Urteil des SozG Bremen vom 18.02.2009

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Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 18.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 217/09 ER
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 AS 334/09 B ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes verpflichtet, der Antragstellerin in der Zeit vom
10. Februar bis 30. April 2009 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 651,00 Euro im Monat zu gewähren. Die
Leistungserbringung erfolgt vorläufig und unter dem Vor-behalt der Rückforderung. Die Antragsgegnerin trägt die
notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin – die eine Ausbildung absolviert - streitet mit der Antragsgegnerin um die Gewährung von
Leistungen nach dem SGB II.
Die 1987 geborene Antragstellerin hat den erweiterten Realschulabschluss absolviert und nimmt seit September 2008
an einer Ausbildung zur staatlich geprüften X. in A-Stadt teil. Nachdem sie bisher bei ihren Eltern gewohnt hatte,
wohnt sie seit Anfang 2009 in A-Stadt in einer Wohngemeinschaft. Für ihr Zimmer zahlt sie eine Warmmiete von
300,00 Euro. Sie hat zunächst keinen Antrag auf Förderung ihrer Ausbildung beim Landesamt für Ausbildungsför-
derung gestellt, weil ihr Vater nicht bereit war, sein Einkommen offen zulegen und ihr signali-siert hatte, dass aus
diesem Grunde ein Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
daher ohnehin aussichtslos sei. Nachdem ihr Vater ihr zwischenzeitlich erklärte, dass er nun doch bereit sei zu
kooperieren, stellte sie An-fang Februar 2009 einen Antrag auf Leistungen nach dem BAföG, über den noch nicht ent-
schieden ist. Das Landesamt für Ausbildungsförderung empfahl ihr, für die Zwischenzeit bis zur Entscheidung über
den Antrag Leistungen bei der Antragsgegnerin zu beantragen. Der Antrag wurde von der Antragsgegnerin mit
Bescheid vom 5. Februar 2009 abgelehnt. Die An-tragsgegnerin begründete die Ablehnung damit, dass die
Antragstellerin in Ausbildung sei und diese Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG oder den
§§ 60 bis 62 SGB III sei.
Am 10. Februar 2009 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht die Gewährung einst-weiligen Rechtsschutzes.
Sie erklärte, sie wisse nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt sicher-stellen solle und wie sie ihre Miete zahlen könne.
Sie sei mittellos und habe keine Möglichkeit, sich Gelder von dritter Seite zu leihen. Die Antragstellerin hat – belehrt
über die Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Versicherung – die Richtigkeit ihrer Angaben an Eides statt
versichert. Sie hat erklärt, sie werde gegen den Bescheid vom 5. Februar 2009 umgehend Widerspruch einlegen.
Das Gericht hat die Antragsgegnerin noch am 10. Februar 2009 per Fax zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert
und zugleich die Übersendung der Verwaltungsakte angefordert. Es hat dabei eine Frist bis zum 17. Februar 2009
gesetzt. Nachdem bis dahin keine Stellung-nahme einging und auch die Verwaltungsakte nicht übersendet worden
war, hat das Gericht noch am 17. Februar 2009 per Fax an die Stellungnahme und die Übersendung der Akte er-innert.
Gleichwohl sind bislang weder Stellungnahme noch Akte bei Gericht eingegangen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf einstweilige Anord-nung ist zulässig und
begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Es liegt bei vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Anordnungsanspruch vor.
a) Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage Anspruch auf die Gewährung von
Leistungen nach dem SGB II. Zwar ist der Anspruch der Antragstelle-rin auf Leistungen dem Grunde nach gem. § 7
Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen, weil die Ausbildung, die die Antragstellerin absolviert, dem Grunde nach
förderungsfähig nach dem BAföG ist. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass ein besonderer Härtefall vorliegt, in
dem gem. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden
können. Ein solcher besonderer Härtefall liegt dann vor, wenn außergewöhn-liche, schwerwiegende, atypische und
möglichst nicht selbst verschuldete Umstände vorlie-gen, die einen zügigen Ausbildungsverlauf verhinderten oder eine
sonstige Notlage hervorru-fen (Bundessozialgericht, Urteil vom 6. September 2007 – B 14/7b As 28/06 R -; Spellbrink,
in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, Rdn. 101 zu § 7 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden
Fall – jedenfalls nach dem Kenntnisstand des Gerichts im Eilverfahren - gegeben, weil eine zügige Bearbeitung des
Antrags auf Leistungen nach dem BAföG bisher nicht erfolgen konnte.
Eine nähere Prüfung konnte bisher nicht vorgenommen werden, weil die Antragsgegnerin innerhalb der vom Gericht
gesetzten – und nicht zu knapp bemessenen – Frist weder eine Stellungnahme abgegeben hat, noch die
Verwaltungsakte übersandt hat. Dies kann jedoch nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen, die nach ihrer
eidesstattlichen Versicherung mittel-los ist und keine Möglichkeiten sieht, sich finanzielle Mittel von dritter Seite zu
leihen.
b) Die Leistungen für Härtefälle gem. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II umfassen nicht nur die Regel-leistung, sondern auch
die Leistungen für Unterkunft und Heizung. Dies ergibt sich daraus, dass § 7 SGB II keine Norm allein für die
Regelleistung ist, sondern den Zugang zum (gesam-ten) System des SGB II definiert und steuert (Spellbrink, a.a.O.,
Rdn. 1 zu § 7). Daraus folgt zugleich, dass auch der Ausschluss gem. § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II – aber auch der hier
strei-tige Härtefall – nicht nur für die Regelleistung, sondern auch für die Unterkunfts- und Heizkos-ten gilt. Im Übrigen
würde die Härtefallregelung im Wesentlichen ins Leere greifen, wenn sie lediglich für die Regelleistung, nicht aber die
Unterkunfts- und Heizkosten (hier: 300,00 Euro) gelten würde.
c) Die Regelleistung ist in Höhe von 351,00 Euro zu gewähren. Zwar hat die Antragstellerin das 25. Lebensjahr noch
nicht vollendet, so dass gem. § 20 Abs. 2a SGB II eine Reduktion auf 80 vom Hundert (= 281,00 Euro) vorzunehmen
wäre, wenn die Antragstellerin ohne Zusi-cherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 2a SGB II –
der Antragsgeg-nerin - umgezogen wäre. Die Antragstellerin ist jedoch zu einem Zeitpunkt aus dem Haushalt ihrer
Eltern ausgezogen, zu dem sie nicht damit rechnen musste, dass sie Leistungen von der Antragsgegnerin beantragen
müsste, weshalb die Reduktion der Regelleistung nicht greifen kann. Die Kammer schließt sich insoweit der
Auffassung der 21. Kammer (Beschluss vom 11. Februar 2009 - S 21 AS 141/09 ER -) und jener des LSG Hamburg
(Beschluss vom 24. Janu-ar 2008 - L 5 B 504/07 ER AS -) an. Das Landesozialgericht Hamburg hat zutreffend ausge-
führt:
"Die Obliegenheit, vor Abschluss eines neuen Mietvertrages eine Zusicherung des Leistungsträgers einzuholen, trifft
schon nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II nur erwerbsfähige Hilfebedürftige, also dem Grunde nach
Anspruchsberechtigte nach dem SGB II. Auch Sinn und Zweck des Zusicherungsvorbehalts bei unter 25jährigen
gebieten ihre Anwendung lediglich auf diesen Personenkreis. Der Gesetz-geber beabsichtigte mit dieser Regelung,
den kostenträchtigen Erstbezug einer eige-nen Wohnung durch Personen zu begrenzen, die bisher wegen
Unterstützung inner-halb einer Haushaltsgemeinschaft keinen eigenen Anspruch hatten oder als Teil einer
Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen haben (BT-Drs. 16/688 S. 14). Eine allgemeine präventive
"Lebensführungskontrolle" von jungen Erwachsenen sollte dem SGB II-Leistungsträger dagegen nicht auferlegt
werden. Da somit lediglich ver-hindert werden sollte, dass der Auszug junger Hilfebedürftiger aus öffentlichen Mitteln
finanziert wird, kann der Zusicherungsvorbehalt nur für Personen gelten, die für die Zeit ab Beginn des neuen
Mietverhältnisses Leistungen beanspruchen, nicht dagegen für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt nach dem
Auszug aus der elterlichen Woh-nung unabhängig vom Grundsicherungsträger bestreiten. Für diese Sichtweise spricht
ebenso der systematische Zusammenhang der Sätze 1 und 4 des § 22 Abs. 2a SGB II (vgl. zur Problematik auch:
Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 82 f.; Piepenstock in jurisPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 104; Schmidt in
Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 22 SGB II, Rn. 116; LS.-Schinke in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 22
Rn. 76 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 6.11.2007 – L 7 AS 626/07 ER – Juris Rn. 23-25)."
2. Es ist auch ein Anordnungsgrund gegeben. Der Antragstellerin ist aufgrund ihrer Mittello-sigkeit ein Abwarten bis
zum Ausgang des Widerspruchsverfahrens nicht zumutbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.