den die
Beklagte als Vermögen angesetzt hat. Der Verkehrswert zu der Immobilie, die in die Berechnung der Beklagten
eingeflossen ist, sei nicht korrekt.
Mit streitigem Bescheid vom 21.06.2004 nahm die Beklagte daraufhin den Bescheid vom 15.04.2004 ganz zurück und
bezifferte das Vermögen nunmehr auf 60.180,37 Euro. Das Vermögen liege jedoch weiterhin über dem Freibetrag von
59.800,00 Euro, so dass Bedürftigkeit weiterhin nicht vorliege.
Mit einem weiteren Bescheid vom 18.06.2004 teilte die Beklagte an den Kläger mit, nach einer Überprüfung gemäß §
44 SGB X sei das Vermögen des Klägers neu berechnet wor-den. Es sei festgestellt worden, dass das Vermögen den
Freibetrag übersteige.
Gegen diese beiden Bescheide hat der Kläger am 30.06.2004 Widerspruch eingelegt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbe-gründet zurück. Der Kläger
und seine Ehegattin verfügten nach den Angaben im Antrag auf Arbeitslosenhilfe über ein Mehrfamilienhaus mit einer
Gesamtfläche von 263 m². Der Kläger und seine Ehegattin bewohnten darin eine Wohnung mit einer Größe von 72 m².
Diese Wohnung sei von der Verwertung ausgenommen, da die angemessene Wohnungs-größe von bis zu 130 m²
nicht überschritten werde.
Jedoch sei die verbleibende Wohn- und Gewerbefläche von 191 m² zu verwerten. Der Verkehrswert der Immobilie sei
aufgrund vergleichbarer Daten aus der amtlichen Kauf-preissammlung mit 88.533,33 Euro festgestellt worden. Davon
entfiele auf die nicht selbst bewohnte Wohn- und Gewerbefläche ein Betrag von 64.296,69 Euro. Dieser Betrag sei als
Vermögen zu berücksichtigen.
Nach den Angaben im streitigen Widerspruchsbescheid sei zu diesem Betrag von 64.296,69 Euro ein weiterer Betrag
von Vermögen aus verschiedenen Geldanlagen in Hö-he von 43.580,47 Euro dazuzurechnen. Insgesamt ergebe sich
ein Gesamtvermögen in Hö-he von 107.877,16 Euro. Diese Summe liege wesentlich über dem maßgeblichen Freibe-
trag von insgesamt 60.840,00 Euro.
Dagegen hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten am 22.10.2004 Klage erho-ben mit der
Klagebegründung vom 26.01.2005. Die Verwertung der Immobilie sei nicht so wie von der Beklagten angenommen
durchführbar. Die Gewerbefläche im Erdgeschoss sei an eine Spielothek vermietet. Der Besitzer sei an einem Kauf
nicht interessiert.
Mit Schreiben vom 02.06.2005 an den Bevollmächtigten des Klägers bat das Gericht um Mitteilung dazu, welche
Voraussetzungen gegeben sein müssen, um eine Wohnung grund-buchfest verkaufen und übereignen zu können.
Mit Antwort vom 04.07.2005 wies der Bevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die für einen grundbuchfesten
Verkauf und Übereignung der Wohnung erforderliche Tei-lungsgenehmigung nicht vorliege.
In der mündlichen Verhandlung am 14.07.2005 weist der Kläger nochmals darauf hin, dass für das gesamte Gebäude
Abgeschlossenheitsbescheinigungen für einzelne Gebäudeteile nicht vorliegen. Die Eigentumsübertragung einzelner
Gebäudeteil sei damit nicht möglich. Er wohne auch selbst in dem Gebäude. Deswegen sei er auch nicht verpflichtet,
das Ge-bäude insgesamt zu verkaufen.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt:
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 18.06.2004 und vom 21.06.2004 sowie des
Widerspruchsbescheides vom 15.10.2004 verur-teilt, an den Kläger ab 01.04.2004 Arbeitslosenhilfe zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakte sowie die Niederschrift der
mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwie-sen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger war nicht verpflichtet, die Immobilie im Ganzen zu verkaufen, da er auch
selbst darin wohnt. Eine Verwertung von Teilen der Immobilie durch Verkauf ist rechtlich nicht möglich gewesen.
Gemäß § 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wenn sie neben der Erfüllung
weiterer Voraussetzungen bedürftig sind.
Gemäß § 193 Abs. 2 SGB III ist nicht bedürftig ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das
Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Le-benspartners oder das Vermögen einer Person,
die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Arbeitslosenhilfe nicht gerechtfertigt
ist.
Gemäß § 1 Abs. 1 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung ist das gesamte verwertbare Vermö-gen zu berücksichtigen,
soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt.
Maßgeblicher Begriff für den vorliegenden Rechtsstreit ist derjenige der "Verwertbarkeit". Die Beklagte meint, dass
zumindest für Teile des Gebäudes, das im Eigentum des Klägers und seiner Ehefrau steht und in dem der Kläger und
seine Ehefrau auch wohnen, zu ver-werten sei.
Für eine solche Verwertung durch Verkauf sind nach Ansicht des Gerichts die Vorschriften des
Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) zu beachten.
Gemäß § 1 Abs. 1 WEG kann nach Maßgabe des WEG an Wohnungen das Wohnungsei-gentum, an nicht zu
Wohnzwecken dienenden Räumen eines Gebäudes das Teileigentum begründet werden.
Gemäß § 1 Abs. 6 WEG gelten die Vorschriften über das Wohnungseigentum für das Teil-eigentum entsprechend.
Gemäß § 2 WEG wird Wohnungseigentum durch die vertragliche Einräumung von Son-dereigentum oder durch Teilung
begründet.
Die vertragliche Einräumung von Sondereigentum ist in § 3 WEG geregelt. § 3 Abs. 2 WEG (der gemäß § 8 Abs. 2
WEG für die Teilung entsprechend gilt) schreibt vor, dass die Einräumung von Sondereigentum die Abgeschlossenheit
der mit dem Sondereigentum zu verbindenden Raumeinheiten voraussetzt (vgl. Commichau im Münchener
Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Rdnr. 62 zu § 3 WEG). Maßgebend für das Merkmal Abge-schlossenheit
sind die von den zuständigen Baubehörden zu erteilenden Abgeschlossen-heitsbescheinigungen (vgl. Commichau,
a.a.O, Rdnr. 63).
Für die Übertragung von Eigentum an Immobilien ist die Eintragung in das Grundbuch erforderlich. Die Eintragung von
Wohnungseigentum erfolge erst, wenn die Abgeschlos-senheitsbescheinigung vorliegt (vgl. Commichau, a.a.O., Rdnr.
71).
Für den vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass eine Abgeschlossenheitsbescheinigung für die Teile des Gebäudes,
die aus Sicht der Beklagten durch Verkauf als verwertbar angese-hen werden, nicht vorliegt. Nach Ansicht des
Gerichts ist daher ein Verkauf von Gebäude-teilen mit der erforderlichen Eigentumsübertragung dieser Teile zum
01.04.2004 rechtlich nicht möglich gewesen. Eine Verwertbarkeit durch Verkauf, wie von der Beklagten unter-stellt,
scheidet damit nach Ansicht des Gerichts aus.
Auch eine Verwertung durch Beleihung der Immobilie kommt nach Ansicht des Gerichts nicht in Betracht. Nach
Kenntnis des Gerichts werden Immobilien durch Banken nur belie-hen, wenn der Schuldendienst, also die Zahlung von
Zins und Tilgung, gesichert ist. An Empfänger von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden daher Immobiliendarlehen
grundsätzlich nicht ausgereicht. Überdies würde der Kläger für den Fall der Darlehensaus-reichung ja Arbeitslosenhilfe
nicht beziehen. Die Zahlung von Zins und Tilgung müsste daher aus dem ausgereichten Darlehen selbst wieder
erfolgen.
Auch für den Fall, dass eine Bank zur Ausreichung eines Immobiliendarlehens bereit wäre, wäre nach Ansicht des
Gerichts die Aufnahme eines solchen Darlehens für den Kläger nicht zumutbar. Wie ausgeführt, müsste der Kläger
den Schuldendienst aus dem ausge-reichten Darlehen selbst bedienen. Nach der Systematik der Argumentation der
Beklagten soll jedoch das ausgereichte Darlehen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes verwendet werden. Schon bei
Aufnahme eines solchen Immobiliendarlehens wäre daher nach Ansicht des Gerichts absehbar, dass der
Schuldendienst nicht erfüllt werden kann. Diese Konstella-tion liefe auf die Zwangsversteigerung der Immobilie hinaus.
Das Gericht setzt jedoch als bekannt voraus, dass bei einer Zwangsversteigerung die Verkehrswerte in der Regel bei
weitem nicht erzielt werden.
Nach der Formulierung des § 193 Abs. 2 SGB III ist daher nach Ansicht des Gerichts auch mit Rücksicht auf das
Vermögen des Klägers und seine Ehefrau die Erbringung von Ar-beitslosenhilfe gerechtfertigt. Das Restvermögen des
Klägers und seiner Ehefrau ohne Einbeziehung der Immobilie bleibt unterhalb des Freibetrages.
Der Klage war daher wie tenoriert stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.